Linke Verhältnisse - Teil I

 

 Text: Birgit Gärtner

 Die Anti-Lanzmann-Aktion


Am 13. Dezember jährte sich in Hamburg zum 10. Mal ein denkwürdiges Ereignis – eine Protest-Demonstration gegen das „Internationale Zentrum B5“ – das einem noch denkwürdigeren Ereignis folgte: Der Verhinderung der Vorführung des Films „Warum Israel?“ des französischen jüdischen Filmemachers Claude Lanzmann am 25. Oktober 2009. Zum ersten Mal seit 1945 wurde in Deutschland die Vorführung eines jüdischen Films verhindert – und zwar von Linken. Die Reaktion in der Restlinken auf die „antizionistische Aktion“ war sehr verhalten, mit kritischen Stimmen wurde härter umgegangen als mit den wackeren „Antizionisten“, deren Aktion vielen zwar für über das Ziel hinausgeschossen erschien, die ihnen aber irgendwie auch aus dem Herzen sprach..

Was ist passiert?
Am 25. Oktober 2009 sollte im „B-Movie“, einem kleinen selbstverwalteten Kino im Hamburger Stadtteil St. Pauli, der Film „Warum Israel?“ (im Original „Pourquoi Israel?) von Claude Lanzmann vorgeführt werden; initiiert von der Gruppe „Kritikmaximierung“, die in dem sogenannten „antideutschen“ Spektrum verortet wurde. Das Kino war Teil eines im Rahmen des Häuserkampfs in den 1980er Jahren erkämpften Kulturzentrums, agierte allerdings autonom, beide, „B-Movie“ und „Internationales Zentrum“, wurden eigenständig verwaltet, sie waren lediglich in demselben Gebäude untergebracht und teilten sich die Toiletten.
Im „Internationalen Zentrum B5“, kurz „B5“ war die antiimperialistische und internationalistische Szene zuhause. „Die Antiimps“ sind grob gesprochen ein Relikt aus  der Zeit des Linksterrorismus in Deutschland, diejenigen, die die Inhaftierten unterstützen und sich bis heute positiv auf die RAF beziehen.  In der B5 trafen sich verschiedene Gruppierungen, die reihum abends für den Betrieb des B5-Cafés sorgten, eine der in der linken Szene weit verbreitete „VoKüs“, sprich Volksküchen, in denen günstig Essen und Getränke angeboten wird. Zu diesen Gruppierungen gehörte die „Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen“, das „Anti-Imperialistische Antikriegs-Bündnis“, die „Kurdistan-Solidarität“, die „Palästina-Solidarität“, die „Sozialistische Partei des Iran“ (SPI), „SOL“ eine von jungen Türken determinierte sozialistische Jugendgruppe, türkische und lateinamerikanische Gruppierungen sowie eine Gruppe Asylsuchender aus Togo. Die „Kurdistan-Solidarität“ wurde vorher nicht in das Vorhaben eingeweiht und distanzierte sich anschließend davon. Als einzige B5-Gruppe, außer der Gruppe Asylsuchender aus Togo, die den Raum ausschließlich als Treffpunkt nutzte und an dem politischen Geschehen des Zentrums nur im Hinblick auf antirassistische Aktionen, z. B. für ein Bleiberecht, involviert war.
Das Kino hatte einen separaten Eingang und einen Zugang zum „Internationalen Zentrum“, über den die Toiletten im Keller erreichbar waren. Der Weg zum WC führte vorbei an offenen Räumlichkeiten des „Internationalen Zentrums“, in denen Treffen abgehalten, Plakate und Transparente gemalt und Materialien aufbewahrt wurden. Die Toiletten waren zudem über eine Kellertreppe vom Hof direkt vor dem Eingang des Kinos zugänglich, allerdings führte auch dieser Weg durch die vom „Internationalen Zentrum“ genutzten Räumlichkeiten.
Da die Internationalisten offenbar weniger mit Cineastinnen als mit einem Spähtrupp des Mossad rechneten, beschlossen sie, „den Antideutschen“ den Zugang zu verwehren, damit diese keinen Einblick in ihren Arbeits- und Lagerbereich bekämen. Nicht nur zu den Toiletten, sondern statt z.B. ein Dixi-Klo als Alternative zu bestellen und den gemeinsamen Keller vorübergehend zu verriegeln, entschieden sie, die Filmvorführung zu verhindern. Es wurde ein „israelischer Checkpoint“ auf dem Weg zum Kino errichtet, den zu überwinden nicht einmal den Betreibern des „B-Movies“ erlaubt wurde. Dieser „Checkpoint“ sollte den Gästen des Kinos palästinensische Realität vor Augen führen, die indem Lanzmann-Film schlicht ignoriert werde. Die potentiellen Gäste des Kinos wurden beschimpft, bepöbelt, bespuckt und tätlich angegriffen. Ein älterer Aktivist zog seinen Gürtel aus der Hose, um damit Menschen zu traktieren. Außerdem wurden die Gäste gefilmt. So sollte festgehalten werden, wer da in die Heiligen Hallen des Zentrums eindringen wollte. Als Rechtfertigung der Aktion. Wer mit diesem „Belastungsmateriel“ von der Richtigkeit und Wichtigkeit des Handelns überzeugt werden sollte, war zu dem Zeitpunkt indes unklar.


