Von Juden, Linken und dem fleckenreinen Gewissen



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Text Juliane Beer

Die Aufregung um den postkolonialen Theoretiker Achille Mbembe hat sich gelegt. Doch worum ging es deutschen Linken eigentlich?


Vor ca. 2000 Jahren gelang es einem der zahllosen Wanderprediger, die umherzogen, von Gnade und Spenden ihrer Mitmenschen lebten, obwohl sie diese zu Umkehr und Buße mahnten, tatsächlich Aufmerksamkeit zu erlangen und, nicht zuletzt weil er sich als Sohn Gottes gerierte, die Geschichte der Menschheit fortzuschreiben. Eine jüdische Sekte, das Christentum, entstand. Obwohl Verzicht, Leiden und Selbstkasteiung Programm war, fand sich eine Anhängerschaft rund um den Erdball. Für die nächsten Jahrhunderte verbreiteten Funktionäre dieser Gesinnungsgemeinschaft die Kunde, Juden wären für den Tod des Gottessohns verantwortlich gewesen. Die Tatsache, dass Juden bekanntermaßen zu eben dieser Zeit keine Befehlsgewalt inne hatten, hinderte das Christentum nicht daran, sie dennoch als Mörder des Jesus Christus zu führen, welcher zu dem Zweck geboren worden sei, durch seinen Tod die Menschheit zu erlösen. Da die Römer sich also konstruktiv in den vermeintlichen Gottesplan eingebracht hatten und die Juden unbeteiligt waren, kann man wohl hier den Beginn der Erhöhung jüdischer Möglichkeiten ins Übermenschliche ausmachen.

Mystifizierung, Verachtung, Erhöhung und Herabwürdigung von Jüdinnen und Juden wechselten sich von da an anlässlich ab und erreichten vor 75 Jahren mit der der Shoa, dem kriegsparallelen deutschen Massenmord an Jüdinnen und Juden sowie Sinti, Homosexuellen, KommunistInnen einen vorläufigen Höhepunkt.

Nach der Niederlage 1945 bekundeten die Deutschen offiziell Reue für ihr Tun, da ihnen nichts anderes übrigblieb. Dies führte jedoch keineswegs dazu, sämtliche TäterInnen und deren Hilfspersonal zur Verantwortung und aus dem Verkehr zu ziehen. Stattdessen verwandelte sich Deutschland in die zwei Abklingbecken Ost und West, beide mit erheblichen Betriebsstörungen, die nicht behoben, sondern vertuscht wurden.

Bis heute ist es nicht gelungen, Argumente zu entwickeln, die einen Teil der deutschen Bevölkerung dazu bewegen können, uralten Mythen abzuschwören. Auch oder gerade dem dialektischen Materialismus verpflichtete Linke, die sich zudem proisraelisch und prozionistisch positionieren, haben keine praxistauglichen Handlungsanweisungen hervorgebracht. Alles dreht sich um Theorie ohne Volks-Realitätsbezug, bewegt sich hauptsächlich im akademischen Bereich, beziehungsweise in den Medien des Bildungsbürgertums. Gelangen Beiträge in gehobene Boulevardblätter, sind sie meist zu elaboriert, um von der Stammleserschaft verstanden zu werden. So geschehen bei der aktuellen Diskussion um Achille Mbembe, kamerunischer Historiker und Theoretiker des Postkolonialismus, der die diesjährige Ruhrtriennale eröffnen bzw. dann doch nicht eröffnen sollte.

Achille Mbembe


Mbembes Werk, in Teilen eine Abrechnung mit westlicher Demokratie, die zusammen mit Kolonialismus bzw. Neokolonialismus zwei Seiten einer Medaille darstelle, findet unter anderem bei antiimperialistischen linken AnhängerInnen des Postkolonialismus, einem Zweig des Poststrukturalismus, Anklang. Da Mbembe sich in seinem Werk gleichzeitig gegen afrozentristische Bestrebungen wendet, die mit Besinnung auf vorkoloniale afrikanische Kultur trennend wirkten, (siehe auch Frantz Fanon, auf den Mbembe sich bezieht), verwundert dies. Antiimperialistische (Imperialismus ist nach Lenin das höchste Stadium des Kapitalismus) Linke pflegen in der Regel das Bild des edlen Wilden als revolutionäres Subjekt. Archaische und selbst barbarische Gebräuche werden zu schützenswertem Kulturgut umfunktioniert, Emanzipation gilt als reaktionär (in Bezug auf die Sache der Linken).

