Hitler im Gender-Test


Soldat, Spielzeug, Unterhaltung, Militär, Für Kinder



Text Juliane Beer




Buchbesprechung: Hitler en détail – und wieder fehlt das Volk


Hitler in einem neuen Licht betrachten wollen die AutorInnen des soeben erschienenen Buches Fatale Männlichkeiten – Kollusive Weiblichkeiten, Zur Furorewelt des Münchner Hitler, Folgen über Generationen

Zentrale These: Hitlers fatale (= tötungsorientierte) Männlichkeit habe die Shoa erst möglich gemacht, lanciert vom uneingestandenen weiblichen Mitwirken, der kollusiven Weiblichkeit.

Zur AutorInnengruppe, hier Resonanzgruppe genannt, gehören Lerke Gravenhorst, Jürgen Müller-Hohagen, Hanne Kircher, Karin Schreifeldt und Ingegerd Schäuble. Alle sind oder waren beruflich im psychotherapeutischen, soziologischen oder kunstpädagogischen Bereich tätig und haben bereits zum Thema Nationalsozialismus gearbeitet. Drei von ihnen outen sich als NS-Täter- oder Mitläufer-Kinder.

Als entscheidend für die Entstehung des Buches wird in der Einleitung der fachliche Austausch zwischen zwei der AutorInnen zum Thema Frauen und deren Beitrag zum Nationalsozialismus angeführt. Bedauerlicherweise nimmt gerade dieses hochinteressante Thema nur sieben Seiten im Buch ein. Fatale Männlichkeiten – Kollusive Weiblichkeiten beschäftigt sich auf den übrigen über 300 Seiten akribisch mit der Person Hitler und seiner vermeintlich tötungsfixierten Männlichkeit - wie in der Einleitung angekündigt mit Mut zum subjektiven, emotionalen Blick.

Geboten wird eine umfassende, aufschlussreiche Materialsammlung: Auszüge aus Hitlers frühen Reden in München sowie Textpassagen aus Hitlers Elaborat Mein Kampf.

Männlichkeit, Kampf, Vernichtung sind die drei Themen, um die alles kreist. Die Münchner Reden machen deutlich, dass Hitler bereits in den 1920er Jahren spätere Vorhaben, Anordnungen und Befehle ankündigte, und zwar weder kryptisch noch verklausuliert, sondern im leicht verständlichen Stil des uralten, und bis heute in der Vulgär-Linken, bei Rechtsextremen und im (politischen) Islam gebräuchlichen Verschwörungswahns, wonach die Juden Teufel wären, die lediglich das Ziel verfolgten, die Weltherrschaft an sich zu reißen und die Völker zu unterjochen.

Man war also bereits zu Hitlers Münchner Zeit gewarnt. Besser: hätte gewarnt sein können. Auch deshalb, weil andockend an manisches Kreisen um die jüdische Bevölkerung, Hitlers großes Thema, der Kampfgeist des Mannes, bereits in München überaus raumeinnehmend daherkam. Das männlicher Individuum habe, um im Sinne Hitlers diesen Namen auch zu verdienen, ständig zu kämpfen und (den Feind) zu töten, nicht nur im Krieg, sondern auch im Frieden, der für Hitler erklärtermaßen nicht existierte, solange nicht das arische deutsche Volk die Welt regierte.

Hitlers Ideal des deutschen siegreichen Mannes sei im 1. Weltkrieg geplatzt, die deutsche Niederlage eine nicht zu verkraftende Schmach gewesen, was der Verweiblichung und Degeneration des deutschen Mannes zuzuschreiben wäre, nicht zuletzt aufgrund des Einflusses eines weltzersetzenden Judentums.Eine weitere Demütigung sei der Friedensvertrag von Versailles gewesen, dessen Zustandekommen Hitler ebenfalls dem Weltjudentum zuschriebe.

Frauen spielten in Hitlers Gedankenwelt lediglich als Gebärmaschinen, die sich mit Ariern zu paaren hatten, eine Rolle. Seine frühe Verachtung für die „Weiber“ wird Hitler mit Anfang des Krieges etwas relativieren, wenn er merkt, dass er Frauen für seine Zwecke funktionalisieren kann. Auf Hitlers vermeintliche Homosexualität wird im Buch nicht eingegangen, evtl. um keinen Zusammenhang zwischen Homosexualität und psychotischem Verhalten herzustellen. Das passiert leicht, im Zweifelsfall ist es deshalb wohl besser, es herauszulassen, im Kontext kommt man auch ohne Hinweis auf Hitlers sexuelle Orientierung aus.

