Trauert um Affen UND um Menschen!
Text: Birgit Gärtner
Möglicherweise überfordert Menschen die Erkenntnis, die einzige Spezies zu sein, die den eigenen Artgenossinnen und –genossen nachdem Leben trachtet – und zwar im großen Stil.
Welche Sau sie wohl als nächstes
durchs Dorf treiben, dachte ich Neujahrmorgen. Ich zunächst mal diese hier
(siehe Foto). Tatsächlich sollte meine Frage nicht lange unbeantwortet bleiben:
Nicht die Omas, nicht die unsinnige Böllerei, nicht die Gewalt während der Silvesternacht
machten das Rennen, sondern die Affen!
Genau genommen tote Affen.
Affen, die starben, weil drei Frauen (darunter eine die rein altersmäßig Oma
sein könnte, womit der Ruf der Omas nun gänzlich ruiniert sein dürfte) brennende
Fackeln steigen ließen, von denen eine im Krefelder Zoo einen Brand auslösten,
in dem die Tiere zu Tode kamen.
Die Nachricht beherrschte
weitestgehend die sozialen Netzwerke und zunehmend auch die Medien. Selbst die
Tagesschau berichtete – das tut sie über ermordete Frauen und Mädchen nicht.
Warum die Affen?
Zunächst vereinzelt, dann immer
mehr tauchte die Frage auf, die dann auch die Medien beschäftigte, vor allem
linke und liberale Medien: Warum trauern die Menschen um die Affen und nicht um
die Menschen, die zur selben Zeit ums Leben kamen? Opfer eines Angriffs von
IS-Kämpfern? Die Opfer der Staatsgewalt im Iran? Ermordete Christen? Diese
seien schließlich die am meisten bedrohte Gruppe der Welt, las ich.
Das stimmt zwar nicht, Christinnen
und Christen gehören definitiv zu den am meisten bedrohten Gruppen weltweit,
aber Spitzenreiter im Ranking der Opfer von Gewalttaten sind Frauen, bis weit in unsere „zivilisierte“
Welt hinein.
Frauen sind überall auf der Welt
bedroht, jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann rein statistisch betrachtet,
seine (Ex)-Partnerin umzubringen, nahezu jede zweite von ihnen überlebt nicht. 176
Femizide hat Professorin Kristina Wolff für das Jahr 2019 dokumentiert; am
ersten Januar 2020 wurde die nächste Frau erstochen. Business as usual in 2020.
Mit – und für – Frauen wird in
unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft geworben wie für Bananen oder Kaffee,
viele Produkte, die mit (halb)nackten Frauen beworben werden, sechsjährige, die
in Fernsehspots für Erfrischungsgetränke die Figur ihrer Mutter kommentieren, großflächige
Plakate, auf denen nicht MIT, sondern FÜR Frauen geworben wird, genauer gesagt
für deren Vergewaltigung gegen Geld, Prostitution genannt, in Deutschland
legal, so legal, wie wohl kaum sonstwo auf dieser Welt. In Hamburg gehört diese
Form der Sklaverei und des Menschenhandels zum Marketingkonzept der Stadt.
Dennoch sind Christinnen und Christen
bedroht, vor allem in der arabisch/muslimischen Welt, ebenso Apostatinnen, Atheisten,
Minderheiten, Homosexuelle, Muslime. Muslime werden vorwiegend von Muslimen
umgebracht – vor allem Musliminnen. Im Iran wird derzeit ein breiter Widerstand
gegen das Mullahregime brutal niedergeknüppelt, von mehr als 1.500 Toten ist
die Rede, fast täglich kommt es irgendwo auf der Welt zu Bomben- und/oder Selbstmordattentaten,
mit z. T. einer Vielzahl von Toten, Jüdinnen und Juden werden attackiert –
verbal und tätlich – von Rechten, Linken, Bürgerlichen, Einheimischen und Migranten.
Überall auf der Welt, oder zumindest dort, wo sie leben, denn in einem Teil der
Welt gibt es praktisch keine jüdische Bevölkerung mehr.
Warum so wenig Empathie mit toten Menschen?
Wahr ist: All das scheint einen
großen Teil der Bevölkerung weitaus weniger zu beschäftigen, als die in der
Silvesternacht zu Tode gekommen Affen. Tote Menschen treffen auf weniger
Empathie als tote Affen.
Das liegt z. T. daran, dass über
tote Menschen nicht berichtet wird. Der Protest im Iran und dessen blutige
Niederschlagung seitens des Regimes wird in bundesdeutschen Medien
weitestgehend beschwiegen, über tote Frauen berichten die
öffentlich-rechtlichen Medien nicht, zu geringe Relevanz, der Nachrichten über Selbstmordattentate,
Bombenangriffe, Amokläufe gibt es so viele, dass kaum die eine Nachricht
verdaut ist, während schon von den nächsten Terrorangriffen berichtet wird.
Oder es wird gar nicht darüber berichtet, IS-Angriffe scheinen in Afrika weniger
problematisch zu sein als in Nahost. Für die tatkräftige Judenfeindschaft macht
jedes Milieu das andere verantwortlich.
Dürfen wir deshalb nicht die toten
Affen betrauern?
Doch, dürfen wir. Und ich für
meinen Teil kann sagen, ich kann beides: Um Affen UND um Menschen trauern.
Trotzdem stellt sich natürlich
die Frage, warum Affen die Schlagzeilen beherrschen, während tote Menschen zur
Randnotiz verkommen.
Um ehrlich zu sein: Ich weiß es
auch nicht. Möglicherweise liegt es daran, dass Affen uns nicht so nahe stehen
wie Menschen. Nicht räumlich, sondern biologisch. Und das überfordert uns
offensichtlich – emotional und intellektuell. Denn der Mensch ist vermutlich
die einzige Spezies, die den eigenen Artgenossinnen und – genossen nach dem
Leben trachtet – und zwar im großen Stil. Diese Erkenntnis zu verarbeiten ist
fordernd, vielleicht überfordernd. Deshalb trauern wir vielleicht lieber um
Affen, das erspart uns, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen.
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