Gesundheit am seidenen Faden







Amoebe, Sonnentierchen, Amöbe, Virus, Sonnentier, Keime






Text Juliane Beer


Dass das deutsche Gesundheitssystem in den letzten Jahren kaputt gespart wurde ist keine neue Nachricht. Bereits vor Ausbruch von COVID-19 beklagten ÄrztInnen und Pflegepersonal Überlastung unter anderem aufgrund von Personalmangel. Bis vor wenigen Wochen hat das allerdings die wenigsten von uns in Alarmstimmung versetzt. Man hatte entweder schon genug damit zu tun, den gesunden Alltag zu bewältigen oder meinte, krank würden immer nur die anderen, oder vertraute auf sogenanntes positives Denken, was bedeutet, dass man, wie einst Kinderbuch-Heldin Pippi Langstrumpf, die Welt kraft magischer Gedanken nach eigenem Belieben gestaltet. Dass die letzte Annahme so einfältig ist wie ein Kirchgang am Sonntag zum Zweck der Anbiederung bei einem höheren Wesen, zeigt sich bereits dieser Tage. Die schweren Erkrankungen aufgrund des neues Virus halten sich noch in Grenzen, dennoch ist das Personal in deutschen Kliniken bereits am Limit. StudentInnen und ÄrztInnen im Ruhestand sollen es richten, wie heute bekannt wurde zudem die Bundeswehr.

https://www.n-tv.de/politik/Bundeswehr-soll-gegen-Virus-kaempfen-article21640993.html


Aber wie kommt es, dass Berufe im Gesundheitssystem dermaßen unattraktiv geworden sind? Es gab schließlich Zeiten, da beispielsweise bei Umfragen unter Schülerinnen der Beruf Ärztin oder Krankenschwester auf den obersten Plätzen rangierte.

Wird die Jugend zunehmend asozial?

Nein. Die Jugend ist eventuell nicht mehr bereit, die Asozialität des Neoliberalismus zu erdulden.

Fachkräftemangel ist ein deutsches Schlagwort der letzten Jahre.

Warum fehlen Menschen, die aufgrund einer entsprechenden Ausbildung fachlich kompetent sind, beziehungsweise warum fehlen junge Menschen, die sich ausbilden lassen wollen?

Beispiel Pflegebereich: Es findet sich kaum deutscher Nachwuchs. Die Arbeit ist hart, körperlich anstrengend, seelisch belastend und mies bezahlt.

Warum sollte eine junge Frau diesen Beruf erlernen wollen, nachdem sie zu Hause über Jahre miterlebte, dass die Rente der Großmutter, die als Altenpflegerin schuftete, nicht mal bis zum Monatsende reicht - die betagte Frau also nach Lohnarbeitsleben, zumeist gekoppelt an Haushaltspflichten und Kindererziehung bei einer sogenannten Tafel um Lebensmittel betteln muss?

Viele, die in Deutschland dennoch eine Pflegeausbildung absolviert haben, suchen das Weite. Schon hinter der nächsten Landesgrenze geht es ihnen besser als zu Hause. In Deutschland hat eine Pflegekraft im Schnitt 13 PatientInnen zu betreuen. In der Schweiz dagegen nur 8, in den Niederlanden 6,9 und in den USA sogar nur 5,3 (Stand 2018, Quelle: Statista.com).

Besser bezahlt als in Deutschland wird in allen genannten Ländern ebenfalls.

Mögliche Lösungen, um dem Problem beizukommen, wären, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen, das Lohnarbeitende im Gesundheitssystem so absichert, dass weder Angst vor Arbeitsunfähigkeit noch vor späterer Hungerrente den Beruf von vorne herein als zu risikoreich ausschließt. Oder die Löhne im Gesundheitsbereich zu erhöhen, und zwar radikal und nicht nur bis zur Meuterei-Schutz-Grenze, wie es Gewerkschaften und Linke befürworten, um paternalistisch für jede neue Lohnerhöhung anrücken zu können, am liebsten mit marxistischen Kampfliedern auf den Lippen. Und es gäbe vermutlich noch viele weitere Möglichkeiten, relevante Lohnarbeit beziehungsweise die, die sie verrichten, wasserdicht abzusichern. Der Phantasie sind schließlich auch keine Grenzen gesetzt, sobald es darum geht, Lohnkosten einzusparen oder Menschen zu unattraktiver Lohnarbeit zu zwingen.

Dazu ein paar Zahlen aus dem Jahr 2018:

Bundesweit verdienten 4,14 Millionen Menschen – 19,3 Prozent der Vollzeitbeschäftigten – weniger als 2203 Euro brutto im Monat, wie aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linke-Bundestagsabgeordneten Susanne Ferschl hervorgeht. Bei 2203 Euro monatlich liegt die Niedriglohngrenze.

Seltsam, dass in einem Land, in dem „händeringend“ Fachkräfte gesucht werden, so mit fast 20 % der LohnarbeiterInnen umgegangen wird.

Noch einmal zurück zum deutschen Pflegelohnarbeitsmarkt. Was wird aktuell unternommen, um sicherzustellen, dass Deutschland das Personal nicht ausgeht?

Die Pflegeausbildung ist neuerdings kostenfrei, Löhne werden um ein paar Euro „angepasst“ und in Osteuropa werden Pflegeschulen errichtet. Gesundheitsminister Spahn besuchte im Sommer 2019 mit einem Kamerateam eine solche und schien zufrieden. Dass Fachkräfte später in osteuropäischen Ländern fehlen, scheint er nicht als deutsches Problem anzusehen.

Und noch einmal zurück zu den sogenannten ausbildungsunfähigen Jugendlichen. Die Generation Hartz IV wird erwachsen. Es sind Menschen, die unter Umständen von klein auf an nichts anderes gewöhnt wurden, als an Verzicht, ungesunde Ernährung, Ausgrenzung in der Schule (weil zu Hause das Geld für zeitgemäße Kleidung, Freizeitaktivitäten und kulturelle Bildung fehlte) sowie an gesellschaftliche, politische und mediale Verachtung und Entwürdigung ihrer Eltern, die aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen erwerbslos wurden, erwerbsunfähig waren oder sich aber vergeblich um neue Lohnarbeit bemühten. Beim Feldzug gegen Erwerbslose hat eine Nation mit das Kostbarste in Sippenhaft genommen: den eigenen Nachwuchs.

Warum sollten diese Jugendlichen den Drang verspüren, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen, beispielsweise durch Ausbildung und Lohnarbeit im sozialen Bereich?

Bleibt zu hoffen, dass der weltweite Ausbruch von COVID-19 dazu beiträgt, Regierungen zu radikalem Umdenken in Sachen Lohnarbeit zu bewegen.



Kommentare