Kachelmann – und nun?
Text: BG
Am Freitagabend ab 22 Uhr laufen zeitgleich in diversen dritten Programmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Talkshows. Die sehe ich an sich ganz gerne. Für welches Programm ich mich entscheide, mache ich von den angekündigten Gästen abhängig. Die Moderatorinnen und Moderatoren mag ich mal mehr, mal weniger. Insofern bleibe ich dem Kriterium „welche Gäste kommen“ treu. Manchmal zappe ich auch, wenn in verschiedenen Runden Leute sitzen, die mich interessieren. Das sind nicht immer Prominente, sondern oft Menschen mit ungewöhnlichen Lebenswegen oder außergewöhnlichen Schicksalen, positiv wie negativ.
Am vergangenen Freitag hatte ich mich für die MDR-Talkshow „Riverboat“ entschieden. Dort war Adele Neuhauser angekündigt, die ich sehr schätze. Als Schauspielerin, klar, die Bibi, aber auch wegen ihres Engagements gegen das Ausbeutungssystem Prostitution. Zu meinem großen Entsetzen moderierte neben Kim Fischer der ehemalige ARD-„Wetterfrosch“ Jörg Kachelmann die Sendung. Um der ganzen Wahrheit die Ehre zu geben: Kim Fischer gehört nicht zu meinen Moderations-Favoritinnen. Ihre Kollegin Susan Link mochte ich hingegen sehr gerne. Auch dem Duo Stephanie Stumph und Jörg Pilawa weine ich nicht eben eine Träne nach.
Spontan habe ich auf WDR zu Bettina Böttinger umgeschaltet. Die ich wiederum sehr mag – vor allem, weil sie viele Frauen in ihre Runden einlädt. In dem Moment, als ich zuschaltete, erzählte die Schauspielerin Katharina Thalbach von dem Matriarchat, in dem sie aufgewachsen sei. Neben ihr ihre Enkelin Nellie Thalbach, die ihre Berufslaufbahn als Kassiererin bei „Kaiser´s“ begann.
Schwieriger Fall
Jörg Kachelmann, der mich zum Umschalten veranlasste, war wegen Vergewaltigung angeklagt, er wurde in zwei Verfahren frei gesprochen. Trotzdem bleiben so viele Zweifel – gerade für mich, die ich mich intensiv mit dem Thema „sexuelle Gewalt gegen Frauen“ sowie der Behandlung von Opfern von Sexualstraftaten vor Gericht beschäftigt habe.
Jörg Kachelmann wurde freigesprochen. Zwei Mal. Trotzdem bleiben so viele Zweifel, dass ich mich dagegen wehre, dass er als Fernsehmoderator weitermachen kann, als sei nichts geschehen.
Er wurde freigesprochen, d.h., es gibt für den MDR keinen Grund, ihn nicht zu beschäftigen. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Möglichkeit, dass er Opfer einer Falschbeschuldigung wurde, genauso groß ist wie jene, dass er zu Unrecht freigesprochen wurde. Aber bitte nicht in so einer exponierten Position. Die ihm wieder die Popularität beschert, die er vorher ganz klar gnadenlos ausgenutzt hat, und die uns Frauen Woche für Woche demonstriert, dass wir im Falle einer Vergewaltigung vor Gericht sowieso keine, bzw. eine sehr geringe Chance haben. Unabhängig davon, ob Kachelmann nun zu Unrecht beschuldigt oder zu Unrecht freigesprochen wurde. Das haben 43 Prozesstage, 30 Zeuginnen, 10 Ex-Geliebte und 10 Sachverständige nicht abschließend klären können, das maße auch ich mir nicht an.