Zu Männlichkeit und Kampf gehört jedoch Hitlers Haltung zu Natur und Überleben, dem ist auch ein Kapitel im Buch gewidmet. Interessant ist, dass die AutorInnen gerade an dieser Stelle Hitlers Gedankenwelt als verrückt und wirr labeln. Dass Hitlers Denken als zwangsneurotisch, psychotisch oder wirr anzusehen ist, ist keine neue Erkenntnis. Gerade die Ausführungen zu Natur und Überleben im Hitler-Repertoire sind jedoch im Gegensatz zu Ausführungen beispielsweise zu Rasse und Weltherrschaft weder wirr noch von Verfolgungswahnsinn gekennzeichnet, sondern innerhalb der Logik der Natur stringent dargelegt. Die Natur ist gnadenlos und grausam. Was schwach ist überlebt nicht. Kranke und schwache Jungtiere werden tot gebissen oder zurückgelassen, um die Herde insgesamt nicht zu behindern. Hitler verlangt dies auch in Bezug auf kranke Menschen. Dieses Denken ist nicht wirr, aber natürlich paradox hinsichtlich der Regeln und Absprachen der Zivilisation, in der Hitler sich selbst bewegt und erwartet, dass er trotz seines, in der Logik der Zivilisation schädlichen Verhaltens am Leben gelassen und nicht als die zivilisierte Gemeinschaft schädigendes Subjekt umgebracht wird.
Und hier käme eigentlich die Bevölkerung ins Spiel, die ein krankes Subjekt eben nicht absondert und so verwahrt, dass es keinen Schaden anrichten kann. Die Bevölkerung, die dem kranken Subjekt kollektiv verfällt. Das zivilisierte Volk, das sich auf Regeln geeignet hatte. Nicht der eine Kranke. Das Volk, zu dem erklärtermaßen auch die Eltern der AutorInnengruppe gehörten. Die Chance, hier detailliert auf die Schuld der Eltern oder zumindest des Volkes einzugehen, nehmen die AutorInnen nicht wahr. Es bleibt bei Andeutungen.

Wie bereits erwähnt, frühere BiographInnen, HistorikerInnen, SoziologInnen haben Hitler als hochgradigen Zwangsneurotiker, bzw. psychisch Kranken dargestellt und auch versucht, das zu belegen. Nun ist es schwierig, Diagnosen in Abwesenheit des Patienten zu stellen, doch darüber, dass jemand, der zumindest im Referenzbereich psychisch gesund ist, keinen Massenmord in Auftrag gibt, dürfte Konsens bestehen. Weshalb es lückenhaft wirkt, dass die AutorInnen zwar zahlreiche Zeugnisse Hitlers wahnhafter Vernichtungs- und Massenmordphantasien präsentieren, aber kaum die damit einverstandene oder interagierende Umwelt beleuchten.
Hitler hat, anders als oft dargestellt, keinen Massenmord begangen. Darüber, dass er auch nur einem Juden oder einer Jüdin ein Haar gekrümmt hat, ist nichts überliefert. Ebenso nicht zu Gewalt gegen Homosexuelle, KommunistInnen, Sinti, Roma oder sogenannte Asoziale. Hitler hat einen Massenmord in Auftrag gegeben. Wenn an dem Punkt bei BefehlsempfängerInnen keine Zweifel, Nachfragen Irritation aufkommen, kann das nur heißen, dass man sich mit eben diesen Generälen, Soldaten, AufseherInnen und natürlich mit dem Volk befassen muss, was bis heute nicht auch nur halb so obsessiv geschehen ist, wie die ca. 75 Jahre alten Hitler-Obduktionen.
Natürlich, Hannah Arendt hat sich einst des Volkes angenommen und ist dabei der Banalität des Bösen auf die Spur gekommen. Aus jedem kleinen Licht kann ein Massenmörder werden. Doch auch sie hat TäterInnen und Volk dabei weitgehend verschont, beziehungsweise VerbrecherInnen und MörderInnen zu verführten kleinen Wichten verniedlicht und diese weitgehend ohne Konsequenz (im Sinne eines gebrauchstüchtigen Imperativs ans Volk) entlassen. Ich füge Hannah Arendt (deren Denken ich nie verstanden habe) auch deshalb hier ein, weil das AutorInnenkollektiv sich mehrmals an Arendts Denken zu orientieren scheint, beispielsweise wenn das Tun von Generälen, Soldaten und HelfershelferInnen lapidar als „ungerechtfertigtes Töten“ bezeichnet wird. „Ungerechtfertigtes Töten“ unterstellt, dass Töten in bestimmten Fällen gerechtfertigt ist. Wenn man gerechtfertigt im Sinne einer einvernehmlichen Übereinkunft definiert, ist Töten aber lediglich in Form der Sterbehilfe gerechtfertigt, und hier ist umstritten, ob von Töten gesprochen werden soll. Hannah Arendt hat beispielsweise nach diesem Muster argumentiert, als sie die Shoa in Form einer Erkenntnis als etwas, „das nie hätte geschehen dürfen“ bezeichnete. Oder noch verkennender als „die vollendete Sinnlosigkeit“. Für Hitler und seine HelferInnen war der Massenmord alles andere als sinnlos, vielmehr war er die Erfüllung eines Wahn-Plans, wie die AutorInnen des vorliegenden Buches durch zahlreiche Auszüge aus Hitlers Reden anschaulich belegen, und für Opfer, egal welche und in welchem Zusammenhang, ist es niemals sinnvoll, ermordet zu werden.

