Religiöse Extremistinnen sind keine Gesprächspartnerinnen für Gewerkschaftsfrauen




Text: BG
Offener Brief an die Ver.di Frauen Hamburg

Liebe Ver.di-Frauen,
kürzlich erhielt ich Eure Einladung zu der Veranstaltung „Feminismus, Geschlecht und Macht“
mit Farah Bouamar. Vermutlich wisst Ihr nicht, dass Frau Bouamar sich im Spektrum der Muslimbruderschaft bewegt. Konkret: Farah Bouamar ist Teil des Youtube-Projektes „Datteltäter“, das diesem Geflecht zuzuordnen ist. Bereits seit 2015, laut Welt „für die Organisation zuständig“, so dass niemand behaupten kann, sie wisse nicht, in welchen Kreisen sie sich da bewegt.
Da Euch das vermutlich nichts sagen wird, lasse ich Euch hiermit einige Informationen darüber zukommen. Farah Bouamar ist keine „muslimische Feministin“, sondern Missionarin, Propagandistin des fundamentalen Islams.
Das Frauenbild der Muslimbruderschaft ist klar umrissen: die Frau ist für die Erziehung der Kinder und die Haushaltsführung zuständig, Erwerbsarbeit muss ihrer „Schamhaftigkeit“, die sie züchtig zu bedecken hat, angemessen sein, Berufstätigkeit ist nur erlaubt, sofern sie mit der Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter vereinbar ist (woran erinnert mich das bloß?), zu offener Kontakt mit Männern, z. B. Arbeitskollegen, ist zu vermeiden, ebenso Dienstreisen, bei denen die Frau allein unterwegs wäre. Das Haar ist bedeckt zu halten, nur nächste männliche Anverwandte dürfen es sehen.
In einem Vice-Interview lässt Farah Bouamar durchblicken, wie sehr sie diese Vorgaben  verinnerlicht hat, wie sie dies im Alltag in einer nicht-muslimischen Umgebung umsetzt und dass sie z. B. Urlaub in einem Scharia-Staat macht, um in den Genuss von geschlechtergetrennten Stränden zu kommen.
Damit outet sie sich als religiöse Extremistin und ist meines Erachtens keine Gesprächspartnerin für einen gewerkschaftlichen Frauenkreis. Deshalb schlage ich vor, statt mit ihr eine Diskussion mit Exil-Iranerinnen zu organisieren.

Die folgenden Informationen sind sehr ausführlich. Leider ist es nicht möglich, die Zusammenhänge in wenigen Sätzen zu erläutern. Deshalb würde ich Euch bitten, den Text tatsächlich durchzulesen und zu durchdenken.

