Nein heißt Nein!??

 
 
Text: Birgit Gärtner
 
 
Von Frauen, die es nicht schaffen, dem Gericht als Opfer sexueller Straftaten für glaubwürdig zu erscheinen - mitunter trotz erdrückender Beweise - und Männern, die davon profitieren und im Zweifelsfall sogar Kapital daraus schlagen können.

Seit Anfang des Jahres stand Sebastian Castello Pinto wegen eines Sexualstrafdelikts vor dem Amtsgericht Tiergarten (Berlin). Ihm wurde vorgeworfen, gegen den Willen einer prostituierten Frau beim Geschlechtsverkehr sein Kondom abgezogen zu haben, handgreiflich gegen sie geworden zu sein und sie am Verlassen seiner Wohnung zu hindern versucht zu haben. Die betroffene Frau stellte Anzeige gegen ihn. Die Staatsanwaltschaft warf ihm zunächst Vergewaltigung, Körperverletzung und Nötigung vor. Verurteilt wurde er laut B.Z. letztlich zu einer Geldstrafe von 500,- € wegen Drogenbesitzes und einen Schlag auf den Kopf der Frau, der Vorwurf der Vergewaltigung und Nötigung wurde fallengelassen, weil die Klägerin ihre Anschuldigungen vor Gericht schwächer formulierte als in ihrer ursprünglichen Aussage bei der Polizei.  

Der Name Sebastian Castillo Pinto wird den meisten nichts sagen. Auch ist der Name in den wenigen Medienberichten über den Prozess nicht zu finden, sondern nur „der Mann“ oder „einer der beiden Männer, die …“. Dafür aber der Name der Frau, die ihn schon mal der Vergewaltigung bezichtigte: Gina-Lisa Lohfink. Auch wenn diese mit diesem Prozess gar nichts zu tun hat. In der B.Z. wurde der Name des Angeklagten sogar geändert in "Tom D.", ihrer wie selbstverständlich voll ausgeschrieben.

 VIP-Betreuer mit krimineller Vergangenheit

Im Jahr 2012 arbeitete Sebastian Castillo Pinto in der Bar „Maxxim“ als VIP-Betreuer. Es war das Jahr der Fußball-EM, Gina-Lisa Lohfink war als VIP-Gast für ein Charity-Fußballturnier gebucht. Im Publikum u.a. Pardis Fardzhad-Azad, ein Fußballer mit aserbaidschanischen Wurzeln. Die beiden trafen abends zufällig im „Maxxim“ aufeinander, dort wurde die kleine Gruppe um Gina-Lisa Lohfink von dem VIP-Betreuer umsorgt. Sie kam mit dem Kicker ins Gespräch und verbrachte schließlich die Nacht mit ihm. Aus freiem Willen und einvernehmlich. Am nächsten Abend war Gina-Lisa Lohfink wieder im „Mexxim“, u.a., weil ein kleiner Koffer abhanden gekommen war. Wieder wurde sie von Sebastian Castello Pinto betreut. Dieser Abend sollte in einem Desaster enden, was ihr allerdings erst sehr viel später klar werden würde.

Am darauf folgenden Abend traf sie sich erneut mit Pardis Fardzhad-Azad, dieses Mal in der Bar ihres Hotels in Köpenick. Der Fußballer kam nicht allein, er brachte einen berühmten Kollegen mit: Nationalspieler Jérôme Boateng. Dieses Treffen sorgte seinerzeit für Schlagzeilen – irgendjemand hatte dafür vorgekehrt, dass die Zusammenkunft den Boulevardmedien nicht verborgen blieb – weil Jérôme Boateng am folgenden Tag ins Trainingslager nach Danzig aufbrechen sollte mit der Nationalmannschaft, um sich auf das Spiel gegen Portugal am 9. Juni 2012 vorzubereiten. Er bekam Ärger mit Bundestrainer Joachim Löw, der nicht sauer war, dass der Nationalspieler sich vergnügte, sondern dass er es in der Nacht vor dem Aufbruch tat. Das deutsche Team gewann trotzdem 1:0. In den Medien wurde Jéôme Boateng zerrissen, weil er angeblich mit Gina-Lisa Lohfink fremd gegangen sei. Doch Sherin, die Mutter seiner damals einjährigen Zwillingstöchter, stellte klar, dass das Paar getrennt und der Kicker Single sei.

