Der größte Friedhof der Welt
Text: BG
Am 27. Januar, dem Tag der
Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee, wird den Opfern des größten
Verbrechens gegen die Menschlichkeit in der Geschichte der Menschheit gedacht.
Es gibt nichts, wirklich nichts, das uns mit Menschen oder Organisationen verbinden sollte, die
diesen Teil der deutschen Geschichte in Frage stellen, verharmlosen – oder gar
verherrlichen.
Es gibt viele grausame
Verbrechen, die systematisch an Menschen, ja ganzen Menschengruppen, begangen wurden.
Der Kolonialismus ist eines davon. Doch die fabrikmäßige Tötung von Menschen in
den KZs der deutschen Faschisten, die sie zum Teil auch in Polen errichteten,
ist an Grausamkeit nicht zu überbieten. Was vielen vermutlich gar nicht klar
ist: Die Vernichtung des europäischen Judentums und auch der Sinti und Roma
wurde generalstabsmäßig geplant und Auschwitz war zu Beginn ein Versuchslabor,
wie sich am effektivsten, und ohne bei den Mördern größere psychische Schäden
anzurichten, schnell Menschen in großer Zahl ermorden ließen. Die Sinti
und Roma wurden im sogenannten „Zigeunerlager“ interniert:
„Als Teil der ´Endlösung`
ordnete Heinrich Himmler am 16. Dezember 1942 an, alle noch im Reichsgebiet
verbliebenen Sinti und Roma nach Auschwitz zu deportieren. Sein Ziel war die
fabrikmäßige Ermordung der gesamten Minderheit. Wenig später ergingen
entsprechende Befehle für die besetzten Gebiete.
Ab Februar 1943 wurden nahezu
23.000 Sinti und Roma aus elf europäischen Ländern in das Vernichtungslager
Auschwitz-Birkenau deportiert. Der größte Teil stammte aus dem Reichsgebiet:
über 13.000 Frauen, Männer und Kinder. Viele Sinti und Roma befanden sich
jedoch bereits in Konzentrationslagern oder waren in den besetzten
Gebieten Opfer von Massenerschießungen geworden. „
Als Ende ´44 die Rote Armee
vorrückt, begannen die faschistischen Machthaber fieberhaft, ihre Spuren zu
beseitigen. Die akribisch geführten Lagerlisten, auf denen alle Zugänge und die
Zahlen der Exekutionen aufgelistet waren, wurden zu einem erheblichen Teil im
Krematorium verbrannt. Schließlich wurden alle Häftlinge, die noch laufen
können, auf den Todesmarsch geschickt. Als die Rote Armee am 27. Januar ´45 das
Lager befreite, fanden sie noch etwa 7.600 geschundene und völlig entkräftete
Gefangene vor, die die SS aus Zeitgründen vor der Evakuierung des Lagers nicht
mehr ermorden konnten. Viele von ihnen hatten trotzdem nichts mehr von der
Rettung, sie starben in den folgenden Tagen und Wochen.
Die Gaskammern in Auschwitz
arbeiteten 2 Jahre und 10 Monate. Es gibt keine genauen Angaben darüber, wie
viele Gefangene in Auschwitz tatsächlich ums Leben gekommen sind, die
Schätzungen schwanken zwischen einer und vier Millionen Toten. Es liegt wie
gesagt daran, dass die schriftlichen Nachweise über das Ausmaß der
Massenexekutionen verbrannt wurden. Donata Czech vermutet allerdings, dass
diese Aufzeichnungen sowieso nicht vollständig waren, da die Täter schneller
Menschen ermordeten, als sie Akten führen konnten, wie sie schreibt. Die
Zahlenangaben beruhen auf Augenzeugenberichten, Gerichtsakten und Todeslisten,
die widerständige Häftlinge heimlich führten und versteckten.
Aber unabhängig von den genauen
Zahlen ist Auschwitz zum Synonym für die fabrikmäßige Vernichtung menschlichen
Lebens geworden. Auschwitz ist, um Esther Bejarano zu zitieren, „der größte Friedhof der
Welt.“
Auszug aus: Esther Bejarano,
Birgit Gärtner, Wir leben trotzdem – Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur
Künstlerin für den Frieden, Pahl Rugenstein Verlag, Bonn, 2004:
Begleitmusik zum Massenmord
„Wohin der Zug fuhr, wussten wir
nicht. Die Waggons waren überfüllt und wir konnten uns kaum bewegen. Wenn wir
mal austreten wollten, mussten wir über die Menschen steigen, um an die Kübel
in der Ecke zu gelangen. Die Luft in den Waggons war miserabel und wurde immer
schlechter.“ Esther erinnert sich, dass viele alte und schwache Menschen diesen
mehrere Tage dauernden Horrortrip in den Viehwaggons nicht überlebten. Ihre
Leichen blieben die ganze Zeit in den Waggons.
Mit Esther saßen viele der
Jugendlichen im Waggon, mit denen sie in Neuendorf zusammen war: Eli Heymann,
Schimschon Bär, Schoschana Rosenthal, Mirjam Edel, Anne Borrinsky, Hilde
Grünbaum, Karla und Sylvia Wagenberg und noch viele andere. Schimschon und
Esther hatten sich getrennt, sie hatte inzwischen ein Auge auf Eli Heymann
geworfen, an dessen Seite sie den Transport in die Hölle überstand. Doch zu
einer Liebebeziehung kam es nicht mehr, denn dort, wo die Reise enden würde,
gab es weder Zeit noch Raum dafür – da musste jede und jeder jede Sekunde des
Tages ums blanke Überleben kämpfen. Viele von Esthers Freundinnen und Freunden
haben diesen Kampf gegen die faschistische Vernichtungsmaschinerie verloren.
Alle im Waggon bewegte dieselbe
Frage: „Wohin werden wir gebracht?“ Der Zug hielt mehrmals, doch durch das
vergitterte Fensterchen war nichts zu erkennen. „Bei jedem Halt dachten wir:
´Jetzt sind wir erlöst und können der stinkigen Luft entfliehen`, aber dann
fuhren wir wieder weiter. Nach ein paar Tagen nicht beschreibbaren Erlebens
hielt endlich der Zug und die Türen wurden geöffnet. Wir stiegen aus und einige
zivil gekleidete Männer begrüßten uns ganz freundlich. Es hieß, wir kämen in
Arbeitslager, Frauen und Männer getrennt. Etwas entfernt von der berühmten
Rampe standen einige Lastautos.“
Die Bedeutung dieser Rampe
sollten Esther und die anderen Gefangenen später kennen lernen, an dem Tag
ihrer Ankunft dachten sie sich noch nichts dabei, als es hieß, kranke und
gehbehinderte Menschen, Mütter mit kleinen Kindern, schwangere Frauen und
Frauen über 45 Jahren sollten auf die Lastautos steigen, da der Weg zum Lager
ziemlich lang sei. Im Gegenteil, es schien eine freundliche Geste zu sein::
„Viele stiegen bereitwillig auf die Autos. Einige junge Menschen, die mit ihren
Eltern mitgehen wollten, wurden aufgehalten. Ihnen wurde gesagt, sie könnten
auch laufen. Die Autos fuhren direkt in die Gaskammer, aber das wussten wir
damals noch nicht.“ Die Männer und Frauen, die zurückblieben, wurden getrennt,
sie kamen jeweils in ein separates Lager. Jetzt musste sich Esther auch von Eli
Heymann trennen.