Ein weltumspannendes Netzwerk
Die Muslimbruderschaft (MB) ist seit Ende der 1950er Jahre in Deutschland aktiv. Sie konnte sich seinerzeit im „Islamischen Zentrum München“ (IZM) ansiedeln, dieses zur Europazentrale ausbauen und mit finanzieller Hilfe u.a. aus Saudi-Arabien sich völlig legal in Deutschland und darüber hinaus ausbreiten. Die Kernorganisation ist die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V.“ (IGD), die sich kürzlich in „Deutsche Islamische Gemeinschaft e.V.“ (DIG) umbenannte. Die IGD, jetzt DIG, ist die einflussreichste Mitgliedsorganisation im „Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.“ (ZMD), dessen Vorsitzender Aiman Mazyek ist. ExpterInnen bescheinigen Mazyek und anderen, in Deutschland einen eigenständig agierenden Zweig des weltumspannenden Netzwerks der MB aufgebaut zu haben. Zum internationalen Netzwerk der MB gehört u.a. die Terrororganisation HAMAS, aber auch Wohltätigkeitsorganisationen wie „Islamic Relief“ (IR), die „Muslimische Jugend Deutschland e.V.“ (MJD) sowie verschiedenste Gruppierungen, in denen sich AnhängerInnen der MB mit denen der „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG) sowie DITIB engagieren. Die IGMG ist die türkische Muslimbruderschaft, bzw. deren deutscher Zweig. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoǧan ist eine einflussreiche Persönlichkeit im internationalen Geflecht der MB, da DITIB ihm über die Türkische Religionsbehörde direkt untersteht, ist auch DITIB diesem Geflecht zuzuordnen. Anfang Januar 2019 fand in der erst kürzlich von Erdoǧan persönlich eingeweihten DITIB-Moschee in Köln ein Kongress zum Thema „Europäischer Islam“ statt, mit dem diese Moschee in das Geflecht eingepflegt wurde. Dieser Kongress wurde kürzlich in Istanbul fortgesetzt. Das Ergebnis ist eine Kampfansage an die europäischen Gesellschaften; der fundamentale Islam hat in Köln den Grundstein dafür gelegt, sich in Europa als politische Kraft zu formieren.
Die Vorgehensweise der MB und ihr nahestehenden Organisationen sind wandlungsfähig. In Deutschland treten sie in Form von Edelzwirn-Dschihadisten auf, die auf den legalistischen Weg, den muslimischen Marsch durch die Institutionen, setzen, andernorts aber durchaus Terrororganisationen wie die HAMAs unterstützen.
Weitere Informationen zu dem Geflecht der Muslimbruderschaft findet Ihr hier:

Weit verzweigtes nationales Geflecht
Bezeichnend für dieses Geflecht ist es, immer mehr und sehr verschiedene Gruppierungen und Untergruppierungen zu gründen, so dass schließlich niemand mehr durchblickt, wer wer ist und wer hinter welcher Absicht steckt. So ist z. B. der „Inssan e.V.“, der so akribisch versucht, das Berliner Neutralitätsgesetz zu kippen, der MB zuzurechnen. Fereshta Ludin, die erste Muslimin, die versuchte, das Tragen des Hijabs im Staatsdienst einzuklagen, war früher im Vorstand der „Muslimischen Jugend in Deutschland e.V.“. Nachdem sie zunächst mit ihrer Klage scheiterte, fand sie eine Anstellung als Lehrerin in einer Privatschule in Berlin, die von der IGM betrieben wird. Finanziert wurde ihre Klage vom ZMD.
Zu diesem nationalen Geflecht der MB gehören neben der MB-Jugendorganisation auch „JUMA – jung, muslimisch, aktiv“, eine Organisation, die von der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli gegründet wurde während ihrer Amtszeit als stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amtes unter Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). JUMA vereinigt AnhängerInnen der MB, der IGMG und DITIB, junge Aktive, angehende AkademikerInnen, mit eindeutigem Bezug zum fundamentalen Islam. Das belegt schon der Eigenname, Juma ist das für gläubige männliche Mulime vorgeschriebene in der Moschee zu verrichtende Freitagsgebet. Aus dieser Vorschrift wird u.a. abgeleitet, warum Frauen nicht in die Moscheen dürfen: um den Männern nicht den Platz wegzunehmen. So ist es denn auch keine Überraschung, dass Sawsan Chebli zufolge 90%der JUMA-Aktivistinnen den Hijab tragen.

