Die Deutschen entdecken den Spaziergang wieder...
...und ich bin auf der Suche nach Nazis und Aluhüten
Text Juliane Beer
Bild "Geradedenker sind mehr" am 31.12. am Moritzplatz
Im Herbst 2021 zeigt sich ein Phänomen im Land. Die Leute begehren auf. Und das ohne Erlaubnis und Bahnsteigkarte.
Da es seit gut zwei Jahren selbst innerhalb der Linken nicht mehr zum guten Ton gehört, gegen Regierungshandeln zu demonstrieren, zudem sowieso das Recht zu demonstrieren nur noch dann gewährt wird, wenn der Politik das jeweilige Anliegen beliebt, hat man sich hierzulande jetzt etwas ausgedacht. Vor dem Abendessen unternimmt man ab sofort einen gepflegten Spaziergang. Und wenn man schon einmal an der frischen Luft ist und dort andere Menschen trifft, die ebenfalls nicht mehr bereit sind, regierungsverordnete Spaltung und Hetze ins Werk zu setzen oder widersprüchliche Berichterstattung und willkürliche Maßnahmen, die keinen Sinn ergeben, zumindest nicht den, die Verbreitung von Corona einzudämmen, duldsam hinzunehmen, spaziert man eben gemeinsam durchs Revier.
Im Osten des Landes ging es los, der Westen hat sich ein gutes Beispiel genommen und zog nach.
Die Politik ist alarmiert. Medien, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Corona- Regierungskurs “positiv berichtend zu unterstützen“* eilen zu Hilfe. Sie klären auf, wer genau da spazieren geht. Es seien Rechte, Nazis, VerschwörungstheoretikerInnen und EsoterikerInnen, kurz Schwurbel-Volk, also Subjekte, mit denen Sie doch bestimmt nicht auf der Straße gesehen werden wollen, oder?
Nun muss man weder rechtsradikalem Gedankengut anhängen noch an Elfen und Engel glauben, um zu erkennen, dass in Sachen Demokratie und Gewaltenteilung in Deutschland irgend etwas nicht stimmt. Wenn der Präsident des Bundesverfassungsgerichts mit der Bundeskanzlerin zu Abend speist, um bei der Gelegenheit über Corona-Politik zu plaudern, müsste ein Aufschrei durch das Land gehen.
Der blieb aus.
Aufrufe von pensionierten (!) Staatsrechtlern, Grundrechte müssten auch während einer Pandemie gewahrt bleiben, wurden von den sogenannten meinungsbildenden Zeitungen hinter Bezahlschranken versteckt.
Man wollte schon verzweifeln, doch dann fingen die Leute an, spazieren zu gehen.
Nazis und Aluhüte?
Wie bereits erwähnt, in Ostdeutschland ging es los. Bekannte, die in der ehemaligen DDR groß geworden sind, argumentieren, man habe dort ein feineres Gespür für die momentane Situation. Es würden Erinnerungen wach werden. Dem kann und will ich nicht widersprechen. Ich bin in liberalen Ländern zu liberalen Zeiten mit einem Vater, der weder streng noch herrisch war, groß geworden. Dass es etwas anderes als Demokratie geben kann weiß ich zwar verstandesmäßig, kann es aber aufgrund meiner Sozialisation gefühlsmäßig nicht erfassen.
Ich vermute, dass es denen, die ähnlich wie ich aufgewachsen sind, ebenso geht. Es ist ein seltsames Gefühl, das sich da einstellt. Man erlebt, wie nach und nach elementare Grundrechte entzogen werden, da Politik und mit ihnen die Medien in so wichtigen Fragen wie beispielsweise Intensivbettenbelegung oder Impfstatus schlichtweg lügen*, und will es dennoch nicht wahrhaben.
Kundgebung am 31. Dezember
Inzwischen ist aber auch bei mir, einst Kind der Freiheit, angekommen, dass etwas unternommen werden muss, wollen wir das, was uns bislang selbstverständlich war, zurück erlangen.
