Das Dirndl - keine bayerische, sondern eine ostwestfälisch-jüdische Erfolgsgeschichte
Text: Birgit Gärtner, Foto: Pixabay
"Erfinder" oder besser gesagt Trendsetter waren die Gebrüder Julius und Moritz Wallach, alpinbegeisterte Juden, die den Teutoburger Wald gegen die Alpen tauschten und das traditionell ostwestfälische Handwerk des Leinewebens nach Bayern brachten.
Das Oktoberfest wird mittlerweile nicht mehr nur in München, sondern im ganzen Land gefeiert. Jeder Ort, jede Einkaufmeile, jedes Möbelhaus, jedes größere Restaurant, kurzum, jeder, der was auf sich hält, lädt ein zum „Oktoberfest“. Mal kleiner, mal größer, aber immer mit den beiden Charakteristika Maßkrug und Dirndl. Doch kaum jemand weiß, dass das Dirndl gar keine Bayern zum Modetrend machten, sondern ostwestfälische Juden. Die allerdings von Bielefeld nach München zogen und dort ein Trachtenmodengeschäft, das „Volkskunsthaus Wallach“, eröffneten.
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde ist vermutlich so alt wie die Stadt Bielefeld, erste Trachten kamen im 15. Jahrhundert auf und das Leineweber-Handwerk etablierte sich im 17. Jahrhundert. Wie diese nun zusammenkamen, die Juden, die Trachten, und die Leineweber – in München, nicht in Bielefeld – und warum Adolf Hitler sich in einem (ehemals) jüdischen Geschäft ausstaffieren lassen konnte, das ist die Geschichte der Gebrüder Julius und Moritz Wallach.
Wechselhafte jüdische Geschichte
Die erste Erwähnung eines Ortes namens Bielefeld lässt sich Wikipedia zufolge auf den Anfang des 9. Jahrhunderts datieren, als Stadt wird sie erstmals 1214 bezeichnet. Demnach sollte sie als Kaufmannsstadt den Handel in der Grafschaft Ravensberg fördern und war lange Zeit das Zentrum der Leinenindustrie. Laut der Jüdischen Gemeinde Bielefeld stammt der
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früheste dokumentarische Nachweis über die Ansiedlung von Juden […] allerdings erst aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. In einer Urkunde vom 23. April 1345 wird erwähnt, dass der Graf von Ravensberg dem Bielefelder Kanonikus Gottfried de Blomenberge Besitzungen und Abgaben verpfändet hatte, darunter auch die jährlichen Abgaben der Juden in Bielefeld.
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Auf der Webseite der Jüdischen Gemeinde Bielefeld ist zu lesen:
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Während der Zeit des „Schwarzen Todes“ (Pest) in den Jahren 1348-1350 kam es unter dem Vorwurf, die Juden hätten sich mit den Aussätzigen gegen die Christenheit verschworen und die Brunnen vergiftet, in ganz Deutschland zu grausamen antijüdischen Ausschreitungen. Wie in zahlreichen anderen Städten wurden die Juden aus Bielefeld vertrieben. In Lübbecke soll es 1350 zu blutigen antijüdischen Massakern gekommen sein. Aufgrund finanzieller Erwartungen nahmen die Städte die vertriebenen Juden schon wenige Jahre später wieder auf. Für Erfurt, Nürnberg, Ulm, Speyer, Worms und Trier sind bereits zwischen 1352 und 1355 wieder Judenansiedlungen nachweisbar. Der Graf von Ravensberg, Wilhelm von Jülich, gestattete den Juden am 12.2.1370 die Rückkehr in ihre Heimat. Die in Bielefeld lebenden Juden (…) standen von nun an unter unmittelbarem Schutz des Landesherrn, der ihnen die Sicherheit des Aufenthalts bzw. (beim Verlassen der Stadt) des Geleits verbürgte.