Ihre Ankunft wird am 20. April
´43 folgendermaßen in Auschwitz registriert: „Mit einem Transport der RSHA ...
sind etwa 1.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder eingetroffen. Nach der
Selektion werden 299 Männer, die die Nummern 116.754 bis 117502 erhalten sowie
158 Frauen, die die Nummern 41.870 bis 42.027 erhalten, als Häftlinge in das
Lager eingewiesen. Die übrigen 543 Deportierten werden in den Gaskammern
getötet.“
Esther und die anderen Frauen
marschierten, bis sie zu einem großen Tor kamen. „ARBEIT MACHT FREI“ stand dort
in großen Lettern geschrieben. An die dann folgende Begrüßung kann Esther sich
noch sehr genau erinnern: „Als wir durch das Tor kamen, wurden wir von den
SS-Frauen und –Männern mit folgenden Worten begrüßt: ´So, ihr Saujuden, jetzt
werden wir Euch mal zeigen, was arbeiten heißt.`“
Die Frauen wurden in eine große
Halle getrieben, die so genannte Sauna. Die Koffer mussten auf der Rampe stehen
bleiben und alle mussten sich vollständig entkleiden. Die SS-Männer blieben
dabei als die Frauen sich auszogen und amüsierten sich köstlich, während viele
der Frauen vor Scham anfingen, zu heulen. Nackt wurden ihnen die Haare
geschoren. „Wir wurden dadurch so sehr entstellt, dass wir manche gar nicht
wieder erkannten.“ Dann mussten alle unter eine kalte Dusche und hinterher in
einen Heißluftraum, wo sie getrocknet wurden. „Dort hatten wir das Gefühl, zu
ersticken. Dann wurden wir tätowiert, d.h., wir standen alle in einer Reihe und
mussten warten, dass uns eine Nummer in den linken Arm geritzt wurde. Ich bekam
die Nummer 41948. Namen waren damit abgeschafft, wir waren nur noch Nummern.“
41948, diese Zahlen haben sich
damals genauso unauslöschlich in ihre Haut gebrannt, wie die Erinnerung an das,
was sie in der Hölle von Auschwitz erwartete. Nach der Tätowierung bekamen sie
Sträflingskleider zugeteilt, da war
ihnen klar: „Wir sind hier in einem Konzentrationslager, solche Kleidung gibt
es nicht in einem gewöhnlichen Arbeitslager.“ Esther und ihre Freundinnen und
Freunde waren in Polen, in Auschwitz, im Lager Birkenau.
„Ich weiß noch, dass ich gedacht
habe, nachdem ich die Nummer eintätowiert bekam: ´41.947 Menschen waren also
schon vor mir hier. Wo sind die bloß alle?`“ Daran kann Esther sich heute noch
erinnern.
Anschließend wurden die Frauen
auf die Blocks verteilt. Esther hatte Glück, zusammen mit einigen Freundinnen
wurde sie einem Block zugeteilt. Dort gab es viele Kojen, in jeder davon lagen
etwa acht bis zehn Frauen. „Die Blocks waren ehemalige Pferdeställe, wir lagen
auf Holzbrettern, ohne Stroh und ohne Decken. Die Pferde früher hatten es
besser“, ist sich Esther sicher.
Die Frauen mussten morgens sehr
früh aufstehen und manchmal „durften“ sie in den so genannten Waschraum gehen,
der ziemlich weit vom Block entfernt war. Auch eine Erinnerung, die Esther nie
los lässt: „Es ist leicht vorstellbar, dass uns das kalte Wasser im April nicht
eben dazu einlud, uns von Kopf bis Fuß zu waschen. Noch dazu nach einer Nacht
ohne Decken und Matratzen. Wir froren entsetzlich, vor allem natürlich in den
Wintermonaten. Ich kann sagen, dass uns nie warm wurde. Es war aber nicht immer
erlaubt, in den Waschraum zu gehen, manchmal tagelang nicht. Dann mussten wir
die Emailleschüssel, aus der wir Essen und Trinken mussten, auch zum Waschen
benutzen. Die Toilette war eine entwürdigende Stätte, weil wir sogar beim
Scheißen bewacht wurden. Das ging folgendermaßen vor sich: Wir kamen in das
Scheißhaus (anders lässt sich das nicht bezeichnen), das aus einer ellenlangen
Holzstange bestand, auf die die Frauen sich setzen mussten. Das war vor allem
für Frauen, die klein waren, ziemlich mühsam. Unter der Stange befand sich das
so genannte Becken, dass ziemlich tief war und genau so lang wie die Stange.
Ich schätze, dass etwa 40 bis 50 Frauen gleichzeitig ihre Notdurft dort verrichteten.
Die SS war immer dabei und ließen sich selbst noch dort alle möglichen
Schikanen einfallen. Die Menschen, die schon länger in Auschwitz waren, sahen
alle abgemagert, krank und schwach aus, viele hatten ständig Durchfall. Das war
bei der Kälte und dem schrecklichen Essen auch kein Wunder. Zum Frühstück aßen
wir einen Teil der Ration Brot, die abends verteilt wurde. Dazu gab es ein
braunes Gesöff, das Tee sein sollte. Alle Gefangenen hatten eine braune
Emailleschüssel, die zum Essen und zum Trinken benutzt wurde.“
Nach dem Morgenappell, bei dem
festgestellt wurde, ob alle Häftlinge noch da sind, zogen die Kolonnen durch
das Tor zur Außenarbeit, getreu des Mottos: Arbeit macht frei. Esthers
„Freiheit“ bestand zunächst darin, Steinbrocken zu schleppen: „Wir hatten eine
völlig sinnlose Arbeit zu verrichten: Auf einem großen Feld mussten wir große
Steine zusammen tragen, immer auf einer bestimmten Stelle auf der einen Seite,
und wenn wir damit fertig waren, auf einer vorgegebenen Stelle auf der anderen Seite.
Die Steine waren so schwer, dass einige Frauen schlapp machten. Aber die
SS-Leute hatten kein Erbarmen, sie hatten ja gelernt, auf wehrlose Frauen
einzuprügeln und waren auch noch stolz auf ihre Taten. Ich glaube, wenn ich
nicht das Glück gehabt hätte, aus dieser Kolonne raus zu kommen, wäre ich
elendig zugrunde gegangen.“
Auf der Sträflingskleidung trug
Esther einen rotgelben Judenstern. Es gab unterschiedliche Zeichen für die
Gefangenen, die verschiedene Bedeutungen hatten: Außer den rotgelben gab es
schwarzgelbe Judensterne, das waren die so genannten asozialen Juden. Dann gab
es verschiedene Winkel, einen grünen für Schwerverbrecher, z.B. Mörder, einen
roten für politische Gefangene, einen schwarzen für Asoziale, einen
lilafarbenen für Zeugen Jehovas und einen Rosa Winkel für Schwule. „Viele der
Blockältesten trugen grüne Winkel“, erinnert Esther sich. „Es gab aber auch
welche mit rotem Winkel. Die Blockältesten hatten ein eigenes Zimmer im Block
und auch genug zu essen, für sie war die Haft einigermaßen zu ertragen. Viele
von denen mit dem grünen Winkel waren die Handlanger der SS, manche von ihnen
waren schlimmer und brutaler als die SS-Aufseherinnen. Es gab allerdings auch
einige darunter, die human und sehr hilfsbereit waren, in erster Linie die mit
dem roten Winkel.“
Einige der Blockältesten fanden
heraus, dass Esther eine wunderbare Interpretin der Werke von Schubert, Bach,
Mozart und anderen Komponisten war. Sie ließen sie singen, dafür bekam Esther
ein Stück Brot oder manchmal auch Wurst extra. Eines Tages suchte die
Dirigentin Tschaikowska auf Befehl der SS nach Musikerinnen für das so genannte
Mädchenorchester. Die Blockältesten schlugen Hilde Grünbaum, Sylvia Wagenberg
und Esther vor. Die Mädchen sollten zur Prüfung in die Musikbaracke gehen.
Hilde sollte Geige, Sylvia Flöte und Esther Akkordeon vorspielen. Das Ganze
hatte nur einen Haken: Esther konnte überhaupt nicht Akkordeon spielen. Sie
hatte zwar Klavier spielen gelernt, aber noch nie in ihrem Leben Akkordeon
gespielt. Ein Klavier gab es nicht, also blieb ihr nichts anderes übrig, als
ihr Glück zu versuchen. Und das klappte sogar: „Obwohl ich noch nie ein
Akkordeon in der Hand hatte, konnte ich sogar den Schlager ´Bel Ami` spielen.
