Gegen jeden Antisemitismus

 

 

 

Text: Birgit Gärtner

Rund 300 Personen zeigten am vergangenen Samstag Flagge gegen Antisemitismus – und zwar die mit dem Magen David. Hintergrund war ein brutaler Angriff auf einen sichtbar pro-israelischen Juden vor etwa einem Monat.

Seit mehreren Jahren versammeln sich alle 14 Tage in der Hamburger Innenstadt Menschen vorwiegend aus einem christlichen Umfeld, zudem auch Jüdinnen und Juden, zu einer Mahnwache unter dem Motto „Jewish Lives Matter – Kein Antisemitismus in Deutschland. Schluss mit Hass und Hetze gegen Juden“. Die Beteiligten wollen nicht nur gegen Antisemitismus protestieren, sondern ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat zum Ausdruck bringen. Dabei kommen Flaggen und Fähnchen zum Einsatz, so dass die Solidarität mit Israel nicht übersehbar ist. Vor ca. vier Wochen wurde die Kundgebung von einer Gruppe junger Migranten zunächst verbal angegriffen, einer der Jugendlichen attackierte einen der Teilnehmer, den Juden Michael T. (Name von der Redaktion geändert) so brutal einem Faustschlag, dass dieser mit Joch- und Nasenbeinbruch in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Noch immer ist nicht klar, ob die Ärzte das Augenlicht auf der rechten Seite werden erhalten können. Klar aber ist, dass Michael T. lebenslange Folgen von diesem Übergriff davon tragen wird – physisch und psychisch. 

  

Israelhass als Familientradition

Als dringend Tatverdächtig gilt der Berliner Aram A., ein 16jähriger mit syrischen Wurzeln. Laut Bild  war er mit seiner Familie bei Verwandten in Hamburg unterwegs und kam zufällig an der Kundgebung vorbei. Aram A. und wohl auch sein 14jähriger Bruder ließen es sich nicht nehmen, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ihre Haltung wissen zu lassen und skandierten „Free Palestine“. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung. Laut der Mutter von Aram A. soll Michael T. ihren Sohn bedroht haben. Michael T. hingegen sagt, er habe mit ihm diskutieren wollen, daraufhin habe Aram A. ihm einen Faustschlag verpasst. Diese Version bezeugen andere Kundgebungsteilnehmerinnen. Fakt ist: Michael T. ist schwer geschädigt, nicht Aram A., der drei Mal die Woche boxt und zum Karate-Training geht , seitdem er acht Jahre alt ist. Das erklärt auch, wieso der an sich schmale Jugendliche mit einem Faustschlag eine solche Verletzung provozieren konnte. Nicht nur Aram A., sondern auch seine Mutter ist Israel gegenüber feindlich eingestellt, macht daraus keinen Hehl und soll die Hisbollah unterstützen sowie mitunter an Israel feindlichen Demonstrationen teilnehmen. Es wäre sehr interessant, herauszufinden, ob die Familie sich auch am Al-Quds-Marsch beteiligte.

Eine der Kundgebungsteilnehmerinnen machte Foto von den Jugendlichen, die Mutter von Aram A. bestätigte der Polizei gegenüber, dass darauf ihre zwei Söhne und ihre Tochter zu sehen sind.

Ein Foto des Tatverdächtigen kursierte recht schnell im Internet – und dann wurde die Angelegenheit vom virtuellen Tratsch zum real Crime: Jemand fand heraus, dass es einen jungen Mann gibt, der dem Tatverdächtigen stark ähnelt und bei der Agentur „Kokon“ als Schauspieler Aram Ahmadi geführt wird. Die virtuelle Gerüchteküche brodelte. Wie sich heraus stellte, spielte der dem Tatverdächtigen stark ähnelnde Schauspieler in dem Film „Evolution“ mit, der im Juni 2021 bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere feierte. Google verriet mir dann, was für ein Film das ist: Die Geschichte einer jüdischen Familie vom Holocaust bis in die Gegenwart, bei der Regisseur Kornél Mundruczó Biographisches einfließen ließ.

Wiederum Bild recherchierte– nein, das Problem ist nicht, dass Bild recherchierte, sondern dass alle anderen es NICHT taten – dass der dem Tatverdächtigen stark ähnelnde Schauspieler Aram Ahmadi in dem Film den jungen Muslim Ali spielt, der seinen jüdischen Mitschüler Jonas mobbt und auch handgreiflich gegen ihn wird.

Die Agentur entfernte daraufhin Aram Ahmadi aus ihrer Kartei – und es war klar: Der Tatverdächtige ist der junge Schauspieler. Dorothea Trebs, Leiterin von „Kokon“, attestierte ihm schauspielerisches Talent. Doch möglicherweise ist das von der Agentur gepriesene schauspielerische Talent ja auch darin begründet, dass er seine Aversion gegen Juden nicht spielen musste...

