Türkei: Kampfdrohnen – das lukrative Geschäft mit dem Tod

 

Ist möglicherweise ein Bild von außen und Text „T NOT SPREAD AD L BLOOD“

Text: Birgit Gärtner


Die türkische Kampfdrohne TB2 kommt in den kurdischen Gebieten zum Einsatz und wurde in mindestens 13 Länder exportiert, auch in die Ukraine

Trägt der Ukraine-Krieg durch den Einsatz der TB2 zur Finanzierung des Terrors der Regierung in Ankara gegen die kurdische Bevölkerung bei – auch in den Nachbarländern der Türkei? Auf jeden Fall fließen die Gelder aus dem Verkauf der Kampfdrohne TB2 in die Entwicklung des Nachfolgemodells TB3, das von Flugzeugträgern aus starten und mit Luftraketen ausgestattet werden kann.

Es war eine Märchenhochzeit wie aus einem Hollywood-Film: Am 4. Juni 2016 heirateten Sümeyye und Selcuk mit viel Pomp und 6.000 Gästen in Istanbul. Zwei Monate zuvor hatte das Paar sich verlobt.

Sümeyye ist die jüngste Tochter des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, Selcuk ist der Sohn des Technikfabrikanten Özdemir Bayraktar. Durch sein Zutun ist das Unternehmen zu einem der bedeutendsten Rüstungsunternehmen der Türkei geworden. Der Ingenieur entwickelte die unbemannten Kampfflugzeuge, die in den kurdischen Gebieten auch außerhalb des türkischen Staatsgebietes, getestet wurden und bislang in mindestens fünf Konfliktregionen zum Einsatz kamen: Syrien, Irak, Libyen, Aserbaidschan und nun in der Ukraine.

Eine Märchenhochzeit vor märchenhafter Kulisse mit sehr irdischen Gästen: Die Liste der Trauzeugen liest sich wie das Einladungsschreiben zu einem Panislamischen Treffen. Genannt werden – mit wenigen Ausnahmen – lauter Männer, die drei Dinge einen: Reichtum, poltische Macht und das Bekenntnis zum fundamentalen Islam, zum Teil mit Verbindungen zur Muslimbruderschaft (MB).

Özdemir Bayraktar war Schüler von Necmettin Erbakan – beruflich und politisch. Der Professor der Technischen Universität Istanbul, an der Özdemir Bayraktar studierte, war der Gründer der Bewegung „Millî Görüş“ (Nationale Sicht), eine fundamental-islamische Strömung. „Millî Görüş“ ist orientiert an den Vorstellungen Hasan al-Bannas, dem Gründer der Muslimbruderschaft (MB). Wie Hasan al-Banna war auch Necmettin Erbakan Anhänger Adolf Hitlers; entsprechend verankert ist der Antisemitismus in dieser Ideologie.

Necmettin Erbakan seinerseits studierte u.a. an der Technischen Universität Aachen, wo er auch promoviert wurde. Vielleicht erklärt das seine Bindung an Deutschland. Jedenfalls gelang es ihm, u.a. durch Zutun von Franz-Josef Strauß, seine politische Bewegung auch in Deutschland zu etablieren als „Islamische Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG). Die will eigenem Bekunden zufolge inzwischen nichts mehr mit der türkischen Ursprungsorganisation und deren antisemitischer, MB naher Ausrichtung zu tun haben, dabei gibt es verwandtschaftliche Beziehungen zwischen der IGMG und dem Milieu, das vom Verfassungsschutz als MB nah eingestuft wird.

Auch Recep Tayyip Erdoğan ist ein Zögling Necmettin Erbakans und soll schon in jungen Jahren auf politischer Ebene Kontakt zu Özdemir Bayraktar gehabt haben. „Millî Görüş“ ist die ideologische Grundlage der AKP, die als türkischer Zweig der MB gilt.

