Allzu deutsche (Anti)Deutsche


 Bauernhaus, Landgut, Bayern, Oberbayern, Alt, Rustikal


Text Juliane Beer


Zum Blogtext https://frauenstandpunkt.blogspot.com/2020/01/dauer-obszone-inszenierung-75-jahre.html

gingen Beschwerden ein. Nicht die Ausführungen zum deutschen Gedenk-Zirkus lösten Kritik aus, sondern eine nach Ansicht der Absender zu positive Darstellung der sogenannte Antideutschen, die ich im Text als „einzig mögliche Deutsche“ bezeichnete.

Zwar stehe ich der antideutschen Bewegung auch nicht unkritisch gegenüber, schätze jedoch bestimmte Haltungen und Aktionen. Mehr dazu weiter unten.

Zuvor: Antideutsche – wer ist das?

Antideutsche sind Linke oder ehemals Linke, unorganisiert oder organisiert in Gruppen, die sich nach der deutschen Wiedervereinigung bildeten, um sich gegen deutschen Nationalismus zu positionieren. Bedingungslose Solidarität mit Israel steht ebenfalls auf der antideutschen Agenda. Eines der Credos, Satz des Philosophen Theodor W. Adorno von 1966, lautet: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen.“

Außerdem üben viele Antideutsche Kritik am linken Antiamerikanismus und Antiimperialismus, Kritik an linker Verharmlosung des (politischen) Islams, sowie Kritik an als antisemitisch eingestuften bestimmten Erscheinungsformen des Antikapitalismus.

Was haben antideutsche Gruppen Frauen zu bieten?

Dass in der Regel männliche Schelte und vulgäre Rassismusvorwürfe ausbleiben, wenn Frauen es wagen, die Zumutungen der in manch linken Kreisen mit Immunität belegten Religion Islam zu thematisieren.

Das ist lediglich ein grober Überblick, die Szene ist inzwischen breit aufgestellt, teilweise untereinander zerstritten, wie es zum guten linken Ton gehört, oder aber ins neoliberale oder Neocon- Lager abgewandert. Ich gehe im folgenden auf die häufigsten Kritikpunkte ein, die Antideutschen aus der Linken entgegen gebracht werden.

Solidarität mit Israel

Da wäre zunächst einmal antideutsche Israel-Solidarität.

Wenn ich schrieb, Antideutsche seien die einzigen möglichen Deutschen nach 1945 bedeutet das nicht, dass ich jeder/m, die/der nicht dem antideutschen Lager angehört, Antisemitismus unterstelle. Ich setzte Antideutsche als Verbildlichung ein, da sie innerhalb der linken Szene ein Synomym für eine bedingungslose Israel-Solidarität sind, und nicht für eine Israel-Solidarität, die nur dann gewährt wird, wenn Jüdinnen und Juden sich so verhalten, wie es Linken genehm ist.
Doch auch wenn man bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel positiv wertet findet man sicher Ungereimtheiten innerhalb antideutscher Theorien. Ob das Grund genug für Schelte ist bleibt jedem selbst überlassen.

Kritik am Nationalstaat

Dabei geht es mir nicht um das, was Antideutsche aus ihren ehemaligen K-Gruppen mitgebracht haben. Ich halte den Sozialismus/Kommunismus für eine freundliche Theorie, die in der Praxis mit Menschen nicht zu machen ist, außer temporär und/oder unter Zwang, und der Mensch soll frei sein. Antideutsche modifizierte Ausführungen zu Marx und klassenlosen Gesellschaften sind Ideologie-Spielereien, meiner Meinung nach zu wenig innovativ, da sie immer noch ganz dicht um Marx und seine Zeit(!) herumkreisen, statt ihn mit visionärem Mut in die heutige globalisierte Welt zu übersetzen. In akademischen antideutschen Kreisen ist die Marxerei ein intellektueller Zeitvertreib; einen Grund, sich darüber zu mokieren, sehe ich nicht (und Linke vermutlich auch nicht), jede (Sozial)wissenschaft hat ihre Steckenpferde.