In der Logik von Arendt zu argumentieren, kann darüber hinaus in einem von Täter-Kindern verfassten Text schon wegen der genau entgegengesetzten Perspektiven nicht überzeugen.


Zur zentralen These des Buches: ohne fatale, also tötungsorientierte Männlichkeit hätte die Shoa nicht geschehen können.

Keine Shoa ohne fatale Männlichkeit und kollusive Weiblichkeit – diese These mag nicht aus der Luft gegriffen sein. Beim Lesen der hier zusammengestellten Reden und Schriften Hitlers könnte man zu dem Schluss gelangen, dass ohne seinen tötungsorientierten Entschluss, Ideologie auch tatsächlich in Handlung umsetzen zu lassen, 1933 „nur“ eine weitere Welle des Antisemitismus ohne 6 Millionen Opfer ein Land überschwemmt hätte. Oder aber man vermutet in der Konstruktion der fatalen Männlichkeit des Adolf Hitler und seiner Vertrauten einen weiteren (unbewussten) Versuch, von der Schuld eines gesamten Volkes abzulenken.

Ebenso könnte man sich mit tötungsorientierter Männlichkeit als Diagnose schwer tun, und das nicht erst seit diesem Buch. Bereits Theweleit verblüffte in Männerphantasien (1986, neu aufgelegt Berlin 2019) trotz überzeugender Analyse mit dem Resultat, männliche Gewalt entstehe, weil Männer in unserer Kultur eine 12 000 Jahre alte Gewalt- und Kriegsgeschichte im Körper trügen, die ihnen Dominanz verleihe, die in unserer Gesellschaft gepflegt und gefördert werde. Das ist eine gigantische Entschuldigung des erwachsenen (!) Mannes. Ein Mann ist eben kein zur Reflexion unfähiger Junge. Männliche Gewalt kommt meines Erachtens vielmehr dadurch zustande, dass der Junge, der seine Problem durch Gewalt zu lösen sucht, nicht erwachsen werden will oder kann, und ihm das - richtig! - von der Umwelt auch gar nicht abgefordert wird. Männliche Gewalt ist die ausbleibende Reifung der männlichen Psyche, der Psyche, die der Entwicklung des männlichen Körpers nicht hinterherkommt. Männliche Gewalt ist somit Ausdruck von Infantilität und nicht Folge irgendwelcher Kulturgeschichten, denen der Mann hilflos ausgeliefert ist. Man denke an die Infantilität der Incels, deren Unvermögen, eine begehrte Frau anzusprechen, in Misogynie umschlägt. Man denke an männliche Amokläufe aufgrund von ausgebliebener Bedürfnisbefriedigung. Man denke an das männliche Kleinkind, das sich die Augen zuhält, weil es von einer Situation überfordert und verärgert ist, und durch Brüllen und Weinen das Umfeld dazu bewegen will, den Störfaktor zu beseitigen. Das ist Hitler und eine Gefolgschaft, die die männliche Infantilität nicht nur akzeptiert, sondern diese bestätigt und mit dieser kooperiert. Aber sicher ist es für Theweleit weniger kränkend, seinen Geschlechtsgenossen den heldenhaften (oder von Theweleit herablassend als nicht heldenhaft bezeichneten) geschichtsträchtigen Körper zu attestieren, als schlichte Infantilität.
Die AutorInnengruppe des vorliegenden Buches legt es sogar im Kapitel über Hitlers Kindheit genau dar, sie beschreibt das wütende, schreiende Kind, betont, dass Hitler dadurch aber keineswegs entschuldigt sei. Warum kommen sie nicht zur naheliegenden Schlussfolgerung, dass Hitler emotional auf diesem Level stehenblieb? Hitler sei ein wütendes Kind gewesen, heißt es, er habe als Junge unter dem gewalttätigen Vater gelitten, Hitler habe als Junge den betrunkenen Vater aus der Kneipe nach Hause führen müssen und sich geschämt, Hitler habe als Junge Spott ertragen müssen, da er mit nur einem Hoden ausgestattet war usw. usf. Sicher, das alles schreit nach Rache. Wenn man genau dieser gedemütigte kleine Junge bleibt, statt auch emotional erwachsen zu werden und zu begreifen, dass man über Körperkraft verfügt, die man aber eben in den allermeisten Fällen nicht mehr gegen die Verursacher der früheren Demütigung einsetzen kann, und gegen die, die mit den Demütigungen nichts zu tun haben, nicht einsetzen will.
Selbstverständlich sind Frauen hier nicht schuldlos. Im Buch wird den kooperierenden Frauen um Hitler, wie bereist erwähnt, leider nur ein sehr knappes Kapitel am Beispiel von Elsa Bruckmann und Winifred Wagner eingeräumt. Beide sind prominente Personen, auf all die unbekannten mitwirkenden Frauen der Nazizeit, auf die, die dem alten Kind Hitler zujubelten, es umschwärmten, in Konzentrationslagern Dienst taten, also sehr wohl „etwas gewusst hatten“, mitliefen, schweigend wegschauten, auf all diese Frauen wird nicht eingegangen, was einleuchtet, denn dann hätten die AutorInnen auch einen Blick auf die eigenen Mütter werfen müssen, und das war (womöglich unbewusst) offenbar eben nicht gewollt.

