Queerfeministische Waffe gegen postmodernes Unbehagen – die muslimische Frau






Text: Juliane Beer



USA, 21. Januar 2017, erster Tag nach Amtseinführung von Donald Trump: zahllose Frauen gehen in Washington auf die Straße, um ihrer Abneigung gegen den neuen Präsidenten Ausdruck zu verleihen. Initiiert hatte die Aktivistin Teresa Shook diese Demo bereits im November 2016 über einen Facebook-Aufruf. Unter anderem wurden die Teilnehmerinnen dazu ermuntert, als Erkennungszeichen der Bewegung sogenannte pussy hats zu tragen, rosa Strickmützen, die man als albern bezeichnen kann, die jedoch, wie sich wenig später herausstellte, das Harmloseste der Veranstaltung bleiben sollten.

Es folgten weitere Demos gegen Trump, an denen tausende Frauen teilnahmen, schließlich entstand das Women’s-March-on-Washington-Event.

So weit so gut.

Ein Event, das so populär wird, braucht gute Organisation. Also bildete sich zu diesem Zweck ein Team aus Vanessa Wruble, Tamika D. Mallory, Carmen Perez, Linda Sarsour und Bob Bland.

Mindestens Linda Sarsour war bereits zu diesem Zeitpunkt keine Unbekannte mehr. Die gläubige Muslimin, nach eigenen Angaben glücklich in arrangierter Ehe lebend, war einige Jahre zuvor Initiatorin der Performance „The Hijabi Monologues“ gewesen, in der es um die positive Darstellung weiblicher Verschleierung ging. Dafür wurde Sarsour 2011 vom weißen Haus unter der Regentschaft von Präsident Obama als Heldin des Wandels ausgezeichnet. Warum es einen Wandel darstellt, das Unsichtbarmachen von Frauen als stylisch und positiv darzustellen, blieb bereits damals ein Rätsel.

Im September d. Jahres schied Sarsour aus dem Vorstand des Women´s March aus, um in Bernie Sanders‘ Wahlkampfteam mitzuwirken. Ersetzt wurde Sarsour durch Zahra Billoo, ebenfalls gläubige Muslimin und Hijab-Trägerin, die sich zuvor bereits durch das Philosophieren auf Twitter einen Namen gemacht hatte.

Zitat Billoo:

„Kein Bedarf an einem Holocaust-Museum, in Anbetracht dessen, dass Israel es auf sich genommen hat, einen neuen zu schaffen. #Israel #Nazis“ Zitat Ende

Zitat Billoo:

„Die Hamas zu verurteilen, Raketen auf [Apartheid] Israel abzufeuern, ist wie eine Frau zu verurteilen, ihren Vergewaltiger zu schlagen.“ Zitat Ende


Immerhin - die Wahl Billoos in den Women´s March-Vorstand löste Proteste aus, keine zwei Tage später schied Billoo wieder aus dem Vorstand aus. Nun war es jedoch keineswegs so, dass Billoo eingesehen hatte, mit offen antisemitischen Twittereien nicht jede Frau begeistern und zum Mitmachen beim Women´s March animieren zu können. Im Gegenteil. Ein Dementi war von ihr bis heute nicht zu hören, dafür überschlugen sich ihre Anhängerinnen, einen Empörungssturm, nach dem Billoo Opfer von ´antimuslimischem Rassismus´ geworden wäre, unter deren Twitter Posts zu entfachen.


Veranstaltung für muslimische Frauen?


Falls es bis hier hin noch nicht deutlich geworden ist: der Women´s March ist keine Veranstaltung für muslimische Frauen, die ihrer Heimat USA zwar auf der einen Seite Vorteile abgewinnen können, nämlich vermutlich den, dort ein freieres Leben führen zu dürfen als in muslimisch geprägten Ländern, sich jedoch dennoch nach Traditionen muslimisch geprägter Gesellschaften sehnen und nun gegen die Unvereinbarkeit beider Systeme anrennen. Der Women´s Marsch ist vielmehr eine Veranstaltung, die von Anfang an ebenso andersreligiöse oder atheistische Frauen jedes Alters und jeglicher sexueller Orientierung, jeglicher Hautfarbe und jeglicher Nationalität ansprechen sollte und auch tatsächlich anspricht.