Die „Datteltäter“
Zu den Aktiven von JUMA gehört u.a. Younes Al-Amira, der als Comedian „Dattelträger“ auftrat, bzw. als Gruppe „Datteltäter“, ein Youtube-Projekt, welches „ein Teil des Jungen Webangebotes ´funk` des ARD und ZDF ist“ und 2017 mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde.
Younes Al-Amayra schrieb am 3. Juni 2010 auf seiner Facebook-Seite über Erdoǧan: „Ganz ehrlich, ich liebe diesen Mann!!!“ in Bezug auf eine Rede Erdoǧans beim Weltwirtschaftsforums Davos.
Ebenso in Bezug auf Erdoǧan teilt er einen Artikel des Blogs „Deutsch-Türkische-Zeitung“ mit der Überschrift „Halt‘s Maul Deutschland! Wer ist hier der Diktator?“ (21. Mai 2014)
Er verlinkt ein Video mit dem Titel „Islamfeindlichkeit“, in welchem die frühere Bundesministerin Kristina Schröder „als erste Frau als Führerin“ stigmatisiert wird, weil sie neben Fremdenfeindlichkeit genauso „Deutschfeindlichkeit“ beklagt hat (28. Oktober 2010). Er empfiehlt Veranstaltungen mit dem Islamisten Ferid Heider ( 17. März 2013), unterstützt die antisemitische Islamic Relief (5. April 2013). „Israelkritische“ Beiträge von z.B. „Free Palestine“ runden das Bild ab.
Der Mann mit diesem fragwürdigen Weltbild arbeitet als „Deradikalisierungstrainer für das Violence-Prevention-Network“, das u.a. vom Familien-, dem Innen- und dem Justizministerium, dem Bundesprogramm „Demokratie leben“, verschiedenen Behörden auf Landesebene, der Robert-Bosch-Stiftung sowie der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird.
Eine JUMA-Aktivistin posierte mit ienem Gewehr vor dem Holocaust-Mahnmal in Berlin. Dafür soll sie sich später entschuldigt haben, es sagt aber viel aus über die Ideenwelt derer, die sich im Umfeld der Farah Bouamar bewegen:


Zu den „Datteltätern“ gehört auch die Comedian Gülcan, die 2018 das Kulturprogramm des alljährlich vom „Kreis Düsseldorfer Muslime“ (KDDM)ausgetragenen Fußballcups bestritt. Auch der KDDM ist dem Spektrum der Muslimbruderschaft zuzurechnen, bei diesem Turnier werden Spenden für „Islamic Relief“ eingeworben. U.a. durch die Versteigerung von handsignierten Trikots von Mesut Özil, der gelegentlich auch die Schirmherrschaft für das Fußballturnier übernahm.
Die „Dattelträger/Datteltäter“ gehören zu dem „Neuen Deutschen Organisationen“ (NDO), wo sich diverse Gruppierungen aus dem MB-Spektrum mit diversen VertreterInnen der Zivilgesellschaft, NGO´s, Medien, Stiftungen, PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen, etc. vereinigen. Die NDO sind sozusagen die Drehscheibe zwischen dem fundamentalen Islam und der Mehrheitsgesellschaft – und zwar in all ihren Ebenen. Über das Kulturprojekt „MUTIK“, bzw. die „Junge Islam Konferenz“ erreichen sie Schülerinnen und Schüler, die so von jungen Jahren an an die Akzeptanz der Sonderrechte für orthodoxe MuslimInnen gewöhnt werden.
Die „Dattelträger“ sind bei dem NDO-Bundeskongress 2018 als Teilnehmende ausgewiesen, in trauter Mehrsamkeit u.a. mit der „Muslimischen Jugend in Deutschland e.V.“, „Inssan e.V.“, JUMA und anderen.

