Dauer-obszöne Inszenierung - 75 Jahre deutsches „Gedenken“



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Text Juliane Beer



"[...]Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie[…]“
sagte hellsichtig Theodor W. Adorno im November 1959 auf der Erzieherkonferenz des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Wiesbaden.


Meine Lehrerin in der 6. Klasse, Sudetendeutsche, und als solche vertrieben und gequält, wie sie während jeder Deutschstunde nicht müde wurde mindestens einmal zu bekunden, nannte den 27. Januar den Tag der Befreiung der Deutschen. Wir Kinder, elfjährig, waren zu jung um zu begreifen, was bei der Lehrerin älteren Semesters durcheinander geraten war. Ich besuchte das Gymnasium eines Society-Ferienortes am Meer, das Kollegium setzte sich größtenteils aus hierher strafversetzten LehrerInnen zusammen. Vermutlich war man der Meinung, die SchülerInnen, sämtlich aus Gastronomen-Familien stammend, würden sowieso in die Fußstapfen der Eltern treten, da reiche die Vermittlung von ein paar Kenntnissen in Rechtschreibung und das kleine 1x1. Besagte Lehrerin hatte sich bereits auf anderen Schulen mit Ausführungen über Rassenkunde hervor getan, wurde gemunkelt. Doch auch niemand der anderen Lehrkräfte hielt es für nötig, uns zu erklären, dass nicht „die“ Deutschen befreit wurden, dass nichtjüdische Deutsche nämlich zu jeder Zeit frei waren, frei, als MörderIn oder MitläuferIn zu agieren, frei einen Borderliner zu ihrem Sprecher und Anführer zu ernennen, bzw. eine solche Ernennung hinzunehmen, frei gewesen wären, in den Widerstand zu gehen.

Wenig später, als Teenager, wusste ich Bescheid und fragte mich im Punkrock-Überschwang verblüfft, warum sich nicht jede/r nichtjüdische und nichtwiderständige Deutsche ab 1945 eine Kugel in den Kopf geschossen hatte, sozusagen als völlig normale Reaktion auf die Scham, nachdem man erfahren hatte (falls man es nicht schon wusste), was in deutschen KZs geschehen war.