Doch vielleicht ist es dies, was die linke Mbembe-Anhängerschaft überzeugt:

Neben Abhandlung zu Kolonialismus und anti-identitärer Utopie, pflegt Mbembe ein Bild von Israel als "Das beängstigende Objekt" (Mbembe), dessen Bevölkerung(?), Regierung(?) er eine [...] fanatische Zerstörungsdynamik, die darauf abzielt, das Leben der Palästinenser in einen Trümmerhaufen und in einen zur Entsorgung bestimmten Berg aus Müll zu verwandeln […], attestiert. Das isarelische „Trennungsprojekt“ ruhe auf einem einzigartigen metaphysischen und existenziellen Sockel. Die darunterliegenden apokalyptischen Ressourcen und Katastrophen seien komplex und geschichtlich tief verwurzelt. Die Diagnose bringt Mbembe zu den Wundmalen, nämlich dem verderblichen Tun des jüdischen Volkes in Israel. Im antiimperialistischen linken Lager führt man Israel von jeher als faschistische Kolonialmacht, so dürfte man in dem Punkt mit Mbmebe übereinstimmen. Dass Mbembe mit diesem Bombast-Sermon an uralte Mythen anknüpft, stößt bei Antiimps offenbar nicht auf Unmut.
Unter anderem die Beschreibung der Shoa als metaphysischer Sockel, der Jüdinnen und Juden so gefährlich mache, rief jedoch die prozionistische Linke auf den Plan, die Mbembe Antisemitismus vorwarf. Dieser sowie seine Anhängerschaft reagierten darauf mit dem Rassismusvorwurf. Es entspann sich ein Disput im deutschen Feuilleton, zunächst um Mbembe, sein Werk und die Frage, ob Kulturmittel für einen Auftritt Mbembes aufgewendet werden dürften. Der Disput mündete in eine Debatte über die Frage der Singularität der Shoa und schließlich in einen Ideologiestreit mit hauptsächlicher Beteiligung der deutschen Linken bzw. den Gruppierungen, die daraus hervorgegangen sind.


Zum besseren Verständnis: ein paar Sätze zur deutschen Nachkriegslinken
Nach kurzem Aufbegehren gegen die Eltern während der 1960er Jahre, getarnt als Entsetzen über den kriegsparallelen deutschen Massenmord an Jüdinnen und Juden, Sinti, Homosexuellen und politisch Unliebsamen fanden zahlreiche Linke rasch wieder zu den Werten der Eltern zurück, jetzt mit Weltverbesserungsparolen geschmückt. Nach dem Sechstagekrieg 1967 schlug die linke Stimmung gegenüber Israel auch offiziell um. Der SDS ließ verlauten, Israel wäre „der vorgeschobene Posten des US-Imperialismus im Nahen Osten“. Man sah in der arabischen Bevölkerung, seit 1964 als PalästinenserInnen bezeichnet, die passenden BündnispartnerInnen im Kampf gegen die Zumutungen dieser Welt im allgemeinen und gegen die, die sie vermeintlich initiierten – Jüdinnen und Juden – im speziellen.

1969 wurde bei einer (versuchten) Diskussionsveranstaltung mit Botschafter Asher Ben-Natan „Shalom gleich Napalm“ gerufen. Damit saß die Linke endgültig wieder vereint mit Mutter, Vater und den Großelten auf der Couchgarnitur, um die Schuld der Juden mit Eierlikör zu begießen.

Auch einst bei Studierenden beliebte Professoren wie z.B. Theodor W. Adorno (später Godfather prozionistischer Linker) fanden keine Gnade mehr bei den Revoltierenden Ende der 1960er Jahre. Vorlesungen von Adorno wurden gestürmt. Er würde dem autoritären Staat zuarbeiten, hieß es. Adorno stellte seine Vorlesungen ein.

