Jahrhunderte alte Tradition gerettet: Die Männerquote

 


 Text*: Birgit Gärtner 
 

Das Brandenburger Verfassungsgericht stufte das im Juni 2020 vom Landtag erlassene Paritätsgesetz als verfassungsfeindlich ein – und zementiert damit ein männerbündlerisches System

Im Juni 2020 erließ der Landtag in Potsdam ein Paritätsgesetz, demzufolge die Parteien bei den Listen zur Landtagswahl künftig abwechselnd Frauen und Männer aufstellen sollten. So sollte die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, deren gleichberechtigte Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen, ein Stück voran gebracht werden. Kürzlich erklärte das Landesverfassungsgericht dieses als „verfassungsfeindlich“. Ähnlich entschied der Thüringische Verfassungsgerichtshof im Juli 2020 bezüglich eines im Erfurter Landtag erlassenen Paritätsgesetzes. Die Kammern sehen die Organisationsfreiheit durch ein solches Gesetz verletzt. Damit stellen sie politische Systeme – männlich dominierte politische Systeme – über das Recht von Frauen an gesellschaftlicher und politischer Teilhabe. Doch das Problem ist nicht allein die Männerbünde schützende Gesetzgebung, sondern vor allem die ungleiche Rollen- und Aufgabenverteilung in der Gesellschaft, daraus resultierend Frauenmangel in politischen Parteien und mangelnde Sensibilität für deren Interessen und Rechte in Partei- und Wahlprogrammen.

Eine Männerquote gibt es seit 1848

Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte durften 1848 alle volljährigen, männlichen Deutschen die „Frankfurter Nationalversammlung“ wählen. 1867 führte Otto von Bismarck das Wahlrecht für Männer im „Norddeutschen Bund“ ein und im 1861 gegründeten „Deutschen Reich“ durften alle Männer über 25 Jahren wählen. Allerdings waren 34% der damaligen Bevölkerung jünger als 25, so dass nicht nur die Frauen, sondern auch etwa ein Drittel der aus heutiger juristischer Sicht erwachsenen und damit wahlberechtigten Männer von der Wahl ausgeschlossen waren.

Erst 1919 erhielten Frauen das Wahlrecht; am 19. Januar 1919 durften alle Personen über 20 Jahren wählen, 1945 wurde das Wahlalter auf 21 Jahre erhöht und 1970 auf 18 Jahre gesenkt. In Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein liegt das Wahlalter für Kommunalwahlen sowie Länderparlamente (außer Niedersachsen) bei 16 Jahren.

1919 durften Frauen nicht nur wählen, sondern es zogen auch 37 Frauen in die Nationalversammlung ein, insgesamt bestand sie aus 423 Abgeordneten. Von diesen 37 Frauen (8,7%) stellt die SPD 19 Frauen und die USPD mit 13,6% die höchste Frauenquote. Alle acht Reichstage bis 1933 konnten die Vorlage der Nationalversammlung mit 8,7% nicht erreichen.

Das bedeutet, Männer haben nicht nur 70 Jahre Vorsprung in Sachen parlamentarischer Demokratie, bzw. der Teilhabe daran, sondern sie hatten ausreichend Zeit, es sich in den Parlamenten so richtig schön gemütlich zu machen.

1945 betrug der Anteil der weiblichen Abgeordneten im ersten Bundestag 1949-53 6,8%, der Frauenanteil in der 1950 gewählten „Volkskammer der DDR“ 23%, 1986 waren es 32,2% in der DDR, in den 11. Deutschen Bundestag zogen 1987  15,4% Frauen ein, also etwa halb so viel wie in der Volkskammer. 1990 wurde zum ersten Mal seit 1933 in Gesamtdeutschland gewählt, der Frauenanteil im 12. Deutschen Bundestag betrug seinerzeit  20,5% und stieg kontinuierlich auf 36,5% beim 18. Bundestag von 2013-17, um in der aktuellen Legislaturperiode auf 30.7% zu fallen.