 Ein Sex-Video tauchte auf

Während die Boulevardpresse sich das Maul über sie und den Star-Kicker zerriss, hatte Gina-Lisa Lohfink ganz andere Probleme. Im Netz tauchte ein Video auf, auf dem zu sehen war, wie sie mit zwei Männer Sex hatte: Sebastian Castillo Pinto und Pardis Fardzhad-Azad. Bzw. die beiden mit ihr. Wohl  Ausschnitte aus einer Langzeitaufnahme, denn es war mal hell, mal dunkel. Gina-Lisa Lohfink wirkte – vorsichtig formuliert – derangiert und es war mehrfach zu hören, wie „nein“ sagte, oder „hör auf“.

Der Stern schrieb:

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In Sigmaringen geht eine Frau zur Polizei: Da verbreite sich ein Video unter Discobesuchern, auf dem zu sehen sei, wie die ohnmächtige Gina-Lisa Lohfink vergewaltigt würde, die Frau wolle das bitte zur Anzeige bringen, sie vermute ein Verbrechen. Fast jeder, der das Material zu sehen bekommt, ist überzeugt, eine Straftat zu erkennen.

Man sieht Lohfink abwechselnd betrunken, schlafend, wach, tanzend, trinkend, sprechend, bewegungslos auf dem Rücken liegend, lallend, wimmernd. Mehr als zwölf Stunden muss Gina-Lisa in dieser Wohnung zugebracht haben.

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Nach und nach wurde ihr klar, dass sie – so vermutet sie jedenfalls – von den beiden Männer und KO-Tropfen gesetzt, vergewaltigt und gefilmt wurde. Das Video war im Netz für alle abrufbar, mehrere Personen versuchten, es verschiedenen Redaktionen anzubieten. "Betreff: Vergewaltigungsvideo von Gina Lisa!! Nagelneu ...", stand laut Stern in der Betreffzeile einer E-Mail. Mehrere Redakteure erstatteten Anzeige.

Schon einmal hatte sie die Erfahrung machen müssen, dass ein Mann, ihr ehemaliger Partner Yüksel D., ein Sex-Video von ihr ins Netz gestellt hatte. Das Video wurde mehr als 10 Mio. Mal heruntergeladen.

Zwei Wochen nach der tragischen Nacht erstattete Gina-Lisa Lohfink Anzeige gegen Sebastian Castillo Pinto und Pardis Fardzhad-Azad. Im Stern ist nachzulesen, wie nachlässig die Staatsanwaltschaft trotz Drängens ihres Anwaltes die Ermittlungen aufnahm. Erst im November wurde Gina-Lisa Lohfink zu der Sache angehört und auf das toxische Gutachten musste sie 6 Monate warten.

Während des Verfahrens stellte sich heraus, dass Sebastian Castillo Pinto bereits mehrfach vorbestraft war. Die Leitung des „Maxxim“ will davon nichts gewusst haben. Drei Frauen hatten ihn einem Frauenbündnis zufolge unabhängig voneinander einer Sexualstraftat bezichtigt. In allen drei Fällen soll dieselbe Staatsanwältin zu dem Schluss gekommen sein, dass der Angeklagte nicht schuldig sei. Laut aktuellen Medienberichten ist das jetzige das zweite Sexualstrafverfahren gegen Seastian Castillo Pinto.

Die Männer erstatteten Anzeige gegen das Opfer

Im Falle von Gina-Lisa Lohfink reichte den beiden Männern der Freispruch nicht, beide erstatteten ihrerseits Anzeige wegen Verleumdung gegen sie. Daraufhin wurde sie zu einer Geldstrafe von 20.000 € verurteilt, obwohl die Verteidigung eine Zeugin brachte, die berichtete, dass sie vermute vor Jahren von Pardis Fardzhad-Azad mittels KO-Tropfen außer Gefecht gesetzt und vergewaltigt worden zu sein. Aufgrund ihres damaligen lockeren Lebenswandels habe sie befürchtet, dass ihr niemand glauben werde und deshalb keine Anzeige erstattet, so die Zeugin. Der Fußballer wurde später von noch einer weiteren Frau bezichtigt, sie u.a. per SMS sexuell belästigt zu haben. Das blieb aber wohl juristisch folgenlos – sowohl von ihrer als auch seiner Seite.