Das Verfahren ist endgültig abgeschlossen, zumindest was den Vorwurf der Vergewaltigung angeht. Er wurde freigesprochen, Claudia D. stand am Ende als verurteilte Lügnerin da. Meiner Ansicht nach hat er schlicht Glück gehabt, die Kohle, das Verfahren durch selbst finanzierte Gutachter zu beeinflussen, und konnte auf einen Männerbund zählen, der in letzter Instanz im Eiltempo innerhalb von zwei Prozesstagen aus einem mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer eine rachsüchtige Lügnerin machte. Diese Möglichkeit ist nicht einmal zweifelsfrei von der Hand zu weisen. Trotzdem will ich nicht, dass er weiter machen kann, als wär nichts passiert. Ist das richtig? Schließlich leben wir in einem Rechtsstaat und Freispruch ist nun mal Freispruch. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Urteilt selbst.
Was Frauen zugemutet wird
In jedem Fall wird am Fall Kachelmann das ganze Dilemma im Umgang mit Sexualstraftaten deutlich: Männer stehen nicht zu dem, was sie Frauen antun (das ist nicht auf Kachelmann bezogen, sondern allgemein), häufig nehmen sie die Verletzungen, die sie Frauen zufügen, nicht einmal wahr und wundern sich dann, dass Frau es als gewalttätig oder mindestens übergriffig wahrgenommen hat, Männer haben einen Glaubwürdigkeitsvorschuss – egal welche Räuberpistole sie auftischen, sie können auf Männerbünde bei Gericht zählen, je höher die Instanz, desto männerbündischer. Und die Frauen, die sich als Staatsanwältin oder Richterin etablierten, müssen sich in diesem patriarchalen System und den patriarchalen Strukturen beweisen. Nirgends auf der Welt machen Frauen Gesetze, überall sind es mehrheitlich Männer. Auch solche übrigens, die nur Frauen betreffen, wie z. B. der §218. Frauen sind unglaubwürdig oder werden unglaubwürdig gemacht, ihnen wird die Konfrontation mit dem mutmaßlichen Täter zugemutet, in dessen Gegenwart sie klare Gedanken fassen sollen, sie müssen wieder und wieder dieselbe quälende Geschichte erzählen, und wehe, diese weicht in Details voneinander ab, dann sind sie … genau, unglaubwürdig. Z. T. liegen Jahre zwischen Tat und Prozess, vor allem, wenn es Berufungsprozesse sind. Jahre, in denen die Frauen in aller Regel damit beschäftigt sind, die Gewalttat zu verdrängen. Mitten in diesem Verdrängungsprozess sollen sie genaue Erinnerungen hervorzaubern und klar formulieren. Frauen, zutiefst verletzte zumal, sind vor Gericht ziemlich auf sich gestellt, während Männer auf (Männer)solidarität bauen können. Von Männern wird gar nichts verlangt, wer – wie Jörg Kachelmann – keine Aussage macht, macht keine Aussage. Abgesehen von der ersten Vernehmung bei der Polizei nach seiner Verhaftung. Von Frauen wird nicht nur verlangt, dass sie klar und präzise die Ereignisse schildern, die Farbe der Unterhose, die er trug, das Parfum, das er aufgetragen hatte, ob er sie von rechts oder von links gepackt hat, von Frauen wird auch verlangt, dass sie sich wehren. Richtig, nicht von Männern wird verlangt, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit zu respektieren, von Frauen wird verlangt, Übergriffen durch vernehmbaren Widerspruch und am besten körperliche Gegenwehr zu begegnen. Frauen haben in der Regel auch keine Kohle, um Gutachten zu bestellen, die die Verfahren in ihrem Sinne beeinflussen. Sie haben häufig nicht einmal Geld für ´ne gute Anwältin, geschweige denn für die Therapie, die sie dringend bräuchten.
