Stiftung würdigt den Kampf von Frauen gegen patriarchale, religiös determinierte Strukturen

 



Text: Birgit Gärtner

Die Ingrid zu Solms-Stiftung zeichnete die afghanische Bürgermeisterin Zarifa Ghafari und die Initiative „Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung“ aus 

Es gibt sie noch, die guten Nachrichten. Sogar für uns Frauen: Gestern wurde in Frankfurt der Menschrechtspreis der Ingrid zu Solms-Stiftung für die Jahre 2020 und 2021 verliehen. And the winners are: Zarifa Ghafari, Bürgermeisterin der afghanischen Stadt Maidan Shar, und die Initiative "Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung".    💓  lichen Glückwunsch den Gewinnerinnen! 

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen neuen Job, wollen am ersten Arbeitstag gut gelaunt Ihre neue Stelle antreten und statt ebenfalls gut gelaunter, mindestens aber höflicher Kolleginnen und Kollegen erwartet Sie ein „Männer-Mob“, der Sie „bedroht und daran …hindert“, Ihren „Dienst anzutreten“. Männer, „mit Stöcken bewaffnet“, die Steine nach Ihnen werfen. Unvorstellbar? Für uns ja, Zarifa Ghafari hat genau das erlebt. Vom Tag ihrer Wahl bis zu dem Tag, an dem sie u.a. mit Hilfe des Präsidenten Aschraf Ghani ihr Amt auch tatsächlich antreten konnte, vergingen neun Monate. Aschraf Ghani hält sie für einen „guten Präsidenten, der Frauen fördert, der an die Gleichberechtigung glaubt“, wie sie im Interview mit Aargauer Zeitung sagte.

Afghanistan – für Frauen not a place to be

2018 galt Afghanistan nach Indien für Frauen als zweitgefährlichstes Land der Welt. Kriterien waren  „Gesundheitswesen, Diskriminierung, kulturelle Traditionen, sexuelle Gewalt, Gewalt und Menschenhandel“. Auf den Plätzen 3 – 10 folgten: Syrien, Somalia, Saudi-Arabien, Pakistan, Demokratische Republik Kongo, Jemen, Nigeria, USA.

An alle Frauen: Stellen Sie sich vor, sie bekommen ein Kind, Ihr Name wird aber nicht in die Geburtsurkunde eingetragen, ebenso, wie der Name Ihrer Mutter nicht in Ihrer Geburtsurkunde steht, ärztliche Rezepte werden nicht auf Ihren Namen ausgestellt, Ihr Name taucht nicht auf Schul- oder anderen behördlichen Dokumenten auf, nicht einmal auf Ihrem Grabstein. Sie sind „die Tochter von, die Schwester von, die Ehefrau von, …“, aber Sie sind nicht Sie, Elke, Auma, Barbara, Gül, Ingrid, Sabine, Anke, Valerie, Fatima, Sarah, oder wie auch immer Sie heißen mögen. Und nicht nur das, Ihren Namen öffentlich zu nennen, würde die Ehre Ihrer Familie beschmutzen. Für uns ebenfalls unvorstellbar. In Afghanistan bittere Realität. Frauen wehren sich dagegen unter dem Hashtag #whereismyname.

Ausgelöst wurde das neue Bewusstsein für die eigene Identität durch die simple Tatsache, dass Präsident Ashraf Ghani in seiner Eröffnungsrede seine Ehefrau Bibi Gul bei ihrem Namen nannte. Für uns Normalität, in Afghanistan ein Tabubruch.

In Afghanistan dürfen Frauen nicht ohne Burka – Ganzkörperverschleierung, mit einem Stoffgitter auch in der Augenpartie – und nicht ohne männliche Begleitung auf die Straße, sie dürfen nicht laut in der Öffentlichkeit sprechen, da kein Fremder eine Frauenstimme hören soll.

Laut Medicamondiale wird eines von drei Mädchen in Afghanistan verheiratet, bevor es 18 Jahre alt ist,  sexualisierte Gewalt wird als einvernehmlicher Geschlechtsverkehr gewertet:

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Dieser ist nach afghanischem Recht strafbar. Das führte dazu, dass Frauen infolge einer Vergewaltigung als Täterinnen verurteilt wurden. Diesen juristischen Skandal konnten Aktivist:innen in den größeren Städten zumindest deutlich reduzieren. Jedoch besteht die Gefahr von familiärer Gewalt bis hin zu sogenannten Ehrenmorden nach einer Vergewaltigung oder aufgrund von (vermuteten) außerehelichen Beziehungen weiterhin. Auch die allgegenwärtige fortgesetzte Gewalt an zwangs- und frühverheirateten Frauen wird kaum erfasst.

