Zum 10. Jahrestag der Terroranschläge in Paris


 

 

 ARD-Dokumentation schildert die Geschehnisse aus der Perspektive der damaligen deutschen Fußball-Nationalmannschaft

 


  Text: Birgit Gärtner Foto: Pixabay

Anlässlich des 10. Jahrestags der Terroranschläge in Paris, bei denen am 13. November 2015 130 Menschen ums Leben kamen und fast 700 verletzt wurden, strahlte die ARD die Dokumentation „Terror. Fußball. Paris 2015 · Die Nationalmannschaft im Visier“ aus, in der die Geschehnisse jener Nacht aus der Perspektive der damaligen Fußball-Nationalmannschaft geschildert werden. Die Dokumentation beleuchtet zudem die Hintergründe der Absage des Fußball-Länderspiels Deutschland gegen die Niederlande am 17. November 2015 in Hannover. Ausschlaggebend für die Absage des Spiels, das ein klares Zeichen gegen Terror sein sollte, war … der Hinweis auf geplante islamische Terroranschläge – am oder im Stadion und im Hauptbahnhof. Die Doku gewährt einen interessanten Einblick in die Geschehnisse hinter den Kulissen, bei denen Sport zum Politikum, Fußballer zu Spielbällen der Politik und tausende Fans völlig ahnungs- und schutzlos einer absolut unkalkulierbaren Gefahr ausgesetzt wurden. 

130 Tote in einer Nacht

Der 13. November 2015 war ein trüber, grauer, regnerischer Tag in Paris. Trotzdem wollten sich die Fußballfans das Spiel Frankreich gegen Deutschland im Stade de France, ein reines Freundschaftsspiel, ein Testspiel im Vorfeld der kommenden Europameisterschaft, nicht entgehen lassen. Ca. 80.000 Menschen waren in dem Stadion, darunter der damalige französische Staatspräsident François Hollande und der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Das Spiel wurde per Direktübertragung in 66 Ländern ausgestrahlt.

In 66 Ländern hörten die Menschen vor den Bildschirmen wie auch die 80.000 im Stadion mitten im Spiel, gegen 21:17h, einen Knall. Zunächst dachten alle an besonders laute Pyrotechnik, doch dafür gab es keine Anzeichen. Das Spiel wurde fortgesetzt, auch nachdem um 21:21h ein weiterer Knall folgte und um 21:53h ein dritter. Nach der Halbzeit nahm Frank-Walter Steinmeier seinen Platz auf der Ehrentribühne wieder ein, François Hollande fehlte indes. Der war von seinen Sicherheitskräften darüber informiert worden, dass es rund um das Stadion zu versuchten Terroranschlägen gekommen sei.

Laut Wikipedia hatte einer der drei Selbstmordattentäter versucht,

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am Eingangstor D in der Avenue Jules Rimet 15 Minuten nach Spielbeginn ins Stadion zu gelangen. Ein Sicherheitsmann kontrollierte den Täter und entdeckte eine Sprengstoffweste, woraufhin der Attentäter flüchtete. Laut Spielaufzeichnung zündete er um 21:17 Uhr die Bombe außerhalb des Stadions und riss dabei einen Passanten mit in den Tod. Der Attentäter führte einen gefälschten syrischen Pass mit sich, der am 3. Oktober 2015 in Griechenland registriert worden war. Die wahre Identität des Mannes ist bislang unbekannt. Ein zweiter Pass, der nach den Anschlägen am Stadion gefunden wurde, gehörte dem ägyptischen Opfer des Sprengstoffanschlages. Der zweite Selbstmordattentäter am Stadion versuchte am Toreingang H in das Innere zu gelangen. Kurz darauf, um 21:21 Uhr, sprengte er sich in die Luft. Dieser Attentäter war ebenfalls am 3. Oktober 2015 in Griechenland registriert worden, seine Identität ist bislang ebenfalls unbekannt. Um 21:36 Uhr erhielt der französische Innenminister Bernard Cazeneuve die Mitteilung des Polizeipräfekten, dass es sich um Anschläge handele. Der dritte Selbstmordattentäter war Bilal Hadfi. Er befand sich 300 Meter abseits des Stadions vor einer McDonald’s-Filiale an der Straßenkreuzung zwischen der Rue des Trémies und der Rue de la Cokerie und zündete seinen Sprengstoffgürtel um 21:53 Uhr, wobei keine weiteren Menschen ums Leben kamen.

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Um eine Massenpanik zu verhindern, wurde das Fußballspiel zu Ende gespielt, währenddessen durfte niemand das Stadion verlassen. Anschließend wurden die Fans von der Polizei hinaus geleitet, die beiden Mannschaften mussten in ihren Kabinen verweilen. Auch die Presseleute mussten im Stadion bleiben. Die französische Mannschaft wurde während der Nacht evakuiert, die deutsche im Morgengrauen zum Flughafen eskortiert und von der Lufthansa nach Frankfurt geflogen.

