Freiheit für Julian Assange!? Im Prinzip ja. ABER:


Text und Grafik: Birgit Gärtner

Was Ihr über den australischen Hacker und 

Free-Speech-Aktivisten Julian Assange wissen solltet

Ende März 2024 vertagte der britische High Court of Justice (Oberstes Gericht von England und Wales) die Entscheidung im Falle Julian Assange vorerst. Die Kammer stellt für ihre endgültige Entscheidung Bedingungen – und zwar an die US-Regierung: Binnen drei Wochen soll diese laut Tagesschau garantieren, dass der Wikileaks-Gründer in dem dort angestrebten Strafverfahren einem US-Bürger gleichgestellt, unter dem Schutz der Gesetze zur Meinungsfreiheit stehen und keine Todesstrafe gegen ihn verhängt wird. Für den 20. Mai 2024 kündigte das Gericht die endgültige Entscheidung an, zuvor soll es eine weitere Anhörung geben. Nach Lage der Dinge vermutlich auf der Grundlage der Reaktion aus den USA. Die zuständigen Stellen werden Experten zufolge dem Ansinnen voraussichtlich nachkommen. 

 

Das Verfahren ist komplex, um es mit den Worten des Göttinger Professors für Strafrecht, Kai Ambos, zu sagen: „… komplexer als oft dargestellt“. Nicht nur das juristische Verfahren, so ziemlich alles an den Erzählungen rund um Julian Assange ist „komplexer als oft dargestellt“: Bei Lichte betrachtet sind diese Erzählungen eine Aneinanderreihung von Wunschvorstellungen, Mythen, verzerrten Darstellungen und Lügen.

Zeit, damit mal gründlich aufzuräumen:

Julian Assange ist kein politischer Gefangener, sondern er befindet sich in Abschiebehaft.

Und zwar, weil er gegen die Auflagen der britischen Justiz verstoßen hat. Bevor er sich freiwillig in die ecuadorianische Botschaft begeben hat, war er nicht inhaftiert, sondern konnte in einem Cottage – ich möchte sagen – residieren. Allerdings unter strengen Auflagen, z. B. Fußfesseln. Damals ging es zwar um die Auslieferung nach Schweden, aber er hat das Vertrauen der britischen Justiz nachhaltig erschüttert, die deshalb später eine Fluchtgefahr nicht ausschließen zu können glaubte.

Die schwedische Staatsanwaltschaft hatte im August 2010 einen Haftbefehl gegen Julian Assange erlassen, diesen aber wieder zurückgenommen. Daraufhin reiste er mit Erlaubnis der schwedischen Behörden nach London. Im November 2010 stellte die schwedische Justiz wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung einen internationalen Haftbefehl aus, Julian Assange stellte sich daraufhin in London der Polizei und wurde gegen Kaution und unter Auflagen, eben u.a. Tragen einer Fußfessel, freigelassen. Die Kaution stellten u.a. der britische Regisseur Ken Loach, der preisgekrönte australische Journalist und Dokumentarfilmer John Pilger und die britische Journalistin und Produzentin Jemima Goldsmith.

Julian Assange begann, mit juristischen Mitteln gegen seine Auslieferung nach Schweden zu kämpfen. Zwar mit der Begründung, dass er befürchte, von Schweden in die USA ausgeliefert zu werden; das stand seinerzeit aber überhaupt nicht zur Debatte. Die USA stellten den Auslieferungsantrag erst 2017, was aber erst 2019 bekannt wurde, nachdem Julian Assange die ecuadorianische Botschaft verlassen musste. In die hatte er sich im Juni 2012 aus eigenem Entschluss begeben und um politisches Asyl gebeten. Das wurde ihm gewährt, der damalige Präsident Rafael Correa ließ ihn 2018 sogar einbürgern. 2019 änderten sich  die politischen Verhältnisse in Ecuador und der neue Präsident Lenin Moreno machte die Entscheidung seines Vorgängers Rafael Correa rückgängig, inklusive der Einbürgerung. Er wurde umgehend von der britischen Polizei verhaftet, mit der Begründung, gegen die Kautionsauflagen verstoßen zu haben. Daraufhin wurde er zu einer Gefängnisstrafe von 50 Wochen verurteilt. Während er diese verbüßte, stellten die USA das Auslieferungsgesuch. Die ursprüngliche Haft von 50 Wochen hat er längst abgesessen, seither befindet er sich in Abschiebehaft.