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Die Müttersterblichkeit ist eine der höchsten der Welt, Mädchen haben einen sehr begrenzten Zugang zu Bildung, und trotz steigender Beteiligung von Frauen in Politik und Justiz, 25, bzw. 27%-Quote für das Parlament und etwa 20% der im Justizsystem Angestellten sind weiblich, leben Frauenrechtsaktivistinnen extrem gefährlich und werden z. T. gezielt ermordet. Appelle an Präsident Ashraf Ghani , sein Versprechen einzulösen, die Frauenrechtlerinnen schnell und effektiv zu schützen, blieben bis dato erfolglos. Nichtsdestotrotz ist Zarifa Ghafari  zu wünschen, dass Ashraf Ghani tatsächlich hinter ihr steht und seine schützende Hand über sie hält. Denn die 27jährige hat noch viel vor. Vor allem will die studierte Ökonomin

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ich dort [im Studium, Anm. B. G.] gelernt habe. Geld muss reinkommen, und Geld muss ausgegeben werden. So verfahre ich. Ich nehme ein und investiere gut, und die Leute merken langsam, dass ich damit etwas Wertvolles für die Bevölkerung erwirke.

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Dazu wünschen wir ihr alles erdenklich Gute.

Die Gewinnerinnen über ihre Arbeit

Die Aktivistinnen der Initiative „Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung“ stellen sich am besten selbst vor: 

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Die Gründerinnen der Initiative Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung sind Frauen, die den Aufstieg des Islamismus am eigenen Leib erfahren haben. Schon früh haben wir erlebt, wie Einfluss auf Kinder genommen wurde, wie Kritiker_innen, Andersdenkende und Andersglaubende unterdrückt und verfolgt wurden, wie Mädchen und Frauen entrechtet und herabgesetzt wurden. Auch hier in Deutschland stellen wir die Verbreitung eines ähnlich gewaltvollen und reaktionären Islamverständnisses fest.

Dem wollen wir entgegenwirken, indem wir uns für die Förderung des Individuums und seiner individuellen Rechte einsetzen. Aus diesem Grund treten wir auch für die Trennung von Staat und Religion ein. Denn für uns kann die vollkommene Freiheit und Gleichberechtigung der Geschlechter nur im Rahmen einer säkularen Demokratie gewährleistet werden.

Wir haben uns bewusst für ein Leben in Deutschland entschieden. Wir schätzen die existierende Demokratie, den Säkularismus und die Gleichberechtigung, die wir in den gesellschaftlichen Strukturen und im Bildungssystem wiederfinden – auch wenn sie immer noch nicht in allen Lebensbereichen vollständig umgesetzt sind. In unseren Geburtsländern waren uns diese Rechte zumeist verwehrt oder durch autoritäre Herrscher nicht oder nicht allen garantiert. Obwohl der Kampf gegen eine totalitäre Auslegung der Religion sowie frauenverachtenden Traditionen unser Leben geprägt hat, sind wir keine Opfer, sondern schöpfen aus unserer Vergangenheit Stärke und Selbstwert.

Einen Freiraum schaffen für alle

Mit den Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung wollen wir einen Freiraum schaffen, in dem sich alle Migrantinnen über ihre unterschiedlichen Lebensrealitäten austauschen können, ohne Angst vor sozialer Isolation, Verurteilung oder Repressalien. Wir wollen gemeinsam Wege zu einem selbstbestimmten Leben finden.

Unsere Arbeit richtet sich zunächst an muslimisch sozialisierte Mädchen und Frauen, aber auch an andere Frauen und Mädchen, deren Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten aufgrund patriarchalischer und religiöser Strukturen ebenso eingeschränkt sind und die nach einem selbstbestimmten und freien Leben streben. 