Sebastian Castillo Pinto und Pardis Fardzhad-Azad wurden wegen der Verbreitung des Videos mit Gina-Lisa Lohfink zu einer Geldstrafe verurteilt. Vielleicht wollten sie sich das Geld von ihr zurückholen.

Im Stern wird ihr Anwalt Burkhard Benecken zitiert:

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Dass Gina mit ihrer Beschwerde vom Opfer zur Täterin gemacht wird, ist ein katastrophales Signal an jedes Mädchen, das eine Straftat anzeigen möchte", sagt er. "Wenn du nicht einmal sagen darfst, wie du selbst eine Tat erlebt hast, wenn du deine eigene Wahrnehmung nicht schildern darfst, ohne zu riskieren, dafür angezeigt zu werden, dann werden künftig noch weniger Frauen zur Polizei gehen.

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Genau das ist der springende Punkt: Frauen wird die Rechtssicherheit genommen – und zwar in einem essentiellen Bereich. Frauen ist es somit nicht einmal möglich, über ihre Wahrnehmung zu sprechen, wenn sie befürchten müssen, deshalb wegen Verleumdung angezeigt zu werden - womöglich erfolgreich. Frauen wird nicht nur die Rechtssicherheit genommen, sie werden zum Schweigen verdammt.

Während des Prozesses gegen Gina-Lisa Lohfink ließ Pardis Fardzhad-Azad sich von einem Anwalt vertreten, er spielte zwischenzeitig im Ausland, u.a. in Aserbaidschan. Was er heute macht, ist nicht klar.

Sebastian Castillo Pinto ließ die Welt via Facebook an seinem Leben teilhaben.  Er präsentierte sich als gläubiger Muslim, besuchte die Omar-Moschee, eine mehrstöckige Mega-Moschee in Kreuzberg, laut eslam.de die zweitgrößte Moschee Berlins. Betrieben wird die Moschee vom „Islamischen Verein für wohltätige Projekte“, der seinen Ursprung im Libanon hat. Laut Vereinssprecher Birol Ucan können „Männer und Frauen … gemeinsam teilnehmen, auch im Gebetsraum gebe es keine Geschlechtertrennung“, zitiert ihn der Tagesspiegel.  Augenzeuginnen zufolge wird entgegen dieser Aussage auch dort die in vielen Moscheen übliche Geschlechtertrennung praktiziert.

Außerdem posierte er laut seines Facebookprofils mit Arafat (Momo) Abou-Chacker:

 

Quelle: https://www.facebook.com/sebastian.castillopinto.7/posts/1643375565769671

Dieser gilt als Boss des berühmt-berüchtigten Abou-Chacker-Clans, wurde beschuldigt, gewalttätig zu sein und seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Rapper Bushido endete mit einer Anklage wegen schwerer räuberischen Erpressung, Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung und Untreue.

Außerdem zeigt er sich auf Facebook mit Ahmad Miri, führendes Mitglied des ebenfalls berühmt-berüchtigten Miri-clans und ebenfalls einschlägig vorbestraft. 

Quelle: https://www.facebook.com/Prinz27MeinLeben/photos/a.1304881542915135/1356374331099189/
 

Dieser unterstützte ihn laut Bild-Reporter Peter Rossberg dabei, eine Karriere als Rapper „Prinz 27“ zu starten. Im Januar 2017 erschien so sein erstes Video „Das ist mein Leben“, in dem er das Verfahren gegen ihn aufarbeitete und sich als Lebemann präsentierte.

Auf Facebook ist er mit Änis Ben-Hatira zu sehen, mit dem er sich solidarisiert, nachdem der Profi-Fußballer wegen seines Engagement für „Ansaar International“, einer von den zuständigen Behörden als salafistisch eingestuften muslimischen Hilfsorganisation, in die Kritik geriet. 