Der britische High Court entscheidet nicht darüber, ob Julian Assange an die USA ausgeliefert wird, sondern darüber, ob er beim Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs (Supreme Court of the United Kingdom) Berufung gegen seine Auslieferung an die USA einlegen darf.

Selbst wenn dem Wikileaks-Gründer dieser Berufungsantrag verwehrt wird, bedeutet das nicht dessen umgehende Auslieferung an die USA, sondern es bliebe der Gang nach Straßburg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Das wiederum garantiert indes nicht die Verhinderung der Auslieferung.

Ob der High Court im Falle der geforderten Zusagen aus den USA überhaupt die Möglichkeit hat, den Berufungsantrag von Julian Assange zuzulassen, welche Optionen diesem bleiben bei einem aus seiner Sicht Negativentscheid, ob damit der Rechtsweg in Großbritannien ausgeschöpft wäre oder ob er, bzw. sein Anwaltsteam den Supreme Court anrufen könnte, um dort die Zulassung des Berufungsantrags zu erreichen, all diese Fragen habe ich Professor Kai Ambos geschickt. Ebenso, ob die Auslieferung endgültig vom Tisch wäre, wenn der High Court am 20. Mai 2024 pro Assange entscheiden würde, was passieren müsste, damit er aus der Abschiebehaft entlassen wird sowie die Frage, ob sein Wohnsitz mit einem aus seiner Sicht positiven Gerichtsentscheid an Großbritannien gebunden wäre, da er befürchten müsste, beispielsweise bei einer Rückkehr nach Australien, dass die USA erneut einen Auslieferungsantrag stellen werden. Die Antworten werde ich ergänzen, sobald sie vorliegen.

→ Das von den USA angestrebte Verfahren gegen Julian Assange ist kein Anschlag auf die Pressefreiheit, sondern Strafverfolgung auch in Deutschland strafrelevanter Delikte.

Julian Assange wird u.a. vorgeworfen, Bradley, inzwischen Chelsea Manning geholfen zu haben, ein Passwort für ein Netzwerk mit geheimen Dokumenten des US-Verteidigungsministeriums zu knacken. Bradley Manning hatte bereits Zugang zu geheimen Informationen des Netzwerkes, das Knacken besagten Passwortes soll ermöglicht haben, die Herkunft der geleakten Dokumente zu verschleiern. Ferner wird Julian Assange vorgeworfen, Bradley Manning angestiftet zu haben, weitere Dateien zu knacken und weiterhin Material zu leaken. Außerdem wird Julian Assange vorgeworfen, mit der nicht-anonymisierten Veröffentlichung dieses Materials Menschen in Gefahr gebracht zu haben; Einheimische, die in Afghanistan und im Irak in Diensten der US-Streitkräfte standen, „Ortskräfte“ genannt.

→ Julian Assange ist kein Journalist, sondern war in Australien Programmierer, Hacker, Free-Speech-Aktivist und Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks.

Markenzeichen von Wikileaks war die Veröffentlichung des der Plattform durch Whistleblower zugespielten oder durch Hacker-Aktivitäten erhaltenen Materials, ohne dieses in irgendeiner Weise aufzubereiten. Genau das ist der Unterschied zwischen einem Hacker und einem Journalisten. Davon können im Zweifelsfall Menschenleben abhängen. Genau das macht die US-Justiz Julian Assange u.a. zum Vorwurf. Und genau das führte zunächst zum Zerwürfnis mit Daniel Domscheidt-Berg, der von 2009 bis 2010 für Wikileaks arbeitete und schließlich von Julian Assange u.a. wegen „Ungehorsams“ entlassen wurde. Es führte auch zu Reibereien mit den Journalisten des britischen The Guardian, der New York Times und des SPIEGEL, die das von Bradley Manning geleakte Material entschlüsselten.

Das bringt uns zur nächsten falschen Darstellung:

→ Nicht Julian Assange hat die von Bradley Manning geleakten Geheimdokumente veröffentlicht, sondern Wikileaks, bzw. zunächst einmal The Guardian, die New York Times, der SPIEGEL und der Tagesspiegel.