Mit Nazis und SchwurblerInnen, wer immer zur letzten Gruppe gehören mag, will ich mich in der Tat nicht gemein machen. Also beschloss ich, mir diese berüchtigten Spazierrunden zunächst einmal anzuschauen.
31. Dezember, 14 Uhr, Moritzplatz. Kreuzberg, einst Epizentrum des Protests.
Der Treffpunkt wurde kurzfristig, und zwar zwei Stunden zuvor, im Berlin-Demokanal auf Telegram bekannt gegeben. Man wollte verhindern, dass die Aktion verboten werden würde.
Die Polizei liest natürlich mit und stand um kurz vor zwei bereits mit mehren Mannschaftswagen bereit. Etwas verspätet, wie in Berlin üblich, trafen auch die SpaziergängerInnen ein. Es handelte sich, dem Kleidungsstil und der Haartracht nach zu urteilen, um Kreuzberger Publikum. Als etwas mehr als 100 Leute beisammen waren lautete der Marschbefehl: Richtung Mitte.
Aber offenbar sind selbst KreuzbergerInnen nicht mehr so recht in Übung, denn man ließ sich kurzerhand von der Polizei einkesseln. Aus einem Mannschaftswagen wurde über Mikrofon verkündet, gestattet sei lediglich eine Kundgebung vor Ort. Mit Maske, sonst sei die Sause vorbei.
Einige alte Hasen, die sich noch dran erinnern konnten, wie man es macht, liefen dennoch los, wichen der Polizeisperre einfach aus, indem sie sich auf die Nebenstraßen verteilten. Wir anderen blieben brav am Platz. Eine Frau neben mir witzelte, wir seien halt alt und artig geworden. Ich gab ihr Recht, fügte aber hinzu, wir müssten genauer hinschauen, wie die Ostdeutschen es machten. Darauf konnten wir uns einigen.
Ein Musiker und ein Krankenpfleger, offenbar die Initiatoren, hatten Mikro und Lautsprecherbox dabei und organisierten spontan ein offenes Mikro am zugewiesenen Platz. Die Redebeiträge waren sämtlich hörenswert. Es sprach ein Notfallsanitäter über den Druck, sich impfen zu lassen und wies noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass das Präparat sich in der finalen Beobachtungsphase befände. Nur eben nicht an bezahlten Probanden, wie üblich, sondern an der Bevölkerung. International. Es wurde aus dem Arbeitsalltag berichtet. Fassungslosigkeit angesichts des hohen Verantwortungsbewusstseins dieser Leute auf der einen Seite und dem, was sie dafür über sich ergehen lassen sollten, auf der anderen Seite, machte sich breit. Zum Schluss es gab reichlich Applaus für den Mann.
Anschließend sprach ein Werbetexter mit Arbeitserfahrung in der Privat-Wirtschaft über Covid 19 und Biopolitik. (Biopolitik bzw. Biomacht zielt auf das Leben der Bevölkerung sowie auf den individuellen menschlichen Körper ab. Biomacht steht für ein Verständnis einer ambivalenten, nämlich einerseits fürsorglichen anderseits kontrollierenden Form der Machtausübung.)
Danach sprach eine Studentin über Zumutungen an der Uni, es folgte eine Krankenpflegerin, die ebenfalls über eine regelrechte Impf-Psychose am Arbeitsplatz berichtete. Und das bei einem Präparat, das weder vor Erkrankung noch vor Übertragung schütze und vor der neusten Variante sowieso nicht. Zudem müssten ungeimpfte Pflegerinnen ihre geimpften Kolleginnen, die wegen Krankheit ausfielen, vertreten.
Eine aus zehn Leuten bestehende Gruppe „Geradedenker“, die von der Polizei auf die andere Straßenseite verwiesen worden war, versuchte zu stören. Einem Gewitzten unter ihnen gelang es schließlich doch, sich über den Damm zu schleichen und den laufenden Redebeitrag zu bereichern:
Zitat: “Alte, halt die Fresse!“ Zitat Ende.
