Frauen an die Macht – aber wie?

Text: BG


Geschlechterparität in Parlamenten soll über die Parteien realisiert werden. Dieser Weg führt aber in die Irre.

Derzeit wird intensiv darüber diskutiert, mehr Frauen in die Parlamente zu bekommen. Dieses Ziel soll über die Parteien realisiert werden. Genau daran wird das Vorhaben scheitern. Denn das Problem fängt viel früher an und liegt auch in den Parteien selbst begründet.

Kürzlich hat das brandenburgische Landesparlament beschlossen, dass Parteien zur Landtagswahl 2020 die Parteien gleich viele Kandidatinnen und Kandidaten aufstellen müssen, die dann paritätisch in das Parlament einziehen werden.
Auch wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass das angestrebte Brandenburger Modell funktionieren wird, so amüsieren mich dennoch die Reaktionen darauf. Das sei ein Angriff auf die Demokratie, ist häufig zu lesen. Was undemokratisch daran sein soll, die Hälfte der Bevölkerung in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, auf die Erklärung wäre ich dann doch gespannt. 
Auch in einer Unterschriftensammlung des Deutschen Frauenrates wird „die Hälfte der Sitze für Frauen“ gefordert. Unterstützt wird die Kampagne vom „Verband Deutscher Unternehmerinnen“, dem „Landfrauenverband“, dem „Deutschen Hebammenverband“, die „Autonomen Frauenhäuser“, dem „Katholischen Deutschen Frauenbund“ oder dem „Deutschen Evangelischen Frauenbund“, der Vorsitzenden der „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen“ (AsF), der Ehrenvorsitzenden der „CDU-Frauenunion“, der frauenpolitische Sprecherin der „Grünen“ und der Vorsitzenden der „Liberalen Frauen“. (DIE LINKE nicht?)
Eine interessante Entwicklung in einer männlich geprägten Gesellschaft, in der nicht einmal eine Fernsehdiskussion zum Thema Schwangerschaftsabbruch ohne einen Quotenmann auskommt – an dem sich dann auch noch die gesamte Runde abarbeitet. Doch wie realistisch ist dieser Ansatz eigentlich?