Das Rohmaterial war relativ wertlos, da es größtenteils aus militärischen Codes bestand, die zunächst entschlüsselt werden mussten. Diese Entschlüsselung hat nicht Julian Assange vorgenommen, sondern besagt Gruppe von Journalisten, mit Wissen und Billigung der Chefredakteure der Blätter. Zunächst wurden die Ergebnisse der „Kriegstagebücher“ aus Afghanistan vom Guardian, der New York Times, dem SPIEGEL sowie dem Tagesspiegel veröffentlicht – journalistisch aufbereitet und die darin enthaltenen Namen anonymisiert. Wenige Tage später veröffentlichte Wikileaks große Teile des Materials unaufbereitet und mit nicht anonymisierten Namen u.a. der Ortskräfte, lediglich 15.000 Dokumente, die laut Julian Assange die meisten Namen enthielten, werden bis heute unter Verschluss gehalten. Laut David Leigh, einem Investigativjournalisten des Guardian, sagte Julian Assange:

<<Naja, sie sind amerikanische Informanten, sie verdienen es zu sterben.

>> 

Das behauptet David Leigh zumindest in der arte-Dokumentation „Wikileaks … Geheimnisse und Lügen“ (ab ca. Minute 33).

→ Wikileaks hatte sich international einen Namen gemacht, nicht Julian Assange.

Als Hacker agierte er in Australien unter Pseudonymen, die Veröffentlichungen erfolgten ausschließlich unter dem Lable Wikileaks. Der Name Julian Assange geriet erst in die Schlagzeilen, nachdem die Vergewaltigungsvorwürfe aus Schweden publik wurden.

Allerdings war der Name Julian Assange der skandinavischen Hacker und Free-Speech-Szene bekannt. Wikileaks veröffentlichte kompromittierendes Material über die größte isländische Bank und Julian Assange wurde daraufhin von der isländischen Regierung bei der Erarbeitung eines modernen Mediengesetzes als Berater hinzugezogen. 

 

→ Die beiden Frauen, Anna Ardin und Sofia W., haben Julian Assange nicht wegen Vergewaltigung angezeigt, schon gar nicht wegen eines gerissenen Kondoms, sondern weil er ihnen entgegen der vorherigen Absprache ungeschützten Geschlechtsverkehr aufgenötigt hatte; Sofia W. während sie schlief.

Der Name Anna Ardin ist bekannt, da diese ein Buch mit dem Titel „Im Schatten von Assange“ geschrieben hat, Sofia W. hat sich niemals öffentlich zu den Vorfällen geäußert. Ihr Name wird in Anna Ardins Buch anonymisiert.

Die beiden Frauen gingen zur Polizei, weil sie Julian Assange zwingen wollten, einen AIDS-Test zu machen. Sie schilderten ihre Erlebnisse und diese waren nach schwedischem Recht Sexualstraftaten. Wie in Deutschland übrigens auch gelten in Schweden Sexualstraftaten als Offizialdelikt und werden strafrechtlich verfolgt, sobald die zuständigen Behörden davon Kenntnis erlangt haben. Im Zweifelsfall auch gegen den Willen der von der Sexualgewalt Betroffenen.

  Julian Assange musste Schweden nicht verlassen, weil er befürchtete, in die USA ausgeliefert zu werden.

Nachdem die dortige Justiz die Ermittlungen gegen ihn aufnahm, wurde seinem Antrag auf Aufenthaltserlaubnis in Schweden nicht stattgegeben. Das bedeutet aber nicht, dass er umgehend hätte ausreisen müssen, schon gar nicht, solange die Ermittlungen gegen ihn liefen. Mit Zustimmung der schwedischen Behörden reiste er auf eigenen Wunsch nach London aus. Dort wurde ihm unter Auslagen erlaubt, sich in einem Cottage niederzulassen, in dem er mehr oder weniger Hof hielt.

→ Julian Assange begab sich dann freiwillig in die ecuadorianische Botschaft, niemand hat ihn dazu gezwungen.

Damit wollte er nicht der Auslieferung an die USA entgehen, sondern der nach Schweden.

→ Das Verfahren in Schweden wurde nicht eingestellt, weil sich die Vorwürfe gegen Julian Assange nicht erhärten ließen, sondern weil er sich dem Verfahren mit Hilfe des ecuadorianischen Botschafters in London entzog.