Nun kann man die Wut von “Geradedenkern“ natürlich verstehen. Beteuerungen der Regierenden hinsichtlich “Impfstoff“ und Rückerstattung der Grundrechte bei Wohlverhalten erwiesen sich sämtlich als lauwarme Fürze.
Nicht verständlich ist hingegen, warum man als “Geradedenker“ nicht vor das Kanzleramt zieht, um dort herumzupöbeln. Weil man Angst hat, dass man mit einem weiteren Schwall Kokolores zum Schweigen gebracht wird? Möglich. Ohnmacht gehört vermutlich zu den schlimmsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann. Der Störer kehrte zu seinen LeidensgenossInnen zurück.
Gegen 15 Uhr fuhr ein Protest-Korso am Moritzplatz vorbei, der bejubelt wurde. Auch in den Autos und auf den Motorrädern saß, der Aufmachung nach zu urteilen, das ganz normale Bürgertum.
Wo aber waren die viel zitierten Nazis und Aluhüte?
Am Montag darauf begab ich mich erneut auf die Suche nach ihnen und zwar im Bezirk Tegel am Treffpunkt Fußgängerzone nahe Tegeler Hafen. Hier lebt der gut situierte Mittelstand.
Nicht nur zu meinem Erstaunen fanden sich gegen 18 Uhr vor dem C&A-Kaufhaus nach und nach mehr als 300 Menschen ein. Viele Frauen mit Kindern und ältere Menschen, wie man sie im Sommer nachmittags in den Cafés der Fußgängerzone und am Hafen sieht. Einige wirkten, als würden sie zum ersten Mal in ihrem Leben demonstrieren. Friedlich setzte sich der Zug über die Berliner Straße Richtung Rathaus in Bewegung, unterwegs schlossen sich PassantInnen an. Gesprochen wurde untereinander über nicht nachvollziehbare Maßnahmen in Schulen und Kitas und immer wieder über das Impfen, womit jetzt auch die Jüngsten unter Druck gesetzt werden würden. Entgegen der Berichterstattung in den Medien forderte man sowohl hier als auch drei Tage zuvor in Kreuzberg das Selbstverständliche, nämlich eine freie Impfentscheidung und nicht ein Verbot der Impfung.
Auch in Tegel wurde ich in Sachen Nazis und Aluhüte nicht fündig.
Fazit
Die Politik wäre gut beraten, den Unmut der Bevölkerung zur Kenntnis zu nehmen und nach fast zwei Jahren endlich zu Recht und Demokratie zurückzufinden.
Allerdings gewinnt man mehr und mehr den Eindruck, dass sie das nicht mehr kann, zu viel Fragwürdiges ist vorgefallen. So ist die unheilvolle Lage entstanden, dass es nur noch darum geht, das Spiel so lange wie möglich am Laufen zu halten, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. Wie lange das noch gut geht wird sich zeigen. Ewig sicher nicht, das liegt in der Natur der Sache. Immer mehr BürgerInnen finden Gefallen daran, vor dem Abendessen einen gepflegten Spaziergang zu unternehmen. Bleibt zu hoffen, dass die Menschen friedlich bleiben. Denen, die ich getroffen habe, traue ich auch weiterhin Vernunft und Besonnenheit zu. Aber auch, dass sie ab jetzt keine Ruhe mehr geben werden, bis sie das Selbstverständliche zurückerlangt haben.
Ihre Rechte.
https://www.nebelspalter.ch/geheimes-video-zeigt-ceo-marc-walder-zwang-alle-redaktionen-der-ringier-medien-weltweit-auf-regierungskurs
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https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/coronavirus/Inzidenz-in-Hamburg-Impfstatus-der-Infizierten-oft-unklar,coronazahlen1530.html
https://www.merkur.de/bayern/bayern-corona-markus-soeder-inzidenz-lgl-ungeimpft-geimpft-zahlen-impfen-appell-91158104.html
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