Shoa Nachkommen

Liebe Angst (2022) | Film, Trailer, Kritik

Text Juliane Beer

"Liebe Angst", Doku 2022, Regie Sandra Prechtel, aktuell in Berlin im Kino.
Thema: Das Schweigen, die Zerrüttung und Zerstörung der Generationen nach der Shoa
 

Die Musikerin Kim Seligsohn zieht in Berlin durch Zufall in die Straße, in der einst ihre Mutter als Kind gelebt hat. Ob bereits vorher erhellende Gespräche über das Schicksal der Familie stattfanden wird nicht klar, jetzt aber versucht die Tochter die Mutter, die wie betäubt, wie nicht anwesend in einer unaufgeräumten bis zugemüllten Wohnung umher zu irren pflegt, zum Reden zu bringen.

Das einzige, was bekannt ist: Als die Mutter 6 Jahre alt ist wird deren Mutter vor den Augen der Kinder von der Gestapo abgeholt und ist später im Konzentrationslager umgekommen. Die Kinder werden daraufhin von couragierten Menschen auf einem Dachboden versteckt. Von wem, wird nicht berichtet, wie auch sonst wenig fassbares berichtet wird. Später gingen die Brüder nach Papua-Neuguinea, weil sie nicht im Land der Mörder ihrer Mutter leben wollten. An dieser Stelle horcht man erleichtert auf, weil bislang keine aktive Konsequenz auf den Muttermord zu erkennen war. Die Erleichterung währt nicht lange. In Papua Neuguinea gründeten die Brüder neue Familien, aber auch dort konnten sie nicht mehr heimisch werden in der Welt, was sich in Form von Gewalt gegen Frau und Kinder äußerte. Seligsohn reist mit ihrer Mutter dort hin. Wieder bleibt es bei betäubtem Schweigen zwischen den Familienmitgliedern, lediglich die australische Ehefrau des Bruders berichtet unter Tränen über die Schwierigkeiten des Zusammenlebens. Aber man habe eben auf sein Trauma Rücksicht nehmen müssen.

Kims Bruder Tom Seligsohn, der ein symbiotisches Verhältnis zur Mutter gehabt haben soll, hat sich vor 20 Jahren in einer psychotischen Phase umgebracht, er hörte Stimmen, die ihm sagten, er gehöre zu den Nazis. Das, nachdem seine Mutter plötzlich wochenlang nichts mehr essen konnte weil sie ihrer Mutter "kein Glas Wasser in die Gaskammer gereicht hat". Dieser Film ist in Teilen der real gewordene Alptraum, die logische Konsequenz eines bis heute nicht aufgearbeiteten Massenmords, was sich u.a. in dieser Szene zeigt.

Auch die Annäherung zwischen Mutter und Tochter gelingt nicht, die Tochter versucht unermüdlich, die Mutter zum Reden über die Vergangenheit zu bewegen bzw. zumindest ein gewisses Maß an Nähe herzustellen. Beides verweigert die Mutter. Stattdessen verbringt sie den Tag damit, Artikel aus dem Weser-Kurier abzuschreiben/ auf Karteikarten zu übertragen, weil sie der Stadt, von der sie 200 (!) Euro "Wiedergutmachungs"rente bekommt, etwas zurückgeben möchte. Noch so eine Szene, wo man aus dem Kino rennen will. Opferscham in Formvollendung. Selbst eine Rente von regelrecht beleidigenden 200 Euro bedarf einer Gegenleistung.

Zum Schluss lebt die Mutter im Pflegeheim, wo sie auch stirbt.

Der Film ist, ohne dies auch nur an einer Stelle zu formulieren, eine der eindringlichsten Mahnungen der letzten Jahre, es nie wieder so weit kommen zu lassen bwz. nach über 80 Jahre endlich eine Aufarbeitung zu ermöglichen, nachdem auch die zweite Generation Opfer-Nachkommen nicht in der Lage ist, einfach dahin zu leben. Eine Mahnung, endlich aufzuhören, Betäubung, Ausbrüche, Schweigen, inneres und im Film auch äußeres Chaos zu immer neuen Mode-Psycho-Malaisen umzudeuten und die Scham der Opfer, ihr sich Wegducken vor der eigenen Empörung, dankbar hinzunehmen.

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