Das Frauenbild der Muslimbruderschaft
Wer wissen möchte, wie die Muslimbruderschaft die Stellung der Frau in der Gesellschaft definiert, sollte sich die Charta der Hamas von 1988 anschauen. Da steht in Artikel 17:
Die muslimische Frau spielt im Befreiungskampf eine ebenso wichtige Rolle wie der Mann, denn sie bringt Männer hervor, und ihre Rolle in der Orientierung und Erziehung der nächsten Generationen ist bedeutend. …“
Und weiter in Artikel 18:
„Die Frau im Dschihad engagierten Haus oder in der im Dschihad engagierten Familie, sei sie nun Mutter oder Schwester, hat eine ganz besonders bedeutende Rolle in der Führung des Haushalts und der Unterweisung der Kinder in den aus dem Islam abgeleiteten moralischen Vorstellungen und Werten und in der Erfüllung der religiösen Pflichten in Vorbereitung auf deren Rolle als Dschihad-Kämpfer, die sie erwartet. Daher ist äußerste Sorgfalt auf die Schulen und Lehrpläne zu verwenden, nach denen muslimische Mädchen erzogen werden, damit sie zu guten Müttern heranwachsen, die sich ihrer Rolle im Befreiungskampf voll und ganz bewusst sind. Frauen sollten unbedingt auch über ausreichende Kenntnisse und Verständnis in der Führung der Haushaltsangelegenheiten verfügen, denn sparsames Wirtschaften und das Vermeiden verschwenderischen Umgangs mit den Familieneinkünften sind unerlässlich, um auch unterwidrigsten Umständen durchhalten zu können. Sie sollten sich stets vor Augen halten, dass das zur Verfügung stehende Geld wie Blut ist, das nur in den Adern fließen sollte, um Jung und Alt gleichermaßen am Leben zu halten.´Den Gottergebenen, den Gläubigen, den Andächtigen, den Ehrlichen, Geduldigen, Demütigen, den Spendenden, Fastenden, den Keuschen und denen, die unablässig Gottesgedenken, ob es Männer oder Frauen sind, hat Gott Vergebung und höchste Belohnung verheißen`(33:35).“
Dieses Bild hat die Muslimbruderschaft in Ägypten unterdessen etwas modifiziert. Erwerbsarbeit ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sie muss aber mit der Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter vereinbar sein (woran erinnert mich das nur?). Außerdem darf diese Erwerbstätigkeit nur in bestimmten Bereichen ausgeübt werden – in Bereichen, in denen nur Frauen anwesend sind.
Die Kulturwissenschaftlerin Annette Ranko, die ihre Dissertation über die Muslimbruderschaft verfasste schreibt:
„ Gleiche Rechte für Mann und Frau sind im anvisierten Staat der Muslimbruderschaft nicht vorgesehen.
Im Islam kommt der Frau die besondere Verantwortung für die Erziehung der kommenden Generationen zu (siehe oben, Charta der Hamas, Anm. d. Verf.). Die intakte Familie sei der Kern der ägyptischen Gesellschaft, so argumentiert die Muslimbruderschaft, deshalb sei ihr Erhalt, den vor allem die Frau garantiert, von zentraler Bedeutung. Die Arbeitstätigkeit der Frau muss also mit ihrer Rolle als Mutter vereinbar sein und darf sie nicht an der Ausübung der mütterlichen Pflichten hindern. Laut Muslimbruderschaft unterscheidet sich die Frau ebenfalls durch ein ´verletzliches Schamgefühl` vom Mann. Aus diesem Grunde zieme es sich für die Frau, lediglich Gesicht und Handflächen zu zeigen – das heißt, ein Kopftuch zu tragen und mit ihrer Kleidung den Körper bis auf die Hände bedeckt zu halten. Auch der allzu offene Kontakt mit Männern im öffentlichen Raum soll vermieden werden.
Aufgrund ihrer ´Schamhaftigkeit soll die Frau den zu offenen Kontakt mit nicht verwandten Männern meiden. Die berufliche Tätigkeit der Frau sollte zu ihrer ´weiblichen Natur` passen, was den Beruf der Lehrerin, Kindergärtnerin oder Krankenschwester als besonders geeignet erscheinen lässt. Regelmäßige Dienstreisen hingegen, auf denen die Frau alleine unterwegs wäre, sind gering zu halten und freizügige Kleidung abzulehnen.  …“ (Ranko, Annette, Die Muslimbruderschaft – Portrait einer mächtigen Verbindung, Hamburg, 2014, S. 85 ff).