Auch nach einem solchen Prozess wird sich um die Männer Sorgen gemacht – um die Frauen üblicherweise nicht. Oder haben Sie schon mal darüber nachgedacht, was aus Claudia D. wohl geworden ist? Wie es ihr heute geht? Ob sie ´nen Job hat? Ach, sie wussten gar nicht, dass sie ihren aufgeben musste wegen der psychischen Belastung während des Prozesses? Haben Sie sich mal gefragt, was wohl aus Anna A. und Sofia W. geworden ist? Nun müssen sie vermutlich kurz überlegen, wer die beiden sind. Da kann ich weiterhelfen: Das sind die beiden Frauen, die Julian Assange seinerzeit an der Ausreise aus Schweden hindern wollten, damit er sich einem AIDS-Test unterzieht, weil sie ihm vorwarfen, ihnen entgegen der vorherigen Absprache ungeschützten Geschlechtsverkehr aufgenötigt zu haben. Beide mussten untertauchen, weil sie mit dem Tode bedroht wurden, nachdem sie am Supermann-Image von Julian Assange gekratzt haben. Haben Sie sich mal gefragt, was wohl aus den 1.200 Frauen geworden ist, die in und nach der Silvesternacht 2015/16 Anzeige wegen Sexualstrafdelikten gestellt haben? Z. T. gerade dem Kindesalter entwachsen und bar jedweder sexueller Kontakte. Hand aufs Herz: Haben Sie sich diese Fragen mal gestellt?
Was über den Vorfall bekannt ist
Um eins vorweg zu sagen: Es gibt berechtigte Zweifel an der Darstellung Claudia D.s, die Jörg Kachelmann der Vergewaltigung bezichtigt, die nicht ignoriert werden dürfen. Was wiederum aber nicht zwingend bedeutet, dass sie lügt, ihn „vorsätzlich wahrheitswidrig der Vergewaltigung bezichtigte“, wie es das Oberlandesgericht (OGH) in Frankfurt sieht.
Der Fall ist so komplex, bei der Recherche tun sich im Hinblick auf beide Personen Abgründe auf. Denkbar ist, dass Jörg Kachelmann Claudia D. vergewaltigte, sie war offenbar nicht die Erste, der er bizarre Sexspielchen aufnötigte. Denkbar ist aber auch, dass Claudia D. sich rächen wollte an dem Mann, auf den sie ihr ganzes Leben ausgerichtet hatte, für den sie jedoch nur eine von vielen Affären war. In jedem Fall, das zu behaupten wage ich mal, fühlte sie sich von ihm benutzt. Auch das wage ich zu behaupten: Nicht zu Unrecht.
Letztlich weiß niemand weiß, was genau passiert ist zwischen Jörg Kachelmann und Claudia D. in der Nacht vom 8. Auf den 9. Februar 2010 in ihrer Wohnung. Außer den beiden. Und genau das ist das generelle Problem, zumindest bei derlei Fällen, bei denen es keine ZeugInnen und/oder eindeutige Beweise gibt.
Selbst die müssen vor Gericht erst einmal als solche anerkannt werden, wie der Fall Gina-Lisa Lohfink zeigt. Es existierte ein Video von einer – wie sie es wahrnahm – Vergewaltigung, auf dem zu sehen ist, wie zwei Männer Sex mit einer völlig derangierten, unter Drogen stehenden Frau haben, in dem sogar zu hören ist, dass sie nein sagt. Möglicherweise war ja nur eine konkrete Handlung, nicht der sexuelle Kontakt an sich gemeint, befand das Gericht. Das fragliche Video wurde von den beiden – inzwischen ebenfalls freigesprochenen – Beschuldigten als „Vergewaltigungsvideo“ ins Netz gestellt. Alles das half nicht. Auch Gina Lisa Lohfink wurde als Lügnerin abgestempelt und kämpfte vor Gericht dagegen, ihren Peinigern Schadensersatz zahlen zu müssen. Auch sie verlor letzlich.
Sind zwei Menschen allein, so ist einzig die Glaubwürdigkeit entscheidend. Wem wird wohl geglaubt? Einem beliebten TV-Moderator oder einer bis dahin unbekannten Radiomoderatorin eines Lokalsenders, die zudem nachweislich Beweise manipulierte?