In den 1970er Jahren kooperierte die RAF mit palästinensischen Terrorgruppen.

Anfang der 1980er Jahre zog der passionierte Antisemit Kunzelmann für die Alternative Liste ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Zuvor hatte er, von links weitgehend unwidersprochen, öffentlich gefordert, dass die Deutschen ihren "Judenknax" überwinden sollten, wolle man erfolgreich gegen den Faschismus namens Zionismus vorgehen.


IdeologiekritikerInnen

Spätestens seit der deutschen Nachwendezeit war die Abspaltung einer sogenannten antideutschen bzw. ideologiekritischen, prozionistischen Linken dann auch für Szeneunkundige erkennbar. Ab jetzt war eines der erklärten Ziele beider linker Lager die Diffamierung der jeweils anderen Seite. Da die prozionistische Linke sich weitgehend aus der praktischen Aktion zurückgezogen hatte - womöglich um Kränkungen, die man bislang ob der bedeutungslosen Verpuffung jahrelanger linker Kämpfe gegen den Kapitalismus zu erdulden hatte, in Zukunft zu vermeiden – bevorzugte man auch für linke Gesinnungskämpfe das Theorie-Gefecht. Das Internet, wo eine unübersichtliche Menge „ideologiekritischer“ Magazine und Plattformen entstand, wurde zur linken Kampfarena.

Natürlich konnten prozionistische Linke auf diese Weise nichts gegen den weiterblühenden Antisemitismus, getarnt als Antizionismus der straßenkampffreudigen antiimperialistischen Linken ausrichten. Hier sei die „antifaschistische“ Aktion in Hamburg im Oktober 2009 rund um die Aufführung der Dokumentation "Warum Israel" von Claude Lanzmann genannt. Die Filmvorführung über den von Antiimps als faschistisch gelabelten Staat Israel wurde verhindert, die KinobetreiberInnen mit Gewalt bedroht. In der „radikalen“ Linken führte dieser Dammbruch antisemitischen Furors unter dem Deckmantel der Weltverbesserung nicht etwa zum Umdenken, sondern wurde eingepreist in die Geschichte des erfolgreichen antifaschistischen Widerstands.


Gegenwart

In den letzten 10 Jahren ging es in Gefechten zwischen prozionistischen Linken (und Gruppierungen, die daraus hervorgingen) und Antiimps weiterhin um die Deutungshoheit in Bezug auf den Staat Israel - für die einen, die ProzionistInenn, Staat der Shoa-Überlebenden und deren Nachkommen, für die anderen, die Antiimps, faschistischer Unterdrückungsstaat. Beides ist nicht zutreffend; beiden Lagern ist darüber hinaus zu eigen, dass sie für eine Entstaatlichung der Welt eintreten. Die Antiimps auch in Bezug auf den Staat Israel, die ProzionistInnen haben, um sowohl ihrer Israelsolidarität als auch ihrer No Border, No Nation-Gesinnung frönen zu können, eine Hilfskonstruktion installiert, wonach Israel als Staat eine Ausnahme und zu akzeptieren sei, weil er als Antwort auf die Shoa bestehe. Abgesehen davon, dass die Existenz des Staates Israel auf rechtlichen Grundlagen beruht, die nichts mit der Shoa zu tun haben, ist die Hilfskonstruktion der ProzionistInnen auch ansonsten wenig durchdacht. Jüdinnen und Juden, auch die, die die Shoa überlebten, und deren Nachkommen leben in fast allen Staaten der Erde und sind überall dort auf Staatlichkeit mit Gesetzen zu ihrem Schutz angewiesen.