Die Reaktionen: Reine Lippenbekenntnisse

Alle zeigten sich erschüttert: Dorothea Trebs, Jan Krüger vom Filmverleih „Port au Prince“, Albert Wiederspiel, Leiter der Hamburger Filmfestspiele, im Rahmen derer der Film gezeigt wurde, wie meine Facebook-Freundin Silke Opfer herausfand, und Regisseur Kornél Mundruczó.

Vorgeführt wurde der Film dennoch – einen Tag vor der nächsten Mahnwache. Diese wurde vor dem Film angekündigt und Albert Wiederspiel ließ es sich nicht nehmen, persönlich bei der Kundgebung zu erscheinen. Dort stieß ihm die offen zur Schau gestellte Solidarität mit Israel sauer auf. Er – selbst Jude – war davon ausgegangen, dass ganz allgemein gegen Antisemitismus demonstriert werde. Er selbst hat offenbar ein vorsichtig formuliert kritisches Verhältnis zu Israel und fühlte sich anscheinend hintergangen. Nun ist es nicht an mir, einem deutschen Juden vorzuschreiben, wie er zum Staat Israel zu stehen hat, Albert Wiederspiel kann selbstverständlich Israel kritisieren, so viel er möchte. Nur: Der Angriff erfolgte nicht nur aufgrund eines Protestes gegen Antisemitismus, sondern wegen der offen zur Schau gestellten Solidarität mit Israel als jüdischem Staat. Die Gruppe wurde zunächst verbal attackiert, weil Israel-Flaggen und Fähnchen zur Schau gestellt wurden. Deshalb wurde Michael T. krankenhausreif geschlagen. Logischerweise waren dann auch bei der nächsten Kundgebung zwei Wochen nach dem brutalen Angriff Israel-Fahnen im Spiel. Das hätte Albert Wiederspiel wissen müssen, dann darauf wurde in einem Flugblatt hingewiesen, dass vor dem Kino verteilt wurde, in dem der Film vorgeführt wurde.

Außer Albert Wiederspiel, der sich in Gegenwart von Lokalmedien lautstark darüber beschwerte, unter dem Vorwand Antisemitismus auf eine Pro-Israel-Kundgebung gelockt worden zu sein,  beließen es alle anderen bei einem Lippenbekenntnis des Bedauerns über den Vorfall.

Rührselige Lovestory

Die verhaltene Reaktion des Regisseurs Kornél Mundruczó wird vielleicht deutlicher, wenn wir uns mal mit dem Inhalt des Films beschäftigen. Silke Opfer beschreibt diesen folgendermaßen:

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"Evolution” ist ein Film, der aus drei Episoden besteht. In der ersten sieht man Sowjetische Soldaten, die zwanzig Minuten lang einen Raum ausfegen, reinigen, schrubben. Sie reden nicht, man hört nur die Geräusche ihres Tuns. In den Ritzen des Gemäuers finden sie zunächst einzelne Haarsträhnen, sie ziehen immer mehr und immer größere Haarbüschel, nasse, miteinander verwobene Haarbüschel aus dem Mauerwerk. Irgendwann hört man ein Kind schreien, es ist die erste Stimme, die man in diesem Film hört, sie suchen das Kind und bergen es aus einem Schacht unter der Erde, sie gehen hinaus und man sieht jetzt, dass sie sich im Lager Auschwitz- Birkenau befinden, dieses Kind hat die Gaskammer überlebt. Soldaten fahren mit dem Kind im Arm auf einem Panzer fort, damit endet diese Episode.

Der zweite Teil spielt in der Küche der Überlebenden, sie ist nun eine alte Frau, die mit ihrer erwachsenen Tochter redet, die nach Dokumenten sucht, um ihre jüdische Identität nachzuweisen. Die Mutter, auch schon ein wenig dement, wehrt sich dagegen, will aus ihrer Geschichte keinen “Vorteil” ziehen, ich meine, sie zieht hier auch eine Parallele zu Israel, sie wirft dem Land genau dies vor. (Anmerkung: dieser Teil war auf Ungarisch mit englischen Untertiteln. Mein Englisch ist so schlecht nicht, die Untertitel gingen aber sehr schnell, also für mich manchmal zu schnell, und ich geben zu: ich habe nicht alles verstanden)

Den dritten Teil aber habe ich sehr gut verstanden, er spielt in Berlin, die Schauspieler reden deutsch. Jonas, ein jüdischer Junge, soll für die Schule eine Laterne basteln, eine Martinslaterne. Die Mutter übernimmt diese Aufgabe und bastelt eine Chanukka- Laterne. Am Tag, als die Kinder die Laternen mitgebracht hatten, gibt es ein Feuer in der Schule, irgendjemand hat die Channuka- Laterne angesteckt und die ganze Episode beginnt mit der Evakuierung der Schule.