Es war für mich wie ein Wunder, dass ich die richtigen Akkorde erwischte. Die
Tschaikowska hatte zwar gemerkt, dass ich nicht Akkordeon spielen konnte, aber
sie hatte auch mein Talent erkannt und ging davon aus, dass ich das sehr
schnell lernen würde. Hilde und Sylvia wurden auch akzeptiert und so zogen wir
drei in die Baracke, in der die Musikerinnen schliefen. Jetzt waren wir
Funktionshäftlinge und wohnten in der Funktionsbaracke. Alle Funktionärinnen,
Läuferinnen, Dolmetscherinnen, Schreiberinnen, Frauen, die in den
Effektenkammern arbeiteten und die Musikerinnen wohnten in dieser Baracke, in
der richtige Betten standen. Jede hatte ihr eigenes Bett mit Kopfkissen und
Bettdecke – sogar mit Bettwäsche. Die Effektenkammern waren voll mit
Kleidungsstücken, Schuhen, Waschmitteln, Kosmetiktaschen, kurz, alles, was die
Faschisten von den Transporten aus ganz Europa erbeuteten. Dort wurde alles
sortiert, verpackt und „heim ins Reich“ geschickt, zum Winterhilfswerk oder
sonstigen Hilfseinrichtungen. In den Effektenkammern konnten wir
Funktionshäftlinge uns Pullover, Mäntel, Unterwäsche, Seife, Zahnbürsten und
vieles mehr mit Brot, Wurst oder Margarine kaufen.“ Esther kaufte sich einmal
einen Pullover, weil sie so schrecklich fror. Dafür gab sie einen ganzen Laib
Brot: „Das war eine ganze Wochenration, ich habe also eine ganze Woche lang
gehungert, aber der Pullover wärmte mich und ich trug ihn eine ganze Zeit.“
Das Essen in der
Funktionsbaracke war das gleiche wie im übrigen Lager auch: Morgens Tee,
mittags, bzw. abends, eine Suppe, die aus Wasser und Kartoffelschalen, Brennnesseln
oder anderen ungenießbaren Kräutern bestand und nur gegessen wurde, weil sie
warm war – egal, wie scheußlich sie schmeckte. Die Tagesration, die abends
ausgegeben wurde, enthielt ein sechs cm dickes Stück Kastenbrot, ein Stück
Wurst, das mehr aus Mehl als aus Fleisch bestand und ein Stück Margarine.
Das Orchester war zu dem
Zeitpunkt, als Esther darin aufgenommen wurde, noch nicht in der Lage,
irgendwelche Musikstücke zu spielen. Die ersten drei Wochen wurde nur geübt:
„Wir Mädchen mussten nichts anderes tun, als uns um die Musik zu kümmern. Bei
den Männern war das anders, die mussten außerdem noch arbeiten.“
Nach den drei Wochen mussten die
Mädchen morgens und abends am Tor stehen und Märsche spielen, wenn die
Arbeitskolonnen aus-, bzw. einrückten. Manchmal kam Besuch ins Lager. „Die
SS-Schergen prahlten mit ´ihrem` Orchester und stellten es den hohen Bonzen
vor, den SS-Obersturmführern, die mal sehen wollten, wie Menschen geschunden,
gefoltert und ermordet wurden. Ich kann von Glück sagen, dass ich nie in die
Lage kam, vor diesen Bonzen zu spielen. Denn als ich im Orchester war, gab es
das noch nicht.“
Außer Märschen wurden kleine
Musikstücke, z.B. der Schlittschuhläufer, Volkslieder, Menuetts, Rondos und
Walzer gespielt. An größere Musikstücke wagte sich die Tschaikowska nicht
heran. Vielleicht, weil sie keine besonderen Ambitionen hatte, für die SS ein
großes Orchester aufzubauen. Später leitete Alma Rosé das Mädchenorchester von
Auschwitz, aber das war nach Esthers Zeit in Auschwitz.
Esther musste zwar den Bonzen
nicht vorspielen, aber dafür musste das Mädchenorchester schon bald am Tor
stehen und spielen, wenn die Transporte mit jüdischen Menschen ankamen: „Die
Menschen kamen aus ganz Europa und fuhren direkt ins Gas. Als sie in den Zügen an
uns vorbeifuhren und die Musik hörten, dachten sie bestimmt: ´Wo Musik gespielt
wird, kann es so schlimm ja nicht sein`.
Für uns war das eine schreckliche psychische Belastung. Wir wussten
genau, dass diese Menschen ins Gas geschickt wurden. Doch hinter uns standen
schwer bewaffnete SS-Schergen und wir mussten befürchten, dass sie uns
erschießen, sobald wir aufhören zu spielen. Bis heute sehe ich diese Bilder vor
mir. Wir alle werden das Erlebte nie vergessen, aber nach so langer Zeit
bleiben nur die gravierendsten Erlebnisse im Gedächtnis. Eines davon sind für
mich diese Züge, die an uns vorbei in die Gaskammer fuhren.“ Während eines
Interviews, das ich vor Jahren für die Tageszeitung junge Welt mit ihr
machte, sagte Esther einmal zu mir: „Frag mich bloß nicht, wie ich das durch
gestanden habe. Ich weiß es nämlich selbst nicht.“
Diese schrecklichen Bilder von
den Zügen vollgestopft mit Menschenmassen auf dem Weg ins Gas sind nicht die
einzigen Erinnerungen, die Esther bis heute quälen: „Ich sehe auch den endlos
langen Appell oder Sonderappell vor mir, wo die SS-Frauen die Gefangenen
auspeitschen ließen: 25 Schläge auf dem Bock. Nach 10 Schlägen waren die
meisten schon bewusstlos, aber es wurde immer weiter geschlagen. Täglich sahen
wir abgemagerte Leichen auf den Straßen liegen. Sie wurden auf Schubkarren
geladen und ins Krematorium gebracht. Viele Frauen waren physisch und psychisch
völlig erledigt. Manche Frauen liefen aus Verzweiflung an den elektrisch hoch
geladenen Stacheldrahtzaun, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Tote Frauen,
die am Stacheldraht hängen, auch das ist ein schrecklicher unvergessener
Anblick. Es gab viele Momente, in denen auch ich gehofft habe, bald tot zu
sein, um die Grausamkeiten der SS-Bestien nicht mehr ansehen zu müssen.
Beim Appell wurden oft
Selektionen vorgenommen. Da kam der Oberstabsarzt Mengele mit seinen Helfern.
Er stand vor uns und wenn er vor einer Gefangenen seine Hand nach rechts
bewegte, so war sie für die Gaskammer fällig. Die Handbewegung nach links
bedeutet eine Galgenfrist, denn keine von uns wusste, wann sie ins Gas
geschickt werden würde.“
Die selektierten Frauen kamen in
Block 25 – alle wussten, was das bedeutete: Block 25 war der Todesblock. Nur
zwei bis drei Tage blieben die Frauen dort, dann wurden sie auf Lastautos ins Gas gebracht.
Keine konnte diesem Schicksal entrinnen.
Und wenn es eine versuchte,
musste sie mit dem Leben dafür bezahlen: „Ich sehe auch vor mir, dass eine
Frau, die einen Fluchtversuch gemacht hatte, bei einem Sonderappell aufgehängt
wurde. Außerdem sehe ich den berüchtigten Arbeitsführer Moll vor mir, wie er
mit seinen auf Menschenjagd abgerichteten Hund stolz durch das Lager spazierte.
