Goldschimmernder Entlastungsengel





Text: Juliane Beer



Wenn nichts mehr geht - Sex und jüdische Schuld gehen immer

Nach eigenen Angaben leidet die deutsche Buchbranche (schon immer, aber inzwischen etwas mehr). Besonders der Bereich Belletristik liegt brach. Da könnte durchaus etwas dran sein, Belletristik ist Unterhaltung, und inzwischen gibt es mehr Unterhaltungsangebote, wie zahllose Gratistexte oder Netflix-Serien, als Zeit, sich unterhalten zu lassen. Also muss etwas her, das an Urinstinkte Deutscher (Männer) appelliert.

Takis Würger, 33, SPIEGEL-Mitarbeiter hatte da eine Idee. Oder besser: er hatte zwei Ideen: Sex und jüdische Schuld. Damit ist beim deutschen Publikum mehr als die halbe Miete bereits drin. Nun musste nur noch eine Verknüpfung her, die wasserdichter daherkommt als `Israel macht den Holocaust`. Ein bisschen wasserdichter zumindest.

Somit hatte Würger eigentlich drei Ideen. Um Sex anspruchsvoller und jüdische Schuld pikanter zu gestalten bediente er sich des Lebenskapitels einer historischen Figur: Stella Goldschlag (1922-1994). Stella Goldschlag war Jüdin und arbeitete während des Zweiten Weltkriegs der Gestapo zu, indem sie verdeckt lebende Jüdinnen und Juden enttarnte und verriet. Dadurch meinte sie, ihre Eltern vor der Deportation zu schützen. Die Eltern wurden dennoch ins Konzentrationslager gebracht, und auch danach gab Goldschlag ihre Tätigkeit als `Greiferin` nicht auf. Es heißt, sie habe zwischen 600 und 3.000 Jüdinnen und Juden verraten. Von den Sowjets wurde sie nach Kriegsende zu 10 Jahren Haft verurteilt. Goldschlag beging 72 jährig in Freiburg im Breisgau Selbstmord.

Drumherum um die entscheidenden Jahre in Goldschlags Leben baut Würger in seinem Roman Stella eine fiktive Handlung:
Friedrich, 20-jähriger Schweizer reist trotz des Kriegs nach Berlin. Würger lässt ihn (ironisch? bedeutungsvoll?) verkünden: „Die Deutschen waren in meinen Kopf das, was ich sein wollte. […] Ich wollte kein Soldat sein, aber vielleicht würde ein Teil der Stärke auf mich überspringen[…].
Dass Jüdinnen und Juden mit `Möbelwagen abgeholt werden` ist dem zu Mut und Männlichkeit Entschlossenen ebenfalls zu Ohren gekommen. Er wird der Sache auf den Grund gehen.
Friedrich steigt in einem Hauptstadthotel ab. Bald macht ihm eine schöne junge Frau Avancen. Eines Abends taucht sie schwerverletzt in seinem Hotelzimmer auf. Sie offenbart sich. Sie sei Jüdin. Die Nazis hätten sie gefoltert. Um zu verhindern, dass diese ihre Eltern deportierten, würde sie untergetauchte Jüdinnen und Juden verraten. Friedrich nimmt das zur Kenntnis, beobachtet, hält sich neutral. Ganz nach dem Motto: Der Gentleman schweigt und genießt.

Bereits auf den ersten Seiten des Romans, auf denen Friedrich sich und seine Familie vorstellt [...]Dort, wo ich herkomme, beantwortet man die Frage, wer man ist, mit den Namen der Eltern. Ich könnte sagen, dass Vater in dritter Generation einen Konzern leitete, der Samt aus Italien importierte. Ich könnte sagen, dass Mutter die Tochter eines deutschen Großgrundbesitzers war, der sein Gut verlor, weil er zu viel Armagnac trank[…] ist am unfreiwillig komisch süffisanten Erzählton des Ichs recht deutlich zu erkennen, wo die Reise hingeht. Die Urgeschichte wird bemüht: Mann, großmütig, lässt sich herab zu Frau, verdorben; da nimmt das Elend seinen Lauf. Als die Moderne Einzug in die Literatur hielt kam noch ein weiteres Element dazu: die Mutter des unschuldig verführten Mannes war zu dessen Kindheit ein Monster, war lieblos, war brutal. Deshalb das alles.
Ein Taschentuch für Herrn Würger, bitte? Nicht nötig. Die lieblose Mutter dient wie so oft auch in Würgers Roman nicht als Vorlage für die Geschichte eines gebrochenen Mannes, der im Leben nur scheitern kann. Vielmehr leitet sie, wie in mittlerweile beinahe jeder Schmonzette, den Plot ein, im Rahmen dessen der Held, dem es trotz garstiger Mutter bemerkenswert gut geht, Dinge tut (oder lässt) die ihm Spaßbremsen weiblichen Geschlechts als verwerflich ankreiden könnten.
Diese lahme Mär des vom Bösen Verführten, weil mit dem Bösen Aufgewachsenen kann Mann natürlich immer wieder erzählen, und es findet sich immer wieder dankbare Leserschaft (und erstaunlicherweise auch LeserInneschaft). Das ganze aber mit dem Fingerzeig, Jüdinnen und Juden hätten an ihrer eigenen Ermordung mitgewirkt, zu garnieren, und so die/den Deutschen, die/der dieser Tage viel Erinnerung an eigene Taten erdulden muss, zumindest ein wenig zu entlasten, dürfte ein todsicheres Rezept sein, ´die Nation wieder zum Lesen zu bewegen.` Besonders dann, wenn auch noch das germanische Auge mitessen darf: das Cover von Würgers Roman Stella ziert ein Originalfoto der Stella Goldschlag, und sie, die den Deutschen nach Feierabend ihre Schuld erlassen soll, schimmert somit silbern bis golden, je nachdem in welches Licht man sie hält.
Und wer es bis zum Ende des Romans noch immer nicht begriffen hat, für die/den hält der Autor den finalen Trost bereit: Wer frei von Schuld ist werfe den ersten Stein.

Wer will:

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Takis Würger, Stella, Carl Hanser Verlag, 11. Januar 2019


Wer aber tatsächliches Interesse hat, sich mit dem Thema jüdische Kollaboration zu befassen, dem sei die Biografie der Stella Goldschlag empfohlen.

https://www.abebooks.com/9783882432411/Stella-Womans-True-Tale-Evil-3882432411/plp

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