Die Lebenswelt der Farah Bouamar
Das Umfeld, in dem Farah Bouamar sich bewegt, ist wie gesagt eng mit der Muslimbruderschaft verwoben und ihre Ansichten und auch ihre Lebensweise decken sich an vielen Punkten mit den oben beschriebenen Vorgaben.. In einem Vice-Interview vom August 2017 gibt sie einen Einblick in ihre Ideenwelt. Sie erklärt: „Mein Vater und mein Onkel kennen meine Haare. Neben Brüdern, Söhnen und dem Ehemann dürfen die sie sehen. Unbeabsichtigt kam es mal vor, dass jemand meine Haare sah, beispielsweise unser Biolehrer auf Klassenfahrt in der 10. Klasse. Als wir nachts unsere Streiche spielten und die Türklinken mit Zahnpasta beschmierten, erwischte er uns. Dabei trug ich kein Kopftuch. Gelegentlich, wenn ich in unserem Haus zum Dachboden hochlaufe, spekuliere ich, ob es auch ohne Kopftuch geht. Manchmal kommt trotzdem jemand und ich muss schnell wieder runterlaufen. Als einmal der Postbote kam, habe ich mir schnell eine Jacke über den Kopf geworfen und die Wohnungstür aufgemacht. Er hat nicht schlecht gestaunt.“ Das entspricht exakt den Vorgaben der Muslimbruderschaft.
Weiter sagt sie:
 „Ich bin in einem Fitnessstudio für Frauen und kann so jederzeit ohne Kopftuch Sport machen und beispielsweise auch enge Sportklamotten tragen. Im Urlaub besuche ich private Strände nur für Frauen, also muss ich auch nicht aufs Sonnen verzichten oder einen Burkini tragen“.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Damit sind nicht Angebote für Frauen gemeint, wie wir sie uns in den 1970/80ern erkämpft haben, Frauentag im Schwimmbad und in der Sauna, wo wir Männer aus unserer Welt ausgeschlossen und somit deren Bewegungsfreiheit eingeschränkt haben, sondern spezielle rechtgeleitete, schariakonforme Sonderräume, mit denen Frauen aus der männlichen Gesellschaft ausgeschlossen werden. Und zwar nicht nur an einem oder zwei Tagen pro Woche, sondern komplett. Das ist die Lebenswirklichkeit von Frauen in jenen Ländern, in denen der Islam die einzige Quelle für das Recht ist, oder dieses zumindest dominiert. Eine Lebenswirklichkeit, die Farah Bouamar so gut es geht hier in Deutschland umsetzt, und ansonsten auf islamische Länder ausweicht, in denen diese Lebensweise die Regel ist. Getrennte Strände für Frauen und Männer gibt es in Deutschland nicht – und ich fände es sehr begrüßenswert, wenn das auch so bliebe. Das zu ändern, das ist das Anliegen von „muslimischen Feministinnen“ wie Farah Bouamar, bzw. der mächtigen Organisationen, die hinter ihr stehen.
Oft höre ich das Argument, ausschlaggebend sei nicht, was auf dem Kopf der Frauen sei, sondern darin. Farah Bouamar ist ein beredtes Beispiel dafür, dass der Hijab auf dem Kopf für eine totalitäre Ideologie im Kopf steht.
Es gibt keinen muslimischen Feminismus. Es gibt Musliminnen, die Feministinnen sind. Ohne Zweifel. Aber das sind jene, die sich genau gegen diese Geschlechterapartheid, wie sie das nennen, wehren.
Frauen wie Farah Bouamar sind Missionarinnen, Protagonistinnen des fundamentalen Islams, dessen Markenzeichen und Trophäe gleichermaßen der Hijab ist. Der Hijab ist das seidene Band des Dschihad – und es liegt an uns, wie lang es noch werden wird.