„Die gefährlichste Waffe der Ukraine“

Özdemir Bayraktar war der Gründers des Konzerns Baykar Makina (Baykar Technologie). Baykar steht für Bayraktar und Kardeşler, übersetzt Gebrüder Bayraktar. Das Unternehmen arbeitete zunächst der Autoindustrie zu, bis Selçuk Bayraktar während seines Ingenieursstudiums in den USA auf die neue Technologie der unbemannten Kampfdrohnen aufmerksam wurde. Er entwickelte ein komplett von den USA unabhängiges Kampfdrohnensystem, u.a. die Kampfdrohne des Typs TB2, die im April 2022 sowohl an dem Angriff der ukrainischen Armee auf das russische Kriegsschiff Москва als auch beim Angriff der türkischen Armee auf kurdische Gebiete im Nordirak beteiligt gewesen sein sollen. Fakt ist: Die ersten Probeläufe absolvierte die TB2 im Dreiländereck Türkei-Irak-Syrien, unterdessen wurde sie in verschiedene Länder verkauft, darunter auch die Ukraine. Laut Stern handelt es sich bei der TB2 um "die gefährlichste Waffe der Ukraine".

Offensichtlich sorgte Recep Tayyip Erdoğan nicht nur dafür, dass die Firma Baykar Technologie Aufträge vom türkischen Militär bekam, sondern half, deren Produkte  ins Ausland zu exportieren.

Die Hochzeit ist also ein wahrer Glücksfall, nicht nur für das Paar, sondern festigt die Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft, zwischen Militär und Rüstungsindustrie – und ganz nebenher auch Erdoğans Verbindungen in die islamische Welt, wie ein Blick auf die Liste der Trauzeugen zeigt.

Illustre Gesellschaft

Den Bildern nach zu urteilen, war er ein schöner, sonniger Tag, der 4. Juni 2016 in Istanbul. Gut, bei durchschnittlich 4 Regentagen im Juni in Istanbul kein Kunststück.

Er war aber auch ansonsten ein schöner Tag. Ob für die Braut, ist nicht überliefert. Sicher für ihren Ehemann, und auch politisch für ihren Vater, denn solche Feierlichkeiten sind nicht rein privater Natur, sondern immer auch zwangloser Rahmen für politische Zusammenkünfte. So traf es sich gut, dass laut SPIEGEL „auch der pakistanische Regierungschef Nawaz Sharif und andere Spitzenpolitiker aus dem Ausland“ anwesend waren. Leider verschweigt uns der SPIEGEL, wer denn die „anderen Spitzenpolitiker“ waren. Da hilft die Daily Sabah weiter, die ausführlicher über den  illustren Kreis der Trauzeugen berichtete. Der britische Ableger der türkischen Sabah müsste es wissen, denn das Blatt gehört zur Çalık Holding, deren CEO lange Jahre Berat Albayrak war, der andere Schwiegersohn Recep Tayyip Erdoğans, den dieser als Energieminister in sein Kabinett holte und der später Finanzminister wurde, bevor er im August 2020 aus gesundheitlichen Gründen von diesem Amt zurücktrat.

Laut DailySabah bestand dieser illustre Kreis u.a. aus Ahmet Davutoğlu, dem ehemaligen Ministerpräsident der Türkei, und Abdullah Gül, Recep Tayyip Erdoğans Vorgänger als Präsident, beide Mitglied in der Regierungspartei AKP. Auch Abdullah Gül ist Anhänger von Millî Görüş, während seiner Amtszeit als Außenminister verfasste er ein Rundschreiben an die diplomatischen Vertretungen der Türkei in Deutschland, mit der Anweisung, die IGMG zu unterstützen.

Dem illustren Kreis gehörte auch Halusi Akar an, damals wie heute Verteidigungsminister der Türkei, der letztlich den Einsatz der TB2 verantwortet.