Auch 1384, 1408 und 1430 erwähnen Urkunden Judenansiedlungen in Bielefeld. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts dürften in Bielefeld keine jüdischen Einwohner mehr ansässig gewesen sein, da Herzog Wilhelm V. von Jülich im Jahre 1554 für das ganze Land ein Aufenthaltsverbot für Juden erließ (sog. ´Jülicher Polizeiverordnung`). Ende des 16. Jahrhunderts setzte wieder eine langsame Zuwanderung ein. Der erste Nachweis für eine neuerliche Einwanderung von Juden in Bielefeld lässt sich den ´Ratsverhandlungen der Stadt Bielefeld` vom 11. Juli 1586 entnehmen, wonach einer Familie Hertz gegen Zahlung von 20 Thalern für kurze Zeit der Aufenthalt in der Stadt erlaubt wurde. Gegen Entrichtung einer weiteren Gebühr durfte diese auch andere Juden aufnehmen.
Nachdem 1647 die Hohenzollern die Grafschaft Ravensberg in Besitz genommen hatten, begann sich eine kontinuierliche Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Bielefeld abzuzeichnen. Judenvertreibungen scheinen seitdem nicht mehr vorgekommen zu sein.
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Vom Sonntagsgewandt zum Nationalsymbol
Im17. Jahrhundert begannen laut Wikipedia
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Bauern in der Region auf ihren Ackerflächen, statt Getreide, vorzugsweise den staatlich subventionierten Flachs an und verarbeiteten diesen in Heimindustrie zu Linnen oder Leinen. Der Leinenhandel führte zu einem gewissen Wohlstand der deshalb so genannten „Leinenstadt“ Bielefeld.
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Die Trachtenmode entwickelte sich aus der ländlichen Kleidung einfacher Bauern und Bäuerinnen, je nach Region und Geldbeutel unterschiedlich. Immer aber war die Tracht ein Sonntagsgewandt, das beispielsweise zum Kirchgang und zu besonderen Anlässen getragen wurde.
Im 19. Jahrhundert wurden dem Modehaus Galatea Ziss zufolge „Trachten entwickelt, damit sich die Bewohnerinnen und Bewohner einzelner Fürstentümer voneinander absetzen konnten.“ Auf ihrer Webseite beschreibt die Firma den Ursprung der Trachten als geschickten Schachzug des bayerischen Königshauses, die Bevölkerung an sich zu binden:
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Anlässlich der Hochzeit König Ludwigs mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen im Oktober 1810 fand ein Pferderennen auf einer Wiese vor der Toren Münchens statt. Das Pferderennen wurde mit einem Festumzug eröffnet, bei dem acht Kinderpaare in eigens hierfür entworfenen Trachten dem Brautpaar huldigten. Die verschiedenen Trachten der Kinderpaare sollten die verschiedenen Regionen Bayerns symbolisieren und ein bayerisches Nationalgefühl im neu geschaffenen Königreich schaffen.
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Die Gebrüder Wallach
Aus diesem Hochzeitsumzug entwickelte sich später das Oktoberfest, liebevoll „die Wiesn“ genannt. Genau ein Jahrhundert nach der Prunkhochzeit, zum 100. Jahrestag des Oktoberfestes, kamen die Gebrüder Wallach ins Spiel. 1874 und 79 wurden sie in und bei Bielefeld in eine jüdische Kaufmannsfamilie hinein geboren. Julius, der ältere Bruder, war ein begeisterter Bergsteiger, der den Teutoburger Wald gegen die Alpen tauschte, indem er kurzerhand nach München zog. Sein Bruder Moritz folgte ihm und gemeinsam eröffneten sie Jahr 1900 das „Volkskunsthaus Wallach“ in München. Zehn Jahre später statteten sie – und zwar unentgeltlich – zum Oktoberfest 1910 den historischen bayerischen Landestrachtenzug aus, was ihnen den Titel „Königliche Hoflieferanten“ einbrachte.
Laut Westfalenblatt gilt als
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Durchbruch des Dirndls und der Bielefelder Textilkaufleute […] die 1930 ausgerechnet in Berlin aufgeführte Operette „Im weißen Rössl“ mit den Bühnenkostümen der Wallachs. Nun wollten modische Frauen, die etwas auf sich hielten, Dirndl aus München. Und sei es für die alpine Sommerfrische. Die Stoffdrucke aus eigener Herstellung hatten einen unverwechselbaren Stil.
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Der Webseite „Mit Davidstern und Lederhose“ zufolge fühlten sich die Wallach-Brüder „von der bescheidenen Kleidung der bayerischen Bäuerinnen und Bauern angezogen“:
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… irgendetwas fesselte sie und sie begannen auf die Märkte der kleinen und großen Städte zu gehen. Sie kauften verschiedene Arten von Hemden und Röcken, Sommerkleidern und Schürzen, Hosen und Hemden.