 Warum nicht Israel
Zu der Aktion wurde ein Flugblatt verteilt mit der Überschrift „Warum nicht Israel“, was genau das aussagen sollte, was der Titel suggeriert: Weg mit Israel. In dem 4-seitigen Flugblatt, das sofort nach der Aktion aus dem Verkehr gezogen wurde, hieß es, der Film verschweige „die Tatsache, dass der Staat Israel auf den Trümmern von 500 arabischen Städten und Dörfern entstanden ist und ca. 700.000 PalästinenserInnen aus ihrer Heimat vertrieb“. In der Westbank werde „vom israelischen Staat und Rechtsradikalen mit Schusserlaubnis weiter Siedlungen aufgebaut.“ Ein Film, der das Thema Israel behandele und das gesamte Ausmaß der Besatzung und Vertreibung unerwähnt ließe, könne „niemals die Antwort geben was Israel wirklich ist. Der Film suggeriert, dass Israel nur eine Zufluchtstätte der Juden vor dem Antisemitismus sein, aber verschweigt, dass Israel zugleich die Existenzberechtigung der PalästinenserInnen untergräbt.“
Claude Lanzmann wird darin als Kriegshetzer verunglimpft, der Film als „Kriegspropaganda“, der Gruppe „Kritikmaximierung“ attestiert, dass sie „eindeutig aus dem rassistischen Spektrum der Antideutschen kommt“, was ihre Filmauswahl bestätige. 
Theodor Herzl habe in seinem Buch „Der Judenstaat“ die Parole vom „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ 1886 „erfunden“ und den „Kolonialmächten die Errichtung eines ´Vorpostens`“ angeboten. „Theodor Herzl ging es nicht um Fragen des Glaubens, sondern ausschließlich um die rücksichtslose Durchsetzung ideologischer und strategischer Belange. Auf dem 1. Zionistischen Weltkongress in Basel wird Palästina zum Zielgebiet kolonialer Einwanderung erklärt.“ England habe sich nach der Auflösung des Osmanischen Reiches der zionistischen Bewegung als „Schutzmacht“ angeboten und als Kolonialmacht „die schleichende Eroberung Palästinas durch die Zionisten“ gefördert.
Zur Begründung der Anti-Lanzmann-Aktion hieß es in dem Flugblatt:

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Wir sehen es als unsere Aufgabe an, der menschenverachtenden Hetze der „Antideutschen“ hier und jetzt entgegenzutreten. Wo wir linke, antifaschistische und alternative Freiräume gegen sie verteidigen können, ist das unsere Pflicht als emanzipatorische Menschen. Wir können und werden nicht tolerieren, dass Menschen Kriegspropaganda und rassistische und islamophobe Hetze verbreiten. Darum steht Ihr heute vor einem inszenierten israelischen Checkpoint, wie es sie in Palästina zu Hunderten gibt. Natürlich können wir den Horror nicht in seiner Gänze darstellen, wenn z. B. Krankenwagen nicht durchgelassen werden und darum Menschen verrecken müssen.
>> 