Weitaus interessanter ist die antideutsche Haltung zu Nationalstaaten, nämlich die Ablehnung dieser, und die Konsequenz daraus in Bezug auf den Staat Israel.

Eine nicht selten in antideutschen Kreisen geäußerte Theorie besagt, der Zionismus sei eine Antwort auf die Shoa, mindestens aber auf die Verfolgung von Jüdinnen und Juden. Auch wenn Jüdinnen und Juden von je her hoch gefährdet waren und sind, Opfer von Gewalt und Mord zu werden, und ihnen ein eigener Staat Schutz gewähren kann, ist diese Theorie zu Shoa und Zionismus nicht zutreffend, aber stimmig, sobald sie von Antideutschen geäußert wird, die, wie bereits erwähnt, GegnerInnen/KritikerInnen des Nationalstaates, bzw. GegnerInnen/KritikerInnen von Staatlichkeit und gleichzeitig bedingungsloser Israel-Solidarität verpflichtet sind. So ist antideutsche Israel-Solidarität Konsequenz antideutscher (nicht zutreffender) Theorie zu Zionismus und Shoa, und umgekehrt.
Zionismus aus religiösen oder anderen Gründen ließe sich nicht ins antideutsche, antinationale Weltbild integrieren. Ich finde das deshalb nicht verwerflich, weil (mir) wichtig ist, was am Ende dabei herauskommt. Die Frage derer, die Staatlichkeit nicht ablehnen, warum es überhaupt einer Rechtfertigung der Existenz des Staates Israel bedarf, ist damit eventuell auch beantwortet.
Die Verbindung von Jüdinnen und Juden zum "Gelobten Land" beginnt nach jüdischer Auffassung in der Bibel: mit der göttlichen Verheißung des Landes an Abraham und Nachkommen. Historisch kann man die Verbindung von Jüdinnen und Juden zum Land in das 6. Jahrhundert vor Christus zurückdatieren, Zeit des babylonischen Exils.
Die HebräerInnen, Israeliten, JudäerInnen und Jüdinnen und Juden nannten ihr Land Israel, Synonym ist Zion, nach dem Berg Zion in Jerusalem.
Ein antideutscher Zusatz zur Theorie Zionismus sei die Antwort auf die Shoa lautet, dass Antisemitismus eine Folge des (deutschen) (National)Staatswesens (gewesen) sei/ist, und auf andere Staaten übertragbar wäre. Was im Umkehrschluss bedeuten könnte, dass es in einer Welt ohne Staatlichkeit keinen Antisemitismus gäbe. Ich bezweifle das, im Übrigen gehöre ich zu denen, die der Ansicht sind, dass Staatlichkeit nicht per se das Übel der Welt ist, heutzutage, wo das Kapital, der Antisemitismus, der Sexismus usw. global agieren und den Nationalstaat als Wachschutz-Firma nicht mehr brauchen, schon gar nicht.
Doch wie oben beschrieben, Konsequenz dieser antideutschen Denkschule ist bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel, und zwar auch dann, wenn die aktuelle Politik nicht beliebt, was eigentlich eine deutsche Selbstverständlichkeit sein müsste, aber eben nun mal nicht ist, und das ist das haarsträubende, nicht die Antideutschen und ihr Entwurf der Welt.

Antideutsche Aggros

Ein weiterer, in einer Beschwerdemail geäußerter Kritikpunkt lautete, Antideutsche seien aggressiv. Auf einige Antideutsche mag das zutreffen, ganz einfach deshalb, weil es innerhalb jeder Gruppierung aggressive Subjekte gibt.

Ein antideutsches Verleumdungswiki im Netz, deren BetreiberInnen sogar ehrlich einräumen, manch eine/n KandidatIn möglicherweise zu Unrecht als AntisemitIn vorzuführen, was aber nicht etwa eine sorgfältigere Recherche oder das Löschen der Denunziationsplattform zur Folge hat, bringt das Elend auf den Punkt und die antideutsche Szene insgesamt in Verruf. Wie wirkungsvoll wäre es hier, statt übler Nachrede lieber mit Hilfe der Theorie, Zionismus sei Folge der Shoa, an deutschen Geltungsdrang zu appellieren. Bestimmt wären manch nichtjüdische Deutsche insgeheim stolz, dass ihre Großväter mit ihrem Tun einen ganzen Staat erschaffen konnten, den man nun großzügig zu beschützen antreten will.

