Kunstfreiheit vs. Antisemitismus

Text Juliane Beer

 



Am 3. und 4. Dezember fand im Tikvah Institut, Berlin die öffentliche Tagung

Kunstfreiheit als Ausrede? Salonfähiger Antisemitismus und documenta 15

statt.

Das Tikvah Institut wurde im Sommer 2020 von Deidre Berger und Volker Beck gegründet. Erklärtes Ziel ist die Organisation einer Zusammenarbeit aller Bereiche der Gesellschaft (Wissenschaft, Pädagogik, Zivilgesellschaft, Politik), um Antisemitismus einzudämmen.
 

Die Veranstaltung

Hintergrund
Aufgrund der BDS-Nähe bzw. BDS-Unterstützung einiger KünstlerInnen, die auf der documenta 15 ausstellen sollten, war bereits Anfang 2022, also noch vor Eröffnung, eine Debatte über Antisemitismus und Kunstfreiheit im Feuilleton entbrannt. Warnungen wurden als Zensurversuche zurückgewiesen, nach Eröffnung der documenta 15 sorgte zunächst ein Werk mit Abbildungen antisemitischer Stereotypen für Aufsehen, weitere Exponate folgten. Es wurden Rufe nach Beendigung der gesamten Kunstmesse laut, was von der Gegenseite wiederum als Zensurversuch zurückgewiesen wurde.
 

Auf der Tagung Kunstfreiheit als Ausrede? Salonfähiger Antisemitismus und documenta 15 am ersten Dezember-Wochenende sollten Ereignisse rund um die documenta, politische Verantwortung und zukünftige Maßnahmen erörtert werden. Durch die breite Auswahl an ReferentInnen wurde zudem Hintergrundwissen vermittelt.
Die Veranstaltung fand in Präsenz sowie über Livestream statt. Ich habe mir einige Gesprächsrunden live bzw. über stream angeschaut/angehört.


Die Gesprächsrunden
 

Kunstfreiheit - für wen? Anmerkungen zur Situation jüdischer bzw. antisemitismuskritischer Künstler:innen

Es nahmen teil: Adriana Altaras, Schauspielerin, Leon Kahane, Künstler, Bernhard Schulz Kunstkritiker, Olaf Zimmermann vom Bundeskulturrat

Gleich mit der ersten Frage, nämlich wer für die umstrittenen Werke auf der documenta verantwortlich gewesen sei, hatte man sich offenbar verhoben. Die Verantwortung wurde von einer Ebene zur nächsten geschoben, dann mehr oder weniger ratlos zur Frage: Für wen gilt Kunstfreiheit gewechselt. Für die KünstlerInnen gelte sie, so hieß es, ohne dass jemand Einspruch erhob, nicht aber für die Veranstalter. So. Doch warum dann diese Debatte? Kunst darf entweder alles, oder aber das, was sie nicht darf, wird vom Veranstalter aussortiert. Dann kann man jedoch nicht mehr von Kunstfreiheit sprechen. Inzwischen war die Runde auf den, meiner Meinung nach, Kern des Problems gestoßen: Haben politische bzw. soziale Statements etwas auf einer Kunstmesse zu suchen?

Man blieb unentschieden.

Dass es heutzutage nicht nur in der bildenden Kunst, sondern zudem in der U-Musik, im Bereich Filmkunst und in der Literatur natürlich sowieso nicht mehr um Kunst, sondern so gut wie immer lediglich um Haltung bzw. politisches Statement geht, wurde leider nicht deutlich thematisiert, obwohl der Schlachtruf der documenta unmissverständlich Make Love not Art gelautet hatte. Make Politics not Art wäre wahrscheinlich noch passender gewesen. Hätte die Runde diesen Slogan ernst genommen, hätte es allerdings keinen Sinn mehr gemacht, überhaupt noch weiter zu diskutieren.