Und mit Hilfe der Unterstützung seiner Fans aus aller Welt, vor allem Linke, die ihn zur verfolgten Unschuld stilisierten, taten sich da sehr hervor. Julian Assange hat die Vorwürfe immer bestritten, aber erstaunlicherweise wenig dafür getan, seine Unschuld zu beweisen. Dabei wäre er derjenige gewesen, der das größte Interesse an Aufklärung und Rehabilitierung hätte haben müssen.

→ Anna Ardin war keine CIA-Agentin, sondern hatte ihre Masterarbeit über Oppositionelle in Cuba geschrieben und hatte Kontakt zu Gruppierungen, die teils von den USA finanziert wurden und/oder in Verbindung mit einem ehemaligen CIA-Agenten standen.

Zu Recherchezwecken reiste sie damals nach Cuba und nahm Kontakt zu Oppositionellen auf. Nachdem sie aus Cuba ausgewiesen wurde, setzte sie nach Florida über und führte in Miami die Befragung unter Exil-Kubanern fort. Sie hatte Kontakt zu diversen US-finanzierten Anti-Castro-Gruppen, mit denen sie auch zusammenarbeitete. Diese wurden zum Teil aus den USA finanziert. Eine dieser Exilgruppen wurde von Luis Posada Carriles Clemente Faustino gegründet. Der ehemalige CIA-Agent war 1976 an dem Bombenanschlag auf ein kubanisches Passagierflugzeug beteiligt, bei dem 73 Menschen getötet wurden. Posada Carriles nahm auch an der Planung zur Invasion in der Schweinebucht teil. Medienberichten zufolge soll sie diese Gruppierungen in ihrer Masterarbeit eher kritisch betrachtet haben. Das lässt sich indes nicht überprüfen.

Das Gerücht, sie sei CIA-Agentin setzte der prominente Holocaust-Leugner Israel Shamir unter Berufung auf ihre Masterarbeit und ihre vorhergehenden Recherchen unter cubanischen Oppositionellen in die Welt. Flankiert von Johannes Wahlström, dem Sohn von Israel Shamir, und Donald Boström, zwei schwedischen Journalisten, die wie Israel Shamir mit Wikileaks in Kontakt standen. Johannes Wahlström war beispielsweise an der Veröffentlichung der amerikanischen Botschaftsdepeschen beteiligt.

Donald Boström gehörte zu dem Kreis, der seinerzeit Julian Assange nach Schweden einlud. Ebenso die „Broderskapsrörelsen“ (Bruderschaftsbewegung), eine protestantische Gruppierung innerhalb der schwedischen Sozialdemokratie, in deren Diensten Anna Ardin stand, gehörte zu .

Johannes Wahlström und Donald Boström verbreiteten Lügen über Anna Ardin und behaupteten, sie habe sich nach der „angeblichen“ Vergewaltigung völlig normal verhalten. Donald Boström streute das Gerücht, Anna Ardin habe Julian Assange wegen eines gerissenen Kondoms wegen Vergewaltigung angezeigt.

 In Wahrheit aber fungierte Donald Boström als Vermittler zwischen den beiden Frauen und Julian Assange und versuchte diesen dazu zu bewegen, den geforderten AIDS-Test zu machen, damit die beiden Frauen nicht zur Polizei gehen. Er stand auch im ständigen Kontakt mit den Journalisten des Guardian, der New York Times und des SPIEGEL, die in London an der Entschlüsselung des Datenmaterials aus dem Afghanistankrieg arbeiteten. Er hatte sie über den Vorfall informiert.

Anna Ardin wollte eigentlich gar nicht gemeinsam mit Julian Assange in ihrer Wohnung übernachten.