Darüber hinaus ist beiden linken Lagern zu eigen, dass sie sich weiterhin ausgiebig mit einer Gruppe Opfer des Nationalsozialismus - Jüdinnen und Juden – befassen und gemessen daran lediglich rudimentär mit deutschen DurchschnittsantisemitInnen, die, würden sie beispielsweise die aktuelle Diskussion um die Frage der Singularität der Shoa mitkriegen, ratlos wären, was das mit Ihren Bemühungen zu tun hätte, die Taten ihrer Vorfahren zu verdrängen bzw. zu relativieren.


Die Unterschiede

Antiimps sind in ihrer Demonstrationsfreudigkeit gern gesehener Support, wenn AntisemitInnen aller Couleur durch deutsche (!) Städte ziehen. Und auch eine Dampferfahrt Richtung Gaza ist eine willkommene Abwechselung im eintönigen Bundestag-Ruhestandalltag.

Betrachtet man hingegen das Tun (oder besser: das Lassen) der prozionistischen Linken, muss man sich fragen, ob hier zumindest gelegentlich ein Gedanke darauf verschwendet wird, wie man das unermüdliche Produzieren von Textbotschaften für den internen Gebrauch in einen gebrauchstüchtigen Imperativ an die deutsche (auch bildungsferne) latent antisemitische Durchschnittsbevölkerung transformieren könnte. An dogmabestätigenden Gesprächsrunden und der Pflege von Theorien zur Shoa, der Deutung und Einordnung dieser, komplettiert durch einen unvollständigen, ideologisch gefärbten Blick auf Israel dürfen die teilnehmen, die sich an Glaubenssätze halten.
Im Fall Mbembe allerdings wurde man aktiv und forderte den ideologischen Gegner heraus bzw. ließ sich von ihm herausfordern, was in eine Debatte um die Frage der Singularität der Shoa und schließlich in einen Wettstreit um Gesinnung mündete, bei dem jede Seite ihre Lieblingsopfer, inzwischen sekundär und zu Spielfiguren entwürdigt, ins Feld führte, die Antiimps und bürgerlichen AntisemitInnen „ihre“ AfrikanerInnen, die ProzionistInnen „ihre“ Jüdinnen und Juden. Das Ganze geriet zeitweise derart aus den Fugen, dass sich die KontrahentInnen „ihrer“ Opfer ganz und gar entledigten, um aufeinander einzukeifen.
Differenzierte Stimmen, auch jüdisch-israelische, wurden mit Hilfe von Bezichtigungen und Verdächtigungen zur Ordnung gerufen.

Worum ging es?

Darum, die Shoa aus dem Weltbewusstsein zu tilgen bzw dafür zu kämpfen, dass sie im Weltbewusstsein verankert blieb? Zumindest die ProzionistInnen bekundeten, es ging ihnen um zweites.


Améry über Adorno

Einst schrieb Jean Améry, der den Holocaust zwar überstand, aber nicht bis zu einem natürlichen Tod überlebte, nämlich vorher Suizid beging, in Bezug auf Theodor W. Adorno und seine Vorlesungen in den 1960er Jahren: “Die realen Greuel bei denen sich niemand aufzuhalten brauchte, wenn in angestrengter Begriffssprache doziert wurde, bekamen etwas Märchenhaftes, Greuelmärchenhaftes. Die abstrakte Reflexion nahm ihnen ihre Schrecken. In den Seminaren wurde der Schrecken trans- substantialisiert."

Améry kritisierte, Adorno würde "den heraufrückenden Generationen Intellektueller nebst dem schneidenden Vokabular auch das fleckenreine linke Gewissen" verschaffen. Ungeeignet, wenn es um das tatsächliche Erfassen der Shoa ginge.