Im Gegensatz zu Gina Lisa Lohfink, die allein aufgrund ihres, sagen wir, ungewöhnlichen Lebenswandels keine Chance auf Gerechtigkeit hatte, es war nicht nur der berühmte zu kurze Rock, in der öffentlichen Wahrnehmung trägt sie gar keinen und ist damit die personifizierte Einladung an Männer, sich ihres Körpers nach Lust und Laune zu bedienen, wurde im Fall Jörg Kachelmann sogar gerichtlich festgestellt, dass dessen Lebenswandel nicht als Indiz für oder gegen seine Unschuld gewertet werden dürfe. Jörg Kachelmann hat mehrere Verfahren angestrengt, in denen Medien untersagt wurde, seine Persönlichkeitsrechte zu verletzen und nur über die Fakten, nicht über die Person Jörg Kachelmann zu berichten. Das ist sein gutes Recht, muss aber für alle gelten. Allerdings ist es unerlässlich für die Bewertung der Frage, ob er Claudia d. vergewaltigt hat, sein Verhältnis zu Frauen und sein Verhalten ihnen gegenüber zu durchleuchten. Und das muss auch der Öffentlichkeit kommuniziert werden.
Jedenfalls, wenn nicht Jubel-Sendungen dabei herauskommen sollen, wie der Bericht im ARD-Politmagazin „Panorama“ vom 26.10.2017, in dem Jörg Kachelmann im Relotius-Style zum Opfer stilisiert wird. Erfunden ist vermutlich nichts in dem Bericht, doch es werden alle Fakten und Informationen ignoriert, die genau die Zweifel nähren, die mich plagen. Claudia D. wird ausschließlich als Straftäterin erzählt, ihr Statement, das sie „Panorama“ auf Anfrage gab, „Man will uns Frauen stumm schalten, damit das gesellschaftliche Machtgefüge im männerbündischen Täterstaat Deutschland nicht in Gefahr gerät“, wurde in dem Beitrag von Robert Bongen und Fabienne Hurst als „allgemein-feministische Kampfschrift“ tituliert. Danke, wer solche KollegInnen hat, braucht keine Feinde mehr.
Darüber, was in jener Nacht passiert ist zwischen Jörg Kachelmann und Claudia D., gibt es zwei sehr unterschiedliche Darstellungen. Jörg Kachelmann sagt, sie hätten zunächst einvernehmlich Sex gehabt, danach habe sie ihn damit konfrontiert, dass sie wisse, dass er ihr untreu geworden sei. Er habe dies zugegeben, woraufhin sie sich von ihm getrennt und er ihre Wohnung verlassen habe. Claudia D. sagt, sie habe an dem Tag einen Hinweis erhalten, dass er ihr nicht treu sei, habe ihn damit sofort konfrontiert, direkt nachdem er bei ihr angekommen sei. Daraufhin seien sie in Streit geraten, sie habe sich von ihm getrennt. Er habe sie dann vergewaltigt, und sie dabei mit einem Messer bedroht und verletzt (nachzulesen in: Kneewolf, Thomas, Die Akte Kachelmann – Anatomie eines Skandals).
Den Streit hat er während des Verfahrens bestätigt, die Tat streitet er bis heute ab. Das fragliche Messer wies keine eindeutigen Spuren auf. Selbst wenn, es steht außer Frage, dass er sich in ihrer Wohnung aufhielt. Das Messer könnte er theoretisch auch für dessen eigentlichen Zweck benutzt haben: Tomaten schneiden.