Unser Ausstieg aus unseren Gemeinschaften war kein leichtes Unterfangen, sondern ein langer Prozess: Die langjährige Unterordnung unserer Individualität unter das Kollektiv und seine Normen führten zunächst zur Orientierungslosigkeit, Einsamkeit und Ohnmacht. Schrittweise und mit viel Unterstützung durch Weggefährt_innen, entwickelten wir uns jedoch weiter und bauten uns ein Leben außerhalb unserer alten Communities, außerhalb eines erzwungenen Kollektivs auf.

Unser Feminismus ist säkular

Auch wenn das primäre Ziel des Säkularismus, also einer weitgehenden Trennung von Staat und Religion, nicht die Förderung der Frauenemanzipation ist, trägt er durch die Überwindung religiös-patriarchaler Ordnungen zur Gleichberechtigung der Geschlechter bei. Deshalb treten die Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung für die Stärkung der säkularen Demokratie ein.

Im Zuge des Säkularisierungsprozesses wurde die Bevorzugung einer Religion gegenüber anderen abgeschafft. Seit der Weimarer Republik wurde nach und nach eine Beeinflussung des Gesetzes durch religiös-patriarchalische Vorstellungen beseitigt. Religiöses Gesetz wurde staatlichen Gesetzen untergeordnet. Nicht zuletzt dürfen religiöse Kollektive die individuellen Freiheitsrechte ihrer einzelnen Mitglieder nicht mehr verletzen. Die Grundrechte und Sicherheit aller Bürger_innen müssen durch den Staat und seine Gesetze gesichert sein.

Denn die Situation ist todernst. Schließlich kann die Abwendung vom Islam, die Apostasie, je nach Land oder Gemeinschaft gravierende Folgen bis hin zur Ermordung haben. Nicht wenige der seit 2015 angekommenen Geflüchteten mussten fliehen, da sie Konfessionslose und Säkulare sind.

Auch Antisemitismus und antisemitische Übergriffe nehmen mit dem Aufstieg des Islamismus in Deutschland zu. Diese Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden ist nicht zuletzt auch auf Schulhöfen zu beobachten. Religiöses Mobbing gegenüber jüdischen Mitschüler_innen und muslimischen Mitschüler_innen, die sich „unislamisch“ verhalten, wie auch der fehlende Respekt gegenüber weiblichen Lehrkräften, sind zu einem großen Problem geworden, dass durch Angst vor „Ausländerfeindlichkeit“, später „antimuslimischen Rassismus“ von Seiten der Politik zu lange ignoriert wurde. Schulleitungen und Lehrkräfte brauchen hier dringend und deutlich mehr Unterstützung.

Die Schule muss ein neutraler Ort und Schutzraum bleiben, in dem alle Schüler_innen gemeinsam säkulare und freiheitlich-demokratische Werte lernen und einüben. Nur wenn allen Schüler_innen dieselben universellen Werte vermittelt werden, kann von Chancengleichheit und Gleichheit vor dem Recht gesprochen werden.

Auch die Religionsmündigkeit bleibt ein Recht, das viele muslimisch sozialisierte Kinder nicht ausüben können. Aufgrund einer Loyalitätspflicht des Kindes gegenüber Eltern und Kollektiv und wegen der Ächtung einer Abwendung vom Glauben, ist es dem Kind nahezu unmöglich, sich mit 14 Jahren von der Religion der Familie abzuwenden.

Im Rahmen eines weltanschaulich neutralen Ethikunterrichts können Kinder, die in patriarchal-religiösen Familien und Gemeinschaften aufwachsen und in denen ausschließlich die traditionelle Lebensform zulässig ist, andere Weltanschauungen und selbstbestimmte Lebensweisen entdecken und respektieren lernen. Dies gilt nicht zuletzt für die Akzeptanz von Nicht-hetero-Sexualität. Denn auch offen lebende LGBT aus muslimischen Gemeinschaften sind häufig täglichen Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt.

Die Integration von Migrant_innen in eine säkulare demokratische Gesellschaft kann nicht durch die Aufwertung ihrer religiösen Identität erfolgen, da letztere häufig Säkularität und „Unglauben“ ablehnen. In diesem Zusammenhang ist eine Kooperation mit religiösen Trägern wie den konservativen Islam-Verbänden, die althergebrachte Normen und eine religiöse oder kulturelle Identität aufwerten, im Bereich Antidiskriminierung äußerst kontraproduktiv. Denn Identitätsfindung kann in einer aufgeklärten Gesellschaft nur eine persönliche Entscheidung und ein individueller Prozess sein.