Ich bin erwachsen geworden und habe gelernt, nach welchen Regeln Zusammenleben funktioniert. Wenn man hier den Oberbegriff Diplomatie anführen möchte, müsste man in Sachen deutscher Frieden seit 75 Jahren allerdings der Vollständigkeit halber von einseitigem Bemühen sprechen.
Die Entnazifizierung der Deutschen nach 1945 fiel aus. So waren diese aus Mangel an Alternative in eine kollektive Teilbetäubung gefallen, in eine Gefühlsentkernung, die lediglich ein Repertoire von A wie Angst bis A wie Aggression übrig ließ, und Anstand als Fähigkeit zu malochen, sich zu paaren und zu Weihnachten eine Spende zu tätigen, definierte, alles so mechanisch wie akribisch.
Nebenher redete es wie unter Hypnose über Schuld und Scham aus den vermeintlich Anständigen heraus und sie zeugten eine weitere Generation. Und diese wiederum zeugte eine weitere. In vielen von denen brodelt es ob des Versagens ihrer Vorfahren in welcher Hinsicht auch immer, noch immer. Um diese Dauer-Unruhe zumindest temporär zu regulieren lässt die Nachkommenschaft Mahnmale bauen, hämmert gravierte Steine zum Betrampeln und wieder blank polieren ins Straßenpflaster, schaltet Mahntage und vieles mehr.
Ich möchte mich hier auf den obszönen Gipfelpunkt der Reizbarkeitsabwehr konzentrieren, nämlich auf die von der MörderInnen-Nachkommenschaft ernannten „jüdischen VersöhnerInnen“.
Jüdischen VersöhnerInnen wird die Aufgabe „übertragen“ respektive zugemutet, über den Massenmord an ihren Vorfahren Zeugnis abzulegen, gekoppelt an die Pflicht, dabei „authentisch“ und „mahnend“ zu sein, und das „richtige“ Maß an Emotion an den Tag zu legen, um bei den MörderInnen und deren Nachfahren erfolgreich um Versöhnung zu werben.
Es fanden und finden sich Willige, die genau wissen, dass sie nur solange im Betrieb geduldet werden, wie sie so tun, als würden sie freiwillig den Ball den trockenen Nazis zuspielen und dabei bitten, die SpielerInnen mögen fair mit diesem Vorteil umgehen. Die jüdischen VersöhnerInnen funktionieren, nicht weil sie das wollen, sondern weil sie es müssen. Es ist wahrlich nichts neues, dass sich zumeist die Opfer schämen, damit die TäterInnen es nicht müssen. Das ist eingeplant, das wird im vorliegenden Fall sogar honoriert. Selbst ein sich durch die deutsche Medienlandschaft ätzender und höhnender Henryk Broder ist eingepreist, man nimmt ihn dankbar an als gerade noch akzeptable Strafe für das Tun des Opas, das man ablehnt, weil man selbst es anders gemacht hätte, besser, sozialer eben, wie man dieser Tage unter Beweis stellt, indem man Friedensdemos, Palästinatage, und Kampagnen gegen den „Apartheitsstaat“ Israel organisiert und vorgibt, dass einem das Wohlergehen von AraberInnen am Herzen läge, die einem überall sonst auf der Welt, wo man sie nicht gegen Jüdinnen und Juden zu Felde führen kann, völlig egal sind, direkt vor der eigenen Haustür sogar lästig. Wer hier kritisch einhakt, Antisemitismus in muslimisch geprägten Gesellschaften thematisiert und fragt, warum (linke) Deutsche Judenhass als schützenswertes Kulturgut ansehen ist "rechtsradikal", wahlweise "rassistisch". Diese Methode ist so perfide wie entlarvend. 

Jüdische VersöhnerInnen mahnen und warnen indes weiter, lassen Ausflüge nach Auschwitz organisieren, verdrängend, dass Mörder-EnkelInnen die Wirkungsstätten ihrer Opas oder Uropas heimlich oder mittlerweile offen erklärt inspirierend und ansprechend finden könnten und Kindern, die von nach Deutschland migrierten muslimischen Eltern auch hier mit Judenhass traktiert werden, der Anblick einer solchen Mordanlage Genugtuung verschaffen dürfte.
Jüdische VersöhnerInnen setzen weiter auf Einsicht, abgestumpft durch die Dauererniedrigung einer Aufgabe, die nicht ihre ist, niemals ihre sein dürfte (und wenn, wie natürlich auch geschieht, nur in enger Zusammenarbeit mit nichtjüdischen Deutschen) und in einer Gesellschaft, die zumindest im Referenzbereich normal im Kopf ist, auch niemals ihre Aufgabe wäre.
Niemand, der ohne Grauen ein Konzentrationslager betritt, wird geläutert dort hinaus kommen. PostfaschistInnen sind eine SM-Rotte, und die will nicht gebeten werden, denn Bitten ist hier im Allgemeinen Schwäche des Gegenübers, im Besonderen ist es das Eingeständnis, dass das jüdische Gegenüber etwas gut zu machen habe, und in dem Fall ist es die tragische Realität, dass das Gegenüber auch tatsächlich so agiert. Nicht weil es das will, sondern weil ihm überhaupt nichts anderes übrig bleibt. Würde es Schulklassen und Reisegruppen durch die Militäranlagen von Israel führen, zu den Zäunen und Sicherheitsanlagen und SoldatInnen und GeheimdienstmitarbeiterInnen, als Warnung, alles, was manisch durch postfaschistische Köpfe kreist, bloße Phantasie bleiben zu lassen, weil man dieses Mal nicht mehr so völlig ungestraft davon kommen würde wie nach 1945, wäre der jüdische Versöhner mitsamt aller KollegInnen umgehend und fristlos gefeuert.

