Von deutscher Großzügigkeit und Event-Antirassismus

 

Text Juliane Beer

Deutschland hat sich zum Eldorado für AntisemitInnen aus aller Welt gemausert. Hier darf man sich nützlich machen



Bis vor wenigen Jahren beschränkte sich die Hinwendung zu einem Konglomerat aus Religion, Poststrukturalismus und dem sogenannten Queerfeminismus - antiemanzipatorische Bewegung US-universitärer Herkunft, die Ende der 1990er Jahre auch nach Europa gelangte - hauptsächlich auf einen Kreis junger oder mehr oder weniger gut konservierter Erwachsener aus dem links-antiimperalistischen Lager. Marx21, eine im Bundesvorstand der Partei Die LINKE vertretene trotzkistische Organisation und eines der Sammelbecken für emanzipationsmüde ZeitgenossInnen, labelte bereits vor Jahren islamistisches Treiben als rebellisch, subversiv und revolutionär. Nach dem Motto „Mit den Islamisten manchmal, mit dem Staat niemals“ prangerte man zwar „die konterrevolutionäre Politik der Führung“ der sunnitisch-islamistischen Muslimbruderschaft an, rief aber dazu auf, die Jugend und andere Unzufriedene in der Bruderschaft, die „ernsthaft für die Revolution“ seien für den Kampf gegen Imperium und Kapital zu gewinnen. Dies geschah nicht etwa intern, sondern weltöffentlich im Internet bzw. in sozialen Netzwerken.
Dieser Tage lautet übrigens eine der neusten Nachrichten aus dem Lager der begehrten Bündnispartner: Am 16. Juni warb ein in Istanbul ansässiger Sender der Muslimbruderschaft für die Ermordung von schwulen Männern. Quelle: Queer.de unter Berufung auf das Middle East Media Research Institute (Analyse von Medien im Nahen Osten )

Solcherlei Revolutionsgelüste einer reaktionären TrotzkistInnen-Sekte sind, ein wenig glatt gebügelt und vermeintlich entschärft, in linksliberale Alltagskultur hineingeschwappt und finden nicht nur im Event-Antirassismus des Bildungsbürgertums sondern auch im Kunst- und Kulturbereich immer mehr Anklang.

Besonders irritierend ist, wie viele (junge) Jüdinnen und Juden in Deutschland bedenkenlos die ihnen zugedachte Rolle ausfüllen, die unter anderem fordert, Anspruch auf Sicherheit, einen eigenen Staat sowie Akzeptanz ihrer Kultur zugunsten von Kulturrelativismus, Kampf gegen „antimuslimischen Rassismus“ oder poststrukturalistischem Hokuspokus aufzugeben bzw. die eigene Geschichte zu marginalisieren.


Israelis auf der Flucht nach Deutschland


Wie in allen demokratischen Staaten der Erde rebellieren links(liberale) JüdInnen und Juden gegen konservative, rechte, kapitalistische Strömungen in ihrem Staat Israel, ebenso gegen Zäune und Mauern und dürfen dies dort auch. Der israelisch-arabische Konflikt hat das Zeug, Menschen zu zermürben. Man ist es leid, die eigenen Kinder später beim Militär verschleißen zu lassen, ohne Lösung in Sicht. An jeder Straßen-Saftbar von SoldatInnen mit Maschinengewehr geschützt zu werden ist bedrückend, besonders dann, wenn man sich nicht 24 Stunden am Tag vergegenwärtigen möchte, dass man gerade aufgrund der verhassten Maßnahmen sicher ist. Im Alltag junger Menschen zählt, was just in diesem Moment ist, und Israels Selbstverteidigung ist jetzt, und das permanent. Viele junge Jüdinnen und Juden zieht es außer Lande, beliebt ist Berlin. Das Leben hier ist vergleichsweise günstig und wenig reglementiert. Dass die, die auch nur für kurze Zeit in Israel lebten oder mit den dortigen Zuständen vertraut sind, Bedrohung, die u.a. von in Berlin geduldeten bis geförderten islamistischen, antisemitischen Gebetsvereinen ausgeht und von gestrandeten arabischen Männern auf die Straße getragen wird, wenig ernst nehmen, verwundert in Anbetracht von Attentaten selbst auf jüdische Kindergärten und Schulen in Israel nicht. Hinzu kommt, dass man eine jahrtausendealte Bedrohung gegen Jüdinnen und Juden regelrecht internalisiert hat.

Doch erklärt eine Abhärtung gegen Bedrohung die Bereitschaft gerade jüngerer Jüdinnen und Juden, eigene Sicherheit zugunsten antiemanzipatorischer Bestrebungen und als Kampf gegen Rassismus getarnten Antizionismus aufzugeben bzw. Rückschrittlichkeit sogar als Rebellion zu begreifen?