Gleichzeitig lernten sie die bayerische Sprache, damit sie die gleiche Sprache sprechen wie die zukünftigen Käufer ihrer Ware!
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So wurde „die gewöhnliche Tracht […] salonfähig und auf dem Bekleidungsmarkt tauchten zum ersten Mal einfache Schnitte aus hochwertigen Stoffen in leuchtenden Farben auf“.
Später, als das berühmte Grimmsche Märchen vom armen Aschenputtel auf deutschen Bühnen aufgeführt wurde, trug auch die Hauptheldin der Webseite zufolge ein Gewand der Wallachs.
Das alles löste einen regelrechten Dirndl-Boom aus:
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Industriemagnaten und berühmte Regisseure, renommierte Künstler und Königshäuser kauften solche Kleider für ihre Frauen und Bräute.
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Doch so rasch der Aufstieg des „Volkskunsthauses Wallach“ kam, so jäh war das Ende für die Brüder Wallach als Kaufleute in München: Laut „Mit Davidstern und Lederhose“ zwangen die „Nazis […] die Familie Wallach dazu, ihren Laden zu einem Spottpreis an den Parteigenossen und Kunsthändler Otto Witte zu verkaufen.“ Dessen Ehefrau habe das „Volkskunsthaus Wallach“ geschätzt und dort häufiger mit ihrem Gatten „modische bayerische Kleidung“ gekauft. Den Brüdern Wallach gelang die Flucht in die USA, Teile ihrer Familien fielen dem Hitler-Regime zum Opfer.
1949 erhielt die Familie Wallach ihr Geschäft in München wieder zurück. Max Sedlmayer führte das Geschäft für die Wallachs weiter. Ende der 1990er Jahre wurde die Firma an das Unternehmen Lodenfrey verkauft, welches das Geschäft bis 2004 unter der Marke „Wallach“ weiter betrieb.
Die Firma Lodenfrey hat eine ganz andere Geschichte als das „Volkskunsthauses Wallach“: Sie wurden nicht „arisiert“, sondern sie profitierten von den Enteignungen durch die Nazis und beschäftigten Häftlinge des KZ Dachau als Zwangsarbeiter. Allerdings sagten einige von ihnen später zu Gunsten der Familie Frey aus, einigen soll sogar zur Flucht verholfen worden sein. Laut Süddeutscher Zeitung (SZ) soll es den Zwangsarbeitern sogar erlaubt gewesen sein, im Pool zu schwimmen. 1944 soll demnach auf einer Weihnachtsfeier jeder von ihnen ein Hemd, Obst und Zigaretten bekommen und Frey, seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SS, aus der er 1937 austrat, ihnen zusätzliche Lebensmittel verschafft, sie bei Kriegsende mit Zivilkleidern versorgt und neun von ihnen zur Flucht verholfen haben.
Das ändert indes nichts daran, dass Lodenfrey sich seinerzeit als „Kleiderkammer für den braunen Soldaten, für Hitler-Jungens und Hitler-Mädels“ bezeichnete, die Firma habe „SA- und SS-Uniformen aus unserer Maßabteilung" angeboten. Das spricht für gute Kontakte zum NS-Regime und diesen guten Kontakten ist es wohl zu verdanken, dass der lockere Umgang mit den Zwangsarbeitern die Unternehmerfamilie nicht in große Schwierigkeiten brachte. Laut SZ waren
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Kriege für die Entwicklung des Münchner Textilunternehmens von Bedeutung waren. Jeder Feldzug zwischen 1871 und 1939 brachte eine Ausweitung der Produktion. Soldaten brauchen Uniformen und Uniformen bringen Geld.
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Laut Westfalenblatt störten die Nazis sich nicht daran, „dass zwei Juden die traditionellen Kleider, die zu Hitlers Rassenideologie passten und auch auf dem Berghof beliebt waren, so populär gemacht hatten.“ Nur selbst führen durften die jüdischen Wallach-Brüder ihr Geschäft nicht mehr.
Laut der Webseite VARIASPPHIA ließ Hitler „sich gerne in einer Lederhose darstellen […], die von den jüdischen Wallach-Brüdern in München hergestellt wurde.