Während des Prozesses kam heraus, dass Claudia D. den Hinweis auf seine Untreue schon lange vor dem fraglichen Abend erhalten und zudem maßgeblich manipuliert hatte. Sie sagte, sie habe einen Briefumschlag im Postkasten gehabt, darin zwei Flugtickets ausgestellt auf Jörg Kachelmann und eine ihr unbekannte Frau. Dazu ein loser Zettel mit der Aufschrift „Er schläft mit ihr“. Diesen Zettel hatte sie selbst geschrieben und im Sender ausgedruckt, um damit die Spur zu ihr zu verwischen. Das hat nicht wirklich funktioniert und beweist, dass sie damit rechnete, dass sich jemand die Mühe machen würde, diese Spur tatsächlich zu suchen und es lässt auf kriminelle Energie ihrerseits schließen. Das beweist aber noch nicht, dass es keine Vergewaltigung gab. Dass Frauen vor Gericht in Vergewaltigungsprozess schwer Gehör finden, ist kein Geheimnis. Vielleicht wollte sie vorbauen.
Während des ersten Verfahrens vor dem Landgericht Mannheim stellte sich heraus, dass sie im Internet nach der Frau gesucht, diese auch gefunden und unter falschem Namen Kontakt zu ihr aufgenommen hatte, um zu erfahren, ob diese noch mit Jörg Kachelmann liiert sei. So bekam sie Gewissheit, dass sie nicht die einzige Frau in seinem Leben war. Was sie nicht ahnte: Es gab noch ein paar mehr und zu dem Zeitpunkt war Jörg Kachelmann schon mit seiner jetzigen Frau Miriam liiert. 10 Ex-Freundinnen Kachelmanns wurden während des Verfahrens in Mannheim verhört. Ihre Aussagen ergaben ein verstörendes Bild von dem beliebten Wetterfrosch: Er hatte über lange Zeiträume diverse Beziehungen zeitgleich, mit keiner Frau ließ er sich wirklich ein, hielt sie alle aus seinem Leben raus. Nach dem Motto „don´t call us, we call you“ beehrte er die Damen, wenn es ihm beliebte. Über ihn, bzw. den Privatmann Jörg Kachelmann wussten diese wenig. Keine nahm er mit zu sich nach Hause, keine wurde Freunden oder gar Verwandten vorgestellt. Der Aussage einer der Frauen zufolge hat(te) er eine Vorliebe für S/M-Spielchen. Offenbar mochte er es, ihnen Verletzungen zuzufügen während des Geschlechtsverkehrs und ließ sich dann von ihnen Fotos z. B. von Hämatomen per Mail zuschicken.
Auf dem Rechner von Claudia D. wurden solche Fotos gefunden. Das wurde dahingehend interpretiert, dass sie sich Vorlagen beschafft habe für die Verletzungen, die sie sich nach Ansicht einiger Gutachter selbst beibrachte.
Die Polizistinnen, die Claudia D.s Anzeige aufnahmen sagten vor Gericht aus, sie sei ihnen glaubwürdig erschienen. Laut Wikipedia begab „Claudia D. … sich am Morgen des 9. Februar 2010 in das nebenan befindliche Wohnhaus ihrer Eltern und erklärte ihnen, Kachelmann habe sie vergewaltigt. Um 8.11 Uhr wählte der Vater von Claudia D. die Notrufnummer der Polizei (110). Seine Tochter schilderte in dem Anruf, sie sei von ihrem Freund vergewaltigt worden. Etwa eine halbe Stunde später begab sie sich mit ihrer Mutter zur Polizeidienststelle Schwetzingen. Mitgebracht zur Polizei wurden ein Strickkleid und ein Slip, die sie bei der Vergewaltigung getragen haben will. Auf der Polizeidienststelle schilderte sie ihre Version des Geschehens in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2010. Die Vernehmung durch eine Beamtin dauerte eine Dreiviertelstunde. Anschließend wurde sie zur Frauenklinik des Universitätsklinikums Heidelberg gefahren, wo eine gynäkologische Untersuchung durch eine Assistenzärztin durchgeführt wurde. Die Medizinerin stellte am Hals, am linken Unterschenkel und am linken Unterarm rötliche