Oder geht es um etwas anderes?


Rückschritt als Revolte


Unter dem Motto „lieber mit Muslimen als mit Deutschen“ wird Rückschrittlichkeit und Autoritätsbejahung in Form von islamistischer Sektiererei zunehmend nicht nur hingenommen, sondern als Bollwerk gegen den Hass einer nicht definierten Mehrheitsgesellschaft gepriesen. Natürlich ist es in Bezug auf die deutsche Vergangenheit und den nach wie vor grassierenden deutschen Antisemitismus verständlich, dass man nichtjüdischen Deutschen mit Skepsis begegnet. Verständlich ist ebenso, dass man sich mit muslimischstämmigen KollegInnen und GenossInnen wohl fühlt. Unverständlich ist hingegen, dass man sich in Bündnisse mit solchen MitstreiterInnen begibt, vor denen säkulare Ex-MuslimInnen ungehört warnen, oder besser: regelrecht überflüssigerweise warnen, da es den SektiererInnen erklärtermaßen nicht um Aufklärung und Gleichberechtigung geht, sondern darum, unter dem Deckmantel des Multikulturalismus antiemanzipatorische Werte zu etablieren, welche zumeist mit Antisemitismus, getarnt als Antizionismus einhergehen bzw. Identitätspolitik betreiben, welche sich gegen solche Jüdinnen und Juden wendet, die ihr Recht auf einen eigenen Staat und Sicherheit geltend machen.

Solcherlei als Rebellion gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft getarnte Betriebsamkeit erweist sich bei nur flüchtigem Hinsehen als durch Steuern der Mehrheitsgesellschaft über Stiftungsgelder bis hin zu privatwirtschaftlich gefördertes Programm.

Zum Beispiel...


… Medien



Neue Deutsche Medienmacher/Neue Deutsche Organisationen
Die Neuen Deutschen Medienmacher (NDM) wurden 2009 gegründet und organisierten 2015 den ersten Bundeskongress der Neuen Deutschen Organisationen (NDO). Zu den Aktiven der NDM gehört u.a. Migazin-Chefredakteur Ekrem Şenol. Dieser „war früher regelmäßig als Autor auf der offiziellen Homepage der antisemitischen islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) zu finden“ ( https://de.qantara.de/…/der-verfassungsschutz-und-die-igmg-…)
Ebenfalls dabei: Ferda Ataman

Ataman verurteilt „antimuslimischen Rassismus“, rechtfertigt jedoch Übergriffe auf Jüdinnen und Juden. So räumt Ataman zwar ein, dass Antisemitismus „in der arabischen und türkischen Welt sehr stark vorhanden sei“, dies aber auch mit dem „Israel-Konflikt“ zu tun habe. Dass nach dieser Logik auch tätliche Angriffe von in Berlin lebenden Jüdinnen und Juden auf MuslimInnen und deren Kulturvereine stattfinden müssten, was nicht geschieht, scheint Ataman noch nicht aufgefallen zu sein. Auch nicht, dass nach dieser Logik Hass und Gewalt aufgrund von Konflikten zwischen Ethnien in den jeweiligen Heimatländern nach der Flucht in den Aufnahmeländern mit Verständnis begegnet werden müsste.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/journalistin-ferda-ataman-aktueller-antisemitismus-kein.2950.de.html?dram:article_id=414942


...Lokal-Politik
Sawsan Chebli, Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales.

Chebli sieht ihre "Kernaufgabe" darin, zivilgesellschaftliche Initiativen zu stärken, insbesondere solche, die sich im Kampf gegen Antisemitismus engagieren. Sie hält die Scharia und das Grundgesetz für kompatibel. Ruderte nach Protest zurück und korrigierte die Aussage dahingehend, dass sie die Scharia als Verhältnis zwischen Mensch und Gott in Form von religiösen Vorschriften, z. B. Gebete, Speisevorschriften etc. gemeint habe. Initiierte die Organisation JUMA, „Jung, Muslimisch, Aktiv“, deren Mitglieder u.a. der antisemitischen Muslimbruderschaft und Millî Görüş nahestehen.


… Politik vom Wohnzimmersessel aus

Die israelische Regierung beabsichtigt, in Teilen der israelisch verwalteten Gebiete von Judäa und Shomron das momentane Militärrecht durch ein Justizsystem zu ersetzen. Ganz Deutschland ist aus dem Häuschen. Rundmails voll Empörungs-Prosa laden auch Jüdinnen und Juden ein, „Gesicht zu zeigen“. Man appelliert an deren Verantwortung für Frieden im Nahen Osten aufgrund (!) der Shoa.