Quelle: https://www.facebook.com/Prinz27MeinLeben/photos/a.1304881542915135/1324118330991456/
 

„Free Palästina“ war ihm offenbar ein dringendes Anliegen, das bekundet er mehrfach auf seinem Facebook-Profil:

Quelle: https://www.facebook.com/Prinz27Berlin/posts/1241167572599162
 

Er posierte mit dem Schauspieler Kida Khodr Ramadan und weiteren Prominenten oder nicht so Prominenten aus Sport und Spiel. 2018 reiste er zu einem Fußballspiel nach Georgien „meine Liebe“ 

 

Quelle: https://www.facebook.com/sebastian.castillopinto.7/posts/1723143961126164

und wurde dort laut Peter Rossberg wegen Drogenhandels und –schmuggels verhaftet

 

Quelle: https://www.facebook.com/PRossbergBILD/posts/1129178027263255
 

Die deutschen Behörden bemühten sich Rossberg zufolge seinerzeit, die Überstellung nach Deutschland zu erreichen. Das scheint geklappt zu haben, die Strafe sitzt er aktuell in einer Berliner Haftanstalt ab. Die Frage, für wen er Drogen schmuggelte, scheint nirgendwo erörtert worden zu sein. Aber der Vorfall wirft die Frage auf, ob er verbunden war mit Kreisen, die international mit Drogen handeln?

Auf seinem Facebook-Account herrscht seither Funkstille. Die Sexualstraftat, wegen der er jetzt vor Gericht steht, ereignete sich 2017, als der Angeklagte ein Leben zwischen Moschee, Luxusschlitten und Shishabar führte. Eine Prostituierte warf ihm vor, entgegen der Verabredung ohne Kondom in sie eingedrungen zu sein, sie auf den Hinterkopf geschlagen und am Verlassen der Wohnung gehindert zu haben.

 Nein heiß Nein!??

2016, im Zuge des Verfahrens gegen Gina-Lisa Lohfink, entstand eine Kampagne mit dem Slogan „Nein heißt Nein“ und in Folge dessen eine entsprechende Änderung des Paragrafen zur Vergewaltigung. Doch was nützen Paragraphen, wenn betroffenen Frauen schlicht nicht geglaubt wird? Selbst dann nicht, wenn die Täter den Beweis dem Gericht den Beweis quasi frei Haus liefern? Wie viele Frauen werden sich trauen, eine Sexualstraftat zur Anzeige zu bringen, wenn sie damit rechnen müssen, am Ende selbst vor dem Kadi zu stehen – als Angeklagte!?

Auch der Klägerin in dem aktuellen Fall wurde nicht geglaubt, u.a. weil ihre Aussage vor Gericht deutlich schwächer war als seinerzeit bei der Polizei. Laut B.Z. stellte das Gericht … die Anklagepunkte Vergewaltigung und Nötigung deshalb ein. “

Die B.Z. schreibt:

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In ihrer polizeilichen Anzeige hieß es später: „Er drang ungeschützt in mich ein. Zwei bis drei Mal …“ Mittwoch vor Gericht sprach sie nur noch von einer oberflächlichen Berührung. Auch der Vorwurf, er habe sie am Verlassen der Wohnung gehindert, schmolz zu einem kurzen „In-den-Weg-Stellen“.

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Knapp vier Jahre liegen zwischen dem Vorfall und der Verhandlung. Wenn die betroffene Frau sich anders als in der ursprünglichen Aussage oder ungenau, vermeintlich oder tatsächlich widersprüchlich ausdrückt, ist der Angeklagte fein raus. Wurde die Klägerin möglicherweise unter Druck gesetzt? Über die entsprechenden Kontakte würde der Angeklagte vermutlich verfügen. Aber das ist selbstverständlich nur Spekulation.

Stealthing gilt in vielen Ländern als Sexualstraftat, u.a. in Schweden, dem Land, in dem Wikileaks-Gründer Julian Assange deshalb unter Anklage stand. Das Verfahren konnte er mit internationaler Unterstützung – vor allem Linker – aussitzen. Die Rechtslage in Deutschland ist schwammig, erst 2020 kam es zu einer Entscheidung einer höheren Instanz, des Berliner Kammergerichts, dem höchsten Berliner Gericht. Der Angeklagte, ein 37jähriger Bundespolizist, wurde wegen sexuellen Übergriffs nach § 177 verurteilt.

Ein breites Frauenbündnis begleitete seinerzeit die Verhandlung gegen Gina-Lisa Lohfink mit Protesten. Auch aktuell luden Frauengruppen zur Prozessbeobachtung ein


 

 

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