Striemen und an beiden Oberschenkelinnenseiten handtellergroße rötlich-blaue Hämatome fest. Claudia D. musste den Hergang nach 12.00 Uhr auch dem damaligen Leiter des Rechtsmedizinischen Instituts an der Universität Heidelberg, Rainer Mattern, schildern. Mattern verfasste dann ein fünfseitiges Gutachten. In dem Gutachten ordnete er die festgestellten Verletzungen zeitlich dem möglichen Tatgeschehen zu. Die festgestellten Rötungen am Hals könnten auf das mehrfache Andrücken eines Messers mit dem Messerrücken zurückgeführt werden. Sie könnten aber auch durch horizontales Kratzen entstehen. Kräftige Blutunterlaufungen an den Innenseiten der Oberschenkel seien Folge heftiger Gewalteinwirkungen, die Konturen sprächen für mehrfache Einwirkungen. Form und Lage der Hämatome ließen an gewaltsames Auseinanderdrücken der Beine denken. Kratzerartige Verletzungen an Oberschenkel, Bauch und Unterarm könnten durch eine Messerspitze entstanden sein. Es gebe keine Halteverletzungen durch festes Zupacken durch einen möglichen Täter. Das Verletzungsbild hänge aber von Ausmaß und Art der Gegenwehr des Opfers ab und sei selten charakteristisch. Mattern kam zu dem Schluss, offensichtliche Widersprüche zum geschilderten Tatverlauf ließen sich nicht feststellen. Selbstverletzungen könnten nicht ausgeschlossen werden, ungewöhnlich dafür wären aber die großen Hämatome.“
Insgesamt 10 Sachverständige, davon drei von Kachelmann selbst finanziert, beschäftigten sich mit Claudia D. und dem Heidelberger Gutachten.
Abgesehen von den Unwahrheiten in Bezug auf den Umschlag mit den Flugtickets verstrickte sich Claudia D. auch in Widersprüche, was den Tathergang angeht. Auch das wurde gegen sie ausgelegt.
Widersprüchliche Aussagen der mutmaßlichen Opfer sind generell einer der Hauptgründe für die Niederschlagung von Sexualstrafprozessen. Den Frauen wird nicht geglaubt. Nicht vor Gericht, nicht von Gutachtern und nicht von der Gesellschaft. Gerade die Linke ist eher bereit, jede noch so absurde Räuberpistole und Verschwörungstheorie zu glauben, z. B. zwei Frauen seien CIA-Agentinnen, statt den Gedanken an sich heranzulassen, dass einer ihrer Helden Frauen gegen deren Willen Sex ohne Kondom aufzwang.
Frauen wird keine Glaubwürdigkeit zuerkannt, sie müssen Dinge nachvollziehbar und plausibel schildern, die sie in aller Regel ansonsten mit aller Macht zu verdrängen versuchen, sie müssen sich rechtfertigen, warum sie sich so und nicht anders verhielten, vor der Tat, währenddessen und danach, warum sie sich nicht, oder zu wenig wehren – auch dass es keine erkennbaren Spuren von Gegenwehr gab, wurde als Beleg dafür ausgelegt, dass Claudia D. die Unwahrheit sagte – sie müssen beweisen, dass sie vergewaltigt wurden, nicht der Beschuldigte, dass er nicht vergewaltigt hat, sie müssen einem Bild entsprechen, für das es in der Realität keine Blaupause gibt. Jede Frau verhält sich anders. Nicht viele würden sich vermutlich ernsthaft wehren, wenn ihnen jemand ein Messer an den Hals hält, während er sie vergewaltigt. Noch dazu, wenn der Sex mit diesem Jemand auch in der Vergangenheit sagen wir eher rau war.
Das könnte auch erklären, warum Jörg Kachelmann so felsenfest davon überzeugt ist, Claudia D. nicht vergewaltigt zu haben. Möglicherweise hat er in seiner Wahrnehmung nichts anderes mit ihr gemacht als sonst auch. Nur mit dem Messer als Gadget, was er quasi neu eingeführt hat. Möglicherweise! Das ist reine Spekulation – wenn auch, wie ich finde, eine naheliegende.