In der Nacht kam es zu weiteren Anschlägen auf Bars und Restaurants bei denen 39 Menschen ermordet wurden sowie die Konzerthalle Bataclan mit 89 Toten.

Die Verantwortung für die Anschläge übernahm der IS, dessen Anführer Abu Bakr al-Baghdadi diese angeordnet haben soll. Frankreich wurde wegen der militärischen Präsenz in Irak, Mali und Syrien sowie der militärischen Unterstützung Israels.

Das Bataclan war bis kurz vor dem islamischen Terroranschlag jahrzehntelang in jüdischem Besitz und war bereits in der Vergangenheit häufig zur Zielscheibe antisemitischer Anschläge geworden. Die Band „Eagles of Death Metal“, die zu dem Zeitpunkt auf der Bühne stand, war wenige Monate zuvor in Tel Aviv aufgetreten. Die Bandmitglieder konnten sich indes in Sicherheit bringen. 

Ein Fußballspiel wurde zum Politikum

Als die Mannschaft am 14. November 2015 in Frankfurt landete, gab der damalige Bundestrainer Jogi Löw den Spielern erst einmal frei. Sie sollten sich erholen. Doch hinter den Kulissen rumorte es: Drei Tage später, am 17. November 2015, sollte in Hannover ein weiteres EM-Testspiel ausgetragen werden; dieses Mal gegen die niederländische Mannschaft. Niemand konnte sich so recht vorstellen, wie das gehen sollte und in der Presse wurde spekuliert, das Spiel werde abgesagt. Wurde es letztlich auch, aber nicht aus Fürsorge mit den Spielern, sondern wegen sehr konkreter Anhaltspunkte für einen Terroranschlag, ähnlich dem in Frankreich.

Doch bis es zur Absage kam, ging viel Zeit ins Land, Tausende Menschen standen vor dem Stadion und warteten auf den Einlass und die Mannschaft saß im Bus vom Trainingslager in Barsinghausen kurz vor Hannover.

Am 15. November wurde Jogi Löw „von einer sehr hohen Stelle unserer Bundesregierung“ darüber informiert, dass selbige wünsche, dass das Spiel stattfände. Schließlich „wollen wir uns von dem Terror nicht in die Knie zwingen lassen“. Um das zu demonstrieren, werde die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich am Spiel teilnehmen.

Darüber informierte der Bundestrainer die Spieler. Die waren nicht begeistert, aber keiner hatte den Mut, „NEIN!“ zu sagen. Obwohl er wusste, dass die Spieler sich nur fügten, sprach Jogi Löw auf der Pressekonferenz am 16. November 2016 von einer gemeinsamen Entscheidung der DFB-Führung, des Trainer-Teams und der Spieler.

Am 17. November verdichteten im „Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum“ des BKA die Anzeichen auf eine geplante Anschlagsserie an mindestens zwei Orten: Dem Stadion und dem Hauptbahnhof.

Mutmaßlich kam dieser Hinweis aus Israel. Der Anschlag im Stadion sollte mit Hilfe eines Rettungswagens durchgeführt werden. Eine verdächtige Person werde während des Spiels im Stadion als Ordner eingesetzt sein. Deshalb wurde die Liste der Mitarbeiter des zuständigen Wachschutzes gecheckt, der Name der betreffenden Person befand sich nicht darauf. Später stellte sich heraus, dass diese Person sehr wohl als Ordner im Stadion eingesetzt war.

Das ZDF berichtete in den 19h Nachrichten mit einer Liveschalte ins Stadion. Die Reporterin ging davon aus, dass das Spiel stattfinden werde. Während Heute über das Wetter informierte, wurde das Spiel abgesagt und die Tausenden wartenden Fans weggeschickt. Obwohl niemand garantieren konnte, dass es an anderen Orten zu islamischen Terroranschlägen kommen werde. Im Gegenteil, zu dem Zeitpunkt musste von weiteren Anschlagsorten ausgegangen werden.

Die Menschen wurden einfach sich selbst überlassen. Um Stärke zu demonstrieren, hatte die Bundesregierung das Spiel zum Politikum gemacht, den DFB unter Druck gesetzt, dieser wiederum die Bundestrainer, die über die Köpfe der Spieler hinweg entschieden und Tausende Menschen wurden einer als sehr real eingeschätzten Gefahr ausgesetzt.

In der folgenden Pressekonferenz sagte der damalige Innenminister Thomas de Maizière den legendären Satz: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“. Darüber wird sich bis heute lustig gemacht. Der Hintergrund ist indes, dass der Minister sich in einer Zwickmühle befand: Er wollte nicht die Wahrheit sagen, nämlich, dass durchaus an anderen Orten, beispielsweise am Hauptbahnhof, Terrorgefahr bestand, um keine Massenpanik zu erzeugen; er wollte aber auch nicht lügen. 
 