Jetzt, Jahre später, zeigt sich, dass Améry Recht hatte. Indem man im Adorno-verehrenden, prozionistischen Lager die Ungeheuerlichkeit der Shoa der abstrakten Reflexion und damit einer Debatte um die Singularität der Shoa aussetzt, die Gefahr zugespitzter Widerrede bis an die Grenzen des Sagbaren sowie die Gefahr der Abwehr bis hin zur Verschwörungsideologie aus dem (links) antisemitischen Lager völlig bedenkenlos in Kauf nimmt, eine Auseinandersetzung führt, die aufgrund der zeitgemäßen Ignoranz jeglicher Konventionen zu weitaus größerer Entwürdigung der Opfer führt als der Historikerstreit während der 1980er Jahre, macht man den Mord an 6 Millionen Menschen zu einem formal zu verhandelnden Ereignis und behauptet auch noch, dies diene dem Gedenken bzw. einer Verhütung der Einebnung der Shoa in verbleichende Geschichte der Menschheitskatastrophen. Komplettiert durch das gefährliche weil unvollständige Bild prozionistischer Linker von Jüdinnen und Juden und dem Staat Israel, wird diese Abstraktion ins Lager der IsraelhasserInnen transportiert.

Jüdinnen und Juden geben und gaben von jeher einiges her – sie waren TäterInnen, Teufel, Unter- oder Nichtmenschen, Parasiten, dann Opfer aufgrund vermeintlichen Übermenschseins, letztes ein Bild, das die prozionistische Linke abonniert hat. Das mag verständlich sein in Bezug auf die Milderung des Schamgefühls ob des Tuns der Altvorderen. Natürlich klingt es heldenhafter, wenn es heißt, dass die Großväter nicht Untermenschen sondern Übermenschen beseitigten, diese restlos von der Welt verschwinden lassen wollten, wie linke ProzionistInnen nicht müde werden wollüstig zu beschwören, anstatt endlich ein zeitgemäßes Bild von Jüdinnen und Juden als ganz normale Menschen bzw. ein Bild von Israel als normaler Staat und nicht als ein Ergebnis deutscher Gnade zu vermitteln, um zumindest den Wahnideen linker KontrahentInnen etwas entgegen zu setzen.
Unter den links-prozionistischen Tisch fällt, dass im November 1947 die II. UN-Vollversammlung für die Resolution 181 (II) votierte. Es gab 33 Für- , 13 Gegenstimmen sowie zehn Enthaltungen. Das bedeutete, das Mandat Großbritanniens zu beenden und Palästina zu teilen. In dem circa 25.000 Quadratkilometer umfassenden Territorium mit einer Bevölkerung von 1,3 Millionen AraberInnen und 608.000 Jüdinnen und Juden sollten ein arabisch-palästinensischer und ein jüdischer Staat entstehen. Dass dies von arabischer Seite bis heute vereitelt wird, ist eine der wenigen Realitäten, die in links-prozionistische Erzählungen Eingang finden.

Auch dies hat nichts mit deutscher Großzügigkeit zu tun: Auf der San Remo Conference 100 Jahre zuvor wurde bestätigt, dass Jüdinnen und Juden die ursprünglichen BewohnerInnen des späteren Mandatsgebietes Palästina waren. Auch für die BewohnerInnen von Syrien und dem Irak wurde dies festgestellt, allerdings heutzutage auch nicht von Linken angezweifelt.

Frühgeschichtliche Fakten scheinen für linke ProzionistInnen eine Nebenrolle zu spielen, immer dominiert in Bezug auf Israel deutsche Generosität, neu geboren aus Ideologie gepaart mit bester christlicher Leidenslehre. Weil Jüdinnen und Juden leiden mussten, ist ihre Belohnung nun das Land Israel. So entzieht man jüdischen Israelis einklagbares Recht. Bei dieser Ignoranz von zionistischer Geschichte, jüdischer Religion, Rechtsgrundlagen usw. muss man sich fragen, warum linke ProzionistInnen nicht in den Chor anderer deutscher GeschichtsignorantInnen einstimmen, der da singt, man hätte Jüdinnen und Juden nach der Shoa Bayern „geben“ sollen.
Der Massenmord der Großväter verkommt hier zum Mittelpunkt jüdischen Lebens. Man macht sich zu InitiatorInnen dessen, was man gnädig zu beschützen angetreten ist.
Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass man mit so einem Israelbild keinen wissenschaftlichen Beitrag in die Diskussion um Mbembe oder die Frage zur Singularität der Shoa einbrachte. 