Man sieht die Kinder auf einen gegenüberliegenden Rasen laufen, man sieht, wie Jonas mit einer Mitschülerin, die die Haare kurz geraspelt hat, nach Hause geht. Er fragt sie, wo denn ihre blauen Haare seine, sie antwortet, Ihr Vater mochte das nicht und habe sie abgeschnitten.

Auf diesem Nachhauseweg wird Jonas angegriffen, der Angreifer ruft “Scheiß Jude”, der Schauspieler des Angreifers ist jener Aram Ahmadi, der vor drei Wochen in Hamburg auf der Mönckebergstraße einen Juden, der an einer Israel- Mahnwache teilgenommen hatte, krankenhausreif geschlagen hat. Das Mädchen biegt irgendwann in einen Hof ein und man sieht, wie sie sich ihr Kopftuch umbindet. Dass sie wohl dazu gezwungen wird, es zu tragen, wird nicht weiter thematisiert. Am nächsten Tag findet der große Martinsumzug der Schule (in Berlin!) statt. Jonas und Yasmin - so heißt das muslimisches Mädchen - fühlen sich sichtlich unwohl, verlassen den Zug, laufen an einen Kanal, setzen sich dort nieder und küssen sich.

Conculsio dieser Erzählung: Juden werden an Schulen in Berlin von der christlichen Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen und haben die Möglichkeit, sich mit ihren muslimischen Mitschülern zu verbünden. Moslems und Juden sind hier gleichsam Opfer. Das ist so dermaßen realitätsverweigernd, dass einem echt die Spucke weg bleibt. Seit Jahren werden jüdische Schüler nicht nur in Deutschland in der Schule von ihren muslimischen Mitschülern gemobbt, verachtet, ausgegrenzt und angegriffen. Das Problem heißt auch hier wieder: Islam, immer mehr jüdische Schüler verlassen staatliche Schulen um auf eine jüdische Schule zu gehen, wenn nicht die Familie ganze auswandert.

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Zwei Outlaws, glücklich vereint. Fürwahr eine rührselige Lovestory, die das Niveau von Bravo 1974 bei weitem unterschreiten dürfte. Aber in einem derart romantisierten Bild muslimischen Lebens ist es vermutlich verzeihlich, wenn einem jungen Migranten einem Juden gegenüber die Hand ausrutscht, weil dieser seine Israel-Solidarität offen zur Schau stellt. Denn schließlich ist Israel ja auch … Und außerdem leiden viele Musliminnen und Muslime genauso unter antimuslimischen Rassismus wie Jüdinnen und Juden unter Antisemitismus. Vor allem muslimische Mädchen, die von ihrer Familie/Community unter den Hijab gezwungen werden und sich vor lauter Scham die Haare abrasieren … Vor allem aber würde ein solches Mädchen einen ungezwungen Umgang mit gleichaltrigen Jungs pflegen und sich auf eine Liaison mit einem Juden einlassen … 

Das politische Hamburg blieb einfach zuhause

Der Vorfall schlug große Wellen, die Kölnerin Malca Goldstein-Wolf reagierte darauf, indem sie einen Schweigemarsch für vergangenen Samstag in Hamburg organisierte. Auch da wurde reichlich Flagge gezeigt – wieder die mit dem Magen David – jedoch unabhängig davon, ob die Beteiligten jüdischen Glaubens waren oder nicht, und egal, wie sie zum Staat Israel stehen.

Es beteiligten sich auch einige Iranerinnen und Iraner an dem Schweigemarsch, die kurdische Gemeinde stellte die Ordner. Nur das politische Hamburg blieb vorsorglich zuhause. Als einziger Politiker nahm der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries an dem Marsch teil. Zwei grüne Bürgerschaftsabgeordnete betonten, als Privatperson gekommen zu sein. Ansonsten blieb das – rot-grün geprägte – politische Hamburg einfach weg. Die Politikerinnen und Politiker, die Parteimitglieder, die tapferen Kämpferinnen und Kämpfer „gegen Rechts“, gegen Rassismus, die Friedensbewegten, die Gewerkschaften – sie alle bleiben einfach weg. Auch hielt es der Senat nicht für nötig, sich öffentlich zu dem Vorfall zu positionieren, von den einzelnen Fraktionen ganz zu schweigen.

Für mich als Hamburgerin ist es beschämend, dass weitaus mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer von außerhalb kamen als aus Hamburg. 

 

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Schweigemarsches am vergangenen Samstag trugen Israel-Flaggen. Nicht, weil alle Juden Israelis seien - es waren nicht einmal alle Beteiligten Jüdinnen und Juden - sondern „weil es nicht hinnehmbar ist, dass in einer deutschen Stadt auf offener Straße jemand brutal zusammengeschlagen wird, nur weil er eine Israelflagge trägt.“

Sagt Malca Goldstein-Wolf.

Dazu kann es keine zwei Meinungen geben!

Sage ich.

 


































































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