Grundtönung


Die Zerrissenheit zwischen Moderne und Tradition der muslimischen Amerikanerinnen im Women´s March-Team, sowie das Weltbild vieler Aktivistinnen, die sich der sogenannten dritten Welle des Feminismus, auch Queerfeminismus genannt, zurechnen, sorgten jedoch von Anfang an für eine anti-emanzipatorische Grundtönung, die von Unterstützerinnen des Women´s March gar nicht oder nicht nennenswert kritisch reflektiert wurde.


Vor der eigenen Haustür kehren

Deutschland. Auch hier spricht der sogenannte Queerfeminismus zahllose Frauen, zumeist unter 40 und links gesinnt, an.    Und auch hier stellt eine bestimmte Gruppe reaktionärer Frauen kein Problem für Queerfeministinnen dar.

2019: das Netzwerk Frauen*streik, das unterstützenswerte Forderungen nach Selbstbestimmung, Antirassismus und sozialer Absicherung formuliert und Mitte März einen recht erfolgreichen Frauen-Generalstreik als Teil einer internationalen Aktion auf die Beine stellte, zählt eine Berliner Gruppe zu ihren Bündnispartnerinnen, die bedenkliche Positionen vertritt. So wird von den Berlinerinnen die in Teilen antisemitische Organisation BDS unterstützt, darüber hinaus wurde im April 2019 Redefreiheit in Berlin für die Terroristin Rasmea Odeh gefordert und diese als Feministin und Freiheitskämpferin gefeiert. Frauen, die für Selbstverständlichkeiten wie das Existenzrecht Israels eintreten werden als Rassistinnen beschimpft. Auf der Facebookseite der Berliner Gruppe werden kritische Kommentare unter antiisraelischen Posts verschwörungswahnsinnig als ´zionistischer Sturm´ bezeichnet, usw. usf. All das wurde bislang von der Frauen*Streik-Gesamtorganisation weder thematisiert, schon gar nicht kritisiert.


#unteilbar


Ein weiteres, vermutlich bekannteres Beispiel für die Kooperation von Queerfeministinnen mit anti-emanzipatorischen Kräften ist das Bündnis #unteilbar, dem islamistische Gruppierungen, die der Muslimbruderschaft nahestehen, angehören. Bei Demonstrationen in Berlin und später in Leipzig kam es, wie KritikerInnen vorausgesagt hatten, zu islamistischer PR und offenem Antisemitismus. Geduldet wurde dies von zahllosen Frauen, zumeist aus dem linken, queerfeministschen Lager, die bei den Demos mitliefen und später antisemitische, frauen- und homosexuellenfeindliche Ausfälle relativierten oder gar verteidigten.

Wie kann das sein?


Eine Weltanschauung, die Frau vorschreibt, ihr Haar zu verbergen, um den Mann nicht zu erregen, statt dem Mann vorzuschreiben, seine Genitalien festzubinden oder sich sonst etwas zur Triebbesänftigung einfallen zu lassen, wird von `Feministinnen` nicht nur akzeptiert sondern verteidigt und beschützt. Eine Weltanschauung, die Frauen selbstbestimmte Sexualität oder Ehescheidung verbietet, eine Weltanschauung, die nicht selten tödlich endende Frauenbeschneidung gebietet, Kinderehen (minderjährige Ehefrauen für erwachse Männer, nicht Jungen für erwachsene Frauen!) befürwortet, eine Weltanschauung, die bei Nichtbeachtung der Gebote das Erschießen, Erstechen, Steinigen von Frauen fordert, wird nicht nur akzeptiert, sondern als Kultur einer vermeintlich zu beschützenden Gruppe verteidigt und relativiert. Kollaborateurinnen dieser Männerdiktaturen dienen als Galionsfiguren der freiwilligen Verhüllung und Unterwerfung und als schützenswerte Geschöpfe, auch wenn diese vermeintlich Schützenswerten auf den Schutz solcher Schwestern pfeifen, die unter Einsatz ihres Lebens gegen Kopftuchzwang und Zwangsehe kämpfen. Und genau das macht queerfeministische Solidaritätsforderungen so giftig. Die, die sich mit dem Patriarchat gegen ihre Schwestern verbünden, brauchen keine Solidarität von emanzipierten Frauen. Und denen, die Solidarität von emanzipierten Frauen bräuchten, weil sie gegen das Patriarchat aufstehen, verweigern nicht wenige Queerfeministinnen die Solidarität.


Opferrolle?