Die Frauen ließen es mit sich machen
Auch mit der Person Jörg Kachelmann beschäftigten sich Sachverständige. Sie kamen zu dem Schluss, dass es sich bei ihm nicht um eine gestörte Persönlichkeit handele. Vergewaltigung ist aber nicht das Resultat einer wie auch immer gestörten Persönlichkeit, sondern schlicht und ergreifend ein Machtspiel. Es geht um Macht und Unterwerfung, darum, der Frau den eigenen Willen aufzuzwingen und sie zu demütigen. Wenn die Schilderungen der Ex-Freundin Jörg Kachelmanns stimmen, die als Zeugin vernommen wurde, dann praktizierte er genau das – und zwar vermutlich für seine Begriffe als „ganz normalen Sex“. Und labte sich dann an den Verletzungen, die er den Frauen dabei zufügte, die ihm auf Fotos dokumentiert per Email zuzusenden er sie aufforderte.
Warum die Frauen das mitmachten, wird wohl auf ewig deren Geheimnis bleiben. Claudia D. gefiel eigenen Angaben zufolge der Sex mit Jörg Kachelmann. Vielleicht aber war er ihr dann doch eine Spur zu hart und sie hat die Reißleine gezogen? Oder nachdem der Heiligenschein gelüftet und das Idol sich selbst vom Sockel gestoßen hatte, nahm sie ihn anders wahr? Wer weiß das schon, außer ihr selbst? Trotzdem müssen derlei Spekulationen zulässig sein, denn es geht nicht nur um das Paar Jörg Kachelmann – Claudia D., sondern um den (sexuellen) Umgang von Männern mit Frauen allgemein.
Ganz offenbar genoss Jörg Kachelmann seine Publizität und nutzte sie im Hinblick auf Bettgespielinnen gehörig aus. Und ganz offenbar gab es reichlich Frauen, die genau das mit sich machen ließen. Claudia D. war eine davon.
Im Eiltempo vom mutmaßliche Vergewaltigungsopfer zur rachsüchtigen Lügnerin
Als sie Jörg Kachelmann kennenlernte, arbeitete sie als Moderatorin bei einem Lokalsender mit Sitz in ihrem Heimatort. Ihr Elternhaus war von ihrer Wohnung aus fußläufig zu erreichen. In diesem 20.000-Seelen-Dorf war auch der Staatsanwalt wohnhaft, der das Verfahren gegen Kachelmann führte. Das hat natürlich Gschmäckle. Schlussendlich konnte die Vergewaltigung innerhalb von 43 Prozesstagen, nach den Aussagen von 30 Zeuginnen, 10 Ex-Freundinnen von Kachelmann und den Expertisen von 10 Sachverständigen nicht zweifelsfrei bewiesen, noch konnte Kachelmann vollständig entlastet werden. Nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ sprach der Vorsitzende Richter Michael Seidling Jörg Kachelmann frei. „Aus Mangel an Beweisen“, wie er betonte: „Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist. Es bestehen aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz ´in dubio pro reo` freizusprechen“.
Ein „Freispruch zweiter Klasse“, wie viele Medien den Richterspruch bewerteten. Alice Schwarzer sprach sogar vom „Freispruch dritter Klasse“.Dieser „Freispruch zweiter Klasse“ reichte Jörg Kachelmann nicht, er ging zivilrechtlich gegen Claudia D. vor. Der Fall ging durch verschiedene Instanzen, letztlich befand das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am 28. September 2016 Claudia D. der Lüge für schuldig. Das war laut Jörg Kachelmann der lang ersehnte „Freispruch erster Klasse.“
Innerhalb von zwei Prozesstagen kam eine ausschließlich männlich besetzte Kammer des OLGs unter Hinzuziehung eines Sachverständigen 6 Jahre nach der mutmaßlichen Tat zu der Ansicht, Claudia D. habe „Herrn Kachelmann vorsätzlich wahrheitswidrig der Vergewaltigung bezichtigt“.
