„It´s all about body and sexuality“

 


Text und Fotos: Birgit Gärtner

Eine zufällige Begegnung mit Helmut Newton 

Neulich im Museum: Frauenbilder, soweit das Auge reicht. An sich ein schöner Anblick für eine Frauenrechtlerin, wenn …, tja, wenn nur das Frauenbild des Fotografen nicht so problematisch wäre.

Eigentlich war ich auf Ernst Barlach vorbereitet, doch das nach ihm benannte Museum in seinem Geburtshaus in Wedel (Schleswig-Holstein) „besetzt“ aktuell jemand anders: Helmut Newton. Bzw. dessen Fotographien – und zwar vom Keller bis zum Dach. Auf etwa 99% davon werden Frauen dargestellt, in allen möglichen – und vor allem unmöglichen – Positionen. Das Museum präsentiert eine Werkschau, in der die wichtigste Information über „die Ikone der Modefotographie“ völlig untergeht: Helmut Newton war Jude und emigrierte 1938 nach Singapur. Aus Gründen, die in dem Film zur Ausstellung mit „die Regierung war Scheiße“ (O-Ton Helmut Newton) abgetan wurden. Dass „die Scheiße“ seiner Familie die Existenz und seiner Lehrerin Yva das Leben kostete, erfahren wir leider nicht. Jedenfalls nicht in der Ausstellung, wohl aber auf der Webseite des Museums.

Gemischte Gefühle

„Ich liebe die Frauen“, betont Helmut Newton in einem der beiden Filme zur Ausstellung, in dem Falle ein Kurzfilm von Gero von Böhm. „Das sagen sie alle“, kontert eine Frau, die leider nicht würdig erschien, mit Namen versehen zu werden. Vermutlich eine Berühmtheit, die ich leider nicht kenne, weil mir nicht nur Helmut Newtons Werke, sondern die gesamte Modewelt am Allerwertesten vorbeigehen. Frauen zu lieben sei häufig eine Aussage derer, die von Männern wie Newton zu hören sei, wenn sie als sexistisch bezeichnet würden, sagt die mir Unbekannte.

Die von ihm Portraitierten sind da unterschiedlicher Ansicht, offenbar rief der Star-Fotograf bei ihnen gemischte Gefühle hervor.. Jody Foster spricht mit verschmitztem Lächeln über ihn, Sigourney Weaver und Daryl Hannah äußern sich positiv.

„Ich konnte immer entscheiden, was ich wollte und was nicht“, sagt eines einer Modells.  „Ich habe ihm gesagt, ich fühle mich wie eine Marionette“, sagt eine andere. „Er antwortete: Ja, das bist Du auch“.

Claudia Schiffer erklärt, sie habe immer roten Lippenstift tragen müssen. Ein ganz bestimmtes Rot. Es sei gut, sagt sie, wenn der Fotograph genau wisse, was er wolle, die Farben, die Haltung, die Orte. Genau, das absolut formbare Modell. Die absolut formbare Frau.

Frauenkörper inszeniert wie tiefgekühlte Schaufensterpuppen

„Er hält der Gesellschaft den Spiegel vor“, konstatiert Nadja Auermann. In gewisser Hinsicht stimmt das sogar, die Objektivierung der Frau ist unserer Gesellschaft systemimmanent. Davon lebt die Mode- und die Filmindustrie. Sie ist quasi mit Newton groß geworden – und Newton mit ihr.

Zu den wenigen Männerfotos, die zu sehen sind, gehört eine Serie mit dem Regisseur Robert Evans und dem Schauspieler Jack Nicholson. Die beiden Freunde standen bei „Chinatown“ vor, bzw. hinter der Kamera. Im Langfilm zur Ausstellung ist zu sehen, wie die Gesichter der beiden Männer sich immer näher kommen. Das wirkt leider bei weitem nicht so erotisch wie das Foto mit zwei sich küssenden Frauen. Das entstand 1974 und war seinerzeit Provokation pur. Weibliche Sexualität wird bis heute nicht wahr- und nicht ernstgenommen. Und auch bei Helmut Newton geht es nicht um Sexualität, schon gar nicht um weibliche Sexualität, sondern um Sexualisierung, also Objektivierung von Sexualität.

 Den formschönen Körper zu finden, sei nie sein Interesse gewesen, erklärt Newton, der eigenen Worten zufolge „spät“ mit Nacktaufnahmen anfing, in dem Film. Der Körper habe ihn nie interessiert, sondern das Gesicht. Das Problem dabei: Die Darstellung der Frauen, allesamt spindeldürr, meistens in entwürdigender Pose, splitterfasernackt, fast immer nur mit High Heels „bekleidet“, lenkt  den Blick des Betrachters wohl eher nicht auf deren Gesichter …  Abgesehen davon inszeniert er die Frauenkörper in einer gleichförmigen, glänzenden Kälte, die an die Monotonie in Fritz Langs „Metropolis“ erinnert.

In einem der Filme zur Ausstellung ist zu sehen, welche Torturen die Frauen aushalten mussten: Bis auf High Heels völlig unbekleidet mussten sie ungesunde Körperhaltungen vor die Linse bringen. Bis die gefunden wurde, das konnte dauern. Zwischendurch fingerte der Maskenbildner an ihnen rum, eine Haarsträhne über die Schulter, eine nach Newtons Anweisungen auf dem Busen drapiert.

