Ein ganz „besonderer Tag“ – für Juden und Kurden
Schon historisch waren Juden und Kurden verlässliche Verbündete
Text und Fotos: Birgit Gärtner
Sie leben unter uns – die Juden und die Kurden. Das fällt meistens nicht weiter auf, denn neben vielen anderen haben sie eine Gemeinsamkeit: Sie verstecken ihre Identität. Bzw. sie müssen sie verstecken, denn sie sind ständigen Anfeindungen ausgesetzt, und diese kommen von denselben Akteuren: Rechtsextremen, Nationalisten, Rassisten und religiösen Fanatikern, deutschen wie türkischen und arabischen. Seit Jahrhunderten tragen und stützen Juden und Kurden, die als Minderheiten in derselben Region lebten und leben, einander – nur dieses Wissen ist fast völlig verloren gegangen. Auf dem „Ersten kurdisch-jüdischen Kongress“ am 7. September 2025 in Berlin, organisiert von der jüdischen „WerteInitiative“ und der „Kurdischen Gemeinde Deutschland“ (KGD), wurde diese Erinnerung wachgerufen. Doch weniger die Vergangenheit, sondern die Zukunft standen im Zentrum der Tagung: Dieses erste Kennenlernen soll der Startschuss sein für eine wehrhafte Allianz, und das soll auch auf die Herkunftsregion ausstrahlen.
Wie gefährdet jüdisches – und auch kurdisches – Leben in Deutschland ist, wurde bereits vor der Konferenz deutlich: Bis wenige Tage davor wurde der Tagungsort streng geheim gehalten. Alle Teilnehmer wurden darauf hingewiesen, dass sie diesen niemandem verraten sollen, es war verboten, aus dem Tagungsraum heraus zu posten oder zu chatten. Erst nach 22h, nachdem alle den Ort wieder sicher verlassen hatten, durfte darüber kommuniziert werden. Für Juden ist das, ebenso wie die Taschenkontrolle am Einlass, völlig „normal“. Aber auch für Kurden, denn seit Jahrzehnten müssen auch deren Veranstaltungen abgesichert und geschützt werden.
Die Bedrohung in beiden Fällen kommt von Fanatikern, religiösen oder politischen. Judenfeindschaft kommt von rechts, links und der Mitte der Gesellschaft, „israelkritisch“, bzw. „antizionistisch“ zu sein, gehört mittlerweile zum guten Ton, vor allem aber von Muslimen und deren linken Verbündeten. Die Kalifats-Rufer oder hasserfüllten Teilnehmer der pro-„Palästina“-Demos sind nicht nur antisemitisch bis ins Mark und somit eine Gefahr für Juden, sondern auch rassistisch, was Minderheiten wie Kurden zu spüren bekommen. Dass es beispielsweise kaum kurdische Restaurants gibt, ist nicht der Tatsache geschuldet, dass es unter den Gastronomen keine Kurden gebe, sondern diese müssen Übergriffe türkischer Nationalisten befürchten, wenn sie ihr Lokal als „kurdisch“ kenntlich machen. In Deutschland, wohlgemerkt. Viele behelfen sich, indem sie „anatolische Spezialitäten“ anbieten, oder ihr Lokal nach dem Herkunftsort benennen, beispielsweise „Bingöl Grill“, benannt nach dem Gebiet Bingöl – 1.000 Seen – im türkischen Teil Kurdistans, oder „Amed Grill“, benannt nach Amed, der „Hauptstadt“ des türkischen Teils Kurdistans, die von den Türken in Diyarbakır umbenannt wurde. Auch die Farbgestaltung, rot-grün-gelb, ist oft ein versteckter Hinweis; den verstehen natürlich auch türkische Faschisten, deshalb dürfen die Zeichen nicht zu deutlich sein.
Allerdings – um der ganzen Wahrheit die Ehre zu geben – auch unter Kurden gibt es Antisemiten. Die kurdische Arbeiterpartei „PKK“ war die erste Guerilla-Organisation, die aktiv den „bewaffneten Kampf“, sprich den Terror, der PLO unterstützen. Nicht wenige sind bis heute stolz darauf. Kurioserweise haben manche Kurden kein Problem damit, sich bei den pro “palästinensischen“-Demos mit antikurdischen Rassisten zu verbünden – solange es gegen Israel geht.
Ein „besonderer Tag“
Nichtsdestotrotz hat die KGD sich schon lange als verlässlicher Verbündeter jüdischer Organisationen erwiesen. Eine Delegation um den KGD-Bundesvorsitzenden Ali Ertan Toprak war die erste nicht-jüdische Gruppe, die Israel nach dem 7. Oktober 2023 besuchten.
