"Abgeschottet und gefährlich? Tschetschenische Islamisten in Deutschland"


 
(Quelle: https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/die-story/video-abgeschottet-und-gefaehrlich-tschetschenische-islamisten-in-deutschland-100.html)
Text: BG

Eine sehr gelungene und erhellende Dokumentation des WDR zu tschetschenischen Jihadisten in Deutschland und deren Umfeld

Der WDR-Beitrag „Abgeschottet und gefährlich? Tschetschenische Islamisten in Deutschland“ vom 17.4.2019 gewährt Einsicht in eine bislang verborgene Struktur: Radikale Tschetschenen in Deutschland. Redakteur Markus Thoess begibt sich auf die Spur radikaler Muslime, die zum IS ausgereist sind und trifft dabei auf junge Tschetschenen aus Bremen und Verbindungen zum IS-Terroristen Deso Dog, dessen Witwe Omaima A. kürzlich in Hamburg enttarnt wurde. Sie war mit einem Freund Deso Dogs verheiratet, der in die ewigen Jagdgründe mit den 72 Jungfrauen eingegangen ist, danach heiratete sie Deso Dog, der seinem Freund folgte. Als es allmählich eng wurde für den IS, machte sie sich auf Weg nach Hamburg. Sie konnte unbehelligt einreisen und als Übersetzerin und irgendwas mit Beauty arbeiten. 

Markus Thoess  verfolgt die Spuren der Tschetschenen nach Deutschland und trifft auf ein weit verzweigtes Netzwerk mit Hotspots in Bremen, Berlin und Ostwestfalen. Im beschaulichen Detmold engagierte Deso Dog sich dereinst in Dawa, Missionierung an Anwerbung von Mitstreitern, in dem Falle wurden auch Gotteskrieger rekrutiert. An seiner Seite männliche Mitglieder einer in Detmold ansässigen tschetschenischen Familie, alles deutsche Staatsbürger. Die Tochter, bzw. Schwester, einiger der „Missionare“, Fatima M., reiste später mit ihrem Ehemann, dessen Zweitfrau (die Familie, allesamt deutsche StaatsbürgerInnen, lebte in dieser Konstellation völlig unbehelligt in Detmold!) und ihren beiden Söhnen ins Kalifat aus. Der Mann kam im Kampf gegen die „Kufr“ ums Leben, die beiden Söhne werden seit einem Bombenangriff  vermisst. Anfang 2019 kehrte Fatima M. zu ihrer Familie zurück, die mittlerweile größtenteils in Paderborn lebt. Im Irak saß sie eine einjährige Haftstrafe ab. Sie soll Teil der weiblichen Scharia-Polizei des IS gewesen sein.
Ob es Kontakte gibt zwischen Fatima M. und Omaima A., der Witwe von Deso Dog, ist nicht bekannt. Das wäre allerdings eine spannende Frage, denn es ist bekannt, dass Frauen in den salafistischen Netzwerken eine große Rolle spielen.

Markus Thoess gewährt einen Blick in diese Strukturen, lässt Experten zu Wort kommen, etwa den Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes, der von einer stark von Gewalt geprägten Binnenstruktur in der tschetschenischen Community spricht, eine Tschetschenin und ein tschetschenischer Schwule schildern, was das für jene bedeutet, die nicht den strengen Regeln entsprechend leben, einige Jugendliche - deutsche Jugendliche, die Zukunft unserer Gesellschaft!!! - veranschaulichen ebenso unbefangen wie selbstverständlich den Alltag in der regelkonformen Community: Ein frühmittelalterliches Weltbild mit strikter Geschlechtertrennung, mitten in Deutschland, gelebt auf den Straßen Bremens, Berlins, Detmolds, Paderborns und unzähligen anderen Orten. Ein Mitglied im „Rat der Tschetschenen“ aus Berlin distanziert sich vom Terrorismus. Radikale Tschetschenen würden dem Ruf der gesamten Community schaden, sagt er. 

Auch wenn es im Beitrag heißt: „Die Mehrheit der Tschetschenen lebt absolut friedlich in Deutschland“ – ein Satz, den ich übrigens allmählich nicht mehr hören kann: Nein, das tun sie nicht. Sie leben nach ihren eigenen Gesetzen, die sind von Männern für Männer gemacht, die über den Rest der Familie/des Clans herrschen. Wenn der Vater ausfällt, wird das Bestimmungsrecht auf den ältesten Sohn übertragen, der dann auch seiner Mutter gegenüber weisungsbefugt ist. Die Kinder sind Eigentum des Vaters, bzw. dessen Familie. Falls er dessen Mutter verstößt, was dem Beitrag zufolge nicht selten der Fall ist, verbleiben die Kinder beim Vater, bzw. dessen Familie. Fazit: die Mehrheit der Tschetschenen in Deutschland lebt im Krieg. Da es aber ein Krieg gegen Frauen ist, interessiert es bloß niemanden und die Mär der „friedlichen“ Tschetschenen wird wieder und wieder erzählt werden.

Ein alles in allem sehr gelungener und sehr erhellender Beitrag. Bitte mehr davon. Wem der Kopf schwirrt, ob all der Namen, der Kreuz- und Querverbindungen, der verschiedenen Schauplätze im Irak und in Deutschland, in den verlinkten Artikeln lassen sich die Hintergründe nachlesen.

Danke an Birgit Ebel, Mitbegründerin der Initiative „Extremdagen!“, ohne die beides nicht möglich gewesen wäre: Der WDR-Beitrag und meine Artikel zu den salafistischen Strukturen in Ostwestfalen-Lippe und Fatima M.

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