Die Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung machen sich aus all diesen Gründen stark für ein konkretes Voranschreiten des Säkularisierungsprozesses in allen öffentlichen Bereichen, und zwar auch im sozialen Sektor. Rückschritte müssen aufgehalten werden.

Unser Feminismus gilt den Migrantinnen

Vielfalt und Toleranz sind Trendwörtern geworden, deren leichtfertige Verwendung wir ablehnen. Die Bereicherung einer Gesellschaft durch Vielfalt ist nur gegeben, wenn das Miteinander und nicht das Nebeneinander gefördert wird. Vielfalt bedeutet für uns das Ablehnen eines Zwangs zu einheitlichem und kollektivem Denken, in der das Individuum in den Hintergrund einer Gemeinschaft gestellt wird. Ein Miteinander bedarf einer gemeinsamen Basis, diese sind für uns die Menschenrechte und die säkulare Demokratie. Denn sie ermöglichen eine offene Debatte und konstruktive Kritik auf Augenhöhe.

Der Begriff Toleranz darf nicht zu einer alles akzeptierenden Duldsamkeit einer Mehrheit gegenüber einer Minderheit werden, zu einer einseitigen Toleranz zwischen zwei ungleichen Parteien. Um diese Ungleichheit aufzuheben, verhält sich gegenwärtig die Mehrheit der Minderheit gegenüber auch dann tolerant, wenn Grundrechte und Frauen/Menschenrechte verletzt werden. Diese Form der Toleranz darf es in einem Rechtsstaat nicht geben.

Neben diesem falschen Verständnis von Vielfalt und Toleranz sind es oft ganz handfeste strukturelle Probleme, die die Integration von Migrant_innen erschweren. Beispielweise werden nicht selten insbesondere Migrantinnen von berufsfördernden Institutionen häufig in sog. niedrigschwellige „Frauenberufe“ vermittelt. Ein solches staatliches Handeln schafft für Migrantinnen auf ihrem Integrationsweg zusätzliche Barrieren.

Integration hört nicht beim Spracherwerb oder der Berufstätigkeit auf. Um eine tiefgreifende gesellschaftliche Teilhabe von Migrant_innen zu ermöglichen, ist es notwendig, dass der Staat ausschließlich mit zivilgesellschaftlichen Akteur_innen kooperiert, die Migrantinnen auf ihrem Weg zu mündigen Bürgerinnen unterstützen. Und genau an dieser Stelle wollen wir Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung mit säkularem und universell-feministischem Verständnis ansetzen

Gegen was wir uns wehren

In vielen muslimisch geprägten Familien herrscht immer noch ein Frauenbild, gegen das wir uns wehren! Mädchen und Frauen leben nicht selbst-, sondern fremdbestimmt. Die keusche tugendhafte Tochter, die gehorsame Ehefrau, die die Werte der Sittsamkeit an ihre Kinder weitergibt – unser Lebenslauf ist von der Wiege bis ins Alter durch Andere vorherbestimmt.

Häufig misst sich die Ehre der patriarchalen Familie an der Keuschheit ihrer weiblichen Mitglieder. Der Körper der Frau steht unter ständiger Beobachtung ihres Umfelds. Durch das Ideal der Jungfräulichkeit kann die Frau in ihrer Lebensführung eingeschränkt und vollends kontrolliert werden. Durch den Mythos der Jungfräulichkeit werden Mädchen und Frauen in zwei Kategorien geteilt – in keusche Trägerinnen der Familienehre und ehrlose “Huren”. Während die Mädchen von ihrem ganzen Familienkollektiv bevormundet werden, genießen ihre männlichen Altersgenossen meist eine „Narrenfreiheit“, solange sie nur vermeintlich „ehrlose“ Frauen anrühren.

Doch halten sich nicht alle jungen unverheirateten Frauen traditioneller Kreise an das Gebot der Jungfräulichkeit. Steht dann die Hochzeit an, wenden sich manche von ihnen an Ärzt_innen, um ihr Jungfernhäutchen wieder herstellen zu lassen. Auch in Deutschland werden immer mehr Ärzt_innen für eine solche Hymen-Rekonstruktion angefragt. Während bereits die öffentliche Information über den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland immer noch unter Strafe steht, darf für diesen fragwürdigen Eingriff, der nichts mit Aufklärung zu tun hat, im Internet geworben werden. 