Die Entstehung des parlamentarischen Systems
Das gegenwärtige Parteiensystem hat eine etwa 150jährige Tradition. Als erste sogenannte „Programmpartei“ gründete sich 1861 die Deutsche Fortschrittspartei (DFP), Vorläuferin der heutigen FDP. Es folgten 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) und 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), die sich 1875 zusammenschlossen und sich 1890 den Namen „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (SPD) gaben sowie die katholische Zentrumspartei (1870).
Während der Märzrevolution 1878 wurde der Grundstein gelegt für das gegenwärtige Parlamentssystem. Vom 31. März bis zum 4. April 1948 tagten 74 Männer in der Pauluskirche und stellten die Weichen für die Wahl zur Nationalversammlung am 18. April. Zunächst erhielten alle selbständigen mündigen männlichen Bürger das Wahlrecht. Mit der „Verfassung des Deutschen Reiches“ vom 16. April 1871 erhielten alle Männer ab 25 das aktive Wahlrecht. In dieser Verfassung wurde übrigens auch der §218 und somit Schwangerschaftsabbruch als Straftatbestand festgeschrieben.
Sehr schnell etablierte sich das Parteiensystem, 1871 hatten ADAV und SDAP zusammen 3,2%, 1893 die SPD 23,3% und 1912 34,8%. Selbstverständlich durften Männer nicht nur wählen, sondern auch nur Männer durften gewählt werden. Frauen erhielten das aktive und passive Wahlrecht erst 1919. Genau genommen erlangte es am 30. November 1918 Gesetzeskraft und am 19. Januar 1919 konnten Frauen zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wählen.
Finnland war 1906 das erste europäische Land, das das Frauenwahlrecht einführte, 1913 folgte Norwegen, 1915 Dänemark, 1917 die Niederlande, 1918 das Vereinigte Königreich. Erst 1990 schloss sich der Schweizer Kanton Appenzell diesem Trend an, in der übrigen Schweiz wurde das Frauenwahlrecht 1971 auf Bundesebene eingeführt.
Es ist also noch gar nicht so lange her, dass Frauen in Europa flächendeckend aktiv in der Politik mitmischen dürfen. Die Zugehörigkeit zu einer Partei stand ihnen allerdings schon früher offen. So begannen sowohl Rosa Luxemburg als auch Clara Zetkin ihren politischen Werdegang in der SPD, lange bevor das Frauenwahlrecht, für das Clara Zetkin unermüdlich kämpfte, eingeführt wurde.
Trotzdem hat sich die Gesellschaft stark verändert,  seitdem sich das Parteiensystem und die parlamentarische Demokratie entwickelten. War es für den gemeinen Pöbel zunächst einmal ein Ereignis, überhaupt nach der Meinung gefragt zu werden, so tun sich heute viele mit der repräsentativen Demokratie schwer, in der sie im wahrsten Sinne des Wortes „ihre Stimme abgeben“. Nämlich an eine Kandidatin oder einen Kandidaten einer bestimmten Partei, die oder der aber nicht einmal dem Parteiprogramm und den Wahlversprechen verpflichtet ist, sondern ausschließlich ihrem oder seinem Gewissen. Die Menschen leben heute aber generell selbstbestimmter, sind es gewohnt, Entscheidungen zu treffen und möchten in politische Entscheidungen stärker einbezogen werden. Insofern wird meiner Ansicht nach das ursprünglich fortschrittliche Modell der parlamentarischen Demokratie zum Hemmnis für gesellschaftliche Entwicklungen und wird von den Bürgerinnen und Bürgern zunehmend mit Skepsis betrachtet. Was zur berühmten „Politikverdrossenheit“ beiträgt.
Außerdem wird Macht immer stärker auf die LÄnder und auf den Bund zentriert, d.h., der Spielraum der Kommunen wird immer stärker eingeschränkt, z. B. durch das Finanzierungssystem, das der Gestaltung vor Ort z. T. wenig Spielraum lässt. Darunter leidet vor allem jener Teil der Bevölkerung, der auf öffentliche Daseinsvorsorgen wie Kinderbetreuungseinrichtungen, Altenpflege, Krankenhäuser, Spielplätze, Breitensport, etc. angewiesen ist.
Hinzu kommt, dass sich in allen traditionellen Parteien eine Kaste von Funktions- und MandatsträgerInnen  etablieren konnte, die den Kampf um gut dotierte Posten und Mandate unter sich ausmachen. Letztlich entscheidet ein sehr kleiner Kreis von Menschen. Bestimmte Bevölkerungsgruppen, z. B. Handwerker, einfache Angestellte oder Arbeiterinnen, sind in diese Entscheidungsprozesse nicht – oder zumindest kaum – eingebunden. Das stärkt nicht das Vertrauen in diese Form der Demokratie.