 

 „Beschützt“ von jenen, deretwegen wir Schutz brauchen

Diese offenbar ziemlich konkrete Terrorgefahr, ein Experte in der Doku klassifizierte sie mit den Worten „… hätte das Land verändert“, ist in der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend untergegangen. Übrig geblieben ist der vermeintliche Kalauer de Maizières. Mittlerweile hängen wir als Gesellschaft jedoch quasi am Tropf von Sicherheitsunternehmen – die ihre Mitarbeiter in jenen Milieus rekrutieren, wegen denen die Sicherheitsmaßnahmen überhaupt nötig sind. Vor vielen Jahren habe ich über Neonazis beim Wachschutz recherchiert und unter anderem die Frage gestellt, ob diese damit nicht Zugang zu Waffen bekommen. Das hat niemanden in der Politik interessiert – außer die Linksfraktion im Bundestag, die sich dieses Themas angenommen und kleine Anfragen gestellt hat. Jahre später dann der große Aufschrei: Waffenschwund in bundesdeutschen Kasernen.

Auch zu radikalisierten Muslimen als Wachschützer habe ich, bzw. haben wir, die Bielefelder Lehrerin Birgit Ebel  und ich, recherchiert und herausgefunden, dass ein Sprössling einer einschlägig bekannten Familie unter anderem bei einer Wachschutzfirma arbeitet, die für die Sicherheit u.a. des SC Paderborn und im Bremer Weser Stadion zuständig ist. Der Tschetschene Islam M. postete in sozialen Netzwerken Fotos von sich bei einem solchen Einsatz. Daraufhin habe ich Werder Bremen informiert, aber nie eine Reaktion bekommen. Birgit Ebel ist damit an die Presse gegangen und dann hat der Verein letztlich doch reagiert.

Islam M. war 2012 bei einer Koran-Verteilaktion der Gruppe "Millatu Ibrahim" in Detmold dabei. Es gibt Fotos, die das belegen. "Millatu Ibrahim" wurde von dem Österreicher Mohamed Mahmoud und dem Berliner Denis Cuspert alias Deso Dogg gegründet, die, wie ihnen vorgeworfen wurde, eine entscheidende Rolle bei der Ausreise deutscher Gotteskrieger in den Irak und nach Syrien gespielt haben sollen. In dieser Szene ist Islam M. also quasi groß geworden. In sozialen Netzwerken postet er Fotos von sich, die ihn zeigen vor einer Moschee, die der "Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş" (IGMG/Nationale Sicht) angehört, als Kampfsportler eines Paderborner Clubs, in der typischen Salafistentracht, gemeinsam mit einem Glaubensbruder mit dem erhobenen Zeigefinger, dem Zeichen des IS und eben als Wachmann. 2015 wurde er zu einer Arreststrafe verurteilt, weil er in sozialen Netzwerken Sympathien für das Attentat auf die Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo bekundet hatte, bei dem 13 Menschen starben.

Laut Weser Kurier war nicht nur Islam M., sondern auch sein jüngerer Bruder Shamil als Ordner bei Spielen von Werder Bremen eingesetzt; insgesamt vier Mal. Laut Weser Kurier hatte Werder Bremen

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den Bundesliga-Aufsteiger Paderborn nach Unterstützung beim Sicherheitspersonal gefragt, berichtet Werders Sicherheitsbeauftragter Lars Mühlbradt dem WESER-KURIER. Dies sei ein üblicher Vorgang. Die Männer seien in Bremen zuletzt beim Heimspiel gegen Schalke 04 im März zum Einsatz gekommen. Für den Bundesliga-Aufsteiger Paderborn sollen die beiden Männer laut WDR sogar bis vor Kurzem gearbeitet haben. Werder hat aufgrund der Recherchen des WDR den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und die Polizei informiert. Die Polizei Bremen bestätigte die Kontaktaufnahme und verwies auf den Staatsschutz Bielefeld, bei dem das Verfahren liege. Der Staatsschutz prüfe die möglicherweise von den Männern ausgehende Gefahr, erklärte eine Sprecherin der Polizei Bielefeld. Von Ermittlungen könne man nicht sprechen, weil bisher keine konkrete Straftat vorliege.

In Paderborn sollen die beiden Männer nur auf dem Parkplatz als Ordner zum Einsatz gekommen sein, sagt der Sicherheitsbeauftragte des SC Paderborn, Sebastian Matz. Nicht so in Bremen: Einer der Männer veröffentlichte in dem sozialen Netzwerk Instagram ein Foto aus dem Weserstadion, das dem WESER-KURIER vorliegt. Lars Mühlbradt bestätigt, dass die beiden Sicherheitsleute bei einem Einsatz im Stadion tätig waren. Die anderen Male hätten sie außerhalb des Stadions gearbeitet.

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Es ist also keine Einbildung, wenn die Sicherheitsleute einem nicht unbedingt das Gefühl von Sicherheit vermitteln.

 

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