Mehr als 100 Jahre deutsch-islamische Geschichte - Teil II Fatima Grimm


Text: Birgit Gärtner

Eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des weitverzweigten islamischen Netzwerkes hatten und haben Konvertitinnen und Konvertiten inne. Eine davon ist Fatima Grimm, geborene Helga Lili Wolff, Tochter des Generals der Waffen-SS, Karl Wolff, der wegen Beihilfe zum Mord an 300.000 Jüdinnen und Juden nach Treblinka zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt wurde. Dessen Tochter Helga Lili, später Fatima, bewegte sich im Umfeld von Muslimen aus der Sowjetunion, die im zweiten Weltkrieg für Hitler gekämpft hatten. Später war sie maßgeblich an der Organisierung muslimischer Frauen beteiligt.
Dass sie die Tochter eines hochrangigen Angehörigen der Waffen-SS war, dafür konnte Fatima Grimm nichts. Dass sie ihrem Vater bis zu dessen Ende sehr nahestand, ihn ebenfalls zum Islam bekehrte und bei seiner Beerdigung im Kreise von Vertretern der Münchner muslimischen Gemeinde das Totengebet sprach, schon. Dass ihre Vorstellungen der muslimischen Frau große Ähnlichkeit hat mit dem Frauenbild der Nazis, die Frauen vor allem in der Rolle als Mutter und Hüterin der Traditionen sahen, auch.
Dieser kleine Zweiteiler erzählt in groben Zügen die Entwicklung jener islamischen Netzwerke, von dem Kreis der Muslime in München, ehemalige Wehrmachtsangehörige, bis hin zum „Zentralrat der Muslime e.V.“, dessen Ehrenmitglied die Nazi-Tochter war. Außerdem engagierte sich im „Liberal-Islamischen-Bund“ (LIB), gegrüdnet u.a. von Lamya Kaddor, verfasste einen Nachruf auf sie. 

Die Texte wurden in der März- und April-Ausgabe in der „Jüdischen Rundschau“ (JR) veröffentlicht. Wir dürfen sie mit freundlicher Genehmigung der JR hier einstellen.

https://juedischerundschau.de/article.2020-04.die-konvertitin-fatima-grimm-der-bis-ins-dritte-reich-hineingehende-rote-faden-des-deutschen-islam.html


Kleiner Gefallen unter Volksgenossen
Als sie als Helga Lili Wolff am 25. Juni 1934 geboren wurde, war ihr Vater, der 1933 in die NSDAP und die SS eingetreten war,  bereits SS-Standartenführer. Am 9. November 1939 wurde er zum Chef des persönlichen Stabes „Reichsführer SS“, Heinrich Himmler, befördert.
Mit diesem überwarf er sich, weil er sich von Helgas Mutter scheiden ließ. Er wurde dann in Italien eingesetzt und dort zum „höchsten SS- und Polizeiführer“ ernannt. Als solcher fädelte er den Waffenstillstand in Italien ein, vermutlich auf eigene Faust, weil ihm klar geworden war, dass der Traum vom Endsieg ausgeträumt war.
Von der „Endlösung“ hingegen, der Vernichtung des europäischen Judentums, will er nichts mitbekommen haben. Das behauptete er jedenfalls später. Allerdings sprechen einige Fakten dagegen: Zum einen nahm er eigenem Bekunden zufolge als Zuschauer an einer Massenexekution in Minsk teil; zum anderen war er derjenige, der dafür sorgte, dass die Deportationen durchgeführt werden konnten, nachdem bei der Räumung des Warschauer Ghettos Engpässe bei den Transportkapazitäten auftraten. Laut Wikipedia bedankte er sich in einem Schreiben vom 13. August 1942 für Ganzenmüllers Beistand: „Mit besonderer Freude habe ich von Ihrer Mitteilung Kenntnis genommen, daß nun schon seit 14 Tagen täglich ein Zug mit Angehörigen des auserwählten Volkes nach Treblinka fährt […] Ich habe von mir aus mit den beteiligten Stellen Fühlung aufgenommen, so daß eine reibungslose Durchführung der gesamten Maßnahme gewährleistet erscheint.“
Deshalb wurde er 1964 wegen Beihilfe zum Mord an 300.000 Jüdinnen und Juden zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, wurde aber 1969 wegen Krankheit begnadigt und verbrachte seine letzten 15 Lebensjahre in Freiheit. Vor seinem Ableben verhalf er noch dem Stern-Reporter Gerd Heidemann zu den angeblichen „Hitler-Tagebüchern“, einem der größten Medienskandale der Nachkriegszeit. Der Skandal bestand allerdings darin, dass die „Tagebücher“ sich als Fälschung erwiesen – nicht, dass der Stern die Geschichte des wohl größten Massenmörders der Weltgeschichte abdruckte. Jedenfalls zum Teil, denn alsbald stellte sich heraus, dass der erhoffte Quotenbringer eine schnöde Fälschung war.