Erfrischend in der bräsigen Herrenrunde war die Schauspielerin Adriana Altaras, die zunächst einmal ihre Abneigung gegen das Berufsjudentum kundtat, leider ohne Applaus, zudem ihre Unlust, ständig zu Antisemitismus befragt zu werden, beides aber gleich darauf konterkarierte, indem sie erzählte, wie sie sich am Set verhielte, nämlich so: "Guten Tag, ich bin Jüdin, wann fangen wir mit den Proben an!"
Würden sich alle Jüdinnen und Juden ein gutes Beispiel an Altaras nehmen, würde dies Nichtjuden möglicherweise endlich dazu veranlassen, sich einen eigenen Kompass zuzulegen, was wiederum dazu führen würde, dass man im Nachgang keine Begossene Pudel-Runden bräuchte.

Am zweiten Tag der Konferenz fand man sich nach dem Mittagessen zum Thema Immer Israel zusammen.

Es sprachen 

Lorenz Deutsch, FDP und Vorsitzender Liberale Freunde Israels, Prof. Dr. Stephan Grigat vom Centrum für Antisemitismus- und Rassismusstudien, NRW, Marko Martin, Journalist und Autor, Dr. Ofer Waldman, Autor.

Darf man Israel kritisieren und wenn ja wie und bis zu welchem Punkt?

Es kam wie erwartet. Die Redner hatten, aus ihrer jeweiligen Perspektive betrachtet, allesamt Recht: Waldman, weil er in Israel lebt(e) und mit seiner arabischen Nachbarschaft auskommen muss und möchte, Grigat, der es besser machen will/besser macht als die Altvorderen und - da nicht in Israel wohnhaft - aus dem wohl temperierten Wohnzimmer heraus die reine Lehre verbreiten kann. Deutsch, distanziert und politisch korrekt argumentierend, ohne sich in die Karten schauen zu lassen. Martin immerhin erweckte den Eindruck, als interessiere ihn der andere Blickwinkel.

Natürlich dürfte man Israel kritisieren, hieß es. Wenn man denn unbedingt müsste und wollte, hallte es unausgesprochen nach. 

Unnötig, dass Waldman, der einzige Israeli am Tisch, immer dann, wenn er von der Realität vor Ort berichtete, es mit der Hybris zwei seiner Gesprächspartner zu tun bekam, die sich allem Anschein nach nicht vorstellen können, dass das Zusammenleben im konfliktreichen Israel nur theoretische eine Frage von Recht und Unrecht ist, praktisch aber nun mal eine permanente Verhandlungsbereitschaft von beiden Seiten erfordert. Immerhin der reisende Schriftsteller Marko Martin ließ Realitätssinn erkennen. Waldman berichtete des Weiteren von den israelischen Ultrarechten, von deren Verständnis, gar Gefallen an der Shoa, wären sie selbst nicht die Opfergruppe gewesen, und der Angst vor deren Mitregieren. Israels Politik wäre, gerade aktuell, sehr wohl zu kritisieren. Grigat erwiderte, Israelhassern sei es vollkommen egal, ob links oder rechts regieren würde, womit er sicher ebenfalls Recht hat, was aber, siehe oben, noch mal zeigte, wie konsequent es um die ganz individuelle Sicht auf die Dinge ging, ohne jede Ambition, neutral und gemeinsam auf den Konflikt zu schauen und zu diskutieren, wie und ob überhaupt Israel zu kritisieren sei, wenn jeder das eigene Gepäck zuhause ließe.

Danach sprachen PD Dr. Ingo Elbe von der Universität Oldenburg und Dr. Steffen Klävers, Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus zu Postkolonialismus und Antisemitismus.

Ich hege weder Verständnis für das Personal rund um die Postcolonial Studies, da ich mich frage, warum man sich hier nicht mit Kolonialismus und dessen Folgen bis heute befasst, statt sich unermüdlich am Staat Israel abzuarbeiten, noch bin ich Anhängerin der Singularitätstheorie oder der Theorie der Präzedenzlosigkeit der Shoa, wie Elbe und Klävers.

Ein talmudische Ausspruch besagt: "Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt". Warum soll das nicht auch umgekehrt gelten? Wer einen Menschen tötet tötet die ganze Welt, denn er verrät das Menschsein. So ist jeder (Völker)Mord, egal an welcher Ethnie, als beispiellos und einmalig einzustufen und nicht unterschiedlich zu gewichten. Diskussionen zu diesem Thema sind für mich somit bestenfalls abstrakt, meistens verblüffend.