Außerdem der bereits erwähnte Nawaz Sharif, der sich der streng islamischen Muslimliga anschloss und gute Kontakte zu Mohammed Zia-ul-Haq unterhielt. Dieser regierte Pakistan von 1977 bis 1988 und bewirkte laut Wikipedia

<< 

eine umfassende Islamisierung des öffentlichen Lebens, der Politik und des Justizsystems. So führte er mit den Hudood Ordinances islamische Hadd-Strafen wieder ein – wie zum Beispiel das Handabhacken bei Diebstahl oder die Steinigung bei Ehebruch – und wurde so zum Vorreiter des weltweiten Trends zur Wiedereinführung der Scharia.

>> 

Mit von der Partie war der damalige bosnische Präsident Bakir Izetbegović, dessen Vater die der MB nahestehenden Stranka demokratske akcije (Partei der demokratischen Aktion, kurz SDA) gründete, deren Präsident Erdoğans Gast zu dem Zeitpunkt war.

Auch der ehemalige libanesische Premierminister Saad Hariri bezeugt die Ehe der Erdoğan-Tochter mit dem Fabrikantensohn. Er entstammt einer Familie mit guten Kontakten zum saudischen Königshaus.

Beste Beziehungen zu Albanien

Nicht ganz ins Bild der Panislamischen-Konferenz passt die Teilnahme des albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama, der eigenem Bekunden zufolge zwar katholisch gekauft, jedoch nicht gläubig ist. Allerdings traf sich Edi Rama schon sehr bald nach seiner Vereidigung am 10. September 2013 mit Recep Tayyip Erdoğan in Pizren (Kosovo). Laut TRT unterhalten die beiden Länder beste Beziehungen:

<< 

Ja, es stimmt, dass die Beziehungen zwischen der Türkei und Albanien seit 2013 unter der Regierung von Ministerpräsident Edi Rama einen deutlichen Aufschwung erfahren haben, bis hin zum Abkommen vom 6. Januar 2021, in dem der Strategische Kooperationsrat auf hoher Ebene zwischen den beiden Ländern unterzeichnet wurde. Schon in der Zeit von Mustafa Kemal Atatürk wurde zwischen den beiden Ländern ein Vertrag über ewige Freundschaft unterzeichnet, der auch während des kommunistischen Regimes in Albanien Bestand hatte.
Diese Beziehung wurde auch unter den Premierministern Demirel, Turgut Ozal, Tansu Çiller, Ecevit und Erbakan fortgesetzt. Unter der Herrschaft von Recep Tayyip Erdoğan hat sich diese Beziehung in einem Niveau türkischer Investitionen in Albanien in Höhe von 3,5 Milliarden US-Dollar, 600 Unternehmen und 15.000 Beschäftigten konkretisiert. Darüber hinaus spendete die Türkei 520 Wohnungen für die Erdbebenopfer, ein regionales Krankenhaus in der Stadt Fier und eine Million Impfstoffe zum Einsatz gegen die Covid-Pandemie.
All diese Beziehungen, die als Ausdruck der „Brüderlichkeit“ wahrgenommen werden, haben die Sympathie der albanischen Bevölkerung für die türkische Regierung sowie für das türkische Volk und die türkische Kultur an sich erhöht. Umfragen westlicher Nichtregierungsorganisationen in Albanien haben ergeben, dass die Wertschätzung für die Türkei stärker gestiegen ist als die Wertschätzung für die USA und die EU.

>>

Von Trauzeuginnen war übrigens nirgendwo was zu lesen …

Dunkle Wolken ziehen am Hause Erdoğan vorüber

So schön der Tag auch gewesen sein mag, einige Wolken am politischen Horizont zeichneten sich bereits ab: So galt die Anwesenheit Ahmet Davutoğlus als Überraschung, denn er war kurz zuvor von seinem Amt als AKP-Vorsitzender und somit als Ministerpräsident der Türkei zurückgetreten. Und zwar aus Protest gegen die Pläne Recep Tayyip Erdoğans, ein Präsidialsystem mit ihm selbst an der Spitze zu installieren, das ihm praktisch den Status eines Alleinherrschers verlieh. Auch Abdullah Gül gehörte zu den Kritikern dieses Plans. Doch wie allgemein bekannt kam Recep Tayyip Erdoğan der Zufall, konkret ein Putschversuch, zu Hilfe, in dem er sich als starker Mann am Bosporus gerieren und seinen ambitionierten Plan enorm puschen konnte. Die  Hintergründe dieses Putschversuches sind bis heute nicht aufgeklärt.