Wenn ihn die Lust überkam, griff er sich eine Frau und ließ sie von seinen
Hunden zerfetzen. Ich hatte eine panische Angst vor dieser Bestie Moll, dennoch
verdanke ich ihm mein Leben.“
Eine der SS-Aufseherinnen war
Frau Becker, eine humane SS-Aufseherin, so weit es überhaupt möglich ist, in
dem Zusammenhang von „human“ zu sprechen. War eine ihrer Vorgesetzten in der
Nähe, dann schrie Frau Becker die Frauen furchtbar an. Die Leiterinnen sollten
den Eindruck bekommen, dass die Frauen bei Frau Becker „in guten Händen“ waren.
Hinterher entschuldigte sie sich bei den Gefangenen für ihr Benehmen.
Nach zwei Monaten im Orchester
wurde Esther krank und hatte hohes Fieber. Frau Becker ließ sie in das jüdische
Krankenrevier bringen. Es gab in Auschwitz-Birkenau zwei Krankenreviere, ein
jüdisches und ein christliches. In der jüdischen Krankenstation gab es keine
Medikamente und niemand kümmerte sich um die Patientinnen, so dass die meisten
von ihnen diese als Leiche verließen. Nachdem Esther ein paar Tage dort gelegen
hatte, kam Moll und befahl, sie in das christliche Revier zu bringen, da sie
als Akkordeonspielerin gebraucht würde. „Frau Becker kam wie ich aus
Saarbrücken, sie hatte deswegen eine gewisse Sympathie für mich. Arbeitsführer
Moll fühlte sich auch für das Orchester verantwortlich. Es ist möglich, dass
sie mit ihm über mich gesprochen hat.“
Trotzdem kam Esther vom Regen in
die Traufe, denn die tschechische Ärztin half nur den Kranken, von denen sie
etwas bekommen konnte. Die christlichen Gefangenen durften Pakete von zuhause
bekommen und hatten Wurst, Knoblauch, Butter, Zucker und anderes anzubieten.
Esther hatte jedoch nichts, denn als Jüdin durfte sie keine Pakete bekommen.
In dem Revier gab es vier
Abteilungen und je kranker eine Patientin wurde, desto näher kam sie der
Todeskammer. Mit 41° Fieber und im Delirium landete Esther eine Abteilung vor
der Gaskammer. Wieder tauchte Moll plötzlich auf. Empört drohte er der Ärztin
mit Erschießung, falls sie Esther nicht gesund pflegen würde. Ab da bekam
Esther Medikamente, sie wurde gefüttert und auf ihr Brot wurde Knoblauch
gestrichen, damit sie Appetit bekam. Esther selbst bekam davon überhaupt nichts
mit, sie hat auch Moll nicht wahr genommen. Eine polnische Krankenpflegerin
erzählte ihr das alles später. Die pflegte sie auch wieder gesund, so dass
Esther nach vier Wochen wieder in die Funktionsbaracke und zum Orchester zurück
konnte.
Sie hatte Bauchtyphus und ließ
sich den Kopf wieder kahl scheren, weil ihr jemand erzählte, dass nach Typhus
häufig die Haare ausfallen. Das wollte sie vermeiden. Aber jetzt trug sie ja
nicht mehr die Sträflingskleidung, sondern einen blauen Rock und eine hellblaue
Bluse und ein gleichfarbiges Kopftuch, da war der Glatzkopf dann eher zu
ertragen.
Schlimmer war, dass während
ihrer Krankheit Lilli und ihre Schwester aus Griechenland in das Lager gekommen
waren. Beide waren eine große Bereicherung für das Mädchenorchester. Lilli war
Musikprofessorin und spielte fantastisch Akkordeon. Außerdem konnte sie sehr
gut Noten schreiben und Stücke arrangieren. Esther hatte ihren Platz im
Orchester verloren, denn „ich konnte nicht halb so gut spielen wie Lilli“. Aber
dann fiel ihr ein, dass sie Blockflöte spielen kann, „und ich war wieder
gerettet“.
Durch den Typhus war sie sehr
geschwächt und anfällig und es dauerte nicht lange, und sie bekam Keuchhusten.
Einen sehr schweren Keuchhusten, denn sie war schon 18 Jahre alt und eben sehr
geschwächt. Blockflöte konnte sie also auch nicht spielen. Die Tschaikowska kam
auf die Idee, ihr Gitarre spielen beibringen zu lassen. Esther lernte die
notwendigsten Griffe und war noch einmal gerettet.
Die Oberaufseherin zu dem
Zeitpunkt war Maria Mandel. Sie war „von September 1939 bis Oktober 1942
Aufseherin, anschließend Oberaufseherin in Ravensbrück und von Oktober 1942 bis
November 1944 Oberaufseherin in Auschwitz-Birkenau, danach Leiterin dieses
Lagers. Sie wurde am 22,12,1947 in Polen zum Tode verurteilt.“
Eines Tages fragte Moll die
Oberaufseherin Mandel, ob sie erlauben würde, dass Esther für eine Weile in
eine anderes Lager geschickt werde. Die Luftveränderung würde ihr bestimmt gut
tun und der Keuchhusten würde dann verschwinden. Das ging der Mandel zu weit:
Sie bleibt wo sie ist. Wir sind hier doch nicht in einem Sanatorium“, sagte sie
zu Moll.
Moll und Frau Becker befreiten
daraufhin Esther von den Proben, bis der Keuchhusten endlich verschwunden war.
„Was ihn dazu bewegt hat, weiß ich nicht“, sagt Esther. „Möglicherweise war er
pervers“.
Kaum war der Keuchhusten
überstanden, bekam Esther eine furchtbare A-Vitaminose. Ihr ganzer Körper war
mit Furunkeln übersät, sie konnte nicht sitzen und nicht liegen und hatte
schreckliche Schmerzen. In Birkenau gab es außer den beiden Krankenrevieren
eine Erste-Hilfe-Station, die unter SS-Aufsicht stand und von Krankenschwestern
geleitet wurde. Die leitende Krankenschwester, eine deutsche Kommunistin, war
etwa 45 Jahre alt und schon lange in Auschwitz inhaftiert. Sie verband Esthers
Furunkel und machte ihr öfter neue Verbände. Das rechte Ohr war ganz vereitert.
Die Schwester gab ihr einen Fetzen Stoff und riet ihr, darauf zu pinkeln und es
nachts auf das Ohr zu legen. Das half tatsächlich, nach ein paar Tagen war der
Eiter abgezogen und das Ohr heilte.
Bei den Mengele-Selektionen
zitterte Esther zu der Zeit um ihr Leben. Sie hatte Glück im Unglück, denn im
Gesicht hatte sie keinen einzigen Pickel und äußerlich war so nichts von ihrer
Krankheit zu sehen.
Nachdem Esther ein halbes Jahr
lang im Mädchenorchester war, wurde morgens beim Appell bekannt gegeben, dass
alle, in deren Adern „arisches Blut“ fließt, sich bei den Blockältesten melden
sollten. Nach gründlicher Prüfung der Angaben würden diejenigen, die akzeptiert
würden, in ein anderes Lager kommen, das kein Vernichtungslager sei.
„Durch meine Großmutter
väterlicherseits war ich ein Viertel „arisch“. Was sollte ich also machen?
Einerseits wollte ich mit meinen Kameradinnen zusammen bleiben, andererseits
war ich die einzige von uns, die Auschwitz vielleicht schon bald würde
verlassen können. Nach reiflicher Überlegung kamen wir zu dem Schluss, dass ich
mich erst mal melde. Meine Freundinnen meinten, ich hätte geradezu die Pflicht
zu versuchen, aus Auschwitz raus zu kommen, damit ich den Menschen außerhalb
erzählen könne, was für schreckliche Verbrechen dort an uns begangen wurden.
Von unserem Block war ich die einzige, die sich meldete. Nach etwa sechs Wochen
musste ich zu einer Untersuchung wegen der Verlegung nach Ravensbrück – zu Dr.
