Der größte Friedhof der Welt



Text: BG

Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee, wird den Opfern des größten Verbrechens gegen die Menschlichkeit in der Geschichte der Menschheit gedacht. Es gibt nichts, wirklich nichts, das uns mit Menschen oder Organisationen verbinden sollte, die diesen Teil der deutschen Geschichte in Frage stellen, verharmlosen – oder gar verherrlichen.

Es gibt viele grausame Verbrechen, die systematisch an Menschen, ja ganzen Menschengruppen, begangen wurden. Der Kolonialismus ist eines davon. Doch die fabrikmäßige Tötung von Menschen in den KZs der deutschen Faschisten, die sie zum Teil auch in Polen errichteten, ist an Grausamkeit nicht zu überbieten. Was vielen vermutlich gar nicht klar ist: Die Vernichtung des europäischen Judentums und auch der Sinti und Roma wurde generalstabsmäßig geplant und Auschwitz war zu Beginn ein Versuchslabor, wie sich am effektivsten, und ohne bei den Mördern größere psychische Schäden anzurichten, schnell Menschen in großer Zahl ermorden ließen. Die Sinti und Roma wurden im sogenannten „Zigeunerlager“ interniert:
„Als Teil der ´Endlösung` ordnete Heinrich Himmler am 16. Dezember 1942 an, alle noch im Reichsgebiet verbliebenen Sinti und Roma nach Auschwitz zu deportieren. Sein Ziel war die fabrikmäßige Ermordung der gesamten Minderheit. Wenig später ergingen entsprechende Befehle für die besetzten Gebiete.
Ab Februar 1943 wurden nahezu 23.000 Sinti und Roma aus elf europäischen Ländern in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Der größte Teil stammte aus dem Reichsgebiet: über 13.000 Frauen, Männer und Kinder. Viele Sinti und Roma befanden sich jedoch bereits in Konzentrationslagern oder waren in den besetzten Gebieten Opfer von Massenerschießungen geworden. „
Als Ende ´44 die Rote Armee vorrückt, begannen die faschistischen Machthaber fieberhaft, ihre Spuren zu beseitigen. Die akribisch geführten Lagerlisten, auf denen alle Zugänge und die Zahlen der Exekutionen aufgelistet waren, wurden zu einem erheblichen Teil im Krematorium verbrannt. Schließlich wurden alle Häftlinge, die noch laufen können, auf den Todesmarsch geschickt. Als die Rote Armee am 27. Januar ´45 das Lager befreite, fanden sie noch etwa 7.600 geschundene und völlig entkräftete Gefangene vor, die die SS aus Zeitgründen vor der Evakuierung des Lagers nicht mehr ermorden konnten. Viele von ihnen hatten trotzdem nichts mehr von der Rettung, sie starben in den folgenden Tagen und Wochen.
Die Gaskammern in Auschwitz arbeiteten 2 Jahre und 10 Monate. Es gibt keine genauen Angaben darüber, wie viele Gefangene in Auschwitz tatsächlich ums Leben gekommen sind, die Schätzungen schwanken zwischen einer und vier Millionen Toten. Es liegt wie gesagt daran, dass die schriftlichen Nachweise über das Ausmaß der Massenexekutionen verbrannt wurden. Donata Czech vermutet allerdings, dass diese Aufzeichnungen sowieso nicht vollständig waren, da die Täter schneller Menschen ermordeten, als sie Akten führen konnten, wie sie schreibt. Die Zahlenangaben beruhen auf Augenzeugenberichten, Gerichtsakten und Todeslisten, die widerständige Häftlinge heimlich führten und versteckten.
Aber unabhängig von den genauen Zahlen ist Auschwitz zum Synonym für die fabrikmäßige Vernichtung menschlichen Lebens geworden. Auschwitz ist, um Esther Bejarano zu zitieren, „der größte Friedhof der Welt.“

Auszug aus: Esther Bejarano, Birgit Gärtner, Wir leben trotzdem – Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Künstlerin für den Frieden, Pahl Rugenstein Verlag, Bonn, 2004:

Begleitmusik zum Massenmord
„Wohin der Zug fuhr, wussten wir nicht. Die Waggons waren überfüllt und wir konnten uns kaum bewegen. Wenn wir mal austreten wollten, mussten wir über die Menschen steigen, um an die Kübel in der Ecke zu gelangen. Die Luft in den Waggons war miserabel und wurde immer schlechter.“ Esther erinnert sich, dass viele alte und schwache Menschen diesen mehrere Tage dauernden Horrortrip in den Viehwaggons nicht überlebten. Ihre Leichen blieben die ganze Zeit in den Waggons.
Mit Esther saßen viele der Jugendlichen im Waggon, mit denen sie in Neuendorf zusammen war: Eli Heymann, Schimschon Bär, Schoschana Rosenthal, Mirjam Edel, Anne Borrinsky, Hilde Grünbaum, Karla und Sylvia Wagenberg und noch viele andere. Schimschon und Esther hatten sich getrennt, sie hatte inzwischen ein Auge auf Eli Heymann geworfen, an dessen Seite sie den Transport in die Hölle überstand. Doch zu einer Liebebeziehung kam es nicht mehr, denn dort, wo die Reise enden würde, gab es weder Zeit noch Raum dafür – da musste jede und jeder jede Sekunde des Tages ums blanke Überleben kämpfen. Viele von Esthers Freundinnen und Freunden haben diesen Kampf gegen die faschistische Vernichtungsmaschinerie verloren.
Alle im Waggon bewegte dieselbe Frage: „Wohin werden wir gebracht?“ Der Zug hielt mehrmals, doch durch das vergitterte Fensterchen war nichts zu erkennen. „Bei jedem Halt dachten wir: ´Jetzt sind wir erlöst und können der stinkigen Luft entfliehen`, aber dann fuhren wir wieder weiter. Nach ein paar Tagen nicht beschreibbaren Erlebens hielt endlich der Zug und die Türen wurden geöffnet. Wir stiegen aus und einige zivil gekleidete Männer begrüßten uns ganz freundlich. Es hieß, wir kämen in Arbeitslager, Frauen und Männer getrennt. Etwas entfernt von der berühmten Rampe standen einige Lastautos.“
Die Bedeutung dieser Rampe sollten Esther und die anderen Gefangenen später kennen lernen, an dem Tag ihrer Ankunft dachten sie sich noch nichts dabei, als es hieß, kranke und gehbehinderte Menschen, Mütter mit kleinen Kindern, schwangere Frauen und Frauen über 45 Jahren sollten auf die Lastautos steigen, da der Weg zum Lager ziemlich lang sei. Im Gegenteil, es schien eine freundliche Geste zu sein:: „Viele stiegen bereitwillig auf die Autos. Einige junge Menschen, die mit ihren Eltern mitgehen wollten, wurden aufgehalten. Ihnen wurde gesagt, sie könnten auch laufen. Die Autos fuhren direkt in die Gaskammer, aber das wussten wir damals noch nicht.“ Die Männer und Frauen, die zurückblieben, wurden getrennt, sie kamen jeweils in ein separates Lager. Jetzt musste sich Esther auch von Eli Heymann trennen.