Warum aber besteht queerfeministische Solidarität mit regressiven Musliminnen jedoch nicht mit Evangelikalen oder ultraorthodoxen Jüdinnen? Ist es die zur Meisterschaft gebrachte Kunstfertigkeit islamistischer Konservativer und Hardliner, sich als Opfer zu stilisieren und damit an die andressierte Hilfsbereitschaft von Frauen zu appellieren? Auch die allermeisten Frauen mit westlicher Sozialisation haben gelernt, dass Opferschutz bedeutet, eigene Belange und eigenes Wohlergehen hinten an zu stellen.

Möglicherweise spielt die Selbststilisierung zum Opfer eine Rolle, aber sicher nicht die entscheidende. Christinnen und Jüdinnen sind immerhin in mindestens eben so vielen Teilen der Welt Opfer von Verfolgung und Gewalt, wie in den Medien nicht zu übersehen ist - ohne den Beschützerinstinkt des Queerfeminismus zu erwecken.


Vorbilder?


Die amerikanische Professorin Judith Butler, Gottmutter queerer Befindlichkeit, lobt die Burka als Zeichen weiblicher Bescheidenheit, unterstützt BDS und setzt sich für eine Einstaatenlösung ein. Wie kürzlich in einem Faz Artikel https://edition.faz.net/faz-edition/geisteswissenschaften/2019-08-14/382657d5df732ce5989dd4f9f29a5afa/?GEPC=s1&fbclid=IwAR05kQHtPbpC_eqjjeYS23grSAjxyqJ5910aeSFB6kize2X13LVkwHs9WIA

(heraus) zu lesen war erklärt sie den Islam, und zwar den Islam mitsamt Frauen- und Homosexuellenverachtung, nicht nur zum zeitgemäßen Gegenentwurf zur westlichen Welt, sondern zur authentischen Revolution gegen Kapitalismus und (Post)Moderne. Dass Frauen die ersten Opfer wären, würden Butlers ´revolutionäre´ Systeme und damit die Scharia weltweit regieren, scheint für die Professorin nebensächlich zu sein, aber nur auf den ersten Blick. Betrachtet man ihre Texte genauer wird klar, dass sie Scharia und Diktatur eben nicht für sich selbst – berufstätig und mit einer Frau verheiratet - oder überhaupt für die westliche Frau fordert, sondern für Frauen der muslimischen Welt.

In Anbetracht emanzipatorischer Frauenkämpfe gegen den Klerikalfaschismus, beispielsweise im Iran – ist Butlers Forderung Arroganz, gar Antifeminismus? Da sich heute die haarsträubendsten Strömungen als Feminismus bezeichnen gehe ich mit dem Begriff Antifeminismus äußerst vorsichtig um.

Wie also ist Butlers Forderung zu verstehen?

Als Entmenschlichung der muslimischen Frau, die für Butler lediglich als Kanonenfutter im Kampf gegen den Kapitalismus dient? Islamistische Umtriebe sind für sie dazu geeignet, dem Kapitalismus Denkzettel und Dämpfer zu verpassen, ihn in seiner Arroganz zu bremsen. In Butlers Leben eingreifen und die Professorin unter den Schleier und in eine heterosexuelle Ehe zwingen, soll die Anti-Kapitalismus-Armee hingegen nicht. Es existieren zumindest keine diesbezüglichen schriftlich fixierten oder öffentlich vorgetragenen Forderungen. Ist es also die jahrtausendalte Kulturkriegsführung unter Zuhilfenahme von Frauenkörpern, die Butler unter ihren Anhängerinnen wieder populär gemacht hat? Das Wohl muslimischer Mädchen und Frauen ist hier deshalb irrelevant, weil diese zu abstrakten revolutionären Objekten stilisiert wurden, die gegen postmoderne, hoch differente Zustände, die das westlich sozialisierte Subjekt hilflos machen, ins Feld geführt werden. Das würde immerhin auch den Hass und die Ausfälle der linken, queerfeministischen Szene gegen aufgeklärte Musliminnen erklären, die sich dagegen wehren, als Waffe missbraucht zu werden gegen westlichen Kulturverdruss und die Unfähigkeit, dem Kapitalismus ein funktionierendes System entgegen zu setzen.

Dem globalen Kapitalismus vorsintflutliche Barbarei entgegen setzten - ist das das Rezept einer postmodernen, westlichen Strömung namens Queerfeminismus?

Falls ja sind unterdrückte, gequälte und ermordete Frauen, dieses Mal muslimische, offensichtlich lediglich wieder der Kollateralschaden.

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