Donald Boström fragte bei der Bruderschaftsbewegung an, ob diese eine Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung stellen könne, da der Australier nicht in einem Hotel übernachten möchte. Wikileaks war durch die Veröffentlichung des Videos „Collateral Murder“ im April 2010 ins Visier der USA geraten und Julian Assange mied deshalb die Öffentlichkeit. Anna Ardin stellte ihre Wohnung zur Verfügung. Eigentlich wollte sie zu dem fraglichen Zeitpunkt auf einem christlichen Festival sein, die Vorbereitungen der Konferenz, zu der Julian Assange als Gast geladen war, nahmen sie jedoch so sehr in Anspruch, dass sie vorzeitig zurückkehrte. Mit dem Einverständnis von Julian Assange teilten sich beide das 1-Zimmer-Appartement. So nahm das Drama seinen Lauf, das sie in ihrem Buch eindrücklich beschreibt:

<< 

.. Wir legen uns ins Bett. Ich zuunterst und er auf mich. Für eine Weile war es ganz nett, wir wälzen uns ein wenig herum, und er entledigt sich seiner Hose. In dem Augenblick nehme ich einen deutlichen Geruch wahr. Anscheinend Sperma. Er hat offenbar vergessen, alte Körperflüssigkeiten abzuduschen. Danach eskaliert mein Unbehagen. Er verschränkt meine Arme über dem Kopf und hält sie fest, während er seine Schulter ziemlich fest gegen meine Kehle presst. Ich bin gezwungen, meine gesamte Kraft aufzubieten, um das Kinn zur Brust zu ziehen, damit ich Luft bekomme und mein Kehlkopf nicht verletzt wird. Ich versuche, mich zu bewegen, winde ich noch, doch er lockert den Druck nicht. Im Gegenteil, jetzt presst er seine Schulter so fest gegen meinen Hals, dass sich der Anhänger meiner silbernen Kette in die Haut bohrt.

Er klemmt meine Arme mit seinen schmalen, aber dennoch bedeutend stärkeren Händen an beiden Handgelenken zusammen. Sein Brustkorb liegt schwer auf meinem Oberkörper, er versucht, mit einem Knie meine Beine auseinanderzuschieben. Wegen des massiven Drucks gegen meine Kehle bin ich einzig darauf fokussiert, Luft zu bekommen, was mich passiv macht. Doch genau das beabsichtigt er offenbar …

>> 

Damit beschreibt sie eindeutig sexuelle Gewalt. Doch darum ging es in dem Ermittlungsverfahren der schwedischen Behörden gegen Julian Assange gar nicht, denn Anna Ardin ließ sich trotzdem auf Geschlechtsverkehr mit Julian Assange ein. Um die Situation zu entschärfen – und aus Überzeugung – bestand sie darauf, ein Kondom zu benutzen. Dieses musste aus einer Schublade geholt werden. So konnte sie sich zumindest für einen Moment aus der gewaltsamen Situation befreien, um selbiges zu holen.

Was ihren Schilderungen zufolge dann zwischen den beiden passierte, war ausschließlich an seinen Bedürfnissen orientiert, die er – vorsichtig formuliert – mit Nachdruck durchsetzte. Aber sie protestiert nicht, insofern ist es juristisch betrachtet einvernehmlicher Sex. Anschließend stellte sie fest, dass das Kondom stark beschädigt ist, ihrer Vermutung nach absichtlich durch ihn herbeigeführt. Das nennt sich Stealthing und ist nicht nur in Schweden eine Sexualstraftat. Ebenfalls nicht nur in Schweden sind Sexualstraftaten Offizialdelikte, die von der Justiz verfolgt werden, sobald diese Kenntnis davon erhält – im Zweifelsfalle auch gegen den Willen der betroffenen Opfer.

Einerseits fühlte Anne Ardin sich ihrer Beschreibung nach wie das Gastgeschenk, das in die Zurverfügungstellung der Unterkunft eingepreist ist. Das setzte vermutlich nicht nur Julian Assange stillschweigend voraus, sondern auch ihre Mitstreiter. Andererseits war sie sich bewusst, dass viele Frauen um sie herum sie um das Privileg, Julian Assange beherbergen zu dürfen, beneideten und wollte diesen vermeintlichen Triumpf auskosten. Der Einladerkreis in Schweden gehörte genau zu der Bubble, in der Julian Assange ein Star war.

Die Alternative wäre gewesen, leicht bekleidet und völlig derangiert ins Treppenhaus zu rennen, statt wie angekündigt ein Kondom aus der Schublade zu holen, und laut um Hilfe zu schreien. Dann hätte sie nicht nur ihren Nachbarn die Situation erklären müssen, sondern auch ihren Mitstreitern Rechenschaft ablegen müssen, wieso SIE einen Skandal produziert. Da kann sich jede Mal überlegen, wie sie in der Situation reagiert hätte.