Das bedeutet, mehr als doppelt so viele Männer bestimmen die Geschicke eines Landes, in dem Frauen die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Noch jedenfalls, denn in allen Altersgruppen unter 60 Jahren herrscht mittlerweile Frauenmangel, die zähen alten Umweltsäue reißen es raus, so dass insgesamt 50,7% der Bevölkerung weiblich sind. Den größten Frauenmangel weisen die Altersgruppen zwischen 20 und 40 auf. Allerdings sind im Bundestag eher die älteren Semester, also die frauenstarken Jahrgänge, vertreten.

Das bedeutet, Männer entscheiden auch über die ureigendsten Belange von Frauen, deren rechtliches Verhältnis zu ihren Kindern oder über das Recht auf Schwangerschaftsabbruch beispielsweise.

Auch in den Länderparlamenten sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Ihr Anteil liegt zwischen 21,8% in Sachsen-Anhalt und 43,9% in Hamburg. In der Hansestadt sorgt indes nicht nur die Quotierung für einen hohen Frauenanteil, sondern auch das stark personenbezogene Wahlrecht. Offensichtlich sind Wählerinnen und Wähler stark geneigt, Frauen in Parlamente zu wählen. Das mag daran liegen, dass auch die Hälfte der Wahlberechtigten weiblich ist.

Frauenquoten ein alter Hut

Frauenquoten, zumindest parteiintern, gibt es seit 1932, beschlossen von der KPD auf ihrer dritten Reichsparteikonferenz 1932. Beschlossen wurde eine Quote von 25% -33% auf Bezirksebene. Die Grünen legten bei ihrer Parteigründung 1979 eine Frauenquote von 50% fest, die SPD entschied sich 1988 für eine 33%-Quote und steigerte sie 1998 auf 40%. Wie die Grünen beschloss auch die Partei DIE LINKE eine 50%-Quote.

Wer nun denkt, ok, Kommunisten, Sozialdemokraten, Grüne, war ja klar, darf sich nun wundern: 2010 setzte die CSU eine 40%-Quote für die Wahlen zu Parteigremien ab der Bezirksebene fest. Die CDU wird auf ihrem nächsten Parteitag ebenfalls über eine Frauenquote diskutieren. Lediglich die FDP lehnt eine Quote ab, sie setzt auf Freiwilligkeit. Von der AfD brauchen wir an dieser Stelle gar nicht zu sprechen; ein Frauenanteil von 17,8% verbietet die Festlegung einer jeden Quote, sofern sich die Partei damit nicht der Lächerlichkeit preisgeben will.

Das zeigt: Diese Quoten stellen die Parteien  vor große Herausforderungen, da keine einzige einen ihrer Frauenquote entsprechenden Anteil an weiblichen Mitgliedern hat. Allerdings übersteigt der Anteil der weiblichen Bundestagsabgeordneten bei den Grünen, LINKEN, der SPD und sogar der FDP den der weiblichen Parteimitglieder. Das wiederum zeigt: Ein Paritätsgesetz würde die etablierten Parteien vor Herausforderungen stellen, die jedoch lösbar wären. Einzig reine Männerparteien haben Schwierigkeiten damit. Das erklärt, weshalb in Brandenburg AfD und NPD gegen das Gesetz klagten.

Frauen halten den Laden am Laufen, Männer bestimmen die Richtlinien

Damit wären wir bei dem eigentlich Problem: Dem Anteil von aktiven Frauen in der Politik, genauer gesagt den Bedingungen, die sie davon abhalten, sich politisch zu engagieren oder gar eine Funktion zu bekleiden oder ein Amt anzutreten. Frauen und Männer haben i. a. R. komplett unterschiedliche Lebensrealitäten. Immer noch leisten Frauen den Löwenanteil der Carearbeit, immer noch arbeiten Frauen mehrheitlich nicht nur in mies bezahlten Jobs, sondern auch in denen mit bescheidenen Arbeitszeiten, die es ihnen nahezu unmöglich machen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, geschweigen denn politische Ämter wahrnehmen zu können. Es sind die Frauen, die den Haushalt schmeißen, Windeln wechseln, die Eltern pflegen, auch die Schwiegereltern, dem Göttergatten die Hemden bügeln, während dieser auf Parteisitzungen und Parteitagen große Reden schwingen kann. Ohne ihre Frauen wäre die Mehrheit der männlichen Abgeordneten überhaupt nicht in der Lage, diese Funktion auszuüben.