Im Nachwort fällt dazu der Schlüsselsatz: Aber sie ( die Täter/Mitläufer-Eltern) hätten doch auch gute Seiten gehabt. Die AutorInnen hätten sie doch auch geliebt. Jemanden zu lieben, auch wenn dieser jemand mordet und foltert, ist kein willentlich steuerbarer Akt, kann also niemandem vorgeworfen werden. Der These, die TäterInnen hätten auch gute Seiten gehabt, muss widersprochen werden. Wer im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist und Menschen demütigt, foltert und mordet hat keine gute Seiten, sondern ist in der Lage so zu tun, als hätte er welche. Die Auseinandersetzung der AutorInnen mit der Schuld der Eltern, wenn man die schon erwähnt, fällt also auch im Nachwort aus. Man schreibt ein dickes Buch über die Schuld Hitlers, bezeichnet ihn im Nachwort noch ausdrücklich als Dreck mit vier Ausrufezeichen, um die Eltern weiterlieben zu dürfen?
Überhaupt ist dieses Nachwort ein therapeutischer, wenn auch keinesfalls auflösender Text eher für Täter-Nachkommen. Opfer-Nachkommen dürfte er verblüffen. Nein, kein Mensch ist für die Taten der Eltern verantwortlich. Man kann gerade deshalb mit den hoch emotionalen Versicherungen der AutorInnen, wonach ihnen die Arbeit am Buch alles abverlangte, sie sich „trotzdem“ lieben und achten und emotional und sorgsam mit sich selbst umgehen wollten, nicht viel anfangen. Eher erscheint dieses Bekenntnis zur „jetzt gerade“-Selbstfürsorge ohne die vorherige (zumindest versuchte) Aufarbeitung elterlicher Schuld selbstzentriert, wozu auch die im Schreibprozess angefertigten und am Ende des Buches abgedruckten Therapiebilder beitragen. Wohingegen das Problem der naturgegebenen und durch nichts auf der Welt änderbaren, kolossalen Zumutung, Kind von Nazis zu sein, nachvollziehbar ist.

Das Buch ist nicht trotzdem, sondern unter anderem genau deshalb lesenswert.

Fatale Männlichkeiten - kollusive Weiblichkeiten: Zur Furorwelt des Münchner Hitler. Folgen über Generationen
Marta Press, Hamburg, 2020
324 Seiten , 42,- Euro
ISBN-13: 978-3944442518







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