Warum macht Euch Greta Thunberg so wütend?

Text: BG


Die Antwort ist ganz einfach: Weil die junge Schwedin uns unsere satte Zufriedenheit gnadenlos um die Ohren haut. Und weil sie ein Mädchen ist.

Mal Hand aufs Herz: Wisst Ihr noch, wie Ihr mit 16 drauf wart? Ich schon. Und ich kann Euch sagen,    Na, lassen wir das besser. Doch so viel: Mit 16 habe ich auch noch geglaubt, die Welt retten zu können. Damit war ich nun wahrlich nicht allein. Antifa-Demos, Anti-AKW-Demos, Hunderttausende im Bonner Hofgarten – das waren wir. Ah, jezzat, Ihr erinnert Euch auch. Ok, da war ich keine 16 mehr, aber geglaubt, dass wir die Welt verändern können, habe ich auch mit Anfang 20 noch. Sogar, dass wir mit Frauenrechten vorankommen.

Für die Zukunft lernen
Greta Thunberg war 15, als sie im letzten Spätsommer im Vorfeld der Parlamentswahlen in Schweden anfing, sich auf die Treppenstufen des Parlamentsgebäudes zu setzen statt in die Schule zu gehen. Mit nichts weiter als einem Schild auf dem geschrieben stand: „Skolstrejk för klimatet“ (Schulstreik für das Klima), um die Abgeordneten aufzufordern, endlich für den Klimaschutz aktiv zu werden. Zunächst war sie jeden Tag da, dann ging sie mal zur Schule, mal demonstrieren, schließlich pendelte sich ihr Protest auf den Freitag ein.
Dieses Beispiel machte Schule, zunächst in Schweden, später in verschiedenen europäischen Staaten, aber auch z. B. in Australien. Eine neue Jugendbewegung war geboren: „Fridays for Future“ (Freitage für die Zukunft). Greta Thunberg, die Initiatorin, wurde weltberühmt, sie war bei der UN-Klimakonferenz in Katowice und beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Nach Davos reiste sie mit dem Zug, statt schnell rüber zu jetten.
Vorbildlich, sollte mensch nun denken. Sie macht sich Gedanken und tut was. Statt Justin Bieber um die Welt nachzureisen, macht sie für das Klima und damit für die Zukunft der kommenden Generationen mobil. Von wegen. Statt Respekt erntet sie Spott, Häme, Wut und Hass. Als ob die 16jährige die Polarkappen höchst persönlich abgeschmolzen hätte. Vielfach von jenen, die selbst in ihrer Jugend keine Gelegenheit zur Rebellion ausgelassen haben. Wie einst in der Antike die Überbringer schlechter Botschaften wurde sie hingerichtet – zumindest medial. Vor allem von den berühmt-berüchtigten „alten weißen Männern“. Wo kommen wir denn da hin, wenn alte Säcke sich von blutjungen Gören die Welt erklären lassen müssen? Leider stimmen auch viele Frauen in diesen Chor mit ein.
Es ist spekulativ, aber mit einem gleichaltrigen Jungen wäre nicht so gnadenlos umgegangen worden, wie mit einem Mädchen. Schaut her, ein ganzer Kerl, in so jungen Jahren nimmt er so weite Reisen auf sich. Auch seine Diagnose hätte ihm nicht zum Nachteil gereicht. Und Asperger hat er auch noch, hätte es geheißen. Auch von vielen Frauen, da bin ich mir sicher.