Welche Single-Mutter aus dem bayerischen Wald hat die Möglichkeit, an Berliner Sitzungswochen teilzunehmen? Das funktioniert in Flächenstaaten nicht einmal bei den Landtagen. Welche gering verdienende Single-Mutter kann sich eine Babysitterin leisten, um an Pateiveranstaltungen oder –versammlungen teilzunehmen? Natürlich sind nicht alle Frauen Mutter und auch Single-Väter werden das nur schwer leisten können. Aber die überwiegende Mehrheit der Frauen wird in ihrem Leben Mutter, nicht wenige sogar mehrfach. Frauen stellen 90% der Single-Eltern. Politisch spielen sie höchstens dann eine Rolle, wenn mal wieder das Sorgerecht zu ihren Ungunsten geändert wird und sie unter dem Deckmäntelchen des „Kindswohls“ über Jahre auch an Männer gekettet werden, die ihnen nach dem Leben trachteten.

Mit anderen Worten: Frauen haben vielfach weder die Zeit, noch das Geld, sich parteipolitisch zu engagieren, entsprechend fehlt ihre Stimme, fehlt ihre Sicht in den Parteien. Das wiederum bedeutet für die aktiven Frauen, dass sie sich diesem männlich dominierten Parteiapparat anpassen (müssen). Im Ergebnis hat keine Partei programmatisch Frauen wirklich etwas zu bieten und auch die politische Praxis – auch die der  Frauen – ändert nichts an deren gesellschaftlicher Diskriminierung. So beißt sich die Katze in den Schwanz.

Die AfD propagiert ein 1950er-Jahre-Frauen/Familienbild, das wird in der alten BRD glücklicherweise in den 1970er Jahren schon abgeschafft haben, und will die Väterrechte stärken. Bei CDU und CSU kommen Frauen programmatisch (fast) ausschließlich im Zusammenhang mit Familie und Familienpolitik vor. Die FDP fordert den „offenen Umgang mit den Möglichkeiten der modernen Reproduktion“ und will die Leihmutterschaft legalisieren. SPD, Grüne und Linke haben zwar eine Reihe frauenfreundlicher Forderungen, hinsichtlich gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit, Frauenquote, das Recht auf Schwangerschaftsabbruchs,  Strafbarkeit sexualisierter Gewalt, etc., konterkarrieren diese allerdings mit ihrer Haltung etwa zu Prostitution oder Islam. In weiten Teilen zumindest – und in den maßgeblichen Ebenen der Parteigremien.

Die zunehmende Gewalt im öffentlichen Raum, nicht nur gegen Frauen oder gar Femizide – im ersten Halbjahr 2020 wurde statistisch gesehen alle 42 Stunden eine Frau von ihrem (Ex)-Partner ermordet – interessieren weder die einen, noch die anderen. Die einen, weil sie einen Teil der Tätern nicht für ihre rassistische Agenda instrumentalisieren können, die anderen, weil Benennung eines anderen Teils der Täter an ihrem Besserdeutschen-Image kratzen würde.