Julian Assange bestritt die Vorwürfe und behauptete, dahinter stecke etwas viel „Hinterhältigeres“. Zunächst sagte er, der australische Geheimdienst habe ihn gewarnt, dann war es der CIA. Seine Räuberpistole zu verbreiten, bekam er wie erwähnt prominente Unterstützung.

Julian Assange ist nicht der politische Saubermann, als der er sich gerne gibt.

Niemand von uns war in jener Nacht dabei, die Vorwürfe zu klären, wäre Aufgabe der schwedischen Staatsanwaltschaft gewesen. Das konnte sie nicht, weil Julian Assange sich dem Verfahren entzog. Ob die schwedische Staatsanwaltschaft nicht nur juristische, sondern auch politische Ziele bei den weiteren Ermittlungen und der Ausstellung des internationalen Haftbefehls verfolgte, ist schwer zu beurteilen. Aber selbst wenn, hätten das nicht Anna Ardin und Sofia W. zu verantworten.

Ob Julian Assange ein Vergewaltiger ist, lässt sich also nicht sagen – allerdings auch nicht, dass er es nicht ist. Aber dass er ein Frauenhasser ist, das hat er indes mehrfach unter Beweis gestellt. So überraschte er Anna Ardin an deren ersten gemeinsamen Abend mit der Aussage, Feministinnen seien schuld am Krieg in Afghanistan. Wenn wir uns erinnern: Der Krieg wurde damit begründet, dass Osama bin-Laden sich in Afghanistan aufhalte und mit der Lage der Frauen und Mädchen dort. Ein Kriegsziel war, Mädchen den Schulbesuch zu ermöglichen.

Nachdem die schwedische Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte, bezeichnete er Schweden als das „Saudi-Arabien“ des Feminismus. Im US-Wahlkampf gab er Donald Trump Schützenhilfe, indem er Mailverkehr von Hillary Clinton leakte. Der dankte es ihm, indem er seinen Fall, den Barack Obama mehr oder weniger auf Eis gelegt hatte, wieder aufnahm. In seiner Amtszeit wurde der Auslieferungsantrag gestellt. Julian Assange, bzw. Wikileaks, verschaffte einem türkischen Blog Popularität, der die Adressen von wahlberechtigten Frauen aus fast allen Provinzen veröffentlichte. In einem Land, in dem Ehrenmorde auf der Tagesordnung stehen und Betroffene oder Opfer häuslicher Gewalt sich der Situation entziehen, indem sie untertauchen, kann die dadurch entstandene Bedrohung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Auch sein politisches Umfeld ist mehr als zweifelhaft. Laut SPIEGEL stand Israel Shamir, der Julian Assange im Londoner Exil besucht haben soll, auf der Liste der Teilnehmer der berüchtigten Holocaust-Konferenz in Teheran im Jahr 2006 unter dem Titel "International Conference on ´Review of the Holocaust: Global Vision`". Mohammad-Ali Ramin, Leiter des „Instituts für Politische und Internationale Studien“, das dem iranischen Außenministerium unterstellt ist, organisierte die Konferenz, an der 67 Holocaustleugner und Rechtsextremisten aus 30 Ländern teilnahmen. Ob Israel Shamir tatsächlich vor Ort war, lässt sich nicht überprüfen.

Donald Boström veröffentlichte im August 2009 einen Artikel in der schwedischen Zeitung Aftonbladet, in dem er behauptete, Israel stehle Organe von Palästinensern, die in israelischem Gewahrsam verstarben. Die Organe sollen an Israelis verkauft worden sein.

Jemima Goldsmith, Ken Loach und John Pilger, die u.a. 2010 die Kaution für Julian Assange stellten, unterstützen die Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS), die nach eigenen Angaben „daran arbeitet, die internationale Unterstützung der Unterdrückung der Palästinenser durch Israel zu beenden und Israel zu zwingen, das Völkerrecht einzuhalten“. Dem „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“ zufolge ist

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BDS […] ein relativ loses Bündnis von internationalen und palästinensischen Gruppen, NGOs und Einzelpersonen, dessen Ziel darin besteht, Israel und seine Bürger auf allen Ebenen, aber besonders wirtschaftlich, kulturell und akademisch zu boykottieren. Sie geriert sich dabei als vermeintlich friedliche und zivilgesellschaftliche Bewegung, die lediglich „internationales Recht“ (BDS 2005) durchsetzen möchte und begreift sich selbst keineswegs als antisemitisch, sondern als besonders antirassistisch.