Mengele. Meine A-Vitaminose war immer noch nicht ganz abgeklungen und ich
dachte, wenn Mengele mich so sieht, schickt der mich sofort in die Gaskammer.“
Vor der Untersuchung hatte
Esther wahnsinnige Angst, um so erleichterter war sie danach. 70 junge Frauen
hatten sich als „halb“- oder „viertelarisch“ gemeldet. Esther kannte keine von
ihnen vorher. Im Zug – diesmal nicht im Viehwaggon, aber unter SS-Bewachung –
wurden sie nach Ravensbrück gebracht. Der Abschied von ihren Kameradinnen fiel
ihr sehr schwer, denn sie konnte nicht damit rechnen, eine von ihnen lebend
wieder zu sehen.
Der größte Friedhof der Welt
Am 20. Januar ´42 versammelte
Reinhard Heydrich Vertreter der relevanten Regierungsstellen, um sie über ihre
Aufgaben bei der Vernichtung der etwa elf Millionen europäischen Jüdinnen und
Juden in Kenntnis zu setzen. Allein in der Sowjetunion sollten 5 Mio. Jüdinnen
und Juden umgebracht werden, 700.000 in Frankreich und 742.800 in Ungarn, um
nur einige Zahlen zu nennen.
Zum Teil, weil die
Massenerschießungen die Kapazitäten der Faschisten überstiegen, zum Teil aber
auch, weil diese gigantischen Blutbäder tiefe Spuren in der Psyche der Mörder
hinterließ, mussten andere Formen der Massenexekutionen eingeführt werden: Die
Vergasung. Zunächst in so genannten Gaswagen, die durch das Land kutschierten,
später in den Vernichtungslagern. Ein
wichtiger Schritt zur Umsetzung des Genozids an der jüdischen Bevölkerung und
anderen erklärten Feinden war die Errichtung von Todeslagern. „Versuchsweise
töteten die Deutschen am 3. September ´41 in der ersten „kleinen“ Gaskammer von
Auschwitz 850 Menschen mit Zyklon B, darunter 600 sowjetische Kriegsgefangene“,
schreibt Goldhagen. „Im März ´42 setzten dann die systematischen Vergasungen in
Auschwitz-Birkenau ein.“
Schon lange vor Auschwitz, ab
´36, wurden planmäßig Konzentrationslager gebaut. Alle nach einem einheitlichen
Plan, der neben den Unterkünften für die Gefangenen auch Werkstätten -
Schneidereien, Schuhmachereien, Schlossereien, Fleischereien, Gärtnereien,
Schreinereien und Bäckereien – sowie Verwaltungsgebäude, Wohnanlagen für die
SS-Familien, Schulen, Kindergärten, medizinische Einrichtungen, manchmal sogar
Geburtshäuser für die SS-Frauen, Fußballplätze, Schwimmbäder, Kinos und
Theater, Kasinos und Bordelle enthielt. In Auschwitz gab es sogar ein SS-Hotel.
Später, nach Kriegsbeginn, mussten bei der Errichtung der Lager aufgrund von
Materialmangel Abstriche gemacht werden – auch beim Komfort für die SS-Leute
und ihre Familien.
Was sich die wenigsten klar
machen: Viele der SS-Schergen lebten einträchtig mit ihren Familien auf dem
Gelände der KZs. „SS-Familien waren integraler Bestandteil des Gesamtkonzepts
Konzentrationslager, was ´Akten der SS-Bauleitung` sowie neuere Studien zur
Geschichte belegen“, schreibt die Hamburger Sozialwissenschaftlerin Gudrun
Schwarz in dem Buch „Eine Frau an seiner Seite“. Die
Anwesenheit der Ehefrauen und Kinder schufen laut Schwarz eine „Normalität im
Grauen“ Die
Ehefrauen des Lagerkommandanten Rudolf Höss und des leitenden Arztes Eduard
Wirths lebten mit ihren Männern in Auschwitz, die des berüchtigten Dr. Josef
Mengele besuchte ihn und verbrachte dort „idyllische Wochen“ mit ihm, wie sie
ihrem Tagebuch anvertraute.
Am 18. und 19. April ´39
besichtigte der spätere Lagerkommandant Rudolf Höß das für die Errichtung des
KZ Auschwitz vorgesehene Gelände in der polnischen Stadt Oswiecim in
Oberschlesien am Rande eines Industriegebietes, nahe der Weichsel, etwa 30 km
südöstlich von Kattowitz. Obwohl dieser Ort eigentlich nicht die Voraussetzungen
für ein Massenlager mitbrachte, gab es etwas, dass ihn von anderen eventuellen
Standorten positiv unterschied: Oswiecim
lag an einem Verkehrsknotenpunkt, so dass es ohne Schwierigkeiten möglich war,
eine größere Anzahl von Menschen dorthin zu transportieren. Am 27. April´40
erließ Himmler den Erlass, Auschwitz zu errichten. 2.000 Menschen wurden zu
diesem Zweck „evakuiert“, was nichts anderes heißt, als dass sie enteignet und
vertrieben wurden.
Die SS-Siedlungen in Auschwitz
wurden „im Stadtteil Zasole in bereits vorhandenen Häusern etabliert, deren
Bewohner man enteignet und vertrieben hatte. Die ersten waren die Bewohner
eines Flüchtlingslagers, die in einer an das Lagergebiet angrenzenden
Barackenkolonie lebten. Sie wurden am 19. Juni 1940 vertrieben, 500 wurden
verhaftet, 250 von ihnen zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert.
Vorläufig bleiben durften lediglich die Mitglieder von acht Familien, die bei
SS-Angehörigen des Lagers arbeiteten. Kaum drei Wochen später, am 8. Juli 1940,
bekamen die Bewohner der Legiony-Straße, Krotka-Straße und Polna-Straße von der
Stadtverwaltung eine Vorladung, in der ihnen befohlen wurde, sich um 10 Uhr
vormittags in der Wysoglad-Halle einzufinden, um ihre Häuser der SS zur
Verfügung zu stellen. Kaum angekommen, wurden sie von SS-Männern umstellt, die
mit drei Lastwagen gekommen waren. Während der Versammlung begannen die
SS-Männer, sowohl im Saal als auch außerhalb auf die Menschen zu schießen. Mehr
als ein Dutzend Familien, die die Schießerei überlebt hatten, wurden zur
Zwangsarbeit in das Sudetenland verschickt. Die übrigen durften vorläufig in
ihre Häuser zurückkehren. Die schönsten Häuser wurden mitsamt der Einrichtung
den Familien der SS-Führer zugeteilt. Im November 1940 und im April 1941 wurden
in weiteren Aktionen dien och verbliebenen Einwohner des Stadtteils Zasole
vertrieben.123 Häuser ließ die SS von Häftlingen abreißen. Die übrigen Häuser
bezogen die Familien von SS-Männern sowie Familien von Angestellten,
Facharbeitern der neu erbauten Kautschuk- und Benzinfabrik, genannt Bunawerke.
Am 31. Mai 1941 war ein 400 Hektar großes Gelände zum Sperrgebiet
(´Interessensgebiet KL Auschwitz`) erklärt worden. Bereits am 25. April war
dieses Gebiet durch die Vertreibung der Einwohner des Stadtteils Zasole und der
Dörfer Babice, Broszkowice, Budy, Harmeze, Plawy und Rajsko auf 4.000 Hektar
vergrößert worden. Aus den ehemaligen Dörfern wurde ein Gutsbezirk, der sich
rund um das Lager zog, mit einer landwirtschaftlichen Versuchsstation, Laboratorien,
einer Pflanzenzuchtstation sowie anlagen für Ackerbau, Pferde- Schweine-
Geflügel- und Fischzucht.“
Am 4. Mai ´40 wird Höß offiziell
zum Lagerkommandanten ernannt, am 20. Mai ´40 werden 30 deutsche kriminelle
Häftlinge nach Auschwitz überstellt, die fortan den verlängerte Arm der
SS-Administration bilden. Zudem 15 Männer des SS-Reitersturms, die zur
Bewachung der Häftlinge eingesetzt werden sollen. Die ersten 39 Häftlinge
werden zu Zwangsarbeit in der Küche verpflichtet. Etwas später kommen führende
SS-Leute für Leitungsaufgaben hinzu.