Die Welt ist im desolaten Zustand
Grob zusammengefasst wird behauptet, die „geisteskranke“ Greta werde von ihren Eltern instrumentalisiert, ihre Mutter habe gar ein Buch über sie geschrieben. Statt sich mit ihr hinzusetzen und ihr zu erklären, dass sie in einer sichereren Welt denn je lebe, ihre Eltern und deren Eltern verantwortungsvolle PolitikerInnen gewählt hätten, die dafür Sorge trügen, dass die Welt so sicher bleibe und auch verantwortungsvolle Entscheidungen hinsichtlich des Klimas träfen, sie anhielten, regelmäßig zur Schule zu gehen, würden diese das Engagement ihrer Tochter gnadenlos ausschlachten.
Dieser Vorwurf kommt u.a. von den „Salonkolumnisten“, einer Ansammlung selbstgefälliger Machos, die sich aufführen wie bockige Kleinkinder, denen Greta Thunberg das Lieblingsspielzeug wegnehmen will. Die sich garantiert vor 50 Jahren von niemandem etwas haben sagen lassen, geschweige denn von Erwachsenen, und die bis heute vollkommen beratungsresistent sind. Außer sich selber und sich gegenseitig die einzigartige Großartigkeit zu versichern.
Gegenwärtig gibt es so viele militärische Konflikte wie noch nie seit 1945, vermutlich wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Mit Waffen lassen sich super Geschäfte machen, offenbar lukrativeres als mit Nahrung und Gesundheitsvorsorge für alle Menschen auf der Welt. Allein in Syrien ist die halbe Welt an den Kämpfen beteiligt, die einzelnen Armeen kämpfen in variablen Konstellationen mal mit- und mal gegeneinander.
Vielfach wird in den Kampfgebieten Depleted Uranium (DU), radioaktives abgereichertes Uran, verwendet, das sowohl für Mensch als auch Umwelt nicht abschätzbare Folgen hinterlässt. DU-Munition ist die Ursache für Missbildungen von Kindern im Irak, aber auch amerikanischer GIs, die im Irak gekämpft haben. Es ist bekannt, dass DU-Munition auch in Afghanistan, im Jugoslawien-Krieg, vermutlich in Kurdistan und im Jemen verwendet wurde.Unberechenbare individualiserte Terroranschläge halten nicht nur den Nahen Osten und Europa in Atem.
Krieg, Hungersnöte und auch klimatische Veränderungen zwingen aktuell so viele Menschen auf die Flucht, wie in der gesamten Geschichte der Menschheit nicht. Hitzewellen lösen Dürreperioden ab, denen wiederum Überschwemmungen – nicht selten quasi aus dem Nichts – folgen. In der Südsee müssen die Menschen ihre Inseln verlassen, weil der Meeresspiegel steigt, nirgendwo schmelzen die Gletscher so schnell wie in der Schweiz und in Norddeutschland wird die herkömmliche Landwirtschaft nicht mehr möglich sein, allein wenn das Klima so bleibt wie in den vergangenen zwei Jahren. Die größten Inseln in den Meeren sind mittlerweile die aus Plastik, Plastikpartikel töten Tiere und sind unterdessen selbstverständlicher Bestandteil unserer Nahrung. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Und wir wundern uns, dass Jugendliche Angst vor der Zukunft haben? Dass sie an alles glauben, bloß nicht daran, dass PolitikerInnen verantwortungsvoll handeln? Ernsthaft?
Greta Thunberg sei nur deshalb zum Star avanciert, weil mächtige Organisationen hinter ihr stünden, heißt es. Ja, klar, vermutlich von Soros finanziert …
Ein Foto schwirrt über die virtuelle Datenautobahn, auf dem sie im Zug beim Essen zu sehen ist. Auf dem Tisch in Plastik eingepacktes Brot und eine Plastikschale, in der sie vermutlich Salat to go gekauft hat. Darüber wird sich mokiert, das Foto wird als Beleg dafür gewertet, dass ihr das Thema Umweltschutz dann doch wohhl nicht so sehr am Herzen liegen könne. Hätte sie das Brot im Jutebeutel transportiert und den Salat in einem Blümchen bemalten Glas, dann hätte es geheißen, sie sehe aus als ob sie zur Kelly Familiy gehöre.