Der Film entstand um 1970, Claude Lanzmann bereiste damals Israel und fragte Jüdinnen und Juden, warum sie in Israel lebten, aus welchen Gründen sie eingewandert seien. Wie sich später herausstellen sollte, interessierte er sich auch für die damals in Israel gerade aufkommende kontroverse Debatte über die Siedlungspolitik. Der Film wurde infolge der Verhinderungs-Aktion nicht nur in Hamburg vermutlich häufiger gezeigt und hatte weltweit ein größeres Echo als bei seiner Entstehung Anfang der 1970er. Lanzmann zeigt darin ein sehr widersprüchliches Israel und sehr unterschiedliche Motivationen von Jüdinnen und Juden, sich in Israel niederzulassen, oder auch auszuwandern, die mitunter auch mit Spott bedacht wurden. Der Film ist alles andere als ein unkritisches Loblied auf Israel, geschweige denn „Kriegshetze“, Lanzmann trägt lediglich dem Umstand Rechnung, dass überall auf der Welt Jüdinnen und Juden Israel als sicheren Hafen in der Not betrachten. Das hat sich seit 1970 nicht geändert – im Gegenteil aktuell wandern wieder sehr viele z. B. aus Europa aus. 

 
Fusion des abend- und des morgenländischen Antisemitismus
Vorbereitet wurde die Aktion von den erwähnten Gruppierungen des „Internationalen Zentrums B5“ und der „Tierrechtsaktion Nord“ (TAN), eine eher weniger „international“ aufgestellten Tierrechtsgruppe um eine Journalistin, die sich aber bei der Aktion direkt dezent im Hintergrund hielt. Mehrheitlich wurde der antizionistische Schutzwall von Migranten aufgebaut und gewaltsam verteidigt. Das sei erwähnt, nicht um sagen, guckt mal, die Deutschen waren das gar nicht, sondern rein deutsche Gruppierungen hätten sich das zu dem Zeitpunkt nicht getraut. Der als „Antizionismus“ getarnte Israelhass wurde hinter den Interessen „der PalästinenserInnen“ versteckt, die zu vertreten die Aktivisten sich anmaßten. Deshalb wurde die „Kurdistan-Solidarität“ im Vorfeld auch außen vorgelassen, weil diese ausschließlich aus Deutschen bestand, die alle ihre politischen Wurzeln im Kampf gegen alte und neue Nazis hatten und eine solchen Bruch mit den Traditionen des Antifaschismus zumindest zu dem Zeitpunkt nicht mitgetragen hätten. Die Anti-Lanzmann-Aktion war sozusagen das erste Mal, wo hierzulande der abendländische und der morgenländische Antisemitismus öffentlichkeitswirksam miteinander fusionierten, dabei den lateinamerikanischen mit einbezog und der Israelhass, im Grunde Judenhass, sich gewaltsam Bahn brach.  Die Aktion zeigte, wie kompatibel die abend- und die morgenländische Spielart des Judenhasses, deklariert als „Antizionismus“, sind.
Die Kurdistan-Solidarität distanzierte sich anschließend öffentlich von der Aktion und zog nicht nur deswegen aus dem „Internationalen Zentrum B5“ aus. Allerdings sind die Differenzen längst beigelegt und es finden schon lange wieder gemeinsame Aktionen statt, z. B. im Rahmen der Rojava-Solidarität.
Die B5 in der damaligen Form existiert schon lange nicht mehr, einige Gruppen gingen ein, andere suchten sich andere Treffpunkte.
Bei der TAN handelte es sich um eine vegane Tierrechts-Vereinigung, die einzig der „Antizionismus“ mit dem „Internationalen Zentrum B5“ verband. Zu der TAN eine Journalistin, die mit dieser Aktion überregional von sich reden und bei der Tageszeitung junge Welt schließlich „Karriere“ machte. Sie berichtete seinerzeit über die Aktion für die Tageszeitung „Neues Deutschland“, obwohl die Redaktion Kenntnis davon hatte, dass sie zu den Hintermännern, bzw. frauen gehörte.

Die Filmvorführung fand doch noch statt – mit persönlicher Begleitung von Polizeibeamten
Das Kino wollte die Aktion nicht stehen lassen und plante eine zweite Aufführung für den 13. Dezember 2009. Begleitend wurde eine Demonstration gegen das „Internationale Zentrum B5“ aus dem „antideutschen“ Spektrum organisiert. Statt an dem Tag die Rollläden runter zu lassen, die Demo zu ignorieren, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, fuhr das „Internationale Zentrum B5“ erneut groß auf: Boxen wurden vor dem Zentrum platziert, aus denen laute Musik dröhnte, Trillerpfeifen sorgten ebenfalls für Lärm, die Teilnehmenden der Demo wurden lautstark beschimpft und mit Gesten wie geballte Faust bedroht. Die Polizei richtete letztlich eine Sperrzone zwischen Zentrum und Demo ein, die Kinogäste wurden durch ein Polizeispalier ins Kino geleitet. Dabei wurden sie erneut beschimpft und gefilmt. Es sei noch einmal wiederholt: Die Besucherinnen und Besucher des Kinos, die einen Film eines berühmten jüdischen Regisseurs schauen wollten, wurden von wutschnaubenden und gewaltbereiten Linken bedroht, nicht von gewaltbereiten Neonazis.