“Ein großes Lager hat die
gleichen Probleme wie eine Stadt, selbst wenn die Aufgabe der Stadtväter in
diesem Fall nicht das Wohlbefinden der Bürger, sondern die Tötung der Einwohner
ist. Vom ersten Tag an gab es Schwierigkeiten: Höß ist befohlen worden, ein
Konzentrationslager zu errichten, aber selbst den notwendigen Stacheldraht
liefert man ihm nicht, er muss ihn stehlen lassen.“
Am 10. Juni ´40 wird bei der
Firma J.A. Topf und Söhne in Erfurt der bautechnische Entwurf eines mit Koks
beheizten Einäscherungsofens angefertigt. Am 14. Juni ´40 werden aus dem
Gefängnis in Tarnow die ersten 728 polnischen Häftlinge in das KZ eingeliefert.
Sie werden „mit Schlägen, Fußtritten und Gebrüll in die Keller getrieben, wo
man sie der Aufnahmeprozedur unterzieht. Sie werden ihrer persönlichen Sachen
beraubt, geschoren, zum Bad und zur Desinfektion geführt, registriert und mit
Nummern gekennzeichnet (sie bekommen die Nummern 31 bis 758 auf den linken
Unterarm geritzt, Anm. d. Verf.). Sobald sie ihre Kleidung zurückbekommen,
werden sie auf den Hof geführt, wo sie sich in Fünferreihen zum ersten Appell
aufzustellen haben. Der erste Schutzhaftlagerführer, SS-Hauptsturmführer Karl
Fritsch, begrüßt sie mit folgender Ansprache, die von zwei, unter den
Häftlingen ausgesuchten Dolmetschern ins Polnische übersetzt wird: ´Ihr seid
hier nicht in ein Sanatorium gekommen, sondern in ein deutsches
Konzentrationslager, aus dem es keinen anderen Ausweg gibt, als durch den
Schornstein des Krematoriums. Wenn das jemandem nicht gefällt, kann er ab
sofort in den Draht gehen. Wenn in einem Transport Juden sind, dann haben sie
kein Recht, länger zu leben, als zwei Wochen, die Priester einen Monat und die
übrigen drei Monate.`
Die ... Häftlinge werden der so
genannten Quarantäne unterzogen. Die SS versucht, die Häftlinge dadurch zu
terrorisieren und sie physisch und psychisch zu brechen. Jeden Tag werden sie
nach dem Morgenappell auf den Hof getrieben, wo sie den ganzen Tag bleiben. Sie
müssen auf Befehl der SS-Männer und Kapos ´Nieder`, ´Auf`, ´Hüpfen` u.ä. üben,
eingehüllt in Staubwolken. In den Pausen zwischen den Übungen lernen die
Häftlinge deutsche Marschlieder, An- und Abmeldeformen und das Abnehmen und
Aufsetzen der Mützen auf Kommando. Dabei werden sie von den SS-Männern und
deutschen Kapos brutal geschlagen und gefoltert“
Der am 31.12. für das Jahr 1940
letzte in das Lager eingelieferte Häftlinge erhält die Nummer 7879, ein Jahr
später ist es schon die Nummer 25.149. Im August ´41 „werden erste Versuche
unternommen, Häftlinge durch intravenöse Injektionen aus Perhydrol, Benzin,
Äther, Evipan und Phenol zu töten. Die Versuche werden in einem gesonderten
Raum im Block 21 an kranken Häftlingen vorgenommen. Jeden Morgen werden von
dort alle Ermordeten heraus getragen. Die durchgeführten Versuche ergeben, dass
man am schnellsten durch Phenolspritzen ins Herz töten kann.“ Einer der an
dieser Versuchsreihe beteiligten Ärzte ist Dr. Josef Mengele. Der machte sich
später vor allem durch seine so genannte Zwillingsforschung einen Namen. Er
entnahm Zwillingen und Kleinwüchsigen nach deren Ermordung Organe und
Körperteile, die er konservierte und zu Forschungszwecken in das
Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie in Berlin-Dahlem schickte. „Aus
Perspektive des Zeugen schreibt Dr. Miklós Nyiszli, Häftling im KL Auschwitz (Nr.
A-8450), der für den Lagerarzt Mengele Selektionen an Zwillingsleichen
durchzuführen hatte: ´Sofort nach der Ankunft eines Transports geht einer der
SS-Männer entlang der sich in einer Reihe aufstellenden Ankömmlinge und sucht
Zwillinge und Zwergwüchsige heraus ... Die Zwillinge und die Zwergwüchsigen
werden ausgesondert und begeben sich auf die rechte Seite. Die Wachen führen
diese Gruppe in eine Sonderbaracke ab. In dieser Baracke gibt es eine gute
Verpflegung und bequeme Schlafstätten, es herrschen annehmbare hygienische
Bedingungen und die Häftlinge werden gut behandelt... Von hier aus werden die
Häftlinge unter Eskorte in den Versuchsblock geführt. In diesem werden an den
Häftlingen alle Untersuchungen durchgeführt, die an einem lebenden Menschen durchgeführt
werden können. Blutuntersuchungen, Lendenpunktierungen, Blutaustausch unter den
Zwillingen und eine Vielzahl verschiedener anderer Untersuchungen. Alle
schmerzlich und erschöpfend... Ebenso wird mit den Zwergwüchsigen verfahren.
Diese in vivo, also am lebenden Menschen durchgeführten Experimente – getarnt
als ärztliche Untersuchungen – sind weit davon entfernt, das Problem der
Zwillinge als solche aus wissenschaftlicher Sicht zu erschöpfen. Sie sind
relativ und sagen wenig aus. Es folgt also die nächste Etappe der
Untersuchungen – die Analyse an Hand der Sektion. Der Vergleich der normalen
und der pathologischen bzw. kranken Organe. Hierzu benötigt man Leichen. Da die
Sektion und Analyse der einzelnen Organe zeitgleich erfolgen muss, müssen die Zwillinge
zeitgleich sterben. Also sterben sie zeitgleich im Versuchsblock des KL
Auschwitz... Dr. Mengele tötet sie,,, Dies ist der gefährlichste Typus unter
den Verbrechern, der zusätzlich eine unermessliche Macht hat. Er schickt
Millionen in den Tod, denn nach der deutschen Rassentheorie sind das keine
Menschen, sondern Wesen einer niedrigeren Gattung, die einen verderblichen
Einfluss auf die Menschheit haben.“
Mengeles Kollege Dr. Carl
Clauberg führt Untersuchung an weiblichen Gefangenen durch, mit dem Ziel der
Entwicklung einer Methode der Massensterilisierung der von den Faschisten zur
biologischen Vernichtung verurteilten Völker. Andere Ärzte testen im Auftrag
der Firma Bayer neu entwickelte Medikamente an den Gefangenen. Die Methoden, die
dabei angewandt werden, sind grausam und bestialisch. Operationen werden ohne
Betäubung durchgeführt, Operationsschnitte geschweißt statt genäht. Esther
erinnert sich, dass sie auf der Krankenstation
viele Frauen sah, an denen diese Versuche durchgeführt wurden, die
tiefschwarze Narben hatten.