Wie man bei der Pflege einer solchen Ideologie linke AntisemitInnen umstimmen will, braucht auch nicht gefragt zu werden. Ganz abgesehen davon wie man, befasst mit der Pflege und Verteidigung all dieser Dogmen, an die deutsche Bevölkerung appellieren will, den Glauben an uralte Mythen über Jüdinnen und Juden endlich aufzugeben, falls man dies überhaupt je beabsichtigte, und es nicht tatsächlich um das fleckenreine Gewissen (Améry) geht.

Natürlich kann und darf man über alles diskutieren, auch über die Frage der Singularität der Shoa. Und dies darf man natürlich auch intern tun. Dann aber sollte man derartige Debatten auch als solche ausweisen und nicht behaupten, sie beinhalteten irgend einen Wert in Bezug auf das Wahren des Gedenkens an die Shoa der ungebildeten Schichten und übrigens auch der gebildeten Schichten. Hier sei an die Verbal-Diarrhö eines Die LINKE-Funktionärs, DDR-Schlagersänger mit Doktortitel, erinnert: „Antisemitismus ist Massenmord und muss dem Massenmord vorbehalten bleiben. Er darf nicht inflationiert werden und nicht für alles und jedes verwendet [werden].“


Und der Rest der Welt?

Man stelle sich vor, die prozionistische Linke bekäme die Gelegenheit, Staaten, deren erklärtes Ziel ist, Israel zu vernichten, eine Botschaft, die gelesen werden würde, zu übermitteln. Wie würde die aussehen? So wahrscheinlich nicht:

Weil Jüdinnen und Juden das Recht auf einen eigenen Staat haben, werden sie sich gegen eure Attacken auf Israel wehren.

Die Botschaft würde, nimmt man links-prozionistische Dogmen ernst, so klingen:

Weil Israel der Staat der Opfer unserer Großväter ist, haben Jüdinnen und Juden das Recht, sich gegen euch zu wehren.

So kann es auch kaum mehr verwundern, dass man die deutsche links-prozionistische Perspektive auch israelischen Jüdinnen und Juden (deren Vorfahren keine 6 Millionen Menschen umbrachten) aufzuzwingen versucht, zur Not mit Hilfe verbaler Gewalt und Unterstellung, wie während des Höhepunkts der Diskussion um Mbembe (die da schon keine Diskussion um Mbeme mehr war) geschehen. Publizierte Texte solchen Inhalts wurden jenseits jeder Reflexion oder Achtung vor den Opfern der Shoa mit bestürzender Schamlosigkeit in den sozialen Netzwerken vorgezeigt wie Pokale für errungene Etappensiege.
Es ging um das Bewahren des Gedenkens. So?
Die Gegenseite rüstete, wie zu erwarten war, ebenfalls auf und bezeichnete das Beharren auf der Singularität der Shoa konfrontativ oder besser: blindwütig und ohne jedes Maß als „deutsch-provinziell“, statt bei Fragen von Belang zu bleiben, wie etwa, ob die Einzigartigkeit eines jeden Völkermordes vergleichbar oder ob das Aufrechnen von Totenzahlen und Todesarten ethisch vertretbar sei.

Was hat man hier gewonnen?


Und zum Schluß

Zur Frage der Singularität der Shoa habe ich keine Position bezogen und werde vermutlich auch keine beziehen können.
Für JüdInnen und Juden wiegen andere Fragen schwerer, z.B. wie nach der Shoa wo weiterzuleben sei. Für viele Gläubige ist die Frage nach der An- oder Abwesenheit von Gott wichtig.

Die Erklärung der Spezifik der Shoa, das konsequente Auslöschen allen jüdischen Lebens, als Wahnplan zur Heilwerdung der Welt, ist meiner Meinung nach unvollständig. Sie lässt unerwähnt, dass ein gesamtes Volk kooperierte, zuarbeitete oder zumindest duldete bzw. nicht nachfragte, weil nicht wissen wollte. Und das, nämlich die Schuld eines gesamten Volkes ohne vollständige spätere Einsicht, dafür mit Ergreifen jedes entlastungversprechenden Strohhalms bis heute, ist in der Tat geschichtlich einzigartig.



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