Ein bemerkenswerter Vorgang, nachdem das erstinstanzliche Landgericht Mannheim nach 43 Prozesstagen, den Aussagen von 30 ZeugInnen, 10 Ex-Partnerinnen des Beschuldigten und den Expertisen von 10 Sachverständigen, davon drei von Jörg Kachelmann finanziert, nicht von seiner Unschuld überzeugt war. Und zwar so wenig überzeugt, dass es dem Vorsitzenden Richter Michael Seidling wichtig war, das in der Urteilsbegründung deutlich zu machen. Die Kammer urteilte nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz „in dubio pro reo“.
Auch das ist richtig. Nur: Für Claudia D. ist damit die Unschuldsvermutung hinfällig geworden, sie gilt bis heute als Lügnerin. Aber ist sie das auch? Im Hinblick auf Jörg Kachelmanns Unschuld bleibt für meinen Geschmack ein solches Gschmäckle zurück, dass ich mich entschieden habe, „Riverboat“ fürderhin zu boykottieren.
Unabhängig von meiner Einschätzung zeigt dieser Fall, dass Frauen kaum eine Chance haben, in einem Sexualstrafprozess Recht zu bekommen, wenn sie nicht hieb- und stichfeste Beweise vorlegen oder eine stattliche Anzahl an ZeugInnen beibringen können, die das Geschehen genauestens beobachteten. Egal, wie Frauen sich verhalten, es wird falsch sein, jede Schwäche vor Gericht wird ihnen als Unwahrheit ausgelegt und am Ende sind sie die Dummen, die möglicherweise sogar sich selbst auf der Anklagebank wiederfinden.
Dass Männer nur verurteilt werden, wenn es eindeutige Beweise gibt, ist richtig. Die Frage aber ist: Was ist ein Beweis? Was ein Gegenbeweis? Wer kann entscheiden, wie sie die sexuelle Begegnung, vor allem, wenn es über Jahre einvernehmlichen Sex gab, wahrnahm? Wie sehr sind die Personen, die mit dem Opfer einer Sexualstraftat in Berührung kommen, gar über ihre Glaubwürdigkeit zu befinden haben, geschult im Umgang mit Vergewaltigungsopfern? Wie klar ist eine Erinnerung nach Monaten, manchmal sogar Jahren? Wie viel Erinnerung kann ein Opfer zulassen? Wie viel Erinnerung kann ein Opfer ertragen?
Alice Schwarzer schrieb in EMMA: „Ich saß ich im Juli 2010 in einer
Talkshow, Anne Will, zum Thema. Neben mir saß ein erfahrener, im Ruhestand
befindlicher Staatsanwalt. Und der erklärte ganz ruhig: Wenn seine Tochter
vergewaltigt worden sei und hätte ihn um Rat gefragt – er hätte ihr geraten,
die Vergewaltigung nicht anzuzeigen. Damals war ich tief schockiert
über diese Aussage. Ein Staatsanwalt, der kein Vertrauen in den Rechtsstaat hat."
Das bedeutet: Uns Frauen wird die Rechtssicherheit genommen. Sie wird nicht
eingeschränkt, sie wird uns genommen – und zwar in einem Bereich, der, mit
Ausnahme von Straftaten gegen das Leben, uns so sehr trifft wie kein anderer.
In keinem Fall aber darf der Freispruch eines Mannes automatisch als Falschbeschuldigung gewertet werden. Nach dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit muss ihr bewiesen werden, dass sie vorsätzlich log. Claudia D. wurde das unterstellt, aber niemals bewiesen. Auch der Gutachter in dem Verfahren vor dem OLG Frankfurt konnte „nicht auszuschließen, dass einzelne Komponenten des Verletzungsbildes durch fremde Hand oder akzidentiell entstanden sind“.
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