Am 3. September ´41 kam es zu
den ersten Massentötungen durch Zyklon B. „Nachdem die an einer kleinen Gruppe
von russischen Kriegsgefangenen erprobte Tötung durch Gas, die vor einigen
Tagen Karl Fritsch angeordnet hat (das genaue Datum dafür lässt sich leider
nicht rekonstruieren, Anm. d. Verf.), gelungen ist, beschließt die Lagerleitung
diesen Versuch im Kellergeschoss von Block 11 zu wiederholen. Dies hängt
höchstwahrscheinlich mit der Nachricht zusammen, dass die Gestapo die
Einweisung eines großen Transports von Offizieren, Volkskommissaren und
russischen Kriegsgefangenen zur Liquidierung plane. In Verbindung damit
befiehlt der SS-Lagerarzt, SS-Hauptsturmführer Dr. Siegfried Schwela, eine
Selektion im Häftlingskrankenhaus, während der etwa 250 Häftlinge ausgesucht
werden. Die Pfleger werden beauftragt, die selektierten Häftlinge in Bunker 11
zu führen, bzw. einige mit Krankentragen dorthin zu bringen. Im Bunker werden
sie in einigen Zellen zusammengepfercht. Die Kellerfenster werden mit Erde
zugeschüttet. Dann werden in die Zellen etwas 600 russische Kriegsgefangene,
Offiziere und Volkskommissare getrieben, die durch besondere Kommandos der
Gestapo in den Kriegsgefangenenlagern ausgesucht worden sind. Sobald die
Kriegsgefangenen in die Zellen hineingedrängt worden sind und die SS-Männer das
Gas Zyklon B eingeworfen haben, werden die Türen verschlossen und abgedichtet.
Diese Aktion findet nach dem Abendappell im Lager statt, nachdem die sog.
Lagersperre angeordnet worden ist, d.h., dass es den Häftlingen verboten ist,
die Blöcke zu verlassen und sich im Lager zu bewegen.
Am Morgen öffnet der
Rapportführer Gerhard Palitsch , durch eine Gasmaske geschützt, die Zellentüren
und stellt fest, dass einige der Kriegsgefangenen noch am Leben sind.
Infolgedessen wird wieder Zyklon B eingeschüttet und die Türen werden erneut
verschlossen...
Am Nachmittag werden im Bunker
von Block 11 alle Türen geöffnet und die Abdichtung entfernt, nachdem
festgestellt worden ist, dass die zweite Dosis Zyklon B die russischen
Kriegsgefangenen und polnischen Häftlinge im Bunker tötete. Es wird gewartet,
bis sich das Gas verflüchtigt hat. Nach dem Abendappell wird erneut Lagersperre
angeordnet.
In der Nacht ruft Rapportführer
Palizsch 20 Häftlinge aus der Strafkompanie des Blocks 5a zusammen sowie alle
Pfleger des Krankenbaus und die beiden Häftlinge Eugeniusz Obojski und Teofil
Banasiuk, die als Leichenträger mit zwei Rollwagen zur Beförderung der Leichen
in der Leichenhalle und im Krematorium beschäftigt sind. Alle werden auf den
Hof von Block 11 geführt. Zuvor wird ihnen gesagt, sie seien zur Sonderarbeit
eingewiesen und dürften unter Anordnung der Todesstrafe niemandem erzählen, was
sie zu sehen bekämen. Gleichzeitig wird ihnen versprochen, dass sie nach
Verrichtung dieser Arbeit entsprechend größere Essensportionen erhalten werden.
Auf dem Hof von block 11 warten schon die SS-Führer Fritsch, Maier, Palizsch
und SS-Lagerarzt Schwela sowie SS-Männer, die im Lager Posten als Blockführer
bekleiden. Die Häftlinge Obojski und Banasiuk erhalten Gasmasken und gehen mit
Palizsch und mit SS-Männern, die auch Gasmasken tragen, in die Keller von Block
11 hinunter. Aus den Kellern kommen sie ohne Gasmasken zurück, um zu zeigen,
dass sich das Gas verflüchtigt hat. Die Häftlinge werden in vier Gruppen
eingeteilt. Die eine, die mit Gasmasken ausgerüstete Gruppe, holt die Leichen
der Getöteten aus den Kellern ins Erdgeschoss hinauf, die zweite entkleidet die
Leichen. Die dritte Gruppe trägt die Leichen auf den Hof von Block 11, wo sie
von der vierten Gruppe auf den Rollwagen geladen werden. Die getöteten
russischen Kriegsgefangenen sind mit Uniformen bekleidet; in den Taschen
befinden sich Dokumente, Familienfotos, Geld, verschiedene Kleinigkeiten und
Zigaretten. Auf dem Hof ziehen Zahnärzte unter Aufsicht von SS-Männern den
toten Goldkronen und Goldzähne heraus. Die Häftlinge ziehen die mit den Leichen
der Kriegsgefangenen und polnischen Häftlingen voll beladenen Rollwagen vom Hof
des Blocks 11 zum Krematorium, angeleitet von Obojksi und Banasiuk und unter
Aufsicht der SS-Männer... Die Leichen der im Krankenbau ausgesuchten Häftlinge
sind in Unterkleidung. Das Herausholen, Entkleiden, Durchsuchen und Befördern
der Leichen dauert bis zum Morgengrauen und wird nicht beendet.
Nach dem Abendappell (des 5.
September, Anm. d. Verf.) wird Lagersperre angeordnet. Auf den Hof von Block 11
marschiert dieselbe Häftlingsgruppe, die in der letzten Nacht im Einsatz war,
um die Beförderung der Leichen ins Krematorium zu beenden. Dort werden die
Leichen in eine große, lange Halle gelegt, die bereits zur Hälfte gefüllt ist.
Das Krematoriumskommando kann mit der Leichenverbrennung nicht nachkommen. Es
dauert noch einige Tage, bis alle Leichen eingeäschert worden sind. “
Rudolf Höß schreibt in seinen
Aufzeichnungen: „Die Vergasung wurde in den Arrestzellen des Blocks 11
durchgeführt. Ich selbst habe mir die Tötungen, durch eine Gasmaske geschützt,
angesehen. Der Tod erfolgte in den voll gestopften Zellen sofort nach Einwurf.
Nur ein kurzes, schon fast ersticktes Schreien und schon war alles vorüber.“
Das dazu benötigte Zyklon B
wurde u.a. von der Hamburger Firma Tesch & Stabenow an die IG Farben in
Auschwitz geliefert. Die Firmeneigner wurden nach dem Krieg zum Tode verurteilt
und hingerichtet. Das Gebäude am Messberg in der Hamburger Innenstadt gehört
inzwischen der Deutschen Bank. Aufgrund von Protesten, u.a. des
Auschwitz-Komitees, wurde dort ´97 eine Gedenktafel errichtet.
Ursprünglich wurde das Zyklon B,
ein Blausäurepräparat, zur Ungezieferbekämpfung im Lager benutzt und war
deshalb in großen Mengen vorrätig. Während einer Dienstreise von Höß
„probierte“ Fritsch das Gas als Tötungsmittel für die Gefangenen aus. Nachdem
es sich einmal bewährt hatte, wurde es dann im großen Stil eingesetzt: „... ich
muss offen sagen, auf mich wirkte diese Vergasung beruhigend, da ja in
absehbarer Zeit mit der Massenvernichtung der Juden begonnen werden musste, und
noch war weder Eichmann noch mir die Art der Tötung dieser zu erwartenden
Massen klar... Nun hatten wir das Gas und auch den Vorgang entdeckt“, schreib
Höß in seinen Aufzeichnungen.
1942 wird Auschwitz ausgeweitet
und neben dem Stammlager das Lager in Birkenau eröffnet. Am 4. Mai ´42 findet
in Birkenau „unter den Häftlingen die erste Selektion statt. Die Selektion in
der Isolierstation führt ein SS-Sanitärdienstgrad (SDP) durch. Die selektierten
Häftlinge werden auf einen Lastwagen geladen, zu dem im Frühjahr in Betrieb
genommenen Bunker befördert und dort durch Gas getötet. Nach dieser Selektion
wird die Isolierbaracke mit einer Mauer umgeben. In diese Baracke werden
erschöpfte, kranke und arbeitsunfähige Häftlinge aus anderen Teilen des
Männerlagers Birkenau überstellt. Die Isolierstation ist ständig überbelegt.