Bei den Fotos die Köpfe abzuschneiden sie „unehrlich“, sagt Newton. Nein, das ist nicht unehrlich, das ist die Dehumanisierung von Frauen. Die absolute Objektivierung. Doch Frauen wie tiefgekühlte Schaufensterpuppen zu behandeln, ist da sehr dicht dran.

Auffallend ist, dass so gut wie alle Frauen High Heels tragen. „Stöckelschuhe (das unentbehrliche Signal für weibliche Hilflosigkeit: Diese Frau kann nicht weglaufen, noch nicht einmal vor Newtons Phantasien)“, schrieb Alice Schwarzer 1993 in der EMMA. In dem Artikel kritisiert sie auch die Aufnahmen lesbischer Paare, die mir so gut gefallen haben. Vielleicht ist es meine Distanz zum Thema, vielleicht einfach die Zeit, ich fand sie wie gesagt schön. 

 Nicht alles ist schlecht. Nicht einmal bei Helmut Newton. Abgesehen von dem Foto der küssenden Frauen hat mir ein Portrait der energisch wirkenden Anjelica Houston sehr gefallen.

 Jüdische Schicksale

Ob Helmut Newton die Frauen liebte, daran hab nicht nur ich so meine Zweifel. Zweifellos aber war er von Frauen umgeben und einer, seiner Frau June, hielt er 54 Jahre lang die Treue. Geboren wurde er 1920 als Sohn einer jüdischen Knopffabrikanten-Familie Neustädter in Berlin. Die Regierung, die er „Scheiße“ fand, war die von Adolf Hitler und der NSDAP geführte. Trotzdem sei es ihm in seiner Jugend gut gegangen, sagt er. Das ist nachvollziehbar, denn schließlich war er erst 18 Jahre alt, als er Berlin in Richtung Singapur verließ. Glaube spielte in seiner Familie keine große Rolle, die Kinder interessierte mehr der Heiligabend als Chanukka – wegen der Geschenke, 1936, als 16jähriger, brach er die Schule ab und begann, Frauen zu fotografieren, kurz Zeit später hatte er einen Ausbildungsplatz in einer der zu dem Zeitpunkt angesagtesten Foto-Agenturen: Die 20 Jahre ältere Ernestine Neuländer-Simon wurde seine Lehrerin. Die hatte als „Yva“ Karriere als Modefotografin gemacht. Sie portraitierte namhafte Persönlichkeiten für namhafte Medien. 1933 erhielt sie Berufsverbot, 1938 musste sie ihr Atelier aufgeben und die dazu gehörige Wohnung räumen. Eine Freundin übernahm die Leitung des Ateliers, in der Helmut Newton eine Ausbildung machte. 1942 wurden Yva und ihr Ehemann verhaftet und nach Sobibor deportiert, wo sie ermordet wurden. Vermutlich direkt nach ihrer Ankunft. Das Paar hatte Vorbereitungen für die Auswanderung getroffen, doch leider kamen die Nazis ihnen zuvor.

Das Judentum spielte in der Familie Newtons keine große Rolle, wohl aber für die Nazis: Auch die Neustädters wurden enteignet. Helmut Neustädter gelang die Flucht, zunächst nach Singapur, später nach Australien, dort wurde Helmut Newton aus ihm. 1945 eröffnete er ein Fotostudio, ab 1956 arbeitete er für die australische Ausgabe der Vogue.

Er wies auch seiner Frau ihrenen Platz zu: Hinter ihm

In Australien lernte er seine Frau June kennen und lieben, 1948 heiratete das Paar. Die ehemalige, nicht ganz unbekannte Schauspielerin wurde in den 1970ern als Alice Springs als Fotografin aktiv.  Dem Film zur Ausstellung nach zu urteilen, bestand ihre Hauptaufgabe als Fotografin darin, ihren Mann ins Bild zu setzen und seine Fotobände zu editieren. In Wahrheit jedoch konzentrierte sie sich sehr bald ausschließlich auf die Porträtfotografie und hatte mit Aufnahmen prominenter Zeitgenossen  1978 in Amsterdam ihre erste Einzelausstellung. 1983 folgte der erste Bildband. Doch bereits in den 1990ern konzentrierte sich ganz auf ihren Mann. Schade, dass die Ausstellung sie nur als starke Frau hinter dem großen Star behandelt und ihr nicht wenigstens ein winziges Eckchen einräumt, in der eigene Werke zu betrachten sind. Dann könnte sich das Publikum zumindest ein Bild von der Künstlerin Alice Springs machen, deren Bekanntheit Newton nutznießen konnte, um sie dann mitsamt ihres Namens zu schlucken. Er wertschätzte sie, wies ihr aber ganz klar den Platz seiner Assistentin zu. Leider auch die Ausstellung.

Ach, ja, übrigens: Das Ernst-Barlach-Museum in Wedel ist nicht barrierefrei. Das herauszufinden hatte mich ursprünglich in die Mühlenstraße 1 geführt. 


 

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