Türkische islamisch-nationalistische Gruppierungen machen in (oder gegen?) Europa mobil

Text: BG

Die „Alternative für MIGRANTEN“ strebt eine Kandidatur an für die diesjährige Wahl zum Europäischen Parlament. Eine Kampfansage, laut der Webseite der Organisation.

Es liest sich nicht nur wie eine Kampfansage, es ist eine Kampfansage. Jedenfalls kündigt das Fatih Zingal auf der Werbseite der „Alternative für MIGRANTEN“ an: „Dieser Name ist nicht aus Zufall entstanden und darf gerne als Kampfansage an diejenigen verstanden werden, die Rassismus, Nationalismus und Islamfeindlichkeit salonfähig gemacht haben.“ 
Viel ist nicht über das geplante Projekt zu erfahren, nur dass es den an den Rand der Gesellschaft gedrängten Migranten eine Stimme geben soll. An den Rand gedrängte Personen wie Fatih Zingal, der so marginalisiert ist, dass er nach dem Putsch in der Türkei als „Experte“ durch alle Talkshows gereicht wurde. 
Fatih Zingal wuchs in Solingen auf, machte – ganz marginalisiert – Abitur und studierte Jura. Er war 2013 Gründungsmitglied der "Union Europäisch-Türkischer Demokraten" (UETD) Solingen und wurde zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Unmittelbar nach der Parlamentswahl in der Türkei 2015 ist er zum stellvertretenden Vorsitzenden der Europazentrale der UETD aufgestiegen, ein Jahr später zum Sprecher der Organisation, die als Tochter der türkischen Regierungspartei AKP (Partei für Aufschwung und Gerechtigkeit) installiert wurde und primär Lobbyarbeit für das ehrgeizige Ziel des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoǧan, Alleinherrscher am Bosporus zu werden, machte. Die UETD organisierte die Wahlbeteiligung der türkisch-stämmigen Menschen und auch die Auftritte türkischer PolitikerInnen in Deutschland. 2018 benannte sich die UETD in "Union Internationaler Demokraten" (UID) um, seitdem hat Fatih Zingal keine führende Position mehr inne. 
Das einzig interaktive Angebot, dass die „Alternative für MIGRANTEN“ bis dato anbietet, ist die Möglichkeit, ein Formular herunterzuladen, mit dem die Kandidatur für das Europaparlament unterstützt werden kann. Was genau die Verdammten dieser Gesellschaft dort tun wollen, für welche Ziele sie stehen, außer sich ins Gespräch zu bringen, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Trotzdem fällt es nicht ganz schwer, sie politisch einzuordnen. Fatih Zingal z. B. schmückt sein Facebook-Profil mit einem Foto, auf dem er mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoǧan zu sehen ist (woran erinnert mich das bloß?).
Am vergangenen Wochenende, auch das ist seinem fb-Profil zu entnehmen, war er als Gast auf einer Tagung der „Genç Asip – Junge Europäische Bürgerinitiative Plattform“.
Deren Vorsitzender Tolga Özgül ist türkischer Nationalist par excellence, wie er bei einer Diskussion zum Thema „Kurdistan“ in der Berliner „Urania“, zu der er als einer von vier Diskutanten geladen war, unter Beweis stellte. Dort verkündete er: „Die Kurden haben bereits ihren Staat – und das ist die Türkei.“
Nachdem er mit dieser Feststellung nicht eben Beifall erntete, ok, er wurde als „Schwein“ betitelt, was nicht gerade für ein kultiviertes Diskussionsklima spricht, verließ er die Veranstaltung. Die Konferenz am Wochenende nutzte Tolga Özgül, um mal beim "Islamrat" vorbeizuschauen. Das ist seiner Facebookseite zu entnehmen.
Dort ist er auf einem Foto mit dem Vorsitzenden des Islamrats, Burhan Kesici, zu sehen. Dieser hält den Islam und Homosexualität für unvereinbar. Der Islamrat ist dem Verfassungsschutz zufolge von der „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG) dominiert. Der ehemalige Vorsitzende Ali Kızılkaya war laut des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Generalsekretär der IGMG. 
So schließt sich der Kreis. Die IGMG geht zurück auf den ehemaligen türkischen Präsidenten Necmettin Erbakan, der in einem Buch die „Nationale Sicht“ (Millî Görüş) erläuterte. Dabei spielte Gerechtigkeit eine große Rolle, weshalb sich u.a. die AKP auch „Partei für Aufschwung und Gerechtigkeit“ nennt. Gemeint ist göttliche, genauer, islamische Gerechtigkeit, die allen Rechtgeleiteten zuteil wird. Erbakan war von der Muslimbruderschaft beeinflusst und ist der politische Ziehvater von Recep Tayyip Erdoǧan, der Experten als eine der führenden Persönlichkeiten im weltumspannenden Netzwerk der Muslimbruderschaft gilt. Auch die erste Vereinigung zunächst türkisch-stämmiger Personen bezog sich auf diese „Gerechtigkeit“: Das „Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit“, das in Nordrhein-Westfalen (NRW) entstand und dessen Vorläufer, das „Bündnis für Frieden & Fairness“ (BFF), mit Hülya Doǧan die erste Frau mit Hijab in ein deutsches Parlament, den Bonner Stadtrat, brachte. Später gesellte sich die „Muslimisch-Demokratische Organisation“ (MUD) zu BIG, bei der drei von sechs Vorstandsposten von Mitgliedern der Familie Özoǧuz bekleidet werden. Die Gebrüder Özoǧuz sind streng religiöse Schiiten, die u.a. das Internetportal „Muslimmarkt“ betreiben. Laut Wikipedia nahm „die MDU 2013 mit Transparenten und Flugblättern an der jährlichen Quds Tags Demonstration in Berlin teil. Der Vorsitzende und Sprecher der MDU, Bilal Uwe Wilbert, ab 2014 Mitglied im Vorstand der BIG, war einer der Hauptredner auf der israelfeindlichen Al-Quds-Demonstration 2013 wie auch 2014 in Berlin.“
Das ist also das Milieu, in dem die „Alternative für MIGRANTEN“ sich bewegt. Nicht wirklich appetitlicher, als jenes Milieu, die sie den Kampf ansagen wollen. Nur die türkische Nationalflagge im Hintergrund und religiös gefärbt. Die Bildung dieser Vereinigung muss im Zusammenhang gesehen werden mit der Konferenz europäischer Muslime, die die türkische Religionsbehörde DIYANET kürzlich in Köln veranstaltete. Dort wurde die Bildung eines gemeinsamen europäischen Gremiums der Muslime in Europa beschlossen. Zugegen waren neben Vertretern der DIYANET und deren deutschem Ableger DITIB, in deren Hause die Zusammenkunft stattfand, auch hohe Persönlichkeiten aus dem Spektrum der Muslimbruderschaft. Auch die dort vorgetragene Erklärung liest sich wie eine Kampfansage. Eine Kampfansage an die Integration, an die säkulare Gesellschaft und eine Kampfansage an Europa in seiner jetzigen Verfasstheit. 
Nun kann DITIB ja schlecht zu den Europawahlen kandidieren, auch nicht die IGMG oder der Islamrat, also wurde offenbar eine politische Organisation gegründet, die aber auf der gleichen Welle reitet wie die fundamental-islamischen Organisationen. Denn in deren Ideenwelt sind Politik und Religion nicht voneinander zu trennen.  
 

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