Konservative Frauen machen einfach

Kurioserweise ist der Frauenanteil in Parlamenten erschreckend niedrig, trotzdem aber gibt es so viele weibliche Politpromis wie nie zuvor: Jede Partei hat medial präsente Frauen, von der AfD, bis zur CSU, wenn auch nicht auf Bundesebene, aber in Bayern spielen Frauen mit überregionaler Medienpräsenz eine Rolle. Interessant dabei ist, dass während Grüne, LINKE und sozialdemokratische Frauen sich um den ersten Quotenplatz streiten, die konservativen Frauen einfach machen. Zack! Ist eine Bundeskanzlerin. Zack! Die nächste Verteidigungsministerin. Zack! Die nächste EU-Ratspräsidentin. Das ändert trotzdem nichts an den Lebensbedingungen für Frauen, weil konservative Parteien nun mal die Rahmenbedingungen schaffen, die Frauen die unteren Plätze in der Arbeitsgesellschaft zuweisen. Wie wir wissen läuft es mit SPD und Grünen nicht besser, und dort, wo sie Regierungsverantwortung übernommen hat, beweist DIE LINKE, dass auch sie nicht wesentlich zu deren Verbesserung beiträgt.

Solange Linke und Grüne sich mehr um die Befindlichkeiten von 60 Identitäten statt um die Lebensbedingungen eines Geschlechts sorgen, Frauen in Männerkleidern zu puschen ein größeres Bedürfnis ist, als Grundschuldmädchen vor Verschleierung zu bewahren, Transition von Jugendlichen angepriesen wird, statt Frauen und Mädchen vor Genitalverstümmelung zu schützen, die Installation von Unisex-Toiletten ein dringenderes Anliegen ist als die Abschaffung von „Verrichtungsboxen“, Prostitution, die brutalste Form der (sexuellen) Ausbeutung von Frauen und Mädchen, als „Sexarbeit“ verklärt und zu einem „ganz normalen Job“ umgedeutet wird, Frauenhasser Assange sich größerer Aufmerksamkeit sicher sein kann als die Opfer von (nicht nur seinem) Frauenhass, der Anstieg (sexualisierter) Gewalt im öffentlichen Raum ignoriert und Frauenverachtung als putzige kulturelle Eigenheit abgetan wird und die Einbürgerung eines syrischen Integrationsverweigerers wichtiger erscheint, als Frauen in diesem Land vor dieser frauenverachtenden Kultur zu schützen, wird sich daran auch nichts ändern.

Ändern könnten es ohnehin nur die Frauen selbst. Sie müssen aufhören, sich um alle und jede zu kümmern, und anfangen, sich um sich selbst zu sorgen, ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen und nachdrücklich zu vertreten. Solange es zu viele Frauen gibt, die sich mit diesem männlich dominierten System arrangieren, die zu bequem sind oder Angst haben, Ansprüche zu formulieren und auf deren Umsetzung zu beharren, wird auch eine Quote nichts ändern.

Allerdings wäre es einen Versuch wert, mehr Frauen einzubeziehen und auszuprobieren, ob sich der parlamentarische Alltag, der Ton in der politischen Debatte und auch die Themen und deren Rangfolge, letztlich die Lebensbedingungen, ändern, wenn mehr Frauen politische Ämter bekleiden. Dazu bedarf es der Quote, denn mit der von der FDP favorisierten Freiwilligkeit wird es nicht funktionieren. Die Quote wurde von den Gerichten abgelehnt, u. a. weil einzelne Parteien gar nicht mehr kandidieren könnten, weil sie diese Vorgabe nicht erfüllen können. Die Prämisse kann aber doch nicht sein, Männerbünde in Amt und Würden zu bekommen, sondern die in der Verfassung verankerte Gleichberechtigung zu realisieren. Da müssen sich Parteien fragen lassen, die so weit weg von weiblichen Lebenswelten  agieren, mit welchem Recht sie eigentlich Mitsprache für sich in Anspruch nehmen – und das auf Kosten der Hälfte der Bevölkerung. Die ewigen Quotenmänner aber haben – die Männerbünde funktionieren weit über die Parlamente hinaus – die Gerichte hinter sich. Im Gegensatz zu uns Frauen, die immer und immer wieder – und nicht nur in Bezug auf die Quote – juristisch eine schallende Ohrfeige verpasst bekommen.

*Dieser Text wurde unter dem Titel "Brandenburg: Paritätsgesetz gekippt - schallende Ohrfeige für die Gleichberechtigung" im Internetmagazin Telepolis veröffentlicht. 
 

 

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