Das Asperger Syndrom
Wahr ist, Greta Thunberg ist nicht irgendwer. Sondern die Tochter des Schauspielers Svante Thunberg und der Opernsängerin Malena Ernman. Der Vater ist bekannt in Schweden, die Mutter eine internationale Berühmtheit in der Opernwelt. Natürlich erhält die Tochter berühmter Eltern mehr mediale Aufmerksamkeit als Eure oder meine. Oder was glaubt Ihr, warum eine Unfallversicherung Til Schweiger und seine Tochter für Werbespots einspannt?
Nur im Gegenteil zu Til Schweiger waren Vater Thunberg und Mutter Ernman gar nicht so angetan von der Aktion ihrer Tochter und hätten es lieber gesehen, wenn sie regelmäßig zur Schule gegangen wäre.
War es bis hierher schon biestig, so werden die Reaktionen auf die junge Schwedin richtig unappetitlich, wenn es um ihre Diagnose „Asperger Syndrom“ geht. Sie sei geisteskrank, nicht zurechnungsfähig, gar von Kindesmissbrauch ist die Rede. Hallo? Greta Thunberg ist 16 und ganz offensichtlich kein Kind mehr. Sie habe sich so sehr in ihre Klimaangst hineingesteigert, dass sie darüber psychisch krank geworden wäre, ist allerorten zu lesen.
Wahr ist: Bei Greta Thunberg wurde das Asperber Syndrom diagnostiziert. Damit geht sie ganz offen um. Das wird gemeinhin als leichtere Form des Autismus verstanden und seit 1991 in der WHO-Liste der Krankheiten geführt. Viele Betroffenen wehren sich gegen die Bezeichnung „Erkrankung“, unter ExpertInnen ist diese Zuschreibung umstritten. Viele sprechen von einer Entwicklungsstörung. Fakt ist, weder Autismus noch das Asperger Syndrom sind Diagnosen, an denen jemand erkranken kann, sondern Auffälligkeiten, um nicht zu sagen Besonderheiten, die von Geburt an da sind. Allerdings tritt das Asperger Syndrom nicht so offensichtlich zu Tage wie Autismus, die Symptome sind nicht einheitlich.
Während Autismus häufig bei Kleinkindern festgestellt wird, dauert es beim Asperger Syndrom bis in die Pubertät, nicht selten wird es erst mit Ende 30 festgestellt.
Menschen mit Asperger Syndrom sind etwas schrullig, eigenbrötlerisch, nicht sonderlich an Kommunikation interessiert und haben häufig das, was als nutzloses Wissen gilt. Asperger Syndrom ist nicht selten gepaart mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten und Inselbegabungen.
Dass bei Greta Thunberg das Asperger Syndrom mit 11 Jahren diagnostiziert wurde, ist also nicht ungewöhnlich. Und sie ist auch nicht wegen ihrer Zukunftsangst erkrankt, sondern aufgrund ihrer Reaktion auf die Beschäftigung mit dem Thema Klimawandel wurde die Störung bei ihr diagnostiziert.
Mit dem Asperger Syndrom gehen nicht nur Schwierigkeiten einher, sondern auch Stärken. Eine davon ist ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Dass Greta Thunberg es ungerecht findet, dass sie ausbaden muss, was Generationen vor ihr an Umweltschäden hinterlassen haben, ist nachvollziehbar.
Wer sich intensiver mit dem Asperger Syndrom beschäftigen möchte, kann das z. B. tun mit dem Buch „Ein Tor zu eurer Welt“, der Biographie des Hamburgers Aaron Wahl. Bei dem 1990 geborenen Mann wurde 2016 das Asperger Syndrom diagnostiziert. Das hat ihm den Ansporn gegeben, ein Training speziell für Menschen mit Autismus zu entwerfen. Das Buch erscheint im Frühjahr dieses Jahres. Aaron Wahl hat auch eine Webseite.
Immer häufiger werden Angebote für Menschen mit Autismus oder dem Asperger Syndrom entwickelt. Eine Hamburger Firma vermittelt ausschließlich Betroffene. Das sollte doch als Beleg dafür gelten, dass Autismus, geschweige denn die Diagnose Asperger Syndrom, gleichzusetzen ist mit „geistesgestört“ und „nicht zurechnungsfähig“.
Die Behauptung, Gretas Mutter Malena Ernman habe ein Buch über das Umwelt-Engagement ihrer Tochter geschrieben, ist falsch. Sie hat ein Buch geschrieben über die Anforderungen an eine Familie mit den speziellen Bedürfnissen der Kinder umzugehen, nachdem bei beiden Töchtern das Asperger Syndrom, bzw. ADHS diagnostiziert wurde.
Interessant ist, dass Autismus bei Jungen vier Mal häufiger auftritt als bei Mädchen. Einem SPIEGEL-Artikel zufolge gibt es dafür verschiedene Gründe: Zum einen gibt es demnach „erste Hinweise auf Risikogene, die Autismus begünstigen. Womöglich sind diese an das Geschlechtschromosom X geknüpft. Mädchen können das Vorliegen eines solchen Gens durch ihr zweites X-Chromosom ausgleichen, bei Jungen liefert das Y-Chromosom keine Ausgleichsmöglichkeit.“ Außerdem scheint „Autismus auch im Zusammenhang mit dem Sexualhormon Testosteron zu stehen. … Die Betroffenen haben demnach ein extrem maskulines Gehirn. Vermittelt durch einen erhöhten Testosteronspiegel fällt es ihnen schwer, sich in andere einzufühlen und entsprechend zu reagieren.“ Außerdem unterscheiden sich die Symptome bei Mädchen und Jungen: „Niederländische Mediziner zeigten in einer Übersichtsstudie mit mehr als 4100 autistischen Kindern und Erwachsenen Abweichungen in der Symptomatik. Mädchen wie Jungen hatten die gleichen Probleme im sozialen Umgang und der Kommunikation mit anderen. Jungen zeigten aber deutlich mehr wiederholende Bewegungen und eingeschränkte Interessen als Mädchen im gleichen Alter.“
Trotzdem birgt der Hype um Greta Thunberg Risiken. Der Rummel um sie wird nachlassen und die politisch Verantwortlichen werden den Karren weiterhin gegen die Wand fahren, als gebe es einen Planeten B., und sie wird eventuell in ein tiefes Loch fallen. Ihrem Naturell entsprechend wird sie damit vielleicht noch weniger umgehen können als andere Jugendliche. Wollen wir ihr wünschen, dass sie dann Menschen um sich hat, die sie auffangen und ihr die Unterstützung geben, die sie dann braucht.

Wer ist hier gestört?
Abgesehen davon, dass Greta Thunberg keine Autistin ist, sondern bei ihr das Asperger Syndrom, eine weitaus schwächere Variante, diagnostiziert wurde, scheint sie  weitaus weniger gestört als ihre Hater. Denn ein erhöhter Testosteronspiegel fördert dominante und aggressive Verhaltensweisen. Solche die dazu führen, über eine junge Aktivistin kübelweise Dreck zu schütten – von jenen, die selber mal jung waren. Und aktiv. Inzwischen aber zu faul, zu desillusioniert, schlicht zu satt oder aber auch zu neidisch auf die Jugend und deren Unbeschwertheit sind, das Engagement anderer anzuerkennen.
 



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