Trauer nach Neuköllner Art und eine überfüllte jüdische Volkshochschule

charakter, fantasie, fiktion
Bild: eine von 72 Jungfrauen in freudiger Erwartung



Text Juliane Beer

Berlin, 9. Januar 2020. Ab dem späten Nachmittag wird in Berlin-Neukölln getrauert. Um Qasem Soleimani, Folterer und Mörder zahlloser Frauen, Homosexueller und RegimegegnerInnen. Es haben sich laut Presse rund 100 Trauergäste in der Neuköllner Imam-Riza-Moschee eingefunden. 50 Menschen, Mitglieder des Bündnisses „Stop the bomb“, das sich u.a. für einen iranischen Staat ohne Atomwaffen und für die Stärkung von Frauenrechten im Iran einsetzt, sowie iranische RegimegegnerInnen finden sich zu einer Gegendemonstrationen ein. „Wir protestieren gegen die Glorifizierung von islamistischem Terror und Antisemitismus und für die Unterstützung der demokratischen Proteste im Iran" hieß es in der Ankündigung.

Kritik aus der Politik wird erst auf Druck des Bündnisses und iranischen RegimegegnerInnen laut. Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) erklärt auf Facebook, er finde "eine Trauerfeier für einen Terroristen unangemessen" Den Konflikt im Nahen Osten „können wir in Neukölln nicht lösen, und wir werden nicht zulassen, dass er hier fortgeführt wird". Er forderte: "Mäßigung von allen Seiten und für ein friedvolles Miteinander".

Mäßigung von allen Seiten? So?

Das kann man nur mit viel Mühe als gut gemeinte Worte bezeichnen, die aber vermutlich die Mullah im Iran, deren Arme bis nach Deutschland/Berlin reichen, so oder so nicht beeindrucken dürften. Zu Hikels Ehrenrettung sei angemerkt, dass viele seiner ParteigenossInnen in Bezug auf den Iran nicht mal zu einer Worthülse wie dieser zu bewegen sind.

Wie die Iran-Affinität, die eine solche Trauerfeier in Deutschland möglich macht, zu erklären sei, wollte ich auf der wenig später stattfindenden völlig überfüllten Buchvorstellung in der jüdischen Volkshochschule den Referenten Stephan Grigat fragen. Um voraus zu greifen: ich habe meine Frage nicht gestellt, weil ich sie schon zu oft auf ähnlichen Veranstaltungen stellte und die Referenten immer ratlos waren. 

Zur Demo gegen die Trauerfeierlichkeiten hatte ich es aus Termingründen nicht geschafft, dafür zur Veranstaltung mit Grigat, Lehrbeauftragter an der Uni Wien, Dozent für Politikwissenschaft, Autor und eventuell bekannt durch einen überlieferten Tiefpunkt* linker Debattenkultur bei dem Grigat unbeirrt blieb, als die linke Gruppe Top Berlin ihn davon zu überzeuge versuchte, dass Israel nur Solidarität zustände, wenn Jüdinnen und Juden sich so verhielten, wie es linken Geistern genehm wäre.

Im völlig überfüllten kleinen Saal der jüdischen Volkshochschule stellte Grigat also am gestrigen Abend das Buch des französischen Historikers Georges Bensoussan »Die Juden der arabischen Welt« Untertitel: „die verbotene Frage vor“. Im Buch, zu dem Grigat das Vorwort schrieb, geht es um die Flucht von etwa 900.000 Juden aus arabischen Ländern. Unter anderem wird darin mit dem Mythos aufgeräumt, dass islamischer Antisemitismus nach der israelischen Staatsgründung einsetzte, also, wie in linken Kreisen gern beschworen, eine Antwort auf den Staat Israel und seine Politik wäre. Weiter geht es um die Situation der Jüdinnen und Juden in arabischen Gesellschaften. Das Buch räumt mit der Mär auf, AraberInnen und Jüdinnen und Juden hätten vor der Staatsgründung Israels friedlich und gleichberechtigt zusammen gelebt. Der „Frieden“ sei vielmehr das Ergebnis jüdischer Duldung von Unterdrückung gewesen. Interessant zu erfahren war, dass es für Juden und Frauen ein und das selbe arabische Schimpfwort gab und gibt. Soviel zu der Schimäre, gern von kulturrelativistischen Linken wiedergekäut, Frauen hätten sich in muslimisch geprägten Ländern deshalb zu verschleiern, weil sie ihren Männern so kostbar wären. 
Der Untertitel des Buches – die verbotene Frage - bezieht sich auf die Erzählung über die nach 1948 vertriebenen und geflüchteten AraberInnen ( seit der Charta der PLO von 1964 als PalästinsererInnen bezeichnet) als alleinige Opfer der Konflikte im nahen Osten mit eigenem Flüchtlingshilfswerk ( UNRWA) und in der Geschichte einmaliger Vererbbarkeit des Flüchtlingsstatus.

In der anschließenden Diskussion kam außer Nachfragen zum Buch auch die Frage auf, wie damit umzugehen sei, dass jede Kritik an einer vorsintflutlichen, antimodernen Veranstaltung, die mehr und mehr auch in Europa Einzug hält, mittlerweile als rechts gebrandmarkt würde, paradoxerweise gerade von links. Eine junge Lehrerin fragte dies, berichtete auch, dass der Ungeist von religionsunterfütterter Antiemanzipation mehr und mehr Einzug in Lehranstalten hielte, Stellen, Posten und Projektgelder an die vergeben würden, die im Namen von Antirassismus auf den Zug aufspringen würden. Wie man dagegen angehen könnte, sich als emanzipierter Mensch fast automatisch die Zuschreibung, rechts zu sein, einzuhandeln. Grigat, in manch linkem Antiimp-Kreis selbst bereits als rechts, rassistisch usw. verunglimpft, blieb optimistisch. Man müsse und  könne dagegen halten, zur Not gerichtlich. In Frankreich sei dies mittlerweile Programm.

Keine erfreulichen Aussichten, und wie bereits erwähnt – meine Frage nach dem Grund der deutschen weltanschauungsübergreifenden Zuneigung zum iranischen System stellte ich an diesem Abend nicht mehr. Es herrschte bereits Aufbruchstimmung, ich wollte nicht diejenige sein, die die Veranstaltung mit noch mehr Unverdaulichem beendete. 


 *https://www.youtube.com/watch?v=haCyT6Guwpk





Kommentare