Fatima Grimm rührt in vielen islamischen Töpfen
Für den Vater kann Helga Wolff alias Fatima Grimm nichts. Doch dass er noch kurz vor seinem Tod zum Islam konvertierte, in Anwesenheit von Mitgliedern des IZM bestattet wurde und sie das Totengebet sprach, lässt auf eine enge Verbindung zwischen Vater und Tochter schließen. Peter Schütt, der nach seiner Karriere als kommunistischer Schriftsteller zum Schiitentum konvertierte, schreibt in seiner Biographie über Fatima Grimm, sie habe „ihr Leben unter der erdrückenden Gewissenlast, ein Täterkind zu sein“, gelitten. Nicht bekannt ist indes, ob ihr die Verbrechen des Vaters zu schaffen machten, oder dass diese zunehmend als solche wahrgenommen wurden.
An ihrem 26. Geburtstag, dem 25. Juni 1960, konvertierte sie in München bei dem im ersten Teil erwähnten Imam Ibrahim Gaçaoǧlu, Gründer der „Islamischen Gesellschaft in Westeuropa“. Sie hatte einen Tschechen kennengelernt, der ebenfalls konvertiert war. Gemeinsam reisten sie 1962 nach Pakistan und kehrten 1965 nach München zurück.
Dort engagierte sie sich offenbar in der Moscheebau-Kommission, im Protokoll der Generalversammlung vom 11. April 1971 taucht sie als Fatima Heeren-Salem als „Sekretär“ im neu gewählten „geschäftsführenden Ausschuss“ auf.
1983 wurde ihre Ehe geschieden, 1984 heiratete sie den Konvertiten Abdul Karim Grimm und zog zu ihm nach Hamburg. Dass es sie von der Isar an die Elbe verschlug, sei „eine wundersame Geschichte“, verriet sie der Islamischen-Zeitung  in einem Interview:

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Auf meiner Pilgerfahrt (‘Umra) 1982 freundete ich mich sehr mit den Kindern von Abdul Karim Grimm an, die ebenfalls mit ihrem Vater daran teilnahmen und deren Mutter etwa sechs Jahre vorher verstorben war. Als die ältere Tochter Nadija erfuhr, dass ich alleinstehend war, schrieb sie mir kurzerhand einen Brief und fragte: „Fatima, warum kommst du nicht nach Hamburg und heiratest unseren Papa?“ Und so schlossen wir tatsächlich am 1. April 1984 den Bund der Ehe, und ich zog ich von München nach Hamburg, wo ich bis heute lebe. Es waren 25 Jahre, die mir viel Glück und viele unvergessliche gemeinsame Erlebnisse beschert haben, alhamdulillah.
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Auch Abdul Karim Grimm war einst zum Islam konvertiert und an der Gründung der „Deutschen Muslim Liga“ (DML) und dem Bau der dem IZH angeschlossenen schiitischen Imam-Ali-Moschee an der Alster beteiligt. Die DML ist die älteste islamische Vereinigung in Deutschland, Funktionen können nur Konvertiten übernehmen. Damit soll demonstriert werden, dass der Islam keine „Ausländerreligion“, sondern „integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft“ sei. Die DML ist ebenfalls Gründungsmitglied des ZMD, dessen Ehren- und Beiratsmitglied Fatima Grimm seit 1999 war.
Ihr Schwerpunkt waren die Themen Kindererziehung sowie die Rolle der Frau im Islam. Sie sprach sich für Polygynie (Mehrehe des Mannes) und arrangierte Hochzeiten aus. In ihrer Publikation „Die Erziehung unserer Kinder“ schreibt sie:

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Ich meine, dass wir etwa um das 15. Lebensjahr herum damit rechnen dürfen, unsere Kinder für den Begriff des Dschihad aufgeschlossen zu finden. Wir müssen ihnen dann zeigen, auf welchen Gebieten unser Glaube den Angriffen des dar ul-harb ausgesetzt ist, und ihnen Wege eröffnen, die es ihnen einmal ermöglichen sollen, die Verteidigung erfolgreich in die eigenen Hände zu nehmen. Dazu gehört, dass wir als Mütter nicht feige und ängstlich darauf bedacht sind, unsere Söhne vor jeder Gefahr zu bewahren. Wir könnten es sowieso nicht, denn wenn Gott ihre Stunde für gekommen hält, kann sie ebenso ein Auto überfahren oder eine Krankheit heimsuchen. Vielmehr sollten wir ihnen immer vor Augen führen, was für eine großartige Auszeichnung es für jeden Muslim ist, für die Sache des Islam mit der Waffe in der Hand kämpfen zu können. Einen größeren Verdienst kann er sich ja durch nichts auf Erden erwerben.
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Allerdings könnten „unsere Söhne“ebenso mit Wort und Schrift für die Sache Gottes streiten, man kann als Arzt kranken und verwundeten Muslimen helfen, man kann als Ingenieur wichtige technische Geräte entwickeln, als Architekt lebensnotwendige Gebäude errichten — diese Reihe ließe sich bis ins Unendliche fortsetzen“. Ziel sei, so Grimm in der noch heute erhältlichen Broschüre: Den „endgültige Triumph des Islam auf Erden“.
Als sie am 6. Mai 2013 starb, verfasste der ZMD einen Nachruf auf sie, Eslam, die vom Konvertiten Yavuz Özoğuz publizierte „Enzyklopädie des Islams“ sowie der „Liberal-Islamische Bund“, in dem sie ebenfalls Mitglied war. Der wurde 2010 gegründet und stellt sich gern als Reformislam dar. Prominentestes Mitglied ist die Vorsitzende Lamya Kaddor, eine Religionspädagogin, die u. a. dadurch in die Schlagzeilen geriet, dass 5 ihrer Schüler sich später dem IS-Kalifat anschlossen.
Fatima Grimm ist sozusagen der rote Faden in der Geschichte des deutschen Islams, der sich von München über Hamburg ins Rheinland, vom sunnitischen über den schiitischen bis zum sogenannten progressiven Islam, von 1960 bis in die Gegenwart hinein zieht. 
 
 


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