Iran: Einschüchterung von Oppositionellen im In- und Ausland



Von unserer Gastautorin Monireh Kazemi


Am 17.8.2020 wurde Mehraweh Khandan, Tochter der iranischen Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh*, durch Justizbeamte vor der Tür ihres Hauses festgenommen, abgeführt und nach vier Stunden für eine Kaution von umgerechnet circa 72.000 € frei gelassen.
Schon im Alter von zwölf Jahren wurde ihr  eine Auslandreise verweigert. Als sie 2016, vier Jahre später, mit ihrem Vater einen Pass zur Ausreise abholen wollte, wurde ihr dieser vorenthalten, und sie durfte das Land nicht verlassen.
So stand während der Jahre, in denen Nasrin Sotoudeh inhaftiert war, ihre gesamte Familie unter Druck. Auch Reza Khandan, ihr Ehemann und der Vater Mehraweh Khandans, war einige Zeit inhaftiert, und seine Kinder durften ihn nicht regelmäßig besuchen.
 Geiselnahme als Instrument der Unterdrückung
Geiselnahme liegt in der Natur der Islamischen Republik Iran. Schon in den chaotischen postrevolutionären Tagen verstärkten die Geistlichen ihre Macht, indem sie 1979 US-Diplomaten als Geiseln nahmen und sie über ein Jahr lang gefangen hielten. An der Mentalität der Machthaber in Teheran hat sich kaum etwas geändert. Noch heute nutzt die Islamische Republik die Geiselnahme wie selbstverständlich als Teil ihres außenpolitischen Instrumentariums.
Vor einigen Wochen hat die iranische Regierung eine Social-Media-Kampagne gestartet, in welcher die Entführung der New Yorker Journalistin Masih Alinejad gefordert wurde. Jam-e Jam, eine der wichtigsten Zeitungen des Landes, warnte: "Masih! Sei bereit! Du bist die Nächste, die entführt wird." Ebrahim Rezaei, stellvertretender Vorsitzender des Justizausschusses im Parlament, forderte die Geheimdienste offen dazu auf, die Entführung durchzuführen.
Letztes Jahr wurde Alireza Alinejad, der Bruder Masihs Alinejad und Vater von zwei kleinen Kindern, verhaftet und in das berüchtigte Evin-Gefängnis gebracht. Nach zehn Monaten Haft, einschließlich physischer und psychischer Folter, wurde er ohne Anwesenheit seines Anwalts heimlich vor ein Gericht gestellt und zu acht Jahren Haft verurteilt. All dies geschah offensichtlich aus dem einzigen Grund, seine Schwester Masih zum Schweigen zu bringen.
Das Regime hat im Laufe der Jahre viele Formen der Einschüchterung ausprobiert, um Aktivistinnen wie Masih Alinejad zum Schweigen zu bringen. Als jene etwa eine Kampagne gegen die islamischen Kleidungsvorschriften des Regimes ins Leben rief, antwortete das iranische Staatsfernsehen mit einem Bericht, in dem fälschlicherweise behauptet wurde, Masih selbst sei auf den Straßen Londons vergewaltigt worden, weil sie keinen Schleier getragen habe.
Auch Monireh Arabshahi die Mutter der 22-jährigen Yasaman Aryani, sowie Rahele Ahmadi, die Mutter der 20-jährigen Saba Kordafshari, sind inhaftiert worden, weil sie die Aktivitäten ihre Töchter gegen den Zwangsschleier unterstützten.
Weit über die Grenzen des Irans hinaus
Doch diese Unterdrückungen und Einschüchterungen sind keinesfalls Einzelfälle, und sie finden nicht nur im iranischen Inland statt.
Am 02. August wurde Jamshid Sharmahd, ein Dissident im kalifornischen Exil, in Dubai entführt und in den Iran verschleppt. Im iranischen Fernsehen und in den Zeitungen wurden Bilder von Sharmahd mit verbundenen Augen gezeigt. Diese Entführung feiern die Islamisten als Zeichen ihrer Übermacht, der keiner ihrer Gegner entgehen kann. Und es sind keine leeren Drohungen. Im Oktober letzten Jahres wurde der in Paris ansässige Ruhollah Zam, Gründer eines Oppositionskanals auf der Social-Media Telegram, in den Irak gelockt. Von dort verschwand er nach Teheran, wo er nach einem kurzen Schauprozess zum Tode verurteilt wurde.
Das Regime kennt keine Scham, wenn es darum geht, Geiseln als strategische Waffe einzusetzen. Jason Rezaian, Journalist der Washington Post, verbrachte mehr als ein Jahr als Geisel, die wegen Spionage angeklagt war, bis er freigelassen wurde. Aber es gibt Dutzende mehr, wie den iranisch-amerikanischen Siamak Namazi, die australische Akademikerin Kylie Moore-Gilbert, den iranisch-schwedischen Forscher Ahmad Reza Jalali und den iranisch-britische Nazanin Zaghari-Ratcliffe, die immer noch im Gefängnis sitzen.
Dies sind nicht nur Namen auf einer Liste. Es sind Menschen mit Söhnen, Töchtern, Müttern und Vätern, die hoffungsvoll auf ihre Freilassung warten.
Mord im Auftrag des Irans
Natürlich kennt die Islamische Republik auch die Praxis, Dissidenten im Ausland schlicht zu töten. Die Agenten von Ayatollah Khomeini ermordeten 1991 den letzten Premierminister des Schahs, den 77-jährigen Shapour Bakhtiar, in seinem Haus in einem Pariser Vorort. Der kurdische Führer Abdul Rahman Ghassemlou wurde in Wien ermordet, die Fernsehpersönlichkeit Ferydoun Farrokhzad in Bonn, 17. September 1992 im Berliner Restaurant Mykonos vier Exilpolitiker. Das jüngste Attentatopfer unter den iranischen Dissidenten war Masoud Molavi. Er wurde im vergangenen November in Istanbul auf offener Straße erschossen.
Im Jahr 2018 beschuldigte sogar Dänemark die Islamische Republik, die Ermordung von Oppositionsaktivisten auf dänischem Boden geplant zu haben. Auch die niederländische und die französische Regierung haben Teheran beschuldigt, die Ermordung von Dissidenten angeordnet zu haben. Dieses Verhalten der Islamisten in Teheran wird so lange anhalten, bis die internationale Gemeinschaft anerkennt, dass die Islamische Republik kein normales Regime ist. Entführung und Geiselnahme sind für einen Staat kein normales Verhalten. Die Islamische Republik wird das Schweigen des Westens als Akzeptanz betrachten.
*Nasrin Sotoudeh wurde am 14. Juni 2016 verhaftet und befindet sich seitdem im Gefängnis. Sie wurde beschuldigt, "Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" und "Propaganda-Aktivitäten gegen das Regime" getätigt zu haben. Zudem wurden ihre Mitgliedschaften im Nationalen Friedensrat, Mitgliedschaft in der Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe, Anwesenheit in der Vernehmung ohne Hijab und "Verbreitung von Lügen und Störung der öffentlichen Meinung" vorgeworfen. Am 9. Februar 2019 wurde sie dann zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Zusammen mit einem Urteil aus einem weiteren Verfahren beträgt ihre Gefängnisstrafe nun insgesamt 38 Jahre. Davon muss sie nach islamischem Recht mindestens 17 Jahre verbüßen.

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