Antirassitische Eventkultur

Bündnis Unteilbar, gegründet 2018

„Wir treten für eine offene und solidarische Gesellschaft ein, in der Menschenrechte unteilbar, in der vielfältige und selbstbestimmte Lebensentwürfe selbstverständlich sind“, hieß es im Gründungsaufruf. Gutgläubig gesellten sich auch jüdische Organisationen zum Bündnis, zu dem Vereine und Personen gehören, die dem Spektrum der Muslimbruderschaft zuzurechnen sind. Auf der ersten Berliner Demonstration im Herbst 2018 kam es, wie zu erwarten war, zu antisemitischen Bekundungen. Davor war bereits im Vorfeld gewarnt worden. Die InitiatorInnen hatten dies ignoriert und heuchelten nach der Demonstration Betroffenheit.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article182221792/Unteilbar-in-Berlin-Wut-auf-der-Wohlfuehl-Demo.html

2020 zeigte das Unteilbar Bündnis in Berlin erneut, wie der Kampf gegen „antimuslimischen Rassismus“ und Antisemitismus in Deutschland auszusehen hat. Abgesehen davon, dass man sich von seinen fragwürdigen BündnispartnerInnen nicht getrennt hatte, wurden Israelfahnen als unerwünscht von der Demo, die wegen des grassierenden COVID-19-Virus in Form einer Menschenkette durch Berlin stattfand, verbannt. Palästina-Flaggen wurden zugelassen.

Das brachte Ferda Ataman bei Twitter wie folgt auf den Punkt:

„Es ist ein großartiges Gefühl, wenn Zusammenhalt und Solidarität gelebt wird innerhalb und zwischen Gruppen, die von Sexismus, Klassismus, Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Homophobie, Transfeindlichkeit usw. betroffen sind.“ Quelle: Twitter-Account von Ferda Ataman


… gefördert für den gute Zweck

CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit

Im „Expert*innengremium aus Wissenschaft und Praxis“ des Netzwerks findet sich u.a. Daniel Bax, Sympathisant der in Teilen antisemitischen BDS-Bewegung. Dies hinderte die Zuständigen im Jüdischen Museum Berlin nicht daran, Bax unkritisiert einzuladen, um ihm die Möglichkeit zu bieten, sein Werk zu bewerben. https://www.jmberlin.de/angst-ums-abendland
Zu CLAIM gehört u.a. auch Inssan e.V. mit Verbindungen zur vom Verfassungsschutz beobachteten Islamischen Gemeinde in Deutschland, die der antisemitischen Muslimbruderschaft zugeordnet wird. https://www.belltower.news/allianz-gegen-den-mehrheitsfaehigen-anti-muslimischen-rassismus-48430/


… geförderte Kunst und Kultur


Queer-Aktionismus

„Friedensforscher“ und BDS-Aktivist Sa'ed Atshan referierte 2018 ungestört am ICI-Institut Berlin. https://www.ici-berlin.org/events/saed-atshan/


Das Lesen der Anderen – Wehrhafte Poesie im Haus der Poesie Gefördert unter anderem durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa des Landes Berlin und eurobylon – Verein zur Förderung kultureller Aktivitäten im Namen des europäischen Gedanken auf dem Gebiet von Kunst und Kultur.
Mit dabei u.a. Kübra Gümüşay, die auch auf Veranstaltungen der Millî Görüş-Bewegung auftritt.
1970 gründete Necmettin Erbakan die erste Partei der Millî Görüş-Bewegung, die nationale Ordnungspartei, die 1971 verboten wurde. Erbakan war nicht nur davon überzeugt, dass der Islam die einzige Rettung für die Menschheit darstelle, sondern verbreitete zu Lebzeiten in türkischen Medien auch klassische antisemitische Stereotypen, wie beispielsweise die Wahnvorstellung, dass Juden Bazillen wären, die die Welt infizieren wollten. Einer dieser angeblichen Bazillen, Max Czollek, ebenfalls bei Das Lesen der Anderen mit von der Partie, stellte im Januar in der Milli-Görüs-Moschee Centrum in Hamburg sein Werk Desintegriert euch vor. Applaus war ihm sicher. Necmettin Erbaka scheint posthum den Nerv der Zeit beziehungsweise den Nerv einer orientierungslosen jüdischen Generation zu treffen. https://www.textland-online.de/index.php?article_id=4
https://www.ikm-hamburg.de/programm/st-georg-talks-0