„Der Kongress ist bislang weltweit einmalig“, heißt es in der gemeinsamen Pressemitteilung der „WerteInitiative“ und der KGD. „Erstmals kommen Menschen aus der kurdischen und jüdischen Gemeinschaft zusammen, um organisiert und zielgerichtet über geteilte Herausforderungen, gemeinsame Werte und Handlungsperspektiven in Deutschland zu sprechen.“
Es sei ein „besonderer Tag“ betonte KGD-Vorsitzender Ali Ertan
Toprak in seiner Begrüßungsrede. „Weil Juden, Kurden und Verbündete hier zusammenkommen, um Erfahrungen
zu teilen, Herausforderungen zu benennen und gemeinsame Perspektiven zu
entwickeln. Diese Veranstaltung zeigt, dass Zusammenarbeit möglich ist und dass
wir unsere gemeinsamen Werte von Demokratie, Schutz der universellen
Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität aktiv verteidigen können.
Als „Besonders“ bezeichnete auch der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete und „Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Inneren“ die Konferenz in seinem Grußwort. Der Parlamentarier engagierte sich auch für die Schließung des „Islamischen Zentrums Hamburg“, das als Europazentrale der religösen und politischen Führung des Iran galt.
Rund zwei Millionen Kurden leben in Deutschland. Viele von ihnen spüren die Auswirkungen der Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten unmittelbar. Zugleich sind sie auch hierzulande Kurdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Ressentiments ausgesetzt - vor allem durch islamistische und ultranationalistische Akteure. Diese Bedrohungen machen deutlich, dass Extremismus und Hass nicht nur fern, sondern mitten in unserem Alltag wirksam sind. Diese Erfahrungen teilen wir nicht allein. Auch Juden sind in Deutschland massiv bedroht. Insbesondere seit dem 7. Oktober 2023 dient der Krieg in Gaza und Israel als Vorwand, um Antisemitismus offen und mit aller Macht auszuleben. Wer solche Verhältnisse duldet oder verharmlost, legitimiert Gewalt und untergräbt die Grundlagen des Rechtsstaats und der offenen Gesellschaft.“
In der Türkei seien Millionen Kurden massiver Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt, Juden erlebten in Deutschland und weltweit eine „offene Welle des Hasses und der Gewalt. Ihre Sicherheit, ihre Schulen, ihr alltägliches Leben werden ins Visier genommen. Der Antisemitismus macht sich auf deutschen Straßen, in Hörsälen und in den sozialen Medien hemmungslos bemerkbar. Der Krieg im Nahen Osten dient als Feigenblatt, um alten Hass ungeniert auszuleben.“
Auch in Israel leben viele Kurden
Beide Gruppen erlebten, dass ihre Situation und die Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, oft unbeachtet blieben und ihre Stimmen zu häufig ungehört verhallten. „Eine für uns unerträgliche Tatsache“, so Ali Ertan Toprak, der den Kongress als einen Schritt bezeichnete, „um diese Zusammenarbeit zu stärken und die Freundschaft zwischen Juden und Kurden zu festigen. Wir können zeigen, dass Solidarität stärker ist als Spaltung und dass geteilte Werte eine stabile Basis für ein gemeinsames Handeln bieten.“
Wie viele Kurden tatsächlich in Deutschland leben, ist nicht klar, die KGD schätzt ca. 2 Mio. Denn bekanntlich ist Kurdistan kein eigenständiger Staat, sondern aufgeteilt auf vier Länder: Türkei, Iran, Irak und Syrien. Entsprechend werden Kurden hierzulande als Türken, Iraner, Iraker oder Syrer registriert. Obwohl häufig gerade die eigenen Landsleute die größte Bedrohung sind.
In Israel leben ca. 300.000 Kurden. Der wohl bekannteste israelische Kurde ist der Schauspieler Idan Amedi, Als Sohn einer kurdisch-jüdischen Familie wuchs er in Jerusalem auf, absolvierte seinen Wehrdienst in der IDF, gewann die TV-Castingshow „Kochav Nolad“ und machte deren Namen alle Ehre: Als Musiker startete er durch und legte anschließend noch eine Schauspieler-Karriere nach. In der zweiten bis vierten Staffel verkörperte er die Figur „Sagi Tzur“ in der nicht nur in Israel beliebten TV-Serie „Fauda“. Nach dem 7. Oktober 2023 diente er als Reservist in der IDF und wurde im Januar 2024 so schwer verletzt, dass er aus der Serie aussteigen musste.
Im Rahmen der Konferenz gab es Expertenrunden den Themen „Gemeinsame Probleme – gemeinsame Lösungen“ und „Vor unserer Haustür: Juden, Kurden und die deutsche Außenpolitik“ sowie Einzelvorträge zu Feminismus, Geschichte und dem Bild Israels in der postkolonialen Theorie. Es wurde offensichtlich, dass es großen Diskussionsbedarf gibt. Der wurde aufgrund des straffen Programms in die Pause und den gemütlichen Teil am Abend verlegt. Die Veranstalter zogen eine positive Bilanz und versprachen, dass dieser Konferenz weitere folgen werden, auch um der Diskussionsfreude der Teilnehmer mehr Raum zu geben.