>> 

Allerdings handele es sich bei BDS

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entgegen ihrer Selbstdarstellung als friedliche und antirassistische Kampagne um eine Galionsfigur des israelbezogenen Antisemitismus.

>> 

Allerdings bewegt sich auch die Bruderschaftsbewegung in diesem Milieu. Die Verbindung von Donald Boström zu den „Broderskapsrörelsen“ waren gemeinsame Friedensaktivitäten. „Nahost“ ein beiderseits beliebtes Thema. In ihrem 2021 erschienen Buch „Im Schatten von Assange“ beschreibt Anna Ardin Gaza „als größtes Freiluftgefängnis der Welt“. 16 Jahre nachdem Ariel Sharon die dort lebenden jüdischen Familie zwangsumgesiedelt hatte und kein einziger Jude, keine Jüdin mehr in Gaza lebte. Evert Svensson, der ehemalige Vorsitzende der Bruderschaftsbewegung, empfahl die Bücher von Israel Shamir.

Möglicherweise ist Julian Assange zufällig in dieses „antizionistische“ Milieu geraten. Bei näherer Betrachtung fallen indes einige Eigentümlichkeiten ins Auge, die diesen Eindruck sehr schnell zerstreuen. Der Free-Speech-Aktivist, dessen Credo ist, allen Menschen jegliche offizielle Information zugänglich zu machen, derer er habhaft wird, und zwar vollständig, war bei seinen Medienpartnern eher wählerisch – solange es um die eigene Sache ging. So sparte er die schwedische Zeitung Expressen nicht nur aus, sondern sie war das einzige Medium, das er im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen ihn erwähnte. Diese wurde der Jungle.World zufolge ursprünglich „Anfang der 1800er Jahre von einem aus Dresden eingewanderten Juden namens Gutkind Hirschel gegründet. Später änderte dieser seinen Namen in Gerhard Bonnier.“ Heute ist an dem Medienkonzern Bonnier vermutlich nichts mehr jüdisch, allerdings berichtete Expressen wiederholt über die „antisemitischen Machenschaften jener Männer […], die seine engsten skandinavischen Vertrauten waren: Donald Boström und Johannes Wahlström.“ Der New York Times warf er vor „von der jüdischen Lobby gesteuert“ worden zu sein. Kritik an seiner Verbindung zu Israel Shamir nannte er eine „jüdische Kampagne“. Alan Rusbridger, der damalige Chefredakteur des Guardian galt ihm als „irgendwie jüdisch“, weil er mit einer Jüdin, der Schwester von David Leigh, verheiratet ist.

Expressen ist Julian Assange und Johannes Wahlström zufolge nicht nur jüdisch, sondern auch feministisch gesteuert.

→ Nicht Julian Assange musste Schweden verlassen, sondern Anna Ardin wurde von schwedischen Sicherheitsbehörden außer Landes gebracht, weil diese ihre Sicherheit nicht mehr gewährleisten konnten.

Assange-Fans von nah und fern bedrohten sie – und zwar dergestalt, dass die schwedischen Behörden sich zu diesem drastischen Schritt gezwungen sahen.

→ Anna Ardin ist keine CIA-Agentin, die Julian Assange in eine Honeytrap – Honigfalle – lockte. Sondern sie setzt sich trotz allem für dessen Begnadigung und gegen seine Auslieferung an die USA ein.

Dem möchte ich mich anschließen. Nicht aus Solidarität mit Julian Assange, sondern weil ich davon ausgehe, dass ihn in den USA kein faires Verfahren erwartet. Außerdem dürfte eine etwaige, realistische Strafe längst verbüßt sein. Vor allem aber unterstütze ich die Forderung nach Freilassung im ureigensten Interesse, in der Hoffnung, dass der Hype um ihn dadurch nachlässt und ich künftig vor Solidaritätsbekundungen aller Art verschont bleibe.