Was unsere Großmütter sonst noch (er)trugen
Allen, die nun denken, och, meine Großmutter hat auch ein Kopftuch getragen, seien daran erinnert, was unsere Großmütter sonst noch so (er)trugen:
Meine Großmütter trugen auch Kopftuch. Beide. Aber nicht als religiöses Zeichen, denn dann wären sie Nonne geworden und nicht meine Großmütter, schon gar nicht als Markenzeichen des religiös-politischen Fundamentalismus mit Weltmacht-Ambitionen und auch nicht als Zeichen der (Selbst)Unterwerfung. Sondern sie trugen es als Schutz gegen Wind und Wetter, wie es auch heute viele Frauen überall auf der Welt tun.
Meine Mutter und meine Tanten trugen Kopftuch. Ebenfalls als Wetterschutz, aber auch, weil es als "mondän" galt. US-Schauspielerinnen trugen sie, es kennzeichnete Damen mit Stil, also benutzten meine Mutter und meine Tanten bunte Tücher, wenn sie sich schick machen wollten.
Auch mir wurde als Kind ein Kopftuch umgebunden, sobald ich das Haus verließ. Später, selbst Mutter, habe ich verstanden, wie wichtig dieser Schutz gerade für Kleinkinder ist.
Meine Großmütter trugen also beide Kopftuch. Meine Großmütter haben beide zwei Weltkriege erlebt, den Ersten Weltkrieg selbst als Kind, den Zweiten Weltkrieg als Mutter. Die eine war allein mit zwei kleinen Töchtern und ziemlich auf sich selbst gestellt, die andere war Mutter sieben eigener Söhne plus zweier Stieftöchter. Als der jüngste Sohn - mein Vater - eingeschult wurde, musste der Älteste als Flakhelfer in den Krieg ziehen. Mit 16 Jahren gehörte er unfreiwillig zu des "Führers letztem Aufgebot".
Ob meine Großmütter sich den Mann selbst aussuchen durften, mit dem sie bis zu dessen Tod zusammenlebten und mit dem sie Kinder bekamen, oder aus irgendwelchen Erwägungen, die mit ihnen als Person nichts zu tun hatten, mit diesem verheiratet wurden, weiß ich nicht. Was ich aber weiß, ist, dass zu Zeiten als unsere Großmütter Kopftuch trugen, Zwangsheiraten durchaus üblich waren. "Arrangierte Ehen" ist das wohlklingendere Wort dafür.
Als meine Großmütter heirateten und auch später, als meine Mutter und meine Tanten Kopftuch trugen, durften sie kein eigenes Konto besitzen, durften ohne Zustimmung des Vaters, später des Ehemannes, nicht berufstätig sein und keinen Führerschein machen. Das galt bis 1977 - ein Jahr, nachdem ich selbst meine Berufsausbildung begonnen habe.
Meine Großmütter, meine Mutter und Tanten und auch die jungen die Frauen meiner Generation mussten, wenn sie ungewollt schwanger wurden und das Kind nicht austragen wollten, es sich von Quacksalbern auf dem Küchentisch in Hinterzimmern heruntergekommener Etablissements "wegmachen" lassen. Erst 1992 verabschiedete der Bundestag die sogenannten "Fristenlösung", nach der ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen straffrei ist.
Bis 1975 hatten Mütter kein Sorgerecht für ihre Kinder, auch nicht nach der Scheidung. Dieses wurde automatisch dem Vater zugesprochen, obwohl die Kinder zu fast 100% bei der Mutter lebten. Ledige Mütter galten als "gefallene Mädchen".
Bis 1997, da waren unsere Großmütter bereits verstorben, unsere Mütter trugen schon lange keine Kopftücher mehr und die Frauen meiner Generation bereits wieder geschieden, war Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand, sondern die "ehelichen Pflichten", zu denen auch der "Beischlaf" gehörte, waren gesetzlich festgeschrieben.
Unsere Großmütter trugen also Kopftuch. Jede, die dieses Argument in die Kopftuch-Debatte wirft, sollte sich überlegen, ob sie wirklich das, was unsere Großmütter und die Frauen ihrer Generation sonst noch (er)trugen, Frauen und Mädchen, die das Pech haben, in streng muslimische Gesellschaften oder Familien hineingeboren zu werden, zumuten möchten.
Geschweige denn, ob sie das als Zukunftsmodell für die gesamte Gesellschaft erachten. Wir sollten nicht so tun, als ob unsere Gesellschaft perfekt wäre, aber wir sollten aufhören, so zu tun, als ob wir nichts zu verlieren hätten.