Da in der Runde zuvor die israelischen Ultrarechten und ihre Vernichtungsphantasien gegen nichtjüdische Israelis thematisiert wurden konnte man sich mit Hannah Arendt fragen, ob die Opfer der Shoa austauschbar gewesen wären, was Elbe verneint.

Kann und soll die Erinnerung an die Weltgeschichte von Mord und Gewalt zusammenfließen, um alle Nachfahren zu vereinen? Hätte ich das Gefühl, dass der Postkolonial-Fraktion tatsächlich daran gelegen ist, würde ich ihr zustimmen. So ging es im Vortrag auch um deren unaufhörliches Schüren von Israelhass, was weder den Nachfahren der Shoa noch den Nachfahren von Kolonialverbrechen nützt. Zumindest Klävers bekannte sich am Ende des Gesprächs aber zur Dialogbereitschaft, was überzeugend klang.
 

Den letzten Block eröffnete Bettina Stark Watzinger mit einem Grußwort via Videoschaltung. Es war die übliche unglaubwürdige, wenn nicht gar ärgerliche Aneinanderreihung von Phrasen, wonach Antisemitismus "gerade in Deutschland gar nicht geht", bekämpft werde müsse und so weiter und so weiter und so fort. Hier stellte man sich die Frage, warum muslimische Antisemiten eigentlich in Deutschland nach wie vor gewalttätig gegen Jüdinnen und Juden vorgehen können, ohne dass das weitere Konsequenzen als den Ruf nach pädagogischen Maßnahmen nach sich zieht, wenn überhaupt.
 

Es folgte die sehens- und höhrenswerte Präsentation Kontinuität des Antisemitismus in Bildern von Prof. Dr. Julia Bernstein, Frankfurt University of Applied Sciences, die ich leider nicht mehr live, aber der Aufzeichnung sei Dank nachhören konnte (Beginn bei Stunde 7). Bernstein beleuchtete anhand von Bildmaterial, dessen Fülle und Vielfältigkeit sie erschreckend nannte, die Geschichte und Bandbreite antisemitischer Stereotypen, erklärte, wie gerade deutsche Schuld und Scham in Feindschaft gegen Israel umgemünzt werde. Zudem zeigte sie anhand des Bildmaterials, dass es beim Antisemitismus eben nicht darum ginge, wie Jüdinnen und Juden sich verhielten. So wären Jüdinnen und Juden je nach Gelegenheit und Zeitgeschmack als Unterlegende, als Überlegende, als Schmarotzer, als Ausbeuter, Verbrecher, als Unter- und als Übermenschen verfolgt worden. Bernstein thematisierte zudem wie emotional aufgeladen diese Bildersprache sei, die eine verheerende Auswirkung gerade auf in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden habe. Bernsteins Beitrag machte deutlich, wie unpassend es gewesen war, sich bei gewissen Exponaten auf der documenta auf Kunstfreiheit zu berufen.


Ob der eigentliche Zweck der Veranstaltung verfehlt wurde, fragte Meron Mendel am Sonntagabend um 17:30 Uhr in der Radiosendung Kulturzeit (Deutschlandfunk). Er hatte per Stream zugeschaut und resümierte, dass wir auf diese Weise, nämlich ohne Stimmen der Gegenseite, keinen Schritt weiterkämen. Anders als in der Gesprächsrunde Kunstfreiheit für wen? kommuniziert wurde, berichtete Mendel, Gegenstimmen, beispielsweise Mitglieder der Initiative Weltoffenheit, seien erst zwei Tage vor der Veranstaltung eingeladen worden. Ob dem so war sollte sich klären lassen, diskussionsbereite Gegenstimmen hätten zumindest Temperament in die Veranstaltung gebracht.

Gelohnt hat sich das Zuhören auch ohnedies. Danke schön an das Tikvah-Institut und die ReferentInnen für die gute Organisation, die angenehme Atmosphäre und die ansprechenden Beiträge.




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