Kritische Stimmen wurden zum Schweigen gebracht
Das Feuer blieb allerdings auch aus: Die Aktion hatte ein weltweites Echo – nur in der (Hamburger) Linken passierte … nichts. Mit wenigen Ausnahmen jedenfalls. Selbst das „Hamburger Bündnis gegen Rechts“, ein Zusammenschluss verschiedener Gruppierungen, die gemeinsam antifaschistische Aktionen plante und durchführte, monierte lediglich, dass es bei der Aktion zu Gewalt gekommen sei, der Inhalt der Aktion und die Ungeheuerlichkeit, die Vorführung eines jüdischen Films verhindert zu haben, wurde gar nicht groß thematisiert.
Die Hamburger „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) positionierte sich gar nicht zu dem Vorfall, das übernahm schließlich der Berliner Zweig, der zu besagte Demo am 13. Dezember 2009 aufrief.
In der Tageszeitung „junge Welt“ machte der damalige stellvertretende Chefredakteur aus Claude Lanzmann einen „israelischen Filmemacher“, gegen dessen Filme quasi notwendigerweise Widerstand geleistet werden müsse.
Im Nachhinein wurde aus dem gewaltsamen Übergriff auf potentielle Kinobesucherinnen und -besucher ein Angriff „der Antideutschen“ gegen die internationalistisch aufgestellte B5, letztlich ein Akt des Rassismus, weil die – vorwiegend weißen – „Antideutschen“ es nicht ertragen könnten, dass sich Migrantinnen und Geflüchtete eigenständig organisierten.
Diese Darstellung wurde dankbar aufgegriffen und ist als Legende in die Annalen der Linken eingegangen. Jedenfalls des Teils, der sich heute primär dem „Antizionismus“ und „antimuslimischen Rassismus“ widmet.
Eine Politikerin der PDS, heute DIE LINKE, die die Anti-Lanzmann-Aktion ebenfalls öffentlich kritisierte, wurde hingegen in Publikationen als „Steigbügelhalterin des Imperialismus“ verunglimpft.
Das „Hamburger Forum“, die organisierte Friedensbewegung in Hamburg, hat die Ereignisse weitestgehend unkommentiert an sich vorbei ziehen lassen – bis Anfang 2010 der nächste Ostermarsch anstand. Das „Internationale Zentrum B5“ war Teil des erweiterten Kreises um das Friedensbündnis und es war Sitte geworden, dass sowohl ein Vertreter des „Internationalen Zentrums B5“ als auch der „Karawane der Flüchtlinge und MigrantInnen“ beim Ostermarsch einen kurzen Redebeitrag hielten. Da die beiden langjährigen Moderatorinnen des Ostermarsches das „Hamburger Forum“ vor die Wahl stellten, entweder diese Redner zu streichen, oder sich andere Moderatorinnen zu suchen, musste sich die Friedensvereinigung verhalten. Und wie sie sich verhielt: Sie hat sie sich für die liebgewordene Tradition entschieden, einen Vertreter des „Internationalen Zentrums B5“ und der „Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen“ reden zu lassen und zwei langjährige Moderatorinnen abserviert. Damit ist das „Internationale Zentrum B5“ ganz offiziell wieder in den Schoß der Hamburger Linken aufgenommen worden und jede kritische Debatte über die Anti-Lanzmann-Aktion war damit hinfällig. Einer der SOL-Aktivisten war federführend in die Vorbereitungen der Proteste anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg 2017 involviert. An diesen Protestaktionen beteiligten sich auch ein Teil derer, die die Anti-Lanzmann-Aktion seinerzeit kritisierten. Somit ist sie sozusagen aus dem kollektiven Gedächtnis der Linken ausradiert worden. 
 


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