Zum Zeitpunkt der Hochzeit wurden Unterlagen ausgewertet, die im November 2017 als „Paradise Papers“ für Aufsehen sorgen sollten. Darin wurde beschrieben, wie in tausenden Fällen Milliardäre und Konzerne mittels Geldwäsche und Verschleierung – unter anderem durch Gründung von Briefkastengesellschaften und Nutzung von Offshore-„Steueroasen“ – Steuervermeidung und Steuerhinterziehung betrieben wurde. In den „Paradise Papers“ taucht auch die Çalık Holding auf, bzw. der Name Serhat Albayrak, der ältere Bruder von Berat Albayrak.

Bekanntermaßen hatte all das wenige Auswirkungen auf Präsident Erdoğan und seinen Clan. Das kann Nawaz Sharif nicht von sich behaupten, denn dieser musste von seinem Amt zurücktreten, nachdem bekannt wurde, dass drei seiner vier Kinder in den Skandal um die Panama-Papers verwickelt waren, die am 3. April 2016 veröffentlicht wurden. Das war zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits bekannt und im Sommer 2017 wurden Ermittlungen eingeleitet, die zu seiner Amtsenthebung und einer Verurteilung zu 10 Jahren Haft führten. Im September 2018 wurde er gegen Kaution aus der Haft entlassen, nachdem der Berufung gegen das Urteil eingelegt hatte. Das Verfahren läuft noch.

Exportschlager TB2

Was so am Rande der Feierlichkeiten, zwischen Sekt und Kaviar, Verzeihung Tee und Baklava, besprochen wurde, ist nicht bekannt. Mittlerweile wurden die Drohnen allerdings von Katar, oder in Syrien und anderen Orten eingesetzt. Laut Telepolis

<< 

haben Polen, die Ukraine, Katar, Aserbeidschan, Nordzypern, Libyen (Regierung der Nationalen Übereinkunft - GNA) und Marokko TB2-Drohnen gekauft.

Im September 2020 kamen die türkischen Drohnen mit Präzisionsraketen und elektronischer Kriegsführung im Krieg zwischen Armenien und Aserbeidschan um Nagorno-Karabakh wieder zum Einsatz und verhalfen Aserbeidschan zu einem schnellen und vernichtenden Sieg über das mit alten russischen Waffen ausgestattete Armenien. Aus der Erfahrung hat Armenien inzwischen auch Kampfdrohnen entwickelt.

>> 

Verdient an diesen Deals nur Baykar Makina? Bzw. Bayrak Makina und die Kale-Group, die die TB2 in Ko-Produktion auf den Markt bringen. Oder auch die türkische Regierung?  Trägt der Ukraine-Krieg auf diesem Wege zur Finanzierung des Terrors der Regierung in Ankara gegen die kurdische Bevölkerung bei – auch in den Nachbarländern der Türkei? Auf jeden Fall fließen die Gelder aus dem Verkauf der Kampfdrohne TB2 in die Entwicklung des Nachfolgemodells TB3, das von Flugzeugträgern aus starten und mit Luftraketen ausgestattet werden kann.

Laut Haluk Bayraktar, Bruder von Selcuk und Geschäftsführer des Unternehmens, verändert „die Drohnentechnologie die Kampfdoktrinen“, was nichts anderes heißt, als das Kriege noch technischer, noch abstrakter – und noch tödlicher werden. Krieg wird zum Computerspiel und es bedarf weitaus weniger Skrupel, auf einen Knopf zu drücken, als ein Flugzeug zu besteigen und Bomben über einem Gebiet abzuwerfen. Nur die Folgen – Zerstörung, Flucht, Leid, Tod und Trauer – bleiben dieselben.

 

Kommentare

Beliebte Posts