Ihre Ankunft wird am 20. April ´43 folgendermaßen in Auschwitz registriert: „Mit einem Transport der RSHA ... sind etwa 1.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder eingetroffen. Nach der Selektion werden 299 Männer, die die Nummern 116.754 bis 117502 erhalten sowie 158 Frauen, die die Nummern 41.870 bis 42.027 erhalten, als Häftlinge in das Lager eingewiesen. Die übrigen 543 Deportierten werden in den Gaskammern getötet.“
Esther und die anderen Frauen marschierten, bis sie zu einem großen Tor kamen. „ARBEIT MACHT FREI“ stand dort in großen Lettern geschrieben. An die dann folgende Begrüßung kann Esther sich noch sehr genau erinnern: „Als wir durch das Tor kamen, wurden wir von den SS-Frauen und –Männern mit folgenden Worten begrüßt: ´So, ihr Saujuden, jetzt werden wir Euch mal zeigen, was arbeiten heißt.`“
Die Frauen wurden in eine große Halle getrieben, die so genannte Sauna. Die Koffer mussten auf der Rampe stehen bleiben und alle mussten sich vollständig entkleiden. Die SS-Männer blieben dabei als die Frauen sich auszogen und amüsierten sich köstlich, während viele der Frauen vor Scham anfingen, zu heulen. Nackt wurden ihnen die Haare geschoren. „Wir wurden dadurch so sehr entstellt, dass wir manche gar nicht wieder erkannten.“ Dann mussten alle unter eine kalte Dusche und hinterher in einen Heißluftraum, wo sie getrocknet wurden. „Dort hatten wir das Gefühl, zu ersticken. Dann wurden wir tätowiert, d.h., wir standen alle in einer Reihe und mussten warten, dass uns eine Nummer in den linken Arm geritzt wurde. Ich bekam die Nummer 41948. Namen waren damit abgeschafft, wir waren nur noch Nummern.“
41948, diese Zahlen haben sich damals genauso unauslöschlich in ihre Haut gebrannt, wie die Erinnerung an das, was sie in der Hölle von Auschwitz erwartete. Nach der Tätowierung bekamen sie Sträflingskleider  zugeteilt, da war ihnen klar: „Wir sind hier in einem Konzentrationslager, solche Kleidung gibt es nicht in einem gewöhnlichen Arbeitslager.“ Esther und ihre Freundinnen und Freunde waren in Polen, in Auschwitz, im Lager Birkenau.
„Ich weiß noch, dass ich gedacht habe, nachdem ich die Nummer eintätowiert bekam: ´41.947 Menschen waren also schon vor mir hier. Wo sind die bloß alle?`“ Daran kann Esther sich heute noch erinnern.
Anschließend wurden die Frauen auf die Blocks verteilt. Esther hatte Glück, zusammen mit einigen Freundinnen wurde sie einem Block zugeteilt. Dort gab es viele Kojen, in jeder davon lagen etwa acht bis zehn Frauen. „Die Blocks waren ehemalige Pferdeställe, wir lagen auf Holzbrettern, ohne Stroh und ohne Decken. Die Pferde früher hatten es besser“, ist sich Esther sicher.
Die Frauen mussten morgens sehr früh aufstehen und manchmal „durften“ sie in den so genannten Waschraum gehen, der ziemlich weit vom Block entfernt war. Auch eine Erinnerung, die Esther nie los lässt: „Es ist leicht vorstellbar, dass uns das kalte Wasser im April nicht eben dazu einlud, uns von Kopf bis Fuß zu waschen. Noch dazu nach einer Nacht ohne Decken und Matratzen. Wir froren entsetzlich, vor allem natürlich in den Wintermonaten. Ich kann sagen, dass uns nie warm wurde. Es war aber nicht immer erlaubt, in den Waschraum zu gehen, manchmal tagelang nicht. Dann mussten wir die Emailleschüssel, aus der wir Essen und Trinken mussten, auch zum Waschen benutzen. Die Toilette war eine entwürdigende Stätte, weil wir sogar beim Scheißen bewacht wurden. Das ging folgendermaßen vor sich: Wir kamen in das Scheißhaus (anders lässt sich das nicht bezeichnen), das aus einer ellenlangen Holzstange bestand, auf die die Frauen sich setzen mussten. Das war vor allem für Frauen, die klein waren, ziemlich mühsam. Unter der Stange befand sich das so genannte Becken, dass ziemlich tief war und genau so lang wie die Stange. Ich schätze, dass etwa 40 bis 50 Frauen gleichzeitig ihre Notdurft dort verrichteten. Die SS war immer dabei und ließen sich selbst noch dort alle möglichen Schikanen einfallen. Die Menschen, die schon länger in Auschwitz waren, sahen alle abgemagert, krank und schwach aus, viele hatten ständig Durchfall. Das war bei der Kälte und dem schrecklichen Essen auch kein Wunder. Zum Frühstück aßen wir einen Teil der Ration Brot, die abends verteilt wurde. Dazu gab es ein braunes Gesöff, das Tee sein sollte. Alle Gefangenen hatten eine braune Emailleschüssel, die zum Essen und zum Trinken benutzt wurde.“
Nach dem Morgenappell, bei dem festgestellt wurde, ob alle Häftlinge noch da sind, zogen die Kolonnen durch das Tor zur Außenarbeit, getreu des Mottos: Arbeit macht frei. Esthers „Freiheit“ bestand zunächst darin, Steinbrocken zu schleppen: „Wir hatten eine völlig sinnlose Arbeit zu verrichten: Auf einem großen Feld mussten wir große Steine zusammen tragen, immer auf einer bestimmten Stelle auf der einen Seite, und wenn wir damit fertig waren, auf einer vorgegebenen Stelle auf der anderen Seite. Die Steine waren so schwer, dass einige Frauen schlapp machten. Aber die SS-Leute hatten kein Erbarmen, sie hatten ja gelernt, auf wehrlose Frauen einzuprügeln und waren auch noch stolz auf ihre Taten. Ich glaube, wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, aus dieser Kolonne raus zu kommen, wäre ich elendig zugrunde gegangen.“
Auf der Sträflingskleidung trug Esther einen rotgelben Judenstern. Es gab unterschiedliche Zeichen für die Gefangenen, die verschiedene Bedeutungen hatten: Außer den rotgelben gab es schwarzgelbe Judensterne, das waren die so genannten asozialen Juden. Dann gab es verschiedene Winkel, einen grünen für Schwerverbrecher, z.B. Mörder, einen roten für politische Gefangene, einen schwarzen für Asoziale, einen lilafarbenen für Zeugen Jehovas und einen Rosa Winkel für Schwule. „Viele der Blockältesten trugen grüne Winkel“, erinnert Esther sich. „Es gab aber auch welche mit rotem Winkel. Die Blockältesten hatten ein eigenes Zimmer im Block und auch genug zu essen, für sie war die Haft einigermaßen zu ertragen. Viele von denen mit dem grünen Winkel waren die Handlanger der SS, manche von ihnen waren schlimmer und brutaler als die SS-Aufseherinnen. Es gab allerdings auch einige darunter, die human und sehr hilfsbereit waren, in erster Linie die mit dem roten Winkel.“