… und nebenan

"Juden und Muslime nicht gegeneinander ausspielen" möchte das „Dialogzentrum“ Muslim-Jewish Leadership Council (MJLC) in Wien. Betrachtet man einige der muslimischen Funktionäre des Zentrums, beispielsweise Ibrahim El-Zayat, der Verbindungen zur Muslimbruderschaft pflegt, darf man die guten Absichten zumindest der mulismischen Seite getrost anzweifeln.
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/789051_Neue-Vorwuerfe-an-Dialogzentrum.html


Der Freiheit überdrüssig scheint auch TAZ-Autorin Hengameh Yaghoobifarah zu sein, für die westliche Demokratie das verachtenswerte Werk weißer Männer darstellt, die ihr u.a. soeben ermöglichten, deutschstämmige PolizistInnen als Müll zu bezeichnen. Diese vermeintlich müllwerten Individuen gewährten ihr wiederum Hilfe gegen Hassattacken, welche zu erwarten waren. Ein Jahr zuvor hatte Yaghoobifarah gemeinsam mit weiteren AutorInnen, die es zwar müde sind, als MigrantInnen herumgereicht zu werden, aber auf ihren Migrationshintergrund pochen, das Sachbuch Eure Heimat ist unser Albtraum herausgegeben, ein Manifest gegen die Zustände, die den u.a. muslimischen AutorInnen die begrüßenswerte und in den Ländern ihrer Altvorderen verwehrte Freiheit bescheren, ein solches Buch unzensiert herauszugeben.
Auch im Buch zeichnet sich der Trend dieser Zeit alias Rebellion ab: Muslimisch restriktive Kultur wird als revolutionäres Gegenmodell zur Demokratie gefeiert, die muslimischstämmigen AutorInnen huldigen dieser, ihrer Kultur, den jüdischstämmigen AutorInnen fällt die Aufgabe zu, sich, ihr Land Israel und die Maßnahmen zu ihrer Sicherheit dort wie hier zu verachten. Es scheint, als hätten sich gerade junge Jüdinnen und Juden inzwischen vollautomatisch an die ewige Forderung angepasst, wonach sie ihre Belange, selbst die existentiellen, zurückzustellen haben.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Meiner Meinung nach ist es legitim bis begrüßenswert, wenn Herkunft keine Rolle spielen soll. Hier aber stellt sich die Frage, warum dies nicht für jegliche Herkunft gilt und zwar ohne Ausnahme für die „Juden von heute“ alias MuslimInnen.


Und die nichtjüdischen Deutschen?

Von der Mehrheitsgesellschaft vermeintlich rassistisch bedrohte Herzens-AntisemitInnen betreten die mediale Bühne – und schon bröckelt die deutsche Fassade.

Die und der biodeutsche trockene AntisemitIn macht sich im Jahren 2020 nicht mehr gern die Hände schmutzig. Man will zeigen, dass man aus der Geschichte gelernt hat. Den Hass, die Marginalisierung und das in die Schranken Weisen der jüdischen Bevölkerung wird an die muslimische Community delegiert, zusammen mit reichlich Fördergeld aus Steuermitteln und warmen Worten der Anerkennung. Die so Bedachten holen sich willige (spätpubertierende) Jüdinnen und Juden dazu, die ihr kritisches Jüdischsein medial wirksam zur Marke machen dürfen, um so aufgehübscht zu verkünden, es satt zu haben, als Jüdin oder Jude identifiziert zu werden. Die Deutschen in ihrer Besessenheit für alles, was jüdisch ist und sich klein macht, lieben das, was sie da fürs Steuergeld geboten kriegen. Man darf dies wohl als zeitgemäße win-win-win-Situation bezeichnen.

Selbsthass

Nein, dieser Zirkus lebt sicher nicht vom stets schnell herbeigeredeten „Selbsthass der Juden“. Vielmehr zeigt sich hier ein Ausdruck von Ohnmacht vieler Jüdinnen und Juden, mindestens aber von Orientierungslosigkeit innerhalb einer Gesellschaft, die die zeitgemäße Legitimität des Abschüttelns von Prinzipien und Grundsätzen dazu nutzt, selbstbewusstes jüdisches Leben endlich wieder hemmungslos zu verurteilen und zu bekämpfen. Natürlich erledigt man das nicht selbst. Die und der Deutsche sind weltweit bekannt für ihre Aufarbeitungsleistung, und das soll so bleiben. Geläutert hat man sich zum großzügigen Gastgeber für AntisemitInnen aus aller Welt hochfrisiert, die jetzt ihre Integrationsfähigkeit unter Beweis stellen dürfen und dafür großzügig entlohnt werden.














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