Als ebenfalls abstrus kann man massive Störaktionen einer Berliner antideutschen Gruppe im Jahre 2005 bei Protesten gegen HartzIV bezeichnen. Antideutsche waren damals der Meinung, Prostest gegen die Etablierung eines ausbeuterischen Billiglohnarbeitsmarktes sei völkisch und als antisemitisch zu labeln. Was für eine Farce. Wenn man schon mit solchen Schlagworten um sich wirft sollte man sich zuvor klar machen, dass der Zwang zur Lohnarbeit unter Androhung von Vernichtung, das Hochhalten jeder Lohnarbeit als ehrbar, beziehungsweise die tatsächliche Vernichtung durch (sinnentleerte) Arbeit in der deutsche Geschichte prominente VorreiterInnen hat. Und nein, ich möchte hier keinesfalls die HartzIV-Gesetze mit der Shoa gleichsetzen. Ebenso erwarte ich umgekehrt, dass die Shoa nicht für die Legitimierung von unausgegorener (anti)deutscher Geschichtsaufarbeitung missbraucht wird.

Und antideutsch zu sein wäre nicht allzu deutsch, wollte man anderen nicht die Welt erklären, natürlich auch Jüdinnen und Juden, in diesem Fall linken jüdischen Israelis, die sich vor wenigen Jahren ein antideutsches Zentralorgan nicht scheute, als „Irre von Zion“ zu bezeichnen. Abgesehen davon, dass es wenig einfallsreich ist, einen Buchtitel (in diesem Fall Henryk Broder, München, 1999) ohne Quellenangabe als Überschrift für einen Artikel zu verwenden, ist ein Text, der sich mit vermeintlicher Verwirrung jüdischer Israelis befasst, in einer deutschen, nichtjüdischen Zeitung eventuell deplatziert. Dass Jüdinnen und Juden aufgrund ihrer Geschichte nicht selten unter paradoxem, kollektiven und generationsüberdauernden Schuldgefühlen des Opfers oder des gerade noch einmal Davongekommenen leiden, was unter anderem in die Haltung, es stehe einem nichts zu, was anderen irgendwelche Nachteile einbringe, münden kann, kommt einer antideutschen Redaktion offenbar nicht in den Sinn.
Und selbst wenn es so sein mag, dass linke jüdische Israelis „irre“ Menschenfreundlichkeit an den Tag legen, ist die Frage, ob es ausgerechnet nichtjüdischen Deutschen zusteht, das zu kritisieren. Man kann Antideutschen hier zugute halten - da sie sicher nicht ausschließlich aus Familien kommen, die von 1933 bis 1945 im Widerstand waren - dass sie im Rahmen der Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichtsaufarbeitung ungewollt und ohne böse Absicht hin und wieder übers Ziel hinausschießen. Ungleich gemeingefährlicher ist es schließlich, wenn nichtjüdische Deutsche meinen, die Rolle der „Irren von Zion“ (mit)übernehmen zu müssen, was in der linken Szene keine Seltenheit darstellt und erstaunlich wenig Aufregung hervorruft.

Es gibt weitere Kritik, die Antideutschen entgegen gebracht wird, es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, auf alle Punkte einzugehen, im Übrigen habe ich mich mit einigen Vorwürfen, wie beispielsweise der vermeintlichen antideutschen Kriegslüsternheit, noch nicht eingehend befasst.

Bei aller Kritik im Detail nach meinem aktuellen Wissensstand über Antideutsche bleibe ich bei meiner Aussage: Antideutsche sind die einzig möglichen Deutschen nach 1945. Ich hoffe, das verständlich belegt zu haben.





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