Frauen haben keine Zeit für Politik
Das ist ein Teil der Erklärung, warum so wenige Frauen in den Parlamenten zu finden sind: Diese Form der Demokratie ist von Anfang an männlich geprägt, Männer hatten etwa ein halbes Jahrhundert länger Zeit, sich darin einzurichten, als Frauen.
Hinzu kommt, dass Frauen von klein auf darauf getrimmt werden, Verantwortung für andere zu tragen, aber nicht für sich selbst. Wer darauf geeicht ist, kommt nicht so schnell auf die Idee, eine politische Karriere anzustreben. Zumal es bis vor ein paar Jahren auch noch keine entsprechenden Vorbilder gab. Mal unabhängig von der Qualität ihrer Politik ist mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) der Berufswunsch „Kanzlerin“ für Mädchen überhaupt erst einmal von der Lachnummer zur realistischen Option geworden.
Das Problem allerdings ist, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dem meilenweit hinterher hinken. Immer noch verdienen Frauen wesentlich weniger als Männer, durchschnittlich jedenfalls, und immer noch sind es die Frauen, die mehr arbeiten, weil sie weniger verdienen als Männer, aber auch, weil sie diejenigen sind, die sich um Haushalt, Kinder, Pflege älterer Familienangehöriger, etc. kümmern. Politisches Engagement kostet Zeit und Geld, beides haben Frauen oft nicht.
Um das zu ändern braucht es keine getrennten Frauen- und Männerlisten, sondern geänderte Rahmenbedingungen. Die Arbeitswelt muss an die Bedürfnisse von Familien angepasst werden, nicht Familien an die Bedürfnisse der Arbeitswelt. Übrigens auch die parlamentarische Arbeitswelt. Welche Single-Mutter soll denn bis um Mitternacht im Bundestag ausharren, um nach einer Endlosdebatte am Hammelsprung teilzunehmen?
Um mehr Frauen in die Politik zu bekommen, braucht es zunächst einmal die Integration der Männer in ihre Familien, die gleichberechtigte Aufteilung von Haushalt und Carearbeit. Frauen müssen politisches Engagement finanzieren können, es muss ausreichend Kinderbetreuungsangebote geben. Wie soll eine im Schwarzwald lebende Single-Mutter den Parlamentsalltag in Berlin bewältigen?
Um der ganzen Wahrheit gehört allerdings auch, dass Frauen endlich ihre Komfortzone verlassen und sich aktiv einmischen müssen. Viel zu oft lassen sie lieber andere reden und bestimmen, statt selbst die Zügel in die Hand zu nehmen. Viel zu oft verstecken sie sich hinter Familie und Kindern, weil es ihnen letztlich bequemer erscheint, als sich aufs öffentliche Parkett zu wagen.
Wir haben uns gute Bildungsmöglichkeiten erkämpft, nun sollten wir sie auch nutzen.

Frauen passen sich an die Parteien an – nicht die Parteien an die Frauen
Die gesetzliche Verpflichtung zur Geschlechterparität sei eine Chance für einen grundlegenden Wandel der Parteien, las ich in den vergangenen Tagen häufig. Das wage ich zu bezweifeln. Zwar sind aktuell nur knapp 31% der Bundestagsabgeordneten weiblich, aber noch nie gab es so viele Frauen in führenden Positionen. Und zwar in allen Parlamentsparteien. Nur leider ist dadurch die Politik nicht feministischer geworden. Das Beste Beispiel dafür ist der aktuelle Affentanz um den §219a.Das zeigt, Frauen passen sich der Partei an, nicht die Partei den Frauen.
Wollen Frauen in einer Partei Karriere machen, dann müssen sie sich ihrem Umfeld anpassen. Viele Frauen trauen sich in sozialen Netzwerken nicht, die Meinung zu sagen und schon gar nicht, diese auch zu vertreten, geschweige denn in einer solchen Face-to-Face-Situation. Und Frauen, die das tun, kommen in aller Regel nicht weit. In den etablierten Parteien dürfen sie ein bisschen Quote fordern und sich Jahre daran abarbeiten, ob und wie diese erfüllt wird. Aber diskutiert doch mal in der FDP über eine Reform des Sorgerechts, dahingehend, dass das Sorgerecht grundsätzlich den Müttern übertragen werden muss, diskutiert in der CDU über die Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch, diskutiert bei den Grünen und LINKEN über das Nordische Modell. Wie weit wird wohl eine Frau in den etablierten Parteien aufsteigen, die für die Änderung des Sorgerechts, für die ersatzlose Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch (übrigens die zentrale Forderung der berühmten 2. Welle-Feministinnen) und für das Nordische Modell, sprich die Freierbestrafung, eintritt? Genau: Vermutlich nicht sehr weit.
Deshalb sollten wir Frauen, statt uns an den bestehenden Parteien und einer überkommenen Demokratieform abzuarbeiten, uns besser darauf konzentrieren zu diskutieren, wie wir diese verkrusteten Strukturen aufbrechen und wie wir die Politik insgesamt feministischer, sprich auf das Leben fokussiert, gestalten können. Denn eins ist klar: Die Erde wird feministisch, oder sie wird untergehen. 
 

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