Einige Familien greifen zu extremen Mitteln, um den guten Ruf, die Ehre ihrer Töchter zu bewahren und sie verheiraten zu können. Die Genitalverstümmelung ist einer dieser Menschenrechtsverletzung. Zwar ist dieser massive Angriff der Würde und Unversehrtheit von Mädchen in Deutschland verboten, dennoch nimmt die Zahl an genitalverstümmelten Mädchen in Deutschland immer noch zu. Denn es fehlt immer noch an ausreichenden Schutzmaßnahmen und Aufklärungsarbeit in den betroffenen Gemeinschaften.

Eltern können die Verantwortung für die Ehre der Tochter und damit die der Familie abgeben, indem sie ihre Tochter früh verheiraten. Je jünger sie das Mädchen verheiraten, desto unwahrscheinlicher sind mögliche voreheliche sexuelle Erfahrungen, so die Annahme. Kinderehen haben massive negative Folgen auf die Entwicklung eines Mädchens. Die Mädchen werden oft aus ihrem sozialen Umfeld gerissen, ihre Kindheit endet abrupt. Der Altersunterschied bedeutet ein ungleiches Machtverhältnis, junge Ehefrauen sind einem höheren Risiko von häuslicher Gewalt ausgesetzt. Häufig ist ihnen der Zugang zu Bildung verwehrt, was sie auch in Zukunft abhängig von ihrem Ehemann macht. Frühe Schwangerschaften sind zudem ein erhebliches Gesundheitsrisiko.

In diesem Zusammenhang betrachten wir auch den Begriff „arrangierte Ehen“ als unzulässige Beschönigung für Zwangsverheiratungen bzw. Zwangsehen, diese als eine moderne Form des Frauenhandels. Nur durch die Überwindung der Geschlechterapartheit und der Unterdrückung der weiblichen Sexualität können sich Menschen auf Augenhöhe begegnen, ineinander verlieben und sich freiwillig für eine Ehe entscheiden.

Während Väter und Söhne die Außenwelt erfahren, beschränkt sich der Bewegungsraum der Mütter und Töchter auf das Haus. Diese Trennung drückt sich am sichtbarsten im Verschleierungsgebot aus. Schon durch das sog. Kinder-„Kopftuch“ werden die Körper vorpubertärer Mädchen von ihren Familien als Objekte männlicher Begierde markiert. Trägt die Mehrheit der die Mädchen umgebenden Frauen ein Kopftuch, verinnerlichen die Mädchen dieses Erscheinungsbild als Normalität. Mädchen wird eingeprägt, sie selbst seien schuld an sexuellen Übergriffen, wenn sie sich nicht verschleiern. Zugleich wird sexuell übergriffiges Verhalten von Männern als „natürlich“ und unveränderbar dargestellt.  Diese aggressive Stigmatisierung des weiblichen Körpers bei gleichzeitiger Legitimierung oder zumindest Entschuldigung übergriffigen männlichen Verhaltens stellt die älteste und archaischste Form einer Rape Culture dar.

Die Unteilbarkeit und Unverhandelbarkeit der Menschenrechte für die Frau ist unser Leitsatz. Deshalb wollen wir jede Ideologie der Ungleichheit aufheben, insbesondere die zwischen Mädchen und Frauen aus migrantischen und denen aus nicht-migrantischen Familien. Hier gilt es das Individuum zu stärken – und damit geht notwendig die Bekämpfung der Übermacht der Kollektive einher. Das ist der freiheitlich-demokratische Staat allen auf seinem Territorium lebenden Menschen schuldig. Kinderrechte und Frauenrechte müssen für alle gleichermaßen gelten, ungeachtet der Herkunft, der religiösen Überzeugung oder kulturellen Zugehörigkeit. Und aus diesem Grund vertreten die Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung einen universalen Feminismus.

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Diesem Anspruch an Universalität von Frauen- und Kinderrechten möchten wir uns uneingeschränkt anschließen.

Die nun Geehrten sind nicht die ersten Frauen mit Wurzeln in muslimischen oder muslimisch geprägten Ländern, die von der Stiftung für ihr Engagement ausgezeichnet wurden: 2005 wurde Seyran Ateş ausgezeichnet, 2010 Sabatina James und 2018 Düzen Tekkal. Auch ihnen nachträglich herzlichen Glückwunsch. 

 



 

 

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