Warum ist das Versöhnen in Deutschland keine offene Stelle für MörderInnen-Nachkommen, die unermüdlich und ungeschönt Zeugnis ablegen müssten über das Persönlichkeitsprofil ihrer Vorfahren und um Rat bitten sollten, wie einem solchen Geisteszustand beizukommen sei? Nur – bei wem um Rat bitten?
Das ist die Crux, und so darf wenigstens eine kleine Gruppe AbspaltlerInnen aus dem verhassten linken Millieu fast staatlich abgesegnet die Bühne betreten, in Selbst- und Fremdbezeichnung antideutsch genannt - eine arg unglückliche Titulierung gerade in Anbetracht dessen, dass es viele sogenannte Antideutsche in Lehrämter an Hochschulen zieht, oder sie bereits dort angekommen sind.
Kann man gegen das Deutsche sein und gleichzeitig einem Minimalkonsens gerecht werden, der zumindest gefordert wird, will man in den Dienst der Bildungsstätten des postfaschistischen Staates Deutschland gehen, wo die künftigen Intellektuellen der Nation ausgebildet werden sollen, und das dieser Tage wieder mit dem Anpirschen an einst, nur dieses mal palästinensischer?
So sind eben diese antideutschen, sich bedingungslos mit Israel solidarisch präsentierenden ProfessorInnen wandelnde Paradoxien, sie sind die einzig möglichen Deutschen nach 1945, zum Glück gehört von einem Teil des Nachwuchses, geduldet von all den Rastlosen, die mit großväterlichem Versagen auf der einen Seite und einer in die Luft herein geforderten deutschen Moral auf der anderen Seite hadern und den einzig Möglichen, ihren fleischgewordenen ausgelagerten Gewissen, das überlassen, was sie selbst nicht über sich brächten, bei aller Mühe nicht und auch gar nicht mehr müssen im Butler-risierten Unibetrieb. Und hier ertappt man sich bei dem Wunsch, der so selbstentlarvend als Beschuldigung vorgebrachte Verweis der linken MörderenkelInnen, Antideutsche wären inoffizielle AußendienstlerInnen Israels, wäre tatsächlich wahr, weil damit jeder Verdacht der Kooperation mit einem postfaschistischen Bildungssystem ausgeräumt wäre.

Wie nun müsste deutsches Gedenken aussehen, 78 Jahren nachdem sich 15 vom deutschen Volk ernannte oder zumindest geduldete Vertreter der NS-Regierung zur Wannseekonferenz trafen?
Sicher nicht so wie, abgesehen von oben genannten Ausnahmen unermüdlicher, unbeirrter nichtjüdischer Deutscher, täglich zelebriert.
Ein akribisch geplanter, industrieller Massenmord an Millionen von Menschen übersteigt das menschliche Fassungsvermögen, was keine Entschuldigung sein kann, auch noch bei der Aufarbeitung zu versagen.
Brauchen wir überhaupt Mahnveranstaltungen, mechanisch abgehalten, wo doch der real existierende deutsche Alltag mit allem drum und dran seit 75 Jahren eine einzige Dauer-Mahnveranstaltung ist?


Update 24. Januar:
Eine deutsche Journalistin ist not amused, wie der jüdische Staat der Befreiung von Auschwitz gedenkt. Ob für ihren Geschmack nicht hinreichend bei den Deutschen um Vergebung gebeten wurde ist ihren Ausführungen nicht zu entnehmen.  Ihren Ärger darüber, dass die Juden die Veranstaltung zum Zweck einer "Privatparty" "gekapert" hätten, möchte sie aber in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen.      
https://www.tagesschau.de/kommentar/yad-vashem-gedenken-kommentar-101.html


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