Von Zeit zu Zeit fahren Lastwagen vor und holen bis zu 90% der Häftlinge ab.
Die Belegstärke dieser Baracke beträgt etwa 1.200 Häftlinge.“
Am 12. Mai ´42 findet die erste
Selektion direkt an der Rampe des KZ statt. 1.500 Gefangene, die aus Sosnowitz
eingeliefert wurden, werden gar nicht erst registriert, sie werden direkt in
den Bunker zur Vergasung gebracht. Am 26. März ´42 kommt aus dem
Konzentrationslager Ravensbrück der erste Transport weiblicher Häftlinge an:
999 deutsche Frauen, die separat untergebracht werden und die Nummer 1 bis 999
auf den linke Unterarm tätowiert bekommen. Als Esther am 20. April ´43 diese
Prozesdur über sich ergehen lassen muss, ist sie schon die gefangene Nr.
41.948. Anfang ´43 wird das so genannte Zigeunerlager eingerichtet. Etwa
500.000 Sinti und Roma kommen in Auschwitz insgesamt ums Leben.
Doch selbst in der Hölle von
Auschwitz fanden Menschen den Mut, Widerstand zu leisten. „Der ... praktizierte
Terror führt bei den Häftlingen zur Stärkung ihres Widerstandes und zur
Konsolidierung und Stabilisierung der verschiedenen konspirativen Gruppen, die
sich zusammenschließen und gemeinsam gegen den Gewaltapparat der SS kämpfen. Eine der Arbeitsformen der
Widerstandsbewegung der Häftlinge ist die Informierung ´der Welt auf der
anderen Seite des Stacheldrahts` über die von der SS im Lager begangenen
Verbrechen. Hierzu werden Beweise für die Verbrechen der SS gesammelt und aus
dem Lager herausgeschmuggelt.“
Außerhalb des Lagers operieren
Widerstandsgruppen, außerdem hat sich ein Hilfskomitee für die Häftlinge der
Konzentrationslager in Krakau (PWOK) gebildet. Einige Häftlinge stehen mit
diesen Gruppen im Kontakt und bringen so Informationen über die Greueltaten der
Faschisten an die Öffentlichkeit. Es gelingt sogar, die Häftlinge von außen mit
Waffen und Munition zu versorgen.
Im Laufe der Zeit wurden im
öfter so genannte Sonderkommandos gebildet, Häftlinge, die wie Obojsk und
Banasiuk und ihre Kameraden zur Beseitigung der Leichenberge abkommandiert
werden. Ihnen wird Sonderbehandlung versprochen, doch am Ende stand immer der
Tod, denn sie wussten zu viel über die Praktiken der Faschisten. Im Herbst ´44
war allen Häftlingen, die zu solchen Sonderkommandos abgeordnet wurden, klar,
was ihnen blüht. Am 7. Oktober ´44 beschließt eine Gruppe, dagegen Widerstand
solcher Sonderhäftlinge zu leisten. Sie greifen die SS-Wachmänner mit Hämmern,
Äxten und Steinen an. „Sie zünden das Krematorium IV an und werfen einige
selbst gefertigte Granaten. Danach gelingt es einem Teil der Häftlinge des
Kommandos 57 B, das nahe gelegene Wäldchen zu erreichen. Zur gleichen Zeit
werden die Häftlinge des Kommandos 57 B, die im Krematorium II beschäftigt sind,
aktiv. Als sie von ferne die Flammen sehen und die Schießerei hören, glauben
sie, dass es sich um das Zeichen zum allgemeinen Aufstand der Häftlinge
handelt. Sie überwältigen den Oberkapo, einen Reichsdeutschen, und stoßen ihn
zusammen mit einem SS-Mann, den sie zuvor entwaffnet haben, in den brennenden
Krematoriumsofen. Sie erschlagen einen zweiten SS-Mann, reißen den Zaun, der
das Gelände des Krematoriums umgibt, sowie den, der zum Frauenlager führt, auf
und flüchten. Die Häftlinge des Kommandos 58 B und 60 B, die in den Krematorien
III und IV eingesetzt sind, unternehmen nichts, weil ein Teil von ihnen über
die Pläne nicht unterrichtet ist, aber auch, weil die sich dort befindenden
SS-Männer die Situation rasch unter Kontrolle bringen. Das sofortige Eingreifen
der SS-Wachmänner, die Umzingelung des Krematoriengeländes und das starke Feuer
aus Maschinengewehren und Gewehren in Richtung auf das Wäldchen beim
Krematorium IV, in dem die Häftlinge Widerstand leisten, erstickt den Aufruhr
schnell. In Rajsko schneiden die verfolgenden SS-Männer den flüchtenden
Häftlingen des Kommandos 57 B den Weg ab. Die Häftlinge verbarrikadieren sich
in einer Scheune und setzen sich zur Wehr. Daraufhin zünden die SS-Männer die
Scheune an und ermorden die Häftlinge. In diesem Kampf fallen 250 Häftlinge.“
Die Gefangenen bezahlten mit dem
Leben für ihren Widerstand – aber sie sind nicht kampflos gestorben. Sie
starben, weil sie einem übermächtigen Gegner gegenüberstanden, der vor allem an
Grausamkeit nicht zu überbieten war. Von den insgesamt etwa 13.000 sowjetischen
Kriegsgefangenen, die im Laufe der Zeit in Auschwitz eingeliefert wurden,
lebten am Tag der Befreiung nur noch 92 Personen. „Das Schicksal dieser
sowjetischen Kriegsgefangenen zeigt, dass an einen aktiven Widerstand und
Massenaufstand in Auschwitz nicht zu denken war; wenn junge, militärisch
ausgebildete und disziplinierte Russen nicht fähig waren, Widerstand zu
leisten, was konnte man da von denen erwarten, die weder jung noch gesund waren
und auch nicht kämpfen konnten?“ fragt Danuta Czech.
Als Ende ´44 die Rote Armee vorrückt, beginnen
die faschistischen Machthaber fieberhaft, ihre Spuren zu beseitigen. Die
akribisch geführten Lagerlisten, auf denen alle Zugänge und die Zahlen der
Exekutionen aufgelistet sind, werden zu einem erheblichen Teil im Krematorium
verbrannt. Schließlich werden alle Häftlinge, die noch laufen können, auf den
Todesmarsch geschickt. Als die Rote Armee am 27. Januar ´45 das Lager befreite,
fanden sie noch etwa 7.600 geschundene und völlig entkräftete Gefangene vor,
die die SS aus Zeitgründen vor der Evakuierung des Lagers nicht mehr ermorden
konnten. Viele von ihnen hatten trotzdem nichts mehr von der Rettung, sie
starben in den folgenden Tagen und Wochen.
Die Gaskammern in Auschwitz
arbeiteten 2 Jahre und 10 Monate. Es gibt keine genauen Angaben darüber, wie
viele Gefangene in Auschwitz tatsächlich ums Leben gekommen sind, die
Schätzungen schwanken zwischen einer und vier Millionen Toten. Es liegt wie
gesagt daran, dass die schriftlichen Nachweise über das Ausmaß der
Massenexekutionen verbrannt wurden. Donata Czech vermutet allerdings, dass
diese Aufzeichnungen sowieso nicht vollständig waren, da die Täter schneller
Menschen ermordeten, als sie Akten führen konnten, wie sie schreibt. Die
Zahlenangaben beruhen auf Augenzeugenberichten, Gerichtsakten und Todeslisten,
die widerständige Häftlinge heimlich führten und versteckten.
Aber unabhängig von den genauen
Zahlen ist Auschwitz zum Synonym für die fabrikmäßige Vernichtung menschlichen
Lebens geworden. Auschwitz ist, um Esther zu zitieren, „der größte Friedhof der
Welt.“
Und genau dahin waren Esther und
ihre Chawerim in jenen Apriltagen vor 61 Jahren unterwegs. Doch noch ahnten sie
nicht, was ihnen blühte.
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