Harte Frauenrealität
Statt Protagonistinnen des fundamentalen Islams ein Podium zu geben, sollten wir besser auf jene Frauen hören, die am eigenen Leib erfahren haben, was es bedeutet – vor allem für Frauen – wenn der fundamentale Islam sich ausbreitet. Frauen, die deshalb aus dem Iran geflüchtet sind, z. B.
Einige von ihnen wandten sich kürzlich mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit:
„Wir Exil-Iranerinnen in Deutschland unterstützen den Kampf der Frauen im Iran gegen den Schleierzwang. Trotz aller Widrigkeiten und der drohenden Gefahr von Verhaftung und Folter kämpfen die Frauen dort für das Recht, den Kopf frei zu haben.

Von den Frauen, die seit geraumer Zeit öffentlich gegen die Zwangsverschleierung protestieren, wissen wir, dass sie von Repressalien bedroht sind, einige von ihnen wurden bereits verhaftet. Trotzdem geben sie ihren Widerstand nicht auf. Wir bewundern den Mut dieser Frauen. Als Zeitzeuginnen der politischen Kehrtwende und die damit verbundene Etablierung frauenfeindlicher Sitten und Gesetze in unserer Heimat, wissen genau wie schnell eine politische Richtung die Religion instrumentalisieren, sich durch ihre Netzwerke und Plattformen, die sie zu bieten hat (Moschee und Vereine), verbreiten kann. Wir haben das alles im Iran erlebt, größtenteils genau deswegen den Iran verlassen, und beobachten nun tagtäglich, dass auch in unserer neuen Heimat Deutschland die Verschleierung von Mädchen aller Altersstufen ein zunehmendes Phänomen in der Öffentlichkeit und sogar staatliche Schule, die neutral und säkular bleibe sollten, geworden ist. Wir, die in dem muslimischen Kulturkreis geboren und aufgewachsen sind, sprechen von eigenen Erfahrungen und Erlebnissen, wir wissen genau wie durch Ängste und emotionale Verbindungen (wie bei allen anderen Ideologien und Religionen) Kinder, besonders Mädchen, manipuliert und indoktriniert werden.
...
Für uns bedeutet Feminismus, sich gegen jegliche patriarchalen Strukturen und Formen zu stellen, die die Frauen und Mädchen unterdrücken oder ausgrenzen. Wir schätzen den durch die hier existierende Demokratie ermöglichten Säkularismus, die Gleichberechtigung in der Bildung, was die politisch-religiösen Herrscher uns in unserer Geburtsheimat nicht möglich machte. Wir Exil-Iranerinnen sind keine Opfer. Wir haben uns bewusst für ein neues Leben in Deutschland entschieden und haben in unserer neuen Heimat bei null angefangen.
…“
Der fundamentale Islam ist meines Erachtens aktuell die größte Bedrohung für unsere Gesellschaft. Nicht, weil die totalitäre Ideologie gefährlicher wäre als andere, faschistische Ideologien z. B., sondern weil den Protagonistinnen und Akteuren des fundamentalen Islams überall Tür und Tor geöffnet wird: In der Zivilgesellschaft, bei Parteien, in den Medien, in der Wissenschaft, … So konnte es ihnen gelingen, sich völlig legal in allen Bereichen unserer Gesellschaft auszubreiten. Statt Widerspruch stoßen sie auf große Zustimmung. Die von Euch geplante Veranstaltung mit Farah Bouamar ist ein Beispiel von vielen. Deshalb fordere ich Euch auf, die Referentin wieder auszuladen und schlage vor, stattdessen eine Diskussion mit den iranischen Frauen zu organisieren.

Mit kollegialem Gruß
Birgit Gärtner
Journalistin, Ver.di-Mitglied, Hamburg
 


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