Einige der Blockältesten fanden heraus, dass Esther eine wunderbare Interpretin der Werke von Schubert, Bach, Mozart und anderen Komponisten war. Sie ließen sie singen, dafür bekam Esther ein Stück Brot oder manchmal auch Wurst extra. Eines Tages suchte die Dirigentin Tschaikowska auf Befehl der SS nach Musikerinnen für das so genannte Mädchenorchester. Die Blockältesten schlugen Hilde Grünbaum, Sylvia Wagenberg und Esther vor. Die Mädchen sollten zur Prüfung in die Musikbaracke gehen. Hilde sollte Geige, Sylvia Flöte und Esther Akkordeon vorspielen. Das Ganze hatte nur einen Haken: Esther konnte überhaupt nicht Akkordeon spielen. Sie hatte zwar Klavier spielen gelernt, aber noch nie in ihrem Leben Akkordeon gespielt. Ein Klavier gab es nicht, also blieb ihr nichts anderes übrig, als ihr Glück zu versuchen. Und das klappte sogar: „Obwohl ich noch nie ein Akkordeon in der Hand hatte, konnte ich sogar den Schlager ´Bel Ami` spielen. Es war für mich wie ein Wunder, dass ich die richtigen Akkorde erwischte. Die Tschaikowska hatte zwar gemerkt, dass ich nicht Akkordeon spielen konnte, aber sie hatte auch mein Talent erkannt und ging davon aus, dass ich das sehr schnell lernen würde. Hilde und Sylvia wurden auch akzeptiert und so zogen wir drei in die Baracke, in der die Musikerinnen schliefen. Jetzt waren wir Funktionshäftlinge und wohnten in der Funktionsbaracke. Alle Funktionärinnen, Läuferinnen, Dolmetscherinnen, Schreiberinnen, Frauen, die in den Effektenkammern arbeiteten und die Musikerinnen wohnten in dieser Baracke, in der richtige Betten standen. Jede hatte ihr eigenes Bett mit Kopfkissen und Bettdecke – sogar mit Bettwäsche. Die Effektenkammern waren voll mit Kleidungsstücken, Schuhen, Waschmitteln, Kosmetiktaschen, kurz, alles, was die Faschisten von den Transporten aus ganz Europa erbeuteten. Dort wurde alles sortiert, verpackt und „heim ins Reich“ geschickt, zum Winterhilfswerk oder sonstigen Hilfseinrichtungen. In den Effektenkammern konnten wir Funktionshäftlinge uns Pullover, Mäntel, Unterwäsche, Seife, Zahnbürsten und vieles mehr mit Brot, Wurst oder Margarine kaufen.“ Esther kaufte sich einmal einen Pullover, weil sie so schrecklich fror. Dafür gab sie einen ganzen Laib Brot: „Das war eine ganze Wochenration, ich habe also eine ganze Woche lang gehungert, aber der Pullover wärmte mich und ich trug ihn eine ganze Zeit.“
Das Essen in der Funktionsbaracke war das gleiche wie im übrigen Lager auch: Morgens Tee, mittags, bzw. abends, eine Suppe, die aus Wasser und Kartoffelschalen, Brennnesseln oder anderen ungenießbaren Kräutern bestand und nur gegessen wurde, weil sie warm war – egal, wie scheußlich sie schmeckte. Die Tagesration, die abends ausgegeben wurde, enthielt ein sechs cm dickes Stück Kastenbrot, ein Stück Wurst, das mehr aus Mehl als aus Fleisch bestand und ein Stück Margarine.
Das Orchester war zu dem Zeitpunkt, als Esther darin aufgenommen wurde, noch nicht in der Lage, irgendwelche Musikstücke zu spielen. Die ersten drei Wochen wurde nur geübt: „Wir Mädchen mussten nichts anderes tun, als uns um die Musik zu kümmern. Bei den Männern war das anders, die mussten außerdem noch arbeiten.“
Nach den drei Wochen mussten die Mädchen morgens und abends am Tor stehen und Märsche spielen, wenn die Arbeitskolonnen aus-, bzw. einrückten. Manchmal kam Besuch ins Lager. „Die SS-Schergen prahlten mit ´ihrem` Orchester und stellten es den hohen Bonzen vor, den SS-Obersturmführern, die mal sehen wollten, wie Menschen geschunden, gefoltert und ermordet wurden. Ich kann von Glück sagen, dass ich nie in die Lage kam, vor diesen Bonzen zu spielen. Denn als ich im Orchester war, gab es das noch nicht.“
Außer Märschen wurden kleine Musikstücke, z.B. der Schlittschuhläufer, Volkslieder, Menuetts, Rondos und Walzer gespielt. An größere Musikstücke wagte sich die Tschaikowska nicht heran. Vielleicht, weil sie keine besonderen Ambitionen hatte, für die SS ein großes Orchester aufzubauen. Später leitete Alma Rosé das Mädchenorchester von Auschwitz, aber das war nach Esthers Zeit in Auschwitz.
Esther musste zwar den Bonzen nicht vorspielen, aber dafür musste das Mädchenorchester schon bald am Tor stehen und spielen, wenn die Transporte mit jüdischen Menschen ankamen: „Die Menschen kamen aus ganz Europa und fuhren direkt ins Gas. Als sie in den Zügen an uns vorbeifuhren und die Musik hörten, dachten sie bestimmt: ´Wo Musik gespielt wird, kann es so schlimm ja nicht sein`.  Für uns war das eine schreckliche psychische Belastung. Wir wussten genau, dass diese Menschen ins Gas geschickt wurden. Doch hinter uns standen schwer bewaffnete SS-Schergen und wir mussten befürchten, dass sie uns erschießen, sobald wir aufhören zu spielen. Bis heute sehe ich diese Bilder vor mir. Wir alle werden das Erlebte nie vergessen, aber nach so langer Zeit bleiben nur die gravierendsten Erlebnisse im Gedächtnis. Eines davon sind für mich diese Züge, die an uns vorbei in die Gaskammer fuhren.“ Während eines Interviews, das ich vor Jahren für die Tageszeitung junge Welt mit ihr machte, sagte Esther einmal zu mir: „Frag mich bloß nicht, wie ich das durch gestanden habe. Ich weiß es nämlich selbst nicht.“
Diese schrecklichen Bilder von den Zügen vollgestopft mit Menschenmassen auf dem Weg ins Gas sind nicht die einzigen Erinnerungen, die Esther bis heute quälen: „Ich sehe auch den endlos langen Appell oder Sonderappell vor mir, wo die SS-Frauen die Gefangenen auspeitschen ließen: 25 Schläge auf dem Bock. Nach 10 Schlägen waren die meisten schon bewusstlos, aber es wurde immer weiter geschlagen. Täglich sahen wir abgemagerte Leichen auf den Straßen liegen. Sie wurden auf Schubkarren geladen und ins Krematorium gebracht. Viele Frauen waren physisch und psychisch völlig erledigt. Manche Frauen liefen aus Verzweiflung an den elektrisch hoch geladenen Stacheldrahtzaun, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Tote Frauen, die am Stacheldraht hängen, auch das ist ein schrecklicher unvergessener Anblick. Es gab viele Momente, in denen auch ich gehofft habe, bald tot zu sein, um die Grausamkeiten der SS-Bestien nicht mehr ansehen zu müssen.
Beim Appell wurden oft Selektionen vorgenommen. Da kam der Oberstabsarzt Mengele mit seinen Helfern. Er stand vor uns und wenn er vor einer Gefangenen seine Hand nach rechts bewegte, so war sie für die Gaskammer fällig. Die Handbewegung nach links bedeutet eine Galgenfrist, denn keine von uns wusste, wann sie ins Gas geschickt werden würde.“
Die selektierten Frauen kamen in Block 25 – alle wussten, was das bedeutete: Block 25 war der Todesblock. Nur zwei bis drei Tage blieben die Frauen dort, dann  wurden sie auf Lastautos ins Gas gebracht. Keine konnte diesem Schicksal entrinnen.
Und wenn es eine versuchte, musste sie mit dem Leben dafür bezahlen: „Ich sehe auch vor mir, dass eine Frau, die einen Fluchtversuch gemacht hatte, bei einem Sonderappell aufgehängt wurde. Außerdem sehe ich den berüchtigten Arbeitsführer Moll vor mir, wie er mit seinen auf Menschenjagd abgerichteten Hund stolz durch das Lager spazierte. Wenn ihn die Lust überkam, griff er sich eine Frau und ließ sie von seinen Hunden zerfetzen. Ich hatte eine panische Angst vor dieser Bestie Moll, dennoch verdanke ich ihm mein Leben.“
Eine der SS-Aufseherinnen war Frau Becker, eine humane SS-Aufseherin, so weit es überhaupt möglich ist, in dem Zusammenhang von „human“ zu sprechen. War eine ihrer Vorgesetzten in der Nähe, dann schrie Frau Becker die Frauen furchtbar an. Die Leiterinnen sollten den Eindruck bekommen, dass die Frauen bei Frau Becker „in guten Händen“ waren. Hinterher entschuldigte sie sich bei den Gefangenen für ihr Benehmen.
Nach zwei Monaten im Orchester wurde Esther krank und hatte hohes Fieber. Frau Becker ließ sie in das jüdische Krankenrevier bringen. Es gab in Auschwitz-Birkenau zwei Krankenreviere, ein jüdisches und ein christliches. In der jüdischen Krankenstation gab es keine Medikamente und niemand kümmerte sich um die Patientinnen, so dass die meisten von ihnen diese als Leiche verließen. Nachdem Esther ein paar Tage dort gelegen hatte, kam Moll und befahl, sie in das christliche Revier zu bringen, da sie als Akkordeonspielerin gebraucht würde. „Frau Becker kam wie ich aus Saarbrücken, sie hatte deswegen eine gewisse Sympathie für mich. Arbeitsführer Moll fühlte sich auch für das Orchester verantwortlich. Es ist möglich, dass sie mit ihm über mich gesprochen hat.“
Trotzdem kam Esther vom Regen in die Traufe, denn die tschechische Ärztin half nur den Kranken, von denen sie etwas bekommen konnte. Die christlichen Gefangenen durften Pakete von zuhause bekommen und hatten Wurst, Knoblauch, Butter, Zucker und anderes anzubieten. Esther hatte jedoch nichts, denn als Jüdin durfte sie keine Pakete bekommen.
In dem Revier gab es vier Abteilungen und je kranker eine Patientin wurde, desto näher kam sie der Todeskammer. Mit 41° Fieber und im Delirium landete Esther eine Abteilung vor der Gaskammer. Wieder tauchte Moll plötzlich auf. Empört drohte er der Ärztin mit Erschießung, falls sie Esther nicht gesund pflegen würde. Ab da bekam Esther Medikamente, sie wurde gefüttert und auf ihr Brot wurde Knoblauch gestrichen, damit sie Appetit bekam. Esther selbst bekam davon überhaupt nichts mit, sie hat auch Moll nicht wahr genommen. Eine polnische Krankenpflegerin erzählte ihr das alles später. Die pflegte sie auch wieder gesund, so dass Esther nach vier Wochen wieder in die Funktionsbaracke und zum Orchester zurück konnte.
Sie hatte Bauchtyphus und ließ sich den Kopf wieder kahl scheren, weil ihr jemand erzählte, dass nach Typhus häufig die Haare ausfallen. Das wollte sie vermeiden. Aber jetzt trug sie ja nicht mehr die Sträflingskleidung, sondern einen blauen Rock und eine hellblaue Bluse und ein gleichfarbiges Kopftuch, da war der Glatzkopf dann eher zu ertragen.
Schlimmer war, dass während ihrer Krankheit Lilli und ihre Schwester aus Griechenland in das Lager gekommen waren. Beide waren eine große Bereicherung für das Mädchenorchester. Lilli war Musikprofessorin und spielte fantastisch Akkordeon. Außerdem konnte sie sehr gut Noten schreiben und Stücke arrangieren. Esther hatte ihren Platz im Orchester verloren, denn „ich konnte nicht halb so gut spielen wie Lilli“. Aber dann fiel ihr ein, dass sie Blockflöte spielen kann, „und ich war wieder gerettet“.
Durch den Typhus war sie sehr geschwächt und anfällig und es dauerte nicht lange, und sie bekam Keuchhusten. Einen sehr schweren Keuchhusten, denn sie war schon 18 Jahre alt und eben sehr geschwächt. Blockflöte konnte sie also auch nicht spielen. Die Tschaikowska kam auf die Idee, ihr Gitarre spielen beibringen zu lassen. Esther lernte die notwendigsten Griffe und war noch einmal gerettet.
Die Oberaufseherin zu dem Zeitpunkt war Maria Mandel. Sie war „von September 1939 bis Oktober 1942 Aufseherin, anschließend Oberaufseherin in Ravensbrück und von Oktober 1942 bis November 1944 Oberaufseherin in Auschwitz-Birkenau, danach Leiterin dieses Lagers. Sie wurde am 22,12,1947 in Polen zum Tode verurteilt.“
Eines Tages fragte Moll die Oberaufseherin Mandel, ob sie erlauben würde, dass Esther für eine Weile in eine anderes Lager geschickt werde. Die Luftveränderung würde ihr bestimmt gut tun und der Keuchhusten würde dann verschwinden. Das ging der Mandel zu weit: Sie bleibt wo sie ist. Wir sind hier doch nicht in einem Sanatorium“, sagte sie zu Moll.
Moll und Frau Becker befreiten daraufhin Esther von den Proben, bis der Keuchhusten endlich verschwunden war. „Was ihn dazu bewegt hat, weiß ich nicht“, sagt Esther. „Möglicherweise war er pervers“.
Kaum war der Keuchhusten überstanden, bekam Esther eine furchtbare A-Vitaminose. Ihr ganzer Körper war mit Furunkeln übersät, sie konnte nicht sitzen und nicht liegen und hatte schreckliche Schmerzen. In Birkenau gab es außer den beiden Krankenrevieren eine Erste-Hilfe-Station, die unter SS-Aufsicht stand und von Krankenschwestern geleitet wurde. Die leitende Krankenschwester, eine deutsche Kommunistin, war etwa 45 Jahre alt und schon lange in Auschwitz inhaftiert. Sie verband Esthers Furunkel und machte ihr öfter neue Verbände. Das rechte Ohr war ganz vereitert. Die Schwester gab ihr einen Fetzen Stoff und riet ihr, darauf zu pinkeln und es nachts auf das Ohr zu legen. Das half tatsächlich, nach ein paar Tagen war der Eiter abgezogen und das Ohr heilte.
Bei den Mengele-Selektionen zitterte Esther zu der Zeit um ihr Leben. Sie hatte Glück im Unglück, denn im Gesicht hatte sie keinen einzigen Pickel und äußerlich war so nichts von ihrer Krankheit zu sehen.
Nachdem Esther ein halbes Jahr lang im Mädchenorchester war, wurde morgens beim Appell bekannt gegeben, dass alle, in deren Adern „arisches Blut“ fließt, sich bei den Blockältesten melden sollten. Nach gründlicher Prüfung der Angaben würden diejenigen, die akzeptiert würden, in ein anderes Lager kommen, das kein Vernichtungslager sei.
„Durch meine Großmutter väterlicherseits war ich ein Viertel „arisch“. Was sollte ich also machen? Einerseits wollte ich mit meinen Kameradinnen zusammen bleiben, andererseits war ich die einzige von uns, die Auschwitz vielleicht schon bald würde verlassen können. Nach reiflicher Überlegung kamen wir zu dem Schluss, dass ich mich erst mal melde. Meine Freundinnen meinten, ich hätte geradezu die Pflicht zu versuchen, aus Auschwitz raus zu kommen, damit ich den Menschen außerhalb erzählen könne, was für schreckliche Verbrechen dort an uns begangen wurden. Von unserem Block war ich die einzige, die sich meldete. Nach etwa sechs Wochen musste ich zu einer Untersuchung wegen der Verlegung nach Ravensbrück – zu Dr. Mengele. Meine A-Vitaminose war immer noch nicht ganz abgeklungen und ich dachte, wenn Mengele mich so sieht, schickt der mich sofort in die Gaskammer.“
Vor der Untersuchung hatte Esther wahnsinnige Angst, um so erleichterter war sie danach. 70 junge Frauen hatten sich als „halb“- oder „viertelarisch“ gemeldet. Esther kannte keine von ihnen vorher. Im Zug – diesmal nicht im Viehwaggon, aber unter SS-Bewachung – wurden sie nach Ravensbrück gebracht. Der Abschied von ihren Kameradinnen fiel ihr sehr schwer, denn sie konnte nicht damit rechnen, eine von ihnen lebend wieder zu sehen.

Der größte Friedhof der Welt
Am 20. Januar ´42 versammelte Reinhard Heydrich Vertreter der relevanten Regierungsstellen, um sie über ihre Aufgaben bei der Vernichtung der etwa elf Millionen europäischen Jüdinnen und Juden in Kenntnis zu setzen. Allein in der Sowjetunion sollten 5 Mio. Jüdinnen und Juden umgebracht werden, 700.000 in Frankreich und 742.800 in Ungarn, um nur einige Zahlen zu nennen.
Zum Teil, weil die Massenerschießungen die Kapazitäten der Faschisten überstiegen, zum Teil aber auch, weil diese gigantischen Blutbäder tiefe Spuren in der Psyche der Mörder hinterließ, mussten andere Formen der Massenexekutionen eingeführt werden: Die Vergasung. Zunächst in so genannten Gaswagen, die durch das Land kutschierten, später in  den Vernichtungslagern. Ein wichtiger Schritt zur Umsetzung des Genozids an der jüdischen Bevölkerung und anderen erklärten Feinden war die Errichtung von Todeslagern. „Versuchsweise töteten die Deutschen am 3. September ´41 in der ersten „kleinen“ Gaskammer von Auschwitz 850 Menschen mit Zyklon B, darunter 600 sowjetische Kriegsgefangene“, schreibt Goldhagen. „Im März ´42 setzten dann die systematischen Vergasungen in Auschwitz-Birkenau ein.“
Schon lange vor Auschwitz, ab ´36, wurden planmäßig Konzentrationslager gebaut. Alle nach einem einheitlichen Plan, der neben den Unterkünften für die Gefangenen auch Werkstätten - Schneidereien, Schuhmachereien, Schlossereien, Fleischereien, Gärtnereien, Schreinereien und Bäckereien – sowie Verwaltungsgebäude, Wohnanlagen für die SS-Familien, Schulen, Kindergärten, medizinische Einrichtungen, manchmal sogar Geburtshäuser für die SS-Frauen, Fußballplätze, Schwimmbäder, Kinos und Theater, Kasinos und Bordelle enthielt. In Auschwitz gab es sogar ein SS-Hotel. Später, nach Kriegsbeginn, mussten bei der Errichtung der Lager aufgrund von Materialmangel Abstriche gemacht werden – auch beim Komfort für die SS-Leute und ihre Familien.
Was sich die wenigsten klar machen: Viele der SS-Schergen lebten einträchtig mit ihren Familien auf dem Gelände der KZs. „SS-Familien waren integraler Bestandteil des Gesamtkonzepts Konzentrationslager, was ´Akten der SS-Bauleitung` sowie neuere Studien zur Geschichte belegen“, schreibt die Hamburger Sozialwissenschaftlerin Gudrun Schwarz in dem Buch „Eine Frau an seiner Seite“. Die Anwesenheit der Ehefrauen und Kinder schufen laut Schwarz eine „Normalität im Grauen“ Die Ehefrauen des Lagerkommandanten Rudolf Höss und des leitenden Arztes Eduard Wirths lebten mit ihren Männern in Auschwitz, die des berüchtigten Dr. Josef Mengele besuchte ihn und verbrachte dort „idyllische Wochen“ mit ihm, wie sie ihrem Tagebuch anvertraute.
Am 18. und 19. April ´39 besichtigte der spätere Lagerkommandant Rudolf Höß das für die Errichtung des KZ Auschwitz vorgesehene Gelände in der polnischen Stadt Oswiecim in Oberschlesien am Rande eines Industriegebietes, nahe der Weichsel, etwa 30 km südöstlich von Kattowitz. Obwohl dieser Ort eigentlich nicht die Voraussetzungen für ein Massenlager mitbrachte, gab es etwas, dass ihn von anderen eventuellen Standorten positiv unterschied:  Oswiecim lag an einem Verkehrsknotenpunkt, so dass es ohne Schwierigkeiten möglich war, eine größere Anzahl von Menschen dorthin zu transportieren. Am 27. April´40 erließ Himmler den Erlass, Auschwitz zu errichten. 2.000 Menschen wurden zu diesem Zweck „evakuiert“, was nichts anderes heißt, als dass sie enteignet und vertrieben wurden.
Die SS-Siedlungen in Auschwitz wurden „im Stadtteil Zasole in bereits vorhandenen Häusern etabliert, deren Bewohner man enteignet und vertrieben hatte. Die ersten waren die Bewohner eines Flüchtlingslagers, die in einer an das Lagergebiet angrenzenden Barackenkolonie lebten. Sie wurden am 19. Juni 1940 vertrieben, 500 wurden verhaftet, 250 von ihnen zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. Vorläufig bleiben durften lediglich die Mitglieder von acht Familien, die bei SS-Angehörigen des Lagers arbeiteten. Kaum drei Wochen später, am 8. Juli 1940, bekamen die Bewohner der Legiony-Straße, Krotka-Straße und Polna-Straße von der Stadtverwaltung eine Vorladung, in der ihnen befohlen wurde, sich um 10 Uhr vormittags in der Wysoglad-Halle einzufinden, um ihre Häuser der SS zur Verfügung zu stellen. Kaum angekommen, wurden sie von SS-Männern umstellt, die mit drei Lastwagen gekommen waren. Während der Versammlung begannen die SS-Männer, sowohl im Saal als auch außerhalb auf die Menschen zu schießen. Mehr als ein Dutzend Familien, die die Schießerei überlebt hatten, wurden zur Zwangsarbeit in das Sudetenland verschickt. Die übrigen durften vorläufig in ihre Häuser zurückkehren. Die schönsten Häuser wurden mitsamt der Einrichtung den Familien der SS-Führer zugeteilt. Im November 1940 und im April 1941 wurden in weiteren Aktionen dien och verbliebenen Einwohner des Stadtteils Zasole vertrieben.123 Häuser ließ die SS von Häftlingen abreißen. Die übrigen Häuser bezogen die Familien von SS-Männern sowie Familien von Angestellten, Facharbeitern der neu erbauten Kautschuk- und Benzinfabrik, genannt Bunawerke. Am 31. Mai 1941 war ein 400 Hektar großes Gelände zum Sperrgebiet (´Interessensgebiet KL Auschwitz`) erklärt worden. Bereits am 25. April war dieses Gebiet durch die Vertreibung der Einwohner des Stadtteils Zasole und der Dörfer Babice, Broszkowice, Budy, Harmeze, Plawy und Rajsko auf 4.000 Hektar vergrößert worden. Aus den ehemaligen Dörfern wurde ein Gutsbezirk, der sich rund um das Lager zog, mit einer landwirtschaftlichen Versuchsstation, Laboratorien, einer Pflanzenzuchtstation sowie anlagen für Ackerbau, Pferde- Schweine- Geflügel- und Fischzucht.“
Am 4. Mai ´40 wird Höß offiziell zum Lagerkommandanten ernannt, am 20. Mai ´40 werden 30 deutsche kriminelle Häftlinge nach Auschwitz überstellt, die fortan den verlängerte Arm der SS-Administration bilden. Zudem 15 Männer des SS-Reitersturms, die zur Bewachung der Häftlinge eingesetzt werden sollen. Die ersten 39 Häftlinge werden zu Zwangsarbeit in der Küche verpflichtet. Etwas später kommen führende SS-Leute für Leitungsaufgaben hinzu.
“Ein großes Lager hat die gleichen Probleme wie eine Stadt, selbst wenn die Aufgabe der Stadtväter in diesem Fall nicht das Wohlbefinden der Bürger, sondern die Tötung der Einwohner ist. Vom ersten Tag an gab es Schwierigkeiten: Höß ist befohlen worden, ein Konzentrationslager zu errichten, aber selbst den notwendigen Stacheldraht liefert man ihm nicht, er muss ihn stehlen lassen.“
Am 10. Juni ´40 wird bei der Firma J.A. Topf und Söhne in Erfurt der bautechnische Entwurf eines mit Koks beheizten Einäscherungsofens angefertigt. Am 14. Juni ´40 werden aus dem Gefängnis in Tarnow die ersten 728 polnischen Häftlinge in das KZ eingeliefert. Sie werden „mit Schlägen, Fußtritten und Gebrüll in die Keller getrieben, wo man sie der Aufnahmeprozedur unterzieht. Sie werden ihrer persönlichen Sachen beraubt, geschoren, zum Bad und zur Desinfektion geführt, registriert und mit Nummern gekennzeichnet (sie bekommen die Nummern 31 bis 758 auf den linken Unterarm geritzt, Anm. d. Verf.). Sobald sie ihre Kleidung zurückbekommen, werden sie auf den Hof geführt, wo sie sich in Fünferreihen zum ersten Appell aufzustellen haben. Der erste Schutzhaftlagerführer, SS-Hauptsturmführer Karl Fritsch, begrüßt sie mit folgender Ansprache, die von zwei, unter den Häftlingen ausgesuchten Dolmetschern ins Polnische übersetzt wird: ´Ihr seid hier nicht in ein Sanatorium gekommen, sondern in ein deutsches Konzentrationslager, aus dem es keinen anderen Ausweg gibt, als durch den Schornstein des Krematoriums. Wenn das jemandem nicht gefällt, kann er ab sofort in den Draht gehen. Wenn in einem Transport Juden sind, dann haben sie kein Recht, länger zu leben, als zwei Wochen, die Priester einen Monat und die übrigen drei Monate.`
Die ... Häftlinge werden der so genannten Quarantäne unterzogen. Die SS versucht, die Häftlinge dadurch zu terrorisieren und sie physisch und psychisch zu brechen. Jeden Tag werden sie nach dem Morgenappell auf den Hof getrieben, wo sie den ganzen Tag bleiben. Sie müssen auf Befehl der SS-Männer und Kapos ´Nieder`, ´Auf`, ´Hüpfen` u.ä. üben, eingehüllt in Staubwolken. In den Pausen zwischen den Übungen lernen die Häftlinge deutsche Marschlieder, An- und Abmeldeformen und das Abnehmen und Aufsetzen der Mützen auf Kommando. Dabei werden sie von den SS-Männern und deutschen Kapos brutal geschlagen und gefoltert“
Der am 31.12. für das Jahr 1940 letzte in das Lager eingelieferte Häftlinge erhält die Nummer 7879, ein Jahr später ist es schon die Nummer 25.149. Im August ´41 „werden erste Versuche unternommen, Häftlinge durch intravenöse Injektionen aus Perhydrol, Benzin, Äther, Evipan und Phenol zu töten. Die Versuche werden in einem gesonderten Raum im Block 21 an kranken Häftlingen vorgenommen. Jeden Morgen werden von dort alle Ermordeten heraus getragen. Die durchgeführten Versuche ergeben, dass man am schnellsten durch Phenolspritzen ins Herz töten kann.“ Einer der an dieser Versuchsreihe beteiligten Ärzte ist Dr. Josef Mengele. Der machte sich später vor allem durch seine so genannte Zwillingsforschung einen Namen. Er entnahm Zwillingen und Kleinwüchsigen nach deren Ermordung Organe und Körperteile, die er konservierte und zu Forschungszwecken in das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie in Berlin-Dahlem schickte. „Aus Perspektive des Zeugen schreibt Dr. Miklós Nyiszli, Häftling im KL Auschwitz (Nr. A-8450), der für den Lagerarzt Mengele Selektionen an Zwillingsleichen durchzuführen hatte: ´Sofort nach der Ankunft eines Transports geht einer der SS-Männer entlang der sich in einer Reihe aufstellenden Ankömmlinge und sucht Zwillinge und Zwergwüchsige heraus ... Die Zwillinge und die Zwergwüchsigen werden ausgesondert und begeben sich auf die rechte Seite. Die Wachen führen diese Gruppe in eine Sonderbaracke ab. In dieser Baracke gibt es eine gute Verpflegung und bequeme Schlafstätten, es herrschen annehmbare hygienische Bedingungen und die Häftlinge werden gut behandelt... Von hier aus werden die Häftlinge unter Eskorte in den Versuchsblock geführt. In diesem werden an den Häftlingen alle Untersuchungen durchgeführt, die an einem lebenden Menschen durchgeführt werden können. Blutuntersuchungen, Lendenpunktierungen, Blutaustausch unter den Zwillingen und eine Vielzahl verschiedener anderer Untersuchungen. Alle schmerzlich und erschöpfend... Ebenso wird mit den Zwergwüchsigen verfahren. Diese in vivo, also am lebenden Menschen durchgeführten Experimente – getarnt als ärztliche Untersuchungen – sind weit davon entfernt, das Problem der Zwillinge als solche aus wissenschaftlicher Sicht zu erschöpfen. Sie sind relativ und sagen wenig aus. Es folgt also die nächste Etappe der Untersuchungen – die Analyse an Hand der Sektion. Der Vergleich der normalen und der pathologischen bzw. kranken Organe. Hierzu benötigt man Leichen. Da die Sektion und Analyse der einzelnen Organe zeitgleich erfolgen muss, müssen die Zwillinge zeitgleich sterben. Also sterben sie zeitgleich im Versuchsblock des KL Auschwitz... Dr. Mengele tötet sie,,, Dies ist der gefährlichste Typus unter den Verbrechern, der zusätzlich eine unermessliche Macht hat. Er schickt Millionen in den Tod, denn nach der deutschen Rassentheorie sind das keine Menschen, sondern Wesen einer niedrigeren Gattung, die einen verderblichen Einfluss auf die Menschheit haben.“
Mengeles Kollege Dr. Carl Clauberg führt Untersuchung an weiblichen Gefangenen durch, mit dem Ziel der Entwicklung einer Methode der Massensterilisierung der von den Faschisten zur biologischen Vernichtung verurteilten Völker. Andere Ärzte testen im Auftrag der Firma Bayer neu entwickelte Medikamente an den Gefangenen. Die Methoden, die dabei angewandt werden, sind grausam und bestialisch. Operationen werden ohne Betäubung durchgeführt, Operationsschnitte geschweißt statt genäht. Esther erinnert sich, dass sie auf der Krankenstation  viele Frauen sah, an denen diese Versuche durchgeführt wurden, die tiefschwarze Narben hatten. 
Am 3. September ´41 kam es zu den ersten Massentötungen durch Zyklon B. „Nachdem die an einer kleinen Gruppe von russischen Kriegsgefangenen erprobte Tötung durch Gas, die vor einigen Tagen Karl Fritsch angeordnet hat (das genaue Datum dafür lässt sich leider nicht rekonstruieren, Anm. d. Verf.), gelungen ist, beschließt die Lagerleitung diesen Versuch im Kellergeschoss von Block 11 zu wiederholen. Dies hängt höchstwahrscheinlich mit der Nachricht zusammen, dass die Gestapo die Einweisung eines großen Transports von Offizieren, Volkskommissaren und russischen Kriegsgefangenen zur Liquidierung plane. In Verbindung damit befiehlt der SS-Lagerarzt, SS-Hauptsturmführer Dr. Siegfried Schwela, eine Selektion im Häftlingskrankenhaus, während der etwa 250 Häftlinge ausgesucht werden. Die Pfleger werden beauftragt, die selektierten Häftlinge in Bunker 11 zu führen, bzw. einige mit Krankentragen dorthin zu bringen. Im Bunker werden sie in einigen Zellen zusammengepfercht. Die Kellerfenster werden mit Erde zugeschüttet. Dann werden in die Zellen etwas 600 russische Kriegsgefangene, Offiziere und Volkskommissare getrieben, die durch besondere Kommandos der Gestapo in den Kriegsgefangenenlagern ausgesucht worden sind. Sobald die Kriegsgefangenen in die Zellen hineingedrängt worden sind und die SS-Männer das Gas Zyklon B eingeworfen haben, werden die Türen verschlossen und abgedichtet. Diese Aktion findet nach dem Abendappell im Lager statt, nachdem die sog. Lagersperre angeordnet worden ist, d.h., dass es den Häftlingen verboten ist, die Blöcke zu verlassen und sich im Lager zu bewegen.
Am Morgen öffnet der Rapportführer Gerhard Palitsch , durch eine Gasmaske geschützt, die Zellentüren und stellt fest, dass einige der Kriegsgefangenen noch am Leben sind. Infolgedessen wird wieder Zyklon B eingeschüttet und die Türen werden erneut verschlossen...
Am Nachmittag werden im Bunker von Block 11 alle Türen geöffnet und die Abdichtung entfernt, nachdem festgestellt worden ist, dass die zweite Dosis Zyklon B die russischen Kriegsgefangenen und polnischen Häftlinge im Bunker tötete. Es wird gewartet, bis sich das Gas verflüchtigt hat. Nach dem Abendappell wird erneut Lagersperre angeordnet.
In der Nacht ruft Rapportführer Palizsch 20 Häftlinge aus der Strafkompanie des Blocks 5a zusammen sowie alle Pfleger des Krankenbaus und die beiden Häftlinge Eugeniusz Obojski und Teofil Banasiuk, die als Leichenträger mit zwei Rollwagen zur Beförderung der Leichen in der Leichenhalle und im Krematorium beschäftigt sind. Alle werden auf den Hof von Block 11 geführt. Zuvor wird ihnen gesagt, sie seien zur Sonderarbeit eingewiesen und dürften unter Anordnung der Todesstrafe niemandem erzählen, was sie zu sehen bekämen. Gleichzeitig wird ihnen versprochen, dass sie nach Verrichtung dieser Arbeit entsprechend größere Essensportionen erhalten werden. Auf dem Hof von block 11 warten schon die SS-Führer Fritsch, Maier, Palizsch und SS-Lagerarzt Schwela sowie SS-Männer, die im Lager Posten als Blockführer bekleiden. Die Häftlinge Obojski und Banasiuk erhalten Gasmasken und gehen mit Palizsch und mit SS-Männern, die auch Gasmasken tragen, in die Keller von Block 11 hinunter. Aus den Kellern kommen sie ohne Gasmasken zurück, um zu zeigen, dass sich das Gas verflüchtigt hat. Die Häftlinge werden in vier Gruppen eingeteilt. Die eine, die mit Gasmasken ausgerüstete Gruppe, holt die Leichen der Getöteten aus den Kellern ins Erdgeschoss hinauf, die zweite entkleidet die Leichen. Die dritte Gruppe trägt die Leichen auf den Hof von Block 11, wo sie von der vierten Gruppe auf den Rollwagen geladen werden. Die getöteten russischen Kriegsgefangenen sind mit Uniformen bekleidet; in den Taschen befinden sich Dokumente, Familienfotos, Geld, verschiedene Kleinigkeiten und Zigaretten. Auf dem Hof ziehen Zahnärzte unter Aufsicht von SS-Männern den toten Goldkronen und Goldzähne heraus. Die Häftlinge ziehen die mit den Leichen der Kriegsgefangenen und polnischen Häftlingen voll beladenen Rollwagen vom Hof des Blocks 11 zum Krematorium, angeleitet von Obojksi und Banasiuk und unter Aufsicht der SS-Männer... Die Leichen der im Krankenbau ausgesuchten Häftlinge sind in Unterkleidung. Das Herausholen, Entkleiden, Durchsuchen und Befördern der Leichen dauert bis zum Morgengrauen und wird nicht beendet.
Nach dem Abendappell (des 5. September, Anm. d. Verf.) wird Lagersperre angeordnet. Auf den Hof von Block 11 marschiert dieselbe Häftlingsgruppe, die in der letzten Nacht im Einsatz war, um die Beförderung der Leichen ins Krematorium zu beenden. Dort werden die Leichen in eine große, lange Halle gelegt, die bereits zur Hälfte gefüllt ist. Das Krematoriumskommando kann mit der Leichenverbrennung nicht nachkommen. Es dauert noch einige Tage, bis alle Leichen eingeäschert worden sind. “
Rudolf Höß schreibt in seinen Aufzeichnungen: „Die Vergasung wurde in den Arrestzellen des Blocks 11 durchgeführt. Ich selbst habe mir die Tötungen, durch eine Gasmaske geschützt, angesehen. Der Tod erfolgte in den voll gestopften Zellen sofort nach Einwurf. Nur ein kurzes, schon fast ersticktes Schreien und schon war alles vorüber.“
Das dazu benötigte Zyklon B wurde u.a. von der Hamburger Firma Tesch & Stabenow an die IG Farben in Auschwitz geliefert. Die Firmeneigner wurden nach dem Krieg zum Tode verurteilt und hingerichtet. Das Gebäude am Messberg in der Hamburger Innenstadt gehört inzwischen der Deutschen Bank. Aufgrund von Protesten, u.a. des Auschwitz-Komitees, wurde dort ´97 eine Gedenktafel errichtet.
Ursprünglich wurde das Zyklon B, ein Blausäurepräparat, zur Ungezieferbekämpfung im Lager benutzt und war deshalb in großen Mengen vorrätig. Während einer Dienstreise von Höß „probierte“ Fritsch das Gas als Tötungsmittel für die Gefangenen aus. Nachdem es sich einmal bewährt hatte, wurde es dann im großen Stil eingesetzt: „... ich muss offen sagen, auf mich wirkte diese Vergasung beruhigend, da ja in absehbarer Zeit mit der Massenvernichtung der Juden begonnen werden musste, und noch war weder Eichmann noch mir die Art der Tötung dieser zu erwartenden Massen klar... Nun hatten wir das Gas und auch den Vorgang entdeckt“, schreib Höß  in seinen Aufzeichnungen.
1942 wird Auschwitz ausgeweitet und neben dem Stammlager das Lager in Birkenau eröffnet. Am 4. Mai ´42 findet in Birkenau „unter den Häftlingen die erste Selektion statt. Die Selektion in der Isolierstation führt ein SS-Sanitärdienstgrad (SDP) durch. Die selektierten Häftlinge werden auf einen Lastwagen geladen, zu dem im Frühjahr in Betrieb genommenen Bunker befördert und dort durch Gas getötet. Nach dieser Selektion wird die Isolierbaracke mit einer Mauer umgeben. In diese Baracke werden erschöpfte, kranke und arbeitsunfähige Häftlinge aus anderen Teilen des Männerlagers Birkenau überstellt. Die Isolierstation ist ständig überbelegt. Von Zeit zu Zeit fahren Lastwagen vor und holen bis zu 90% der Häftlinge ab. Die Belegstärke dieser Baracke beträgt etwa 1.200 Häftlinge.“
Am 12. Mai ´42 findet die erste Selektion direkt an der Rampe des KZ statt. 1.500 Gefangene, die aus Sosnowitz eingeliefert wurden, werden gar nicht erst registriert, sie werden direkt in den Bunker zur Vergasung gebracht. Am 26. März ´42 kommt aus dem Konzentrationslager Ravensbrück der erste Transport weiblicher Häftlinge an: 999 deutsche Frauen, die separat untergebracht werden und die Nummer 1 bis 999 auf den linke Unterarm tätowiert bekommen. Als Esther am 20. April ´43 diese Prozesdur über sich ergehen lassen muss, ist sie schon die gefangene Nr. 41.948. Anfang ´43 wird das so genannte Zigeunerlager eingerichtet. Etwa 500.000 Sinti und Roma kommen in Auschwitz insgesamt ums Leben.
Doch selbst in der Hölle von Auschwitz fanden Menschen den Mut, Widerstand zu leisten. „Der ... praktizierte Terror führt bei den Häftlingen zur Stärkung ihres Widerstandes und zur Konsolidierung und Stabilisierung der verschiedenen konspirativen Gruppen, die sich zusammenschließen und gemeinsam gegen den Gewaltapparat  der SS kämpfen. Eine der Arbeitsformen der Widerstandsbewegung der Häftlinge ist die Informierung ´der Welt auf der anderen Seite des Stacheldrahts` über die von der SS im Lager begangenen Verbrechen. Hierzu werden Beweise für die Verbrechen der SS gesammelt und aus dem Lager herausgeschmuggelt.“
Außerhalb des Lagers operieren Widerstandsgruppen, außerdem hat sich ein Hilfskomitee für die Häftlinge der Konzentrationslager in Krakau (PWOK) gebildet. Einige Häftlinge stehen mit diesen Gruppen im Kontakt und bringen so Informationen über die Greueltaten der Faschisten an die Öffentlichkeit. Es gelingt sogar, die Häftlinge von außen mit Waffen und Munition zu versorgen.
Im Laufe der Zeit wurden im öfter so genannte Sonderkommandos gebildet, Häftlinge, die wie Obojsk und Banasiuk und ihre Kameraden zur Beseitigung der Leichenberge abkommandiert werden. Ihnen wird Sonderbehandlung versprochen, doch am Ende stand immer der Tod, denn sie wussten zu viel über die Praktiken der Faschisten. Im Herbst ´44 war allen Häftlingen, die zu solchen Sonderkommandos abgeordnet wurden, klar, was ihnen blüht. Am 7. Oktober ´44 beschließt eine Gruppe, dagegen Widerstand solcher Sonderhäftlinge zu leisten. Sie greifen die SS-Wachmänner mit Hämmern, Äxten und Steinen an. „Sie zünden das Krematorium IV an und werfen einige selbst gefertigte Granaten. Danach gelingt es einem Teil der Häftlinge des Kommandos 57 B, das nahe gelegene Wäldchen zu erreichen. Zur gleichen Zeit werden die Häftlinge des Kommandos 57 B, die im Krematorium II beschäftigt sind, aktiv. Als sie von ferne die Flammen sehen und die Schießerei hören, glauben sie, dass es sich um das Zeichen zum allgemeinen Aufstand der Häftlinge handelt. Sie überwältigen den Oberkapo, einen Reichsdeutschen, und stoßen ihn zusammen mit einem SS-Mann, den sie zuvor entwaffnet haben, in den brennenden Krematoriumsofen. Sie erschlagen einen zweiten SS-Mann, reißen den Zaun, der das Gelände des Krematoriums umgibt, sowie den, der zum Frauenlager führt, auf und flüchten. Die Häftlinge des Kommandos 58 B und 60 B, die in den Krematorien III und IV eingesetzt sind, unternehmen nichts, weil ein Teil von ihnen über die Pläne nicht unterrichtet ist, aber auch, weil die sich dort befindenden SS-Männer die Situation rasch unter Kontrolle bringen. Das sofortige Eingreifen der SS-Wachmänner, die Umzingelung des Krematoriengeländes und das starke Feuer aus Maschinengewehren und Gewehren in Richtung auf das Wäldchen beim Krematorium IV, in dem die Häftlinge Widerstand leisten, erstickt den Aufruhr schnell. In Rajsko schneiden die verfolgenden SS-Männer den flüchtenden Häftlingen des Kommandos 57 B den Weg ab. Die Häftlinge verbarrikadieren sich in einer Scheune und setzen sich zur Wehr. Daraufhin zünden die SS-Männer die Scheune an und ermorden die Häftlinge. In diesem Kampf fallen 250 Häftlinge.“
Die Gefangenen bezahlten mit dem Leben für ihren Widerstand – aber sie sind nicht kampflos gestorben. Sie starben, weil sie einem übermächtigen Gegner gegenüberstanden, der vor allem an Grausamkeit nicht zu überbieten war. Von den insgesamt etwa 13.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die im Laufe der Zeit in Auschwitz eingeliefert wurden, lebten am Tag der Befreiung nur noch 92 Personen. „Das Schicksal dieser sowjetischen Kriegsgefangenen zeigt, dass an einen aktiven Widerstand und Massenaufstand in Auschwitz nicht zu denken war; wenn junge, militärisch ausgebildete und disziplinierte Russen nicht fähig waren, Widerstand zu leisten, was konnte man da von denen erwarten, die weder jung noch gesund waren und auch nicht kämpfen konnten?“ fragt Danuta Czech.
 Als Ende ´44 die Rote Armee vorrückt, beginnen die faschistischen Machthaber fieberhaft, ihre Spuren zu beseitigen. Die akribisch geführten Lagerlisten, auf denen alle Zugänge und die Zahlen der Exekutionen aufgelistet sind, werden zu einem erheblichen Teil im Krematorium verbrannt. Schließlich werden alle Häftlinge, die noch laufen können, auf den Todesmarsch geschickt. Als die Rote Armee am 27. Januar ´45 das Lager befreite, fanden sie noch etwa 7.600 geschundene und völlig entkräftete Gefangene vor, die die SS aus Zeitgründen vor der Evakuierung des Lagers nicht mehr ermorden konnten. Viele von ihnen hatten trotzdem nichts mehr von der Rettung, sie starben in den folgenden Tagen und Wochen.
Die Gaskammern in Auschwitz arbeiteten 2 Jahre und 10 Monate. Es gibt keine genauen Angaben darüber, wie viele Gefangene in Auschwitz tatsächlich ums Leben gekommen sind, die Schätzungen schwanken zwischen einer und vier Millionen Toten. Es liegt wie gesagt daran, dass die schriftlichen Nachweise über das Ausmaß der Massenexekutionen verbrannt wurden. Donata Czech vermutet allerdings, dass diese Aufzeichnungen sowieso nicht vollständig waren, da die Täter schneller Menschen ermordeten, als sie Akten führen konnten, wie sie schreibt. Die Zahlenangaben beruhen auf Augenzeugenberichten, Gerichtsakten und Todeslisten, die widerständige Häftlinge heimlich führten und versteckten.
Aber unabhängig von den genauen Zahlen ist Auschwitz zum Synonym für die fabrikmäßige Vernichtung menschlichen Lebens geworden. Auschwitz ist, um Esther zu zitieren, „der größte Friedhof der Welt.“
Und genau dahin waren Esther und ihre Chawerim in jenen Apriltagen vor 61 Jahren unterwegs. Doch